Im Januar 1990 wurde ein brisantes Fernschreiben des Stasi-„Kollektivs“ aus Gera bekannt. Es führte zu einem Aufschrei bei der Opposition. Jetzt zeigt der Historiker Christian Booß, wie das Papier auch gedeutet werden könnte.
Als Absender traten das „Kollektiv des Bezirksamtes für Nationale Sicherheit Gera und die Kreisämter“ auf – mit anderen Worten: die Stasi-Leute in der südlichen Provinz der DDR. Die Überschrift des Fernschreibens lautete: „Heute wir – morgen ihr“. Das Fernschreiben war über das regierungsinterne, natürlich geheime Telexnetz breit in der DDR verbreitet worden; es richtete sich offensichtlich an Stasi-Kollegen in anderen Dienststellen und an höhere Funktionäre im Partei- und Staatsapparat.
Der Inhalt war brisant: „Wer mit der Macht spielt, sie sich aus der Hand nehmen lässt (besonders während einer Revolution, in der wir uns zurzeit befinden), der wird scheitern. Der nutzt nicht uns, der dient der Reaktion.“ Das Fernschreiben forderte die Adressaten auf, gemeinsam gegen die Opposition vorzugehen – sie zu „paralysieren“, wie Henrich bei seiner Zusammenfassung betonte: „Paralysieren steht hier wörtlich.“
Das Papier sorgte für Empörung am Runden Tisch. Henrich interpretierte den Text als Aufruf zum „Staatsstreich“ und forderte von der Regierung um den letzten SED-Hoffnungsträger Hans Modrow Aufklärung sowie strafrechtliche Ermittlungen gegen die Absender. Die Regierungsvertreter wiederum gaben sich ahnungslos.
https://www.welt.de/geschichte/article2 ... Stasi.html
AZ