"Der wäre fast gelyncht worden"

"Der wäre fast gelyncht worden"

Beitragvon Werner Thal » 18. Dezember 2019, 11:02

DER SPIEGEL 48/1989 vom 27.11.1989

"Der wäre fast gelyncht worden"

Oh komm, du neue, lebende, selbst nicht geträumte Sonne.

Es ist kalt im Harzstädtchen Quedlinburg. Über den jahrhundertalten, teils mächtig heruntergekommenen
Fachwerkhäusern lasten die Schwefelschwaden der Braunkohleheizwerke.

Tausende Quedlinburger ziehen an diesem Abend durch die engen, gepflasterten Gassen der Kreisstadt am
nordöstlichen Harzrand. Ärzte und Arbeiter, Lehrerinnen undHandwerker haben sich mit Haushaltskerzen bewaffnet,
die weithin leuchten.

Mit dem saloppen Spruch "Egon in die Muppet-Show" verlangen die Demonstranten den Rücktritt des Staatsrats-
vorsitzenden Egon Krenz im fernen Berlin. Frech fordern sie den "freien Aufstieg" zum nahe gelegenen Brocken,
jenem Blocksberg aus den Hexensagen, auf dessen Gipfel an der deutsch-deutschen Grenze trotz aller Reisefrei-
zügigkeit noch sozialistische Horchposten wachen. Feierlich singen sie schließlich den alten Text der DDR-
Nationalhymne, der seit langem verpönt ist, weil darin vom ganzen Deutschland die Rede ist: Auferstanden aus
Ruinen" und "Deutschland, einig Vaterland".

Etwas abseits hat sich eine Handvoll SED-Funktionäre in den Schatten einer Hauswand gedrückt, verstohlen
beobachten die Herren die eigentümliche Prozession. Zuvor hatten die Einheitssozialisten kleinlaut bei den Leuten
von der Oppositionsbewegung "Neues Forum" angefragt, ob sie denn mitmarschieren dürften. Ihr Ansinnen war von
den Veranstaltern rundweg abgelehnt worden - aus Sorge, die Funktionäre könnten Opfer des Volkszornes werden.

Verkehrte Welt in Quedlinburg: Noch im Oktober hatten sich Oppositionelle nur an streng geheimen Orten getroffen;
wer sein Haus verließ, stellte ein Buch und eine Kerze ins Fenster - zum Zeichen, dass alles in Ordnung sei. Fehlten
die Utensilien, konnten Freunde, die erfolglos anklingelten, gleich Alarm schlagen, dass wieder jemand der
Volkspolizei "zugeführt" worden war, wie es im DDR-Jargon heißt.

Jetzt aber gehen Woche für Woche am Donnerstagabend bis zu 20 000 Demonstranten auf die Straße - beinah jeder
Erwachsene der rund 30 000 Einwohner protestiert. Arbeiter rebellieren in Betriebsversammlungen gegen Material-
mangel und Misswirtschaft, Anwohner klagen in Bürgergesprächen katastrophale Umweltsünden an. "Wir sind", sagt
der Neurologe Dietrich Rehbein, 53, vom "Neuen Forum" "aus einer schrecklichen Lethargie endlich aufgewacht."


...auch hier geht es weiter:

https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13498662.html

W. T.
Wer einen Rechtschreibfehler findet, darf ihn behalten.
Russian Military out of Ukraine
русские идут домой
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Re: "Der wäre fast gelyncht worden"

Beitragvon Volker Zottmann » 18. Dezember 2019, 14:00

Für mich als Quedlinburger, der dabei war, ist der Artikel nichts Besonderes.
Bemerkenswert war die Masse der Demonstranten. Bemessen auf die Einwohnerzahl waren in Quedlinburg die mächtigsten Demos der DDR.
Was absolut er Quatsch ist, dass die Tageszeitung "Freiheit" im Volksmund "Frechheit" hieß. Das ist Bullshit. Kein Mensch hat den Namen je verunstaltet. Das war einfach ein Name, ein Begriff.
Was wiederum genau stimmt, ist SED-Chef Krauses Stammelei. In seiner Haut hätte ich als Ausbader auch nie stecken mögen. Denn er war nie korrupt oder auf Vorteile bedacht. Er hatte jedoch den Unmut der Massen über seine direkten Vorgänger auszubaden.
Er war eben die letzte SED-Marionette in Quedlinburg, so wie der kurzzeitig "regierende" Krenz das in Berlin war.
Keine Sau nahm die mehr als Gesprächspartner für voll.

Gruß Volker
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Re: "Der wäre fast gelyncht worden"

Beitragvon zonenhasser » 18. Dezember 2019, 14:13

Volker Zottmann hat geschrieben:Was absolut er Quatsch ist, dass die Tageszeitung "Freiheit" im Volksmund "Frechheit" hieß.

Kommt ein Mann an den Zeitungskiosk:

"Ich möchte die Freiheit."
"Die gibt's nich."
"Wann gibt's die denn?"
"Wenn's de "Freiheit" nich mehr gibt."
Die “Rote Fahne” schrieb noch “wir werden siegen”, da hatte ich mein Geld schon in der Schweiz.
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Re: "Der wäre fast gelyncht worden"

Beitragvon Volker Zottmann » 18. Dezember 2019, 15:36

zonenhasser hat geschrieben:
Volker Zottmann hat geschrieben:Was absolut er Quatsch ist, dass die Tageszeitung "Freiheit" im Volksmund "Frechheit" hieß.

Kommt ein Mann an den Zeitungskiosk:

"Ich möchte die Freiheit."
"Die gibt's nich."
"Wann gibt's die denn?"
"Wenn's de "Freiheit" nich mehr gibt."

Das ist ein ausgezeichneter Qualitätswitz! Weiter so, Zonenhasser.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: "Der wäre fast gelyncht worden"

Beitragvon Nostalgiker » 18. Dezember 2019, 16:27

Das muß wohl der "berühmte" Abend im Leben des Widerständlers aus den Wäldern der Harzes gewesen sein als er in Todesverachtung unter dem Schutz der Demonstranten heilich und verschämt sein SED Parteidokument in den Briefkasten der KL warf .....
Manno war er mutig unser Zotti, jeden Augenblick damit rechnend von SED und/oder Stasi Schergen erschossen zu werden .....
Vielleicht sogar vom eigenen Onkel, denn es ist belegt das ein Stasi-Pförtner im damaligen Bezirk Rostock oder Neubrandenburg oder Schwerin durchdrehte und unschuldige Leute erschoss ...., warum auch nicht in Quedlinburg .....
Ich nehme zur Kenntnis, das ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.
Aber damit sind diese Hoffnungen nicht erledigt. Stefan Hermlin

Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, dass man nichts zu verlieren hat. Janis Joplin

Psychologen haben herausgefunden, dass Menschen, die immer bei anderen auf die Rechtschreibfehler hinweisen, eine Persönlichkeitsstörung haben und unzufrieden mit ihrem Leben sind. Netzfund
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Re: "Der wäre fast gelyncht worden"

Beitragvon Volker Zottmann » 18. Dezember 2019, 22:50

...
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.
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Re: "Der wäre fast gelyncht worden"

Beitragvon zonenhasser » 19. Dezember 2019, 00:59

Volker Zottmann hat geschrieben: Das ist ein ausgezeichneter Qualitätswitz! Weiter so, Zonenhasser.
Vor der Mauer kommt ein Ostberliner ins Café Kranzler am Ku`damm und bestellt einen Kaffee und ein "Neues Deutschland". Der Kellner bringt den Kaffee und sagt mit Bedauern, man führe das ND hier nicht. Kurz darauf kommt der Gast wieder und bestellt wieder einen Kaffee und ein ND. Der Kellner bedauert erneut, dass man das ND nicht führe. Als der Ostberliner wenige Tage wieder seine gleichlautende Bestellung aufgibt, wird der Kellner ungehalten: "Wie oft soll ich es Ihnen denn noch sagen: Wir führen das ND nicht. Warum fragen Sie immer wieder danach?"
"Ich höre das doch so gerne."
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Re: "Der wäre fast gelyncht worden"

Beitragvon Volker Zottmann » 19. Dezember 2019, 11:07

[super] [super] [super]
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Re: "Der wäre fast gelyncht worden"

Beitragvon Ari@D187 » 19. Dezember 2019, 11:20

zonenhasser hat geschrieben:
Volker Zottmann hat geschrieben: Das ist ein ausgezeichneter Qualitätswitz! Weiter so, Zonenhasser.
Vor der Mauer kommt ein Ostberliner ins Café Kranzler am Ku`damm und bestellt einen Kaffee und ein "Neues Deutschland". Der Kellner bringt den Kaffee und sagt mit Bedauern, man führe das ND hier nicht. Kurz darauf kommt der Gast wieder und bestellt wieder einen Kaffee und ein ND. Der Kellner bedauert erneut, dass man das ND nicht führe. Als der Ostberliner wenige Tage wieder seine gleichlautende Bestellung aufgibt, wird der Kellner ungehalten: "Wie oft soll ich es Ihnen denn noch sagen: Wir führen das ND nicht. Warum fragen Sie immer wieder danach?"
"Ich höre das doch so gerne."

Diese Aktion hätte ich meinem, leider schon seit einigen Jahren verstorbenen, bereits in den 50ern "rübergemachten", Nachbarn durchaus zugetraut.

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Re: "Der wäre fast gelyncht worden"

Beitragvon augenzeuge » 19. Dezember 2019, 12:40

Die Abkürzung ND kennt nur kein Wessi.... [flash]
AZ
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Re: "Der wäre fast gelyncht worden"

Beitragvon pentium » 19. Dezember 2019, 13:10

augenzeuge hat geschrieben:Die Abkürzung ND kennt nur kein Wessi.... [flash]
AZ


Ist eben ein Qualitätswitz....passend zum Thema.
*Dos Rauschen in Wald hot mir'sch ageta, deß ich mei Haamit net loßen ka!* *Zieht aah dorch onnern Arzgebirg der Grenzgrobn wie ene Kett, der Grenzgrobn taalt de Länder ei, ober onnere Herzen net!* *Waar sei Volk verläßt, daar is net wert, deß'r rümlaaft of daaner Erd!*
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Re: "Der wäre fast gelyncht worden"

Beitragvon HPA » 19. Dezember 2019, 18:57

augenzeuge hat geschrieben:Die Abkürzung ND kennt nur kein Wessi.... [flash]
AZ


So in etwa wie "Frühbürgerliche Revolution" . [wink]
HPA
 

Re: "Der wäre fast gelyncht worden"

Beitragvon pentium » 19. Dezember 2019, 19:27

HPA hat geschrieben:
augenzeuge hat geschrieben:Die Abkürzung ND kennt nur kein Wessi.... [flash]
AZ


So in etwa wie "Frühbürgerliche Revolution" . [wink]


Oder die feudale deutsche Ostexpansion....oder so ähnlich
*Dos Rauschen in Wald hot mir'sch ageta, deß ich mei Haamit net loßen ka!* *Zieht aah dorch onnern Arzgebirg der Grenzgrobn wie ene Kett, der Grenzgrobn taalt de Länder ei, ober onnere Herzen net!* *Waar sei Volk verläßt, daar is net wert, deß'r rümlaaft of daaner Erd!*
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Re: "Der wäre fast gelyncht worden"

Beitragvon HPA » 19. Dezember 2019, 22:08

Knapp vorbei ist auch daneben. [wink]
HPA
 

Re: "Der wäre fast gelyncht worden"

Beitragvon Sperrbrecher » 20. Dezember 2019, 11:18

zonenhasser hat geschrieben:
Volker Zottmann hat geschrieben: Das ist ein ausgezeichneter Qualitätswitz! Weiter so, Zonenhasser.
Vor der Mauer kommt ein Ostberliner ins Café Kranzler am Ku`damm und bestellt einen Kaffee und ein "Neues Deutschland". Der Kellner bringt den Kaffee und sagt mit Bedauern, man führe das ND hier nicht. Kurz darauf kommt der Gast wieder und bestellt wieder einen Kaffee und ein ND. Der Kellner bedauert erneut, dass man das ND nicht führe. Als der Ostberliner wenige Tage wieder seine gleichlautende Bestellung aufgibt, wird der Kellner ungehalten: "Wie oft soll ich es Ihnen denn noch sagen: Wir führen das ND nicht. Warum fragen Sie immer wieder danach?"
"Ich höre das doch so gerne."

Vor dem Mauerbau gingen die Zeitungsverkäufer in Berlin noch durch U- und S-Bahn
und priesen ihre DDR-Presseerzeugnisse an.
Der Verkäufer rief: "Will hier noch jemand ein Neues Deutschland?
Darauf antwortete ein Fahrgast: "Ja, wir wollen alle eins!"
In der DDR wussten 90% der Bevölkerung, dass sie verarscht werden.
In der Bundesrepublik haben es 90% der Wähler immer noch nicht gemerkt.
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Re: "Der wäre fast gelyncht worden"

Beitragvon Ari@D187 » 20. Dezember 2019, 11:31

Sperrbrecher hat geschrieben:
zonenhasser hat geschrieben:
Volker Zottmann hat geschrieben: Das ist ein ausgezeichneter Qualitätswitz! Weiter so, Zonenhasser.
Vor der Mauer kommt ein Ostberliner ins Café Kranzler am Ku`damm und bestellt einen Kaffee und ein "Neues Deutschland". Der Kellner bringt den Kaffee und sagt mit Bedauern, man führe das ND hier nicht. Kurz darauf kommt der Gast wieder und bestellt wieder einen Kaffee und ein ND. Der Kellner bedauert erneut, dass man das ND nicht führe. Als der Ostberliner wenige Tage wieder seine gleichlautende Bestellung aufgibt, wird der Kellner ungehalten: "Wie oft soll ich es Ihnen denn noch sagen: Wir führen das ND nicht. Warum fragen Sie immer wieder danach?"
"Ich höre das doch so gerne."

Vor dem Mauerbau gingen die Zeitungsverkäufer in Berlin noch durch U- und S-Bahn
und priesen ihre DDR-Presseerzeugnisse an.
Der Verkäufer rief: "Will hier noch jemand ein Neues Deutschland?
Darauf antwortete ein Fahrgast: "Ja, wir wollen alle eins!"

Nach dem Mauerfall, in Zeiten der Freiheit, gehen die Zeitungsverkäufer in Berlin durch U- und S-Bahn und preisen die Motz an.

Ari
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