Gedichte und Prosa der DDR

Die Ecke für dies und das...

Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 12. Juli 2011, 14:09

Spee Color gekörnt


Endlich ist es uns gelungen: die vollendung eines traums
auf der verpackung für mehrzweckwaschmittel für farbige textilien
besonders ergiebig und die dosierung beachten
die vollendung der seifenblase der halluzination einer seifenblase in farbe
das blubbert wie echos von pink floyd
das rieselt wie staub der tangerine dream
spee gekörnt color
bei 60° celsius schweben die fasern durchs universum
mit gesteigerter waschkraft die ideale erfrischung
alpenmilchkühe auf grüner alm bimmelt das glöckchen
ein mädchenchor trällert
spee color gekörnt spee color hurra es ist da!

gruß vs
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon Edelknabe » 12. Juli 2011, 19:32

Nenn mal die Quelle vs, wo ist das Gedicht her und zu welcher Zeit ist es enstanden?

Rainer-Maria
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Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 12. Juli 2011, 22:31

Edelknabe hat geschrieben:Nenn mal die Quelle vs, wo ist das Gedicht her und zu welcher Zeit ist es enstanden?

Rainer-Maria


... lass mir nur nen moment zeit.

gruß vs ... der auf scanner verzichtet.
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 12. Juli 2011, 23:57

Lanze für Leipzig



Es ist wahr daß ich dich hasse – du alptraum von einer stadt!
Und wer könnte sowas auch lieben –
dieses güterbahnhofwarenhausmarkthallenkonglomerat,
lärmendes schweißig – rußiges sickerloch
in dem ich steckenbleibe!

Ja & auch das noch ist wahr
wenn ich schreiben will bleibe ich hier.
Bleiben muß ich und will es
Wegen der großen mitternachtsmesse i ´n st. nikolei
einmal im jahr mit mozartschem klang.
Wegen der kostenlosen motetten meines knabenchors freitag & samstags
und weil der glockenhelle sopran in der vorderen reihe in der nase popelt
Wegen des dichters im hexenhaus
gegenüber von schorchl mit plumsklo im hof & einem lydischen engel an seiner wand
Wegen des heiligen spektakels zu brummtopf & radleier mit deutscher folklore
mitten auf unserem herrlichen markt
Wegen der zornigen bettina die auf besen reitet singt wint oder schweigt
und im parkhotel roten wein mit uns trinkt
Wegen der stadtpfeifer die seit 500jahren blasen & blasen
bis zu ekstase (wär doch schön)
Wegen der zwergpoeten im rosa – luxenburg – turm
& seiner gier nach berauschenden feiern, eric burdon im ohr & im körper dampfend & tanzend


Bleiben will ich
um dem programmverkäufer hinterm portal ein fürstliches trinkgeld zu geben
oder schnupftabak anzubieten
Um einen monatslohn auf der kleinmesse zu verjubeln
Um vom schreibtisch aus die sonnenaufgänge übern clara – park zu genießen
Um züge aus budapest hamburg paris varna hochweitzschen & münchen zu erwarten
Um dreimal die woche ins kino in einen stummfilm zu rennen
Um in der straßenbahn leute mit meinem Bösen Blick anzuglotzen


Bleiben will ich weil ich Euch liebe, big bastards!


hallo Rainer,
dir damit einen recht herzlichen guten morgen und sei dir sicher,
ich mag auch leipzig nicht wirklich.
diese verkehrsführung und der fehlende altbaubestand ... naja.
doch sie lebte und dass noch immer. ... man sollte auch verzeihen können ... leipsch iss nich nur mmm und die blechdose.

wir hatten es ja gestern mit diesem tübke
und seinen studenten.
auch so nen wahlleipziger und sitte .... noch nicht mal ... ach ich lass es lieber.
leipzig hatte leute die erst gelesen werden wollten .. zu meiner zeit.
was bin ich gerannt nach diesem büchlein und endlich bekam ich eins davon(2.Auflage 1986) ... gefühlt war es locker ein jahr ... und nun müsste ich briefe nachlesen, die ich nicht verbrannte.
ja die briefe und gedanken von damals und heute kommt auf rbb die doku der kinder von golzow ...

... diese gedichte schrieb Thomas Böhme und sie entstammen aus seinem ersten werk "Mit der Sanduhr am Gürtel".

gruß vs
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon Berliner » 13. Juli 2011, 00:50

Hallo vs1400, Danke fuer die Gedichte...sehr interessant. [grins]

Gruss rueber zu Dir nach Deutschland, [hallo]
Berliner
Nichts auf dieser Welt kann die Beharrlichkeit ersetzen.
Talent kann es nicht - nichts ist verbreiteter als erfolglose Maenner mit Talent.
Genie kann es nicht - unbelohntes Genie ist nahezu ein Sprichwort.
Ausbildung kann es nicht - Die Welt ist voll von ausgebildeten Obdachlosen.


Beharrlichkeit und Ausdauer alleine sind allmaechtig.


-Calvin Coolidge
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Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon Edelknabe » 13. Juli 2011, 19:25

Diese Gedichte vom Herrn Böhme vermischen Zeiträume vor 1989 mit Zeiträumen danach, so meine ich als Zeitzeuge und Leipzigbewohner. Gutes Beispiel dazu..."auf der Kleinmesse brauchte ich vielleicht 15,-Mark der DDR, um mich den ganzen Abend zu vergnügen, wir immer auf dem Kotzkessel, das war der mit den breiten Wagen, so Sechs oder Achtsitzer, in der Mitte die Mädels und am Ende wir Jungs, die drehten mit einem Bein, also Zicke kann da gerne mal weitermachen, der kannte das auch".
Da war kein Monatslohn von Nöten, eher maximal 25,- Mark oder weniger.
Vieles im Gedicht beleuchtet die Zeit nach 1989, nicht davor. Trotzdem gut geschrieben.

Rainer-Maria...ein waschechter Leipziger Jung, der heute nur ab und zu mal in der Stadt weilt und Abends immer froh ist, wieder auf dem Lande zu sein, denn die hektische Großstadt ist wahrlich nicht mehr sein Ding.
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Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 13. Juli 2011, 23:13

gewiss nicht, "Spee Color gekörnt" hat er 1981 entstehen lassen und " Lanze für Leipzig" 1979

das buch war nicht einfach zu bekommen, hab fast eineinhalb jahre dafür gebraucht ... es zu erstehen!
doch hat es oder haben auch die folgenden bände geholfen, über 1000 tage zu kommen und sich freuen zu können, wenn die schicht vorbei war.

gruß vs ...



...

Lebenslauf


Ich wurde geboren biß um mich und kam in ketten
Erschlug meine brüder mit sieben
Vergewaltigte meine schwester – oder wars umgedreht?
Wurde geblendet und fing an zu sehen
Bekam die zunge rausgefetzt und konnte sprechen
Schrie wie am spieß als sie mich jagten
Mit zerstochenen füßen rannte ich fort
War vagabund & Verbrecher & söldner & irrer
Kam ins loch und kehrte heim bettelte an den türen
Wurde reicher als alle und sie nannten mich ihren könig
Kaufte sklaven und peitschte sie jede nacht
Die mir zu willen waren nannte ich volk
Die sich mir widersetzten verschwanden
Gewann die drei gräßlichsten kriege des jahrhunderts
Verbrannte die hälfte des landes
Verspielte die andere hälfte
Verlor die revolution deren führer ich war
Wechselte wieder die fronten und wurde großinquisitor
Verriet meinen gott
Machte mich selber zum gott und
Starb
An einem Donnerstag in den armen einer zahnlosen
Bärtigen hexe


... entstand 1980!
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon Edelknabe » 14. Juli 2011, 05:41

Da lag ich mal falsch vs, das passiert auch, bin ja nicht fehlerlos oder Meister Allwissend. Das letzte Gedicht ist auch sehr gut, das sagt richtig was aus...nur was, mir fehlt da etwas das Geschichtswissen?
Ich werde mal suchen in meinen Büchern, ob ich was Neueres finde so wie von deinem Gedichteschreiber.

Rainer-Maria...und Wissen ist zwar Macht aber nischtwissen macht och nischt.
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Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 15. Juli 2011, 00:30

hallo Rainer,
hat es jemand behauptet oder erwartet.
Böhme ist echt schwierig und ob ich ihn richtig deute? [blush]
... damals hatten wir nur duden und viel tee im pott ... immer schwarzen und stets nach der schicht, einige der 1000 tage möchte ich echt nicht missen.


hee, das we naht und du hast noch die narben der nacht im gesicht [wink] .. wenn du es liest.
es ist kein Böhme ... mei gutster und nun lächel einfach ...




... der nannte sich Volker Braun.


Die großen Worte

Kunze fragte Hinze,
warum er mit so kalter Miene einhergehe und die Tätigkeiten im Lande herabwürdige,
die er doch selber unablässig tue.
Siehst du, sagte Hinze,
ich bin vielleicht nicht gegen die Unternehmungen, die vermutlich nötig sind,
ich ertrage aber nicht, daß ihr sie mit großartigen Namen nennt.
Laß uns sagen, was wir machen,
und du wirst mich womöglich lächeln sehn.



Mängel, positiv formuliert

Wenn Kunze, ohnehin nicht oft, eine Arbeit kritisierte, überlegte er sich seine Sätze.
Er sagte nicht: Das ist nicht in Ordnung,
er sagte: Daran ist weiter zu arbeiten.
Er sagte nicht: Wir sind im Rückstand
er sagte: Wir müssen das Tempo erhöhen.
Er sagte nicht: Da wurde ein Fehler gemacht,
er sagte: Vorwärts zu neuen Erfolgen. – Warum nimmst du dir das Zeitungsblatt vor den Mund?
fragte Hinze.
Gemeckert wird genug, knurrte Kunze, wir orientieren uns nach vorn.
- Sehr freundlich, entgegnete Hinze,
aber wer hört dir hinten zu?

Der Undank des Volkes

Kunze fragte:
Warum sind unsere Menschen unzufrieden? und gar nicht dankbar?
- Sie wollten nicht dankbar sein für etwas, das sie selber machen,
sagte Hinze.


gruß vs
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 21. Juli 2011, 21:16

Ideologische Schwäche

Hinze sagte seinem Freund,
daß er es egoistisch finde, diese liebliche Frau zu heiraten.
Aber wie immer, wenn Hinze persönlich wurde,
nahm es Kunze für einen Scherz.

Unbrauchbare Kunst

Kunze führte Hinze vor die Gemälde eines neuen Meisters,
auf denen die Gegenstände sehr getreu abgebildet waren.
Hinze ging stumm an den Wänden entlang und sagte dann:
Die Bilder belästigen mich. Ihre ganze Wirkung ist, daß man die Gegenstände besitzen möchte.
- Aber wir können sie besitzen,
entgegnete Kunze froh.
Wozu das, knurrte Hinze,
wenn ich schon mit dem Bild nichts anfangen kann.

Von der Wirklichkeit

Kunze las in einem westlichen Blatt die Ansicht eines Sympatisanten,
der reale Sozialismus sei wohl eine Begrenzung der kapitalistischen Macht,
aber auch eine Belastung für das linke Denken.
Die Wirklichkeit, sagte Kunze und warf die Zeitung in die Ecke,
ist immer eine Belastung des Denkens
und gar des Wunschdenkens.
- Auch Wünsche sind die Wirklichkeit, stimmte Hinze zu
und hob das Blatt vom Boden.

Was Wunder

Welch sonderbares Ding ist die Vernunft,
sagte Kunze.
Immer wieder versuchen Leute, ihre Vernunft einzusetzen.
Aber immer wieder, raten ihnen die Verhältnisse, vernünftig zu sein.
- Welch sonderbares Ding sind die Verhältnisse,
sagte Hinze.


Liebschaften

Hinze hatte zwei Freunde,
die auf gespanntem Fuß miteinander standen vor der selben Frau.
Hinze wußte ihnen keinen Rat.
Aber indem die Frau liebreich war, packte es ihn auch.
Seine Freundschaft schadete seiner Liebe nicht, seine Liebe hingegen schadete seiner Freundschaft.
Er wog schon Gewinn und Verlust ab wie ein Händler
und rechnete ein, daß er seine Frau abschreiben konnte.
Der Handel wurde ihm zu dumm, doch er mußte ihn treiben.
Vieleicht ginge er nicht glücklich aus:
das würde noch ein Glück sein.
Was war denn Glück, wenn es so viele trennte, um zwei zu einen?
Es war noch eine sehr kostbare, sehr teure Sache,
die man sich kaum leisten konnte.
Man war noch eine arme Gesellschaft.


Der Unterschied

Kunze und Hinze unterschied wenig.
Das Gehalt,
die Verantwortung,
die Befugnisse
- und daß Kunze den Unterschied für nicht aufregend hielt.


Falscher Ausgangspunkt

Hunze und Kunze arbeiteten für die gemeinsame Sache.
Was die gemeinsame war, lies sich nur sehr allgemein sagen.
Der gemeinsamen Sache war besonders hinderlich,
daß sie immer die Gemeinsamkeiten betonten.


Sozusagen

Wenn Hinze redete,
redete er.
Wenn Kunze redete,
führte er aus oder erklärte er unter großem Beifall.
Wenn Hinze in Freital war,
war er in Freital,
während Kunze weilte und es zu freundschaftlicher Begegnung kam.
Wenn Hinze in der Kantine aß,
aber wenn Kunze in der Kantine aß, war das Fernsehen da.
Wenn Hinze gestorben ist,
ist er gestorben.
Wenn es Kunze trifft,
ist er von uns gegangen und sein Ableben ein großer Verlust,
denn er ist ein teurer Toter.


Hinze Bedingung

Als Hinze einmal im anderen Teil des Landes war, wurde er gefragt,
warum er denn nicht, der drüben Schwierigkeiten habe, bleiben wolle.
Hinze antwortete so:
Ich saß heute morgen auf der Alm über der Stadt und sah in das liebliche Land hinein.
Ich hatte gerade diesen Wunsch, den sie vermuteten. Es muß fabelhaft sein,
aufblickend von der Arbeit da hinabzublicken. Ich bleibe sofort.
Aber, fügte er hinzu, ich stelle eine kleine Bedingung. Ich bin anspruchslos,
der Rat muß diese weißen Fabriken im Tal, die den Drahtfabrikanten gehören,
bekanntlichen Milliardären, enteignen.
Nur diese Bedingung; es gehört zu meinen primitivsten Lebensvoraussetzungen,
nicht auf privates Eigentum zu sehn.
Man musterte Hinze mürrisch.
Sehen Sie, sagte er, es ist mir schon physisch zuwider. Es bereitet mir körperliches Unbehagen.
Ich kann nicht auf dem Stuhl sitzen, es setzt mich in Unruhe, eines alten Hutes wegen!
Mir bricht der Schweiß aus bei diesem Anblick. Ich habe keine Lust, mich so alten Problemen gegenüberzusehn , vom schönsten Berg herab nicht!
Ich kann womöglich keine andern Gedanken mehr fassen, jedenfalls nicht solche,
die Schwierigkeiten machen.
- Man sah jetzt verlegen an ihm vorbei und gab der Bitte nicht statt.
Hinze stieg ohne weiteres in die Bahn.


Ein Hinundher

Hinze antwortete plötzlich so: Hier bleibe ich, solange ich mitreden kann.
Wenn es darum geht zu schweigen, dann ziehe ich die Bahamas vor.
Bald darauf reiste er auf die Bahamas.
Aber er kam zurück, und Kunze verbreitete zynisch: Er schweigt doch lieber hier.
Aber da war das Gerede schon da.


Ernste Regierung

Als die Regierung Mühe hatte, der unterschiedlichen Meinungen Herr zu werden,
machte Hinze den Vorschlag zur Güte,
die Personen bestimmter Denkart in bestimmten Landschaften oder Inseln anzusiedeln,
wo sie unter sich wären.
Oder, da das Problem mehrere (alle) Regierungen beschäftige, eine Lösung im Weltmaßstab zu versuchen und mittels einer neuen und überlegteren Völkerwanderung Ordnung in die Ideologien
zu bringen, also die zufälligen Stammesbande zu ersetzen durch die festeren der einheitlichen,
mithin getrennten Weltanschauung der realen und unrealen Sozialisten, Anarchisten, Maoisten,
unsicheren Kantonisten usw.
Kunze hielt aber das Pamphlet zurück und beteuerte,
die Regierung habe keinen Humor.
- Das macht nichts, erwiderte Hinze eitel.
- Aber sie verstehen keinen Spaß, versicherte Kunze.
- Das ist etwas anderes, sagte Hinze,
dann kann man nicht Ernst machen.


gruß vs ... und viel spaß damit.
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 25. Juli 2011, 23:28

... dann mal etwas von Sarah Kirsch.

Von Meinem Haus

Ich sage: du bist der große Wind
du bläst mir Kummer ins Gesicht
Du sagst: es ist kein Sturm
nur eine kleine warme Brise

Aber ich sehe von meinem Haus
das Dach segeln wie seidengrauen Rauch
die Bücher probiern ihre Flügel
nichts bleibt verschont, Klavierkonzerte
machen sich auf schwarzen Tellern davon, die
Fenster schliessen nie mehr. Wo
soll ich wohnen fürderhin?

Ich sage: mir ist alles davongeflogen
Du sagst: da ist kein Sturm
Ich sage: der Wind ist so groß, daß Zigaretten
verbrannt sind, eh sie den Mund erreichen
Und hält man einen Federhalter in der Hand
bohrt er sich in den Tisch.

gruß vs ... volker braun war doch so einfach. ... hinze und kunze ... alles ist schnell und im heute sowieso.
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 26. Juli 2011, 23:17

Von meinem Haus

Ich sage: du bist der große Wind
du bläst mir Kummer ins Gesicht
Du sagst: es ist kein Sturm
nur eine kleine warme Brise



Aber ich sehe von meinem Haus
das Dach segeln wie seidengrauen Rauch
die Bücher probiern ihre Flügel
nichts bleibt verschont, Klavierkonzerte
machen sich auf schwarzen Tellern davon, die
Fenster schließen nie mehr. Wo
soll ich wohnen fürderhin?



Ich sage: mir ist alles davongeflogen
Du sagst: da ist kein Sturm
Ich sage: der Wind ist so groß, dass Zigaretten
verbrannt sind, eh sie den Mund erreichen
und hält man einen Federhalter in der Hand
bohrt er sich in den Tisch.

gruß vs ... ein gedicht von Sarah Kirsch ... 1965
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 31. Juli 2011, 23:11

Thomas Günther, „ Von ausgefransten Vögeln“.
Kein Außen wie ein Innen

MEINE GEDANKEN sind Sprengsätze, die nicht hochgehen.
Oder sie verpuffen wie Fürze,
unerhört in unbelebten Landschaften der Seele,
wo keiner sie braucht.
Dort gehören sie auch nicht hin,
doch was nützen Einsichten ohne Folgen.
Man müßte den Notstand ausrufen angesichts des Mangels an entscheidenden Zündungen.
Aber niemand wünscht das so direkt. Warum auch?
Die lineare Abfolge von Ereignissen ist überschaubarer als ein Knall mit einem Male.
Und was in die Luft jagen kommt sowieso nicht in Frage.
Wer soll nach der kurzen Erschütterung den Dreck wegräumen. Mich quält der lange Atem der Stille.
Ich mache am besten gedankenlos weiter, indem ich mich loseise aus der Versenkung und unter Leute gehe.
Zerstreuung entschärft.
Es ist Zeit dafür.
Feierabendruhe. Totentanz. Die Sterne am Nachthimmel,
die mit Unendlichkeit frohlocken,
beruhigen das Blut in meinen Adern.
Es fließt wieder langsamer zwischen Herz und Hirn, und
ich weiß schon nicht mehr, warum ich solche unkontrollierten Momente bekomme.
Sie sind einfach da, und unvorhergesehen.
Ich bin froh, daß ich mehrere Häute habe. Die lassen nicht alles hindurch.
Manches geht niemanden etwas an. Und was trotzdem zutage liegt,
kann ich zurechtrücken.
Mich im Spiegel betrachtend, sehe ich aus wie Jedermann. Wirke tadellos.
Wofür bloß!


Ein letzter Blick in das Konterfei, um Gewißheit zu haben,
wer was zu sehen kriegt.


gruß vs
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 9. August 2011, 07:54

WOCHENPOST

Ich widme der WOCHENPOST paar meiner besten
Minuten mit 30 pfennigen ist sie die billigste
Und auflagenhöchste zeitschrift des landes
Die rentner der mockauer straße stehen
Donnerstags 14 uhr schon schlange vorm
Schreibwarenladen um die „grüne post“ zu er
Gattern und kaufen meistens noch eine grüne
Fahrkarte für fünfzig pfennige (fünf fahrten
Der LVB bahn oder bus) doch downtown
Da gibt es das blättchen schon dienstags
Und ich hole es öfters am bahnhof weil die post
Keine abo’s mehr annimmt und dies ist der grund
Daß ich immer am kiosk die pfennige vorzähle
Die sich in einer woche so ansammeln
Zwischen den konsummarken telefongroschen
Und kontoauszügen und dann sehe ich zu
Einen platz in der bahn zu erwischen und lese
Als erstes im gerichtssaal notiertes
Und ich staune wie viele „fälle“ es gibt
Jede woche was neues da darf der reporter
Nichts doppeltes unterlaufen und unsere leser
Verblüffen die einfälle all dieser bösen
Wichter und underdocks an denen sich generationen
Von krimi-autoren versuchen auch ich bin
Ein fan dieser stories und wäre gern anwalt
So manch armen schweins dem die rück
Fälligkeit schon im argen gesicht steht
Und ich denke hans henny jahn, seinem
Wunsch einer welt ohne knast mit dem wissen
Es geht nicht oder erst in goldferner
Zeit wie profeten sie träumen und dann schlage
Ich vorn auf und lese von neuen waffensystemen
Und einem killersatelliten aus dallas wo die
Dallasfamilie wohnt und die serie mir den
Höchsten schaltquoten ausgeheckt wird: männer
Von dallas frauen von dallas kinder von dallas
Und killersatelliten im kosmos aus dallas
Eine spur in den himmel mit kennedys blut
Und daneben sind fische geschildert
Deren verschwinden aus flüssen & bächen
Stummen alarm gibt – die barbe, der bitterling
Neunauge mühlkoppe steinbeißer elritze
Und große moräne schuberts forelle hasel
Äsche und stint – für so viele nur namen
Ohne erinnerung an ein tier das wir liebten
Und selbst das geplauder mit einem computer
Oder die meldung von robotern als gefangenen
Wärter mildern nicht dringliche fragen
Etwa wie lange reichen die rohstoffe auf
Seite zehn oder wer wagt einen neubeginn
Für sein Leben? – da sind wir schon mitten
Im anzeigeteil der uns wöchentlich einsame
Herzen beschert zwischen arkona & fichtelberg
Welche tragödien im leben der jungen gutaus
Sehenden mutti von reizenden söhnen (11/12)!
Und auch die verkäufe ganzer museen im jugend
Stil sind nicht selten da reichte eine straßen
Bahnfahrt niemals aus um das alles zu sichten
Und dispositionen zu treffen da blättert man
Eben weiter zu rätseln & witzen zu partytips
Rat für gesundheit und sex, jedem etwas, mit der
„Grünen post“ unterwegs zwischen melbourne und
Oslo jede woche ein stelldichein mit den besten
Der besten beim kampf um die pläne des volks
Wirtschaft und immer noch bleibt ein raum
Für den leserbrief und für das fernsehprogramm
Eine ganze seite da hat man was für sein geld!

(Thomas Böhme – Die schamlose Vergeudung des Dunkels)


gruß vs
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 17. August 2011, 23:58

Maisprüche

Im Mai bin ich der kakteensammelnde nostalgischr hippie der
kohlen einschaufelt in den keller der villa bis die schere ein
ende bereitet seiner inkarnation langhaar und ich geh wieder
hofieren am kai wie der kaiser ohne stock im zerschlissenen
rock der nachschaut den schiffen im heiligen krieg.

Im mai heften wir noch ein paar bomben an den friedenshim-
mel und das bombenwetter für die attentäter & flugzeugent-
führer lockt uns auf rummelplätze beim roulett gibt’s die dik-
en pfennige wieder die ich am spielautomaten verlor kai mit
dem luftgewehr auf plaströhrchend schießend packt das glück
mit dem 37. schuß.

Im mai schießt dem papst wer ein loch in den bauch finden
sich immer noch könige an den tischen zu gesprächen bereit
faulen die leichen ermordeter schwarzer kinder in georgia &
in borna bei leipzig war ein mädchen schon mausetot als
man’s fand in meiner nähe summt eine fliege hell sind die
nächte fast bis um zehn.

Im mai stirbt ein böser monarch unter tränen des volks das
ihn liebt & vergöttert wallfahren entzückende hexen zum
blocksberg und tanzen sich taumelig vom „polnischen wun-
der“ bleibt mir die luft weg in atemberaubendem tempo kre-
pieren legenden und dem josef verschlägts fast den hunger.

Im mai klopfen poeten die sprüche für goldene zeiten und
grünende bäumchen wedeln uns schatten in sengender hitze
umspült mir das wasser von kulkwitz die füße reitet der kaiser
auf magerer mähre über den deich.


25. mai 1981

(Thomas Böhme – Mit der Sanduhr am Gürtel)

gruß vs
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Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon Edelknabe » 19. August 2011, 06:35

vs wo findest du nur die ganze Prosa und die Gedichte aus der DDR-Zeit, die wirklich sehr gut sind? Ich kippte schon dreimal meine Bücherregale um und wühlte alles durch, auch möchte ich mich nicht rühmen, aber davon besitze ich Einige aber finde dabei nicht ein Gedicht vom sozialistischen Alltag, eher so kämpferische Prosa über Vietnam, Chile, Angola und Anderswo auf der Welt.
Weiter so Gedichtefreund.

Rainer-Maria
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Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 22. August 2011, 23:13

Edelknabe hat geschrieben:vs wo findest du nur die ganze Prosa und die Gedichte aus der DDR-Zeit, die wirklich sehr gut sind? Ich kippte schon dreimal meine Bücherregale um und wühlte alles durch, auch möchte ich mich nicht rühmen, aber davon besitze ich Einige aber finde dabei nicht ein Gedicht vom sozialistischen Alltag, eher so kämpferische Prosa über Vietnam, Chile, Angola und Anderswo auf der Welt.
Weiter so Gedichtefreund.

Rainer-Maria


nun ja, sie ist mein eigen und steht im regal, schön geordnet ... dachte ich.

aber bitte und nur für dich ...



VOM LEBEN
IN DER ERDGESCHOSSWOHNUNG

für Uta, Henriette und alle die dauernd
oder vorübergehend hier wohnen



Ein erdgeschoß ist ein geschoß aus der rede oder ein
Aus der erde geschossenes etwas und nun denke du
Nicht gleich an pörsching oder wie das zeugs heißt
Aus dem radio … Eine erdgeschoßwohnung befindet
sich
Nahe der erde was hier in leipzig meint nahe dem
Trottoir oder auch bürgersteig so daß ein verstiegener
Bürger an der gegenüberliegenden haltestelle
Meinen gerissenen schatten auf dem schnapprollo
Ausmachen kann wenn er nicht gerade unauffällig
Notizen auf den zeitungsrand schreibt und sollte
Er mit dem c – bus fahren wolln wird er lange da
Stehen, der kommt erst zur rush – hour wieder zum
Einsatz und auch nur werktags doch ich beachte ihn
Kaum, allerdings wenn uns der kaffee samstagnacht
Ausgeht schaun wir mal über die straße und pumpen
Uns ein paar bohnen von inge & herb.
Aber meist ist die fete im gange der ewige kinder-
Geburtstag die grellen laternenfeste, die blasigen
Dialoge pathetischer rocker wechseln mit diakonissen-
Geflüster der aufwasch bleibt immer für nach dem auf-
Wachen auf den lehnen der sessel trocknen die windeln
Der pizzakauenden tochter. Ich will keine scheiße
Am hals, sagte herr netzer, da gebe ich ihm recht
Dort gehört sie nicht hin und ständig falle ich
Über irgendein spielzeug oder finde einen trunkenen
Igel auf deiner matratze das weiße kaninchen kommt
Später man muß auch den sandmann winken ( sonst
holt
Er sich kindchens augen ), jettes bronchitis hält
Die familie in trab bis morgens um fünf.
Tags drauf müssen die kohlen stimmen der keller
Schluckt wenig die öfen pro tag einen halben zentner
Und noch kei frost im treppenflur gelbe pfützen
Mancher schämt sich eben im freien ein fröhliches
Wasser zu schlagen: so sind wir erzogen ob mann ob
Maus mit IMI wird alles wie neu.
Leben in erdgeschossen: da hilft auch kein klingel-
Abstellen wenn man alleine sein will doch manchmal
Sind wir zu dritt und vertauschen die rollen wir
Schalten den fernseher an mit dem 1. Programm dd-
R und das reicht denn wer steigt schon auf’s dach:
Du nicht ich nicht die zeitungsfrau etwa und auch
Die nachbarin hat seit fast achtzig jahren nur
Ein programm ganz ohne doppelten boden der fehlt
Uns für manches gerümpel, die drahtseilskulpturen
Die gipselefanten die hermafroditen zum aufblasen
Usw., man kann sich ja selber was ausdenken es bleibt
Stets ein rest, einen nagel ins ofenblech schlagen
Ein firmenschild zweckfremd verwenden die steck-
Dosen tarnen vor findigen winzigen fingern der
Interessierten presse ein interview unterschlagen
Und schließlich sich selbst eine tarnkappe nähen
Die all diese löchrigen leute so durchsichtig
Macht, ja das ist schon ein spiel mit dem feuer
Manchmal, aus der erde die normierten geschosse …



Thomas Böhme „ Die schamlose Vergeudung des Dunkels“




trauer um hubert fichte


die fichten haben halbmast geflaggt
die sind ja wohl nicht mehr zu retten
da hilft auch nicht bleifrei bellen
und alternativen wie braunkohle
anstatt aids oder atomkraft gegen
tumoren. nein danke

gehen zwei durch den wald sagt der eine
Dieser Augenblick soll ganz da sein.
sagt der andre, du mein zentrales
forschungsthema. sagt der eine Ich lobe
den Arsch, der ist wie ein Auge, das
die Welt ist und du häng dich
von mir aus!

die fichten haben immer noch halbmast
kein akt der erlösung an diesem märz,
achten, den überregionalen tage
der frau. kein akt der erlösung
die gaststätten müssen das
schubweise abfangen.

die fichten haben, naja wissen wir nun.
so gehen die kolosse unter die weißen
wale und wir kriegen einen frei
für die obduktion, wie er ja selber wußte:
Als Museumsstück ist der Schriftsteller
Abhandlungswürdiger. Nun kann man
lesen,



thomas böhme „stoff der piloten“



letzte ansprache
an den maurergesellen marinus van der lubbe


marinus, marinus, zünd nicht den reichstag an!
das fanal macht die falschen fanfaren frohlocken.
du rettest doch deutschland nicht, so hilf wenigstens
einem zu fliehen, schon das wäre viel.
die du wach
rütteln wills, glaubst du denn, daß sie schlafen?
ach, sie stehn schon auf mörderlisten. nein, nicht du
lieferst sie an die henker, aber du lieferst denen
den anlaß. kehr um, noch ist zeit.
auch in leiden
werden bald schlachten toben, dort nimm deinen platz ein:
noch sind die reihen der kämpfer zu denen du zähltest –
und sie zählen auf dich – nicht gelichtet durch ferne
und lager und deportation.
wirf die streichhölzer fort,
sonst verwirfst du dein junges leben, und die tat wird
dann auch nicht dir selber gehören, haften bleibt
von ihr nur asche und scham. und dein offenes gesicht
wird gebrandmarkt erscheinen auf braunem papier.
marinus,
weil ich weiß, daß du kinder liebst und dein herz
den verdammten schlägt, deine hoffnung commune heißt,
nicht chaos – übe dich in der schwierigsten form des kampfs,
der geduld. die schlächter
haben es eilig.
in ihren kellern proben sie schon folter. mensch
du erleichterst es ihnen noch, wenn du weitergehst jetzt,
zerschlag nicht das fenster, steig nicht ein, versuche
die ersten flämmchen zu löschen, marinus, marinus, marinus, halt
ein, halt …


thomas böhme „stoff der piloten“


gruß vs ... wieviel kann man davon am stück "ertragen". [wink]
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon Rainman2 » 23. August 2011, 07:24

Hallo vs1400,

ah, da werden die Erinnerungen wach. All die Zirkel und Werkstätten für Texter, Lyriker und Liedermacher, die es ab den späten 70-ern gab. Es gab wirklich eine sehr interessante Szene. Allerdings habe ich recht wenig aus dieser Zeit unter meinen Büchern. War wohl Neid des Talentlosen. Irgendwann nahm ich alle meine Texte und schmiss sie weg. Ich denke, es war ein richtiger Schritt. Aber die Machart von Böhme erinnert mich an diese Zeit und an die Szene in Leipzig. Ich revanchiere mich mal mit einem meiner Lieblingstexte aus der damaligen Zeit:


Tuchfühlung

Eine Rotzfahne, dieses Tuch, sagten sie, spuckten hinein
und konnten es nicht beschmutzen, nur wir zogen es in den Dreck.
Blutige Säuberungen. Vergaßen es und gruben es wieder aus

und einige, die es beschworen, hatten es schon verloren
und einer besaß nichts weiter, eine Decke, im Schlaf, im Versteck,
und ein anderer, oder derselbe, der ein anderer wurde, benutzte es
als Serviette auf der Cocktail – Party,
und einer bespritzte es mit Sperma, ein zweiter mit Urin, ein dritter mit Erdöl,
und einer hisste es, von Scharfschützen umstellt, auf dem Dach des Hauptquartiers,
und ein anderer küsste es in der Talkshow.
Und einige versteckten es im Keller, andere in der Brust,
und wiederum andere versteckten sich dahinter,
und andere verbrannten es, als es ihnen zu heiß wurde,
und andere verbrannten sich selbst,
und ganz andere zerrissen es nach einem Parteitag, während andere
es zerrissen nach einem Gefecht, um die Wunden zu binden.

Und einer stopfte es sich in den Mund, um nicht zu verraten,
und kaute später darauf herum, um zu verraten,
und kotzte heimlich hinein, denn er hatte verraten,
und drehte daraus einen Strick, um sich nicht zu verraten,
und wurde zu Grabe getragen und auf seinem Sarg lag ausgebreitet das Tuch

das Tuch, das wir immer wieder an den Ort schleppten, wo die drei Quellen
zusammenfließen, um es zu waschen,
seltsam, nur so verblasste es nicht und erhielt
seine Farbe zurück.

Aus: Steffen Mensching „Tuchfühlung“, Mitteldeutscher Verlag Halle-Leipzig, 1985, S. 26/27

ciao Rainman2


PS: Lieber Edelknabe - ich habe Unsummen auf der Kleinmesse gelassen. Es war damals meine einzige Bezugsquelle für Bierkrüge ... die Schießbuden, Du erinnerst Dich an die bisweilen seltsam splittenden Röllchen? Das konnte teuer werden.
Rainman2
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon Luchs » 23. August 2011, 12:55

Da mangels DDR-Lektüre bei mir ein ziemliches Loch klafft,habe ich mich mal vertrauensvoll an Ottokar gewandt. Aus ihm sind folgende Zeilen. Als ich sie das erste Mal las, hätte ich vor lachen fast geweint. [laugh]
Ottokar Domma hat geschrieben:Eines Tages haben wir auf dem Schulhof einen Schneemann gebaut. Der Herr Luschmil fuhr ihn mit seinem Trabant um und lachte dabei. Am nächsten Tag haben wir wieder einen Schneemann gebaut. Diesmal um den Feuerwehrhydranten. Der Herr Luschmil konnte danach nicht mehr so lachen.

Man muss manchmal ganz schön nachdenken, um eine Dummheit zu machen, die auch unsere Lehrer verstehen.

Viele Grüße [hallo]
Micha
Politik ist nicht die Lösung, Politik ist das Problem.
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Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon Zicke » 23. August 2011, 18:45

Luchs hat geschrieben:habe ich mich mal vertrauensvoll an Ottokar gewandt. Aus ihm sind folgende Zeilen. Als ich sie das erste Mal las, hätte ich vor lachen fast geweint.


Micha, dann mußt du mal "Freitags wird gebadet" von ihm lesen.
Menschen, die keinen Arsch in der Hose haben, müssen nicht zwangsläufig schlank sein.

Meine Rechtschreibfehler könnt Ihr Samstags ab 17 Uhr bei Rewe gegen eine lecker Senfgurke tauschen.
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Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 23. August 2011, 23:24

hallo Rainman,

all dass hab ich damals ignoriert, zirkel und sendungen auf ddr2 usw. .
... schade eigentlich.

doch damals, war es ne eigene welt und "durfte" es nicht sagen ... doch dass kennst du alles selber.
ich fand in büchern meinen "frieden" und ja, ich hab damals sehr viel gelesen, vor der schicht, während der schicht, oder nach der schicht.
als ich nicht mehr fridjow nansen las und meine träume verabschiedete, wurde ich staubig.
aber gut, ist lange her ...

... noch eins vom böhme.

beatiful morning


endlich mal ganz so ein morgen
wie aus einer familienserie:
der kaffe hat das röstfrische aroma
tchibo – aroma im rauchring

der ersten pfeife wird die luft
weich und fast nicht mehr wahr
tauchen im radio all diese mond
flüßigen schlager der siebziger auf

alle in einer reihe wie ehemals
in hitlisten von rtl dlf etc.
in der presseschau heißt es
studenten rebellieren in paris

mann, das ist ja wie achtund
sechzig und ich lache & denke
alles wie früher selbst reagan
bekommt noch sein watergate

und wolfgang hildesheimer wird
70 es ist kaum zu fassen wie alt
mag heinz rühmann sein der im tv
adventsmärchen liest so als ob


thomas böhme „stoff der piloten“

gruß vs
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 27. August 2011, 08:40

LEIPZIG MIT LÖCHERN


Wenn die zirkulation zwischen den luftschichten über
der kohlestadt wie ein überlastetes stromnetz zusam-
menbricht glühen die telefone der schnellen medizini-
schen hilfe und die asthmatiker ringen nach atem, der
moloch röchelt,hustenanfälle in straßenbahnen & war-
tezimmern, auswurf bedeckt treppen & fußweg.

Die stadt ist krank und ihr klebriger schweiß verstopft
jede pore, gefriert gelb zu porösen schollen. Ihr puls
rast im fieber, die rußrandigen wunden mit asfalt ver-
schmiert, die „grünen lungen“ von metastasen durch-
zogen, so viele ärzte – soviel diagnosen, vielfarbig stin-
kende salben lindern kaum noch die qualen.

Ach mordstolle stadt liebevoller gefährten, stadt rotzfre-
cher kinder, stadt der umarmungen & kinderwagen,
stadt hitziger jungen & mädchen, stadt der poeten des
mondes der sonne der wolken des regens, stadt des
staunens, der sünden, der wollust des lebens. An ihm
soll genesen der zermarterte leib, werden wir’s schaf-
fen?

Stadt wo ich sitze & schreibe & angst hab & wünschte
die angst zu betäuben: was whisky nicht schafft und
der dixi – shit nicht, weder das hardrock – gepoche noch
der blues, nicht die gedichte und die geliebte im
neunten monat hat dunkle ringe unter den augen, wer
hilft ihr wer hilft mir wer hilft uns?



Thomas Böhme „Die schamlose Vergeudung des Dunkels“

gruß vs
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 28. August 2011, 07:36

DIE
WIEDERGEFUNDENE LUST
AM SCHREIBEN



Zwischen zwei waschmaschinen voll windeln – windeln
Waschen sei‘ ne gute meditation schrieb mir tröstend
Josef dada aus polen – stellt sich die lust weißes
Papier zu beschreiben als kaum stillender drang
Nach der außenwelt dar, in der kammer quitscht die
Muttermilchpumpe, und die meine frau nun genannt wird

Hält einen saftigen fluch grad noch zurück
Nur die stimme der tyrannischen tochter – vierzehn
Tage auf erden – schallt durch räume & flure, brüllt
Eingespurte rituale mißachtend bis das schmatzen &
Glucksen von der erfüllung elementarer lust kündet
Und als sanftes friedenskind verschwindet sie daumen –

Lutschend unter den daunen: Henriette so schlummernd
Weckt in mir endlose wonne wie wenn frühlingsblumen
Am fenster im winter das ende der eiszeit iluminieren.
Ein kalenderspruch salomonisch verkündet: guter mut
Ist ein tägliches fest.

Thomas Böhme „ Die schamlose Vergeudung des Dunkels“.

gruß vs
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 9. September 2011, 15:09

SPIEGELFECHTEN

Klar geht mir das satte schreien meines verwöhnten
Säuglings meistens näher als tägliche bildschirm –
Berichte von verhungerten kindern, sagen wir, in
El salvadoroder sonstwo. Bin ich denn jener zwölfte
Mit dem silbergeld der es sich eingerichtet hat
Neben dem grauen? Ich will ja nicht rumjammern,
Baby, und ich will nicht daß unsere angst sich
Verwandle in feige furcht unsre verdrängte angst
In lähmende emsigkeit beim hantieren mit milchtopf
Und bratpfanne beim zwanzig – pfund – kaufhallen – stipp

Beim zeitungslesen auf der toilette. Sag, mädchen,
Fährt dir schon der grusel in alle glieder beim
Schieben des kinderwagens durchs giftarsenal erde
Oder beim anhören des orakelnden nörglers an deinen
Nächtlichen brüsten? Geliebter, geht dir nicht ein

Stich durch die geschwollenen hoden, du permanent
Unterkühlter aus der eisblumen – generation, beim
Gedanken an seismographische kaum ortbare deto –
nationen?
Mich verläßt ja nun nicht mehr die simple frage:
Bin ich’s, rabbi? bei den leisen & lauten umarmungen.
Wär’s denn das ende der täuschung: sich schuldig
Sprechen sich stellen?

Thomas Böhme „ Die schamlose Vergeudung des Dunkels“.

gruß vs
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 9. September 2011, 15:12

ZEPHYR IM JANUAR

Der ganze jammer dieses elenden göttlichen zephyrs
den ich immer für einen prinzen unter den blasenden
hielt jagt die säfte zur unzeit durch meine adern und
wirre zerrissene träume steigern die nie zu bezähmende
lustsucht zum furioso, wilder und nackter als in der
heißesten mittsommernacht.

Welches totale tropische monster kachelt die erdachse
daß sie sich uns so zeigt im sonst unwirtlichen
deutschen eiskeller? Wenn erst die polkappen schmelzen
überflutets auch unsre vertrocknete insel mit reißenden
strudeln und solch einer apokalypse fehlte nicht die
antike wonne, o meine stirn brennt, wind, der mich rasen
und tollwüten läßt!

Meinem kind aber huldigen alle onkel & tanten zum
ersten geburtstag und jauchzend nimmt es erlesene gaben entgegen.
Sein vater taucht müde aus dem büro auf
und würgt an der torte fast friert ihm das lächeln
während er sich zusammenreißt und den gästen des kindes
die schweißnasse hand reicht.

Wie sollte er sanft sein wenn zephyr ihn streichelt,
andalusischer hund, traumwind marseille!
Wer küßt von seinen trockenen augen das höllische fieber
wer ahnt in seiner straßenbahnreise das fliehen?
Ich bin voller scham und doch eins mit dem aschgrauen antlitz
an das sich vertrauend des kindes wange schmiegt.

Thomas Böhme „ Die schamlose Vergeudung des Dunkels“.

gruß vs
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 9. September 2011, 15:14

Morgen
für Peter Huchel


Im frühtau prägt das reifenprofil feuchte furchen.
Schwer atmen die lungen unter den stößen steifer
Glieder ächzt das rad. Antreten gegen die steigung
Am hang steile gärten. Über die brücke die gleise
Passieren. Lärmen rangierender güterwaggons
Pfiffe der lokomotiven gellen im eiswind. Der
Friedhof ins gelände geduckt bleibt links liegen.
Am stadion über die kreuzung schräg in die kurve
Gehen, ein zweig, eine gerte streift das gesicht.
Immer gen osten auf die sonne zuhalten!
Junger wuchs schlanker buchen sprießt. Nervös
An den knöpfen der jacke nesteln. Phenolblumen
Blühn auf der pleiße. Fahles licht in der weg –
Schneise. Ein erpel kerbt den kanal.

Thomas Böhme „ Die schamlose Vergeudung des Dunkels“.

gruß vs
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon Rainman2 » 10. September 2011, 11:03

Hallo vs1400,

danke für diese Gedichte. Das ist endlich mal was für die Ruhe und für die Seele. Apropos Seele. Es ist zwar keine DDR-Lyrik, aber der Dichter wurde in der DDR in den verschiedensten Zeiten sehr unterschiedlich rezipiert.

Wladimir Wyssozki
Lied über die Erde

Wer sagt: Alles Asche und Schrott!
Werft die Saat in die Erde nicht weiter?
Wer sagt: Die Erde sei tot?
Nein, sie duckt sich in finsteren Zeiten.

Ihr Mutterschoß ist wie das Meer,
Ihr Mutterschoß lässt sich nicht morden!
Wer sagt, dass sie ausgebrannt wär?
Nein - von Schmerz ist sie schwarz geworden.

Bombentrichter, in Städte gehackt,
Schützengräben die Erde zerschneiden,
Die Nerven der Erde sind nackt,
Sie kennen lebendige Leiden.

Sie verträgt was, Geduld ihr gelingt.
Dass ein Krüppel sie sei - alles Lüge!
Wer sagt, dass die Erde nicht singt,
Dass für immer sie schwiege, sie schwiege?

Nein! Sie klingt, übertönt das Gestöhn,
und all ihre Wunden sind Kehlen!
Unsere Seele - die Erde. Ihr könnt
Nicht mit Stiefeln zertreten die Seele.

ciao und schönes Wochenende!
Rainman2
Rainman2
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 12. September 2011, 04:57

hallo Rainmann,
mach ich doch gern. [wink]

ZUWEISUNG
dem straßen – nachbarn Peter Gosse


1

Ich gebe nachricht von mir aus der grotte, die eine kahle
Institution wohnung zu nennen wagte; grottenolms zärt –
liches nachtlied tropft aus dem hahn. Bin also unterge –
taucht für eine weile begraben von gips – schollen & ta –
petenlappen, eingekeilt zwischen leiter & deckensparren,
hangelnd an sprossen & fenstergriff. Moder kriecht
über die dielen.

Jedem nebelkind winkt mal `n glückslos; loggia bad &
parkett in zwei zimmern locken den tagträumer in die
schlammschlacht, daß aus grotten gewölbe aus höhlen
gemächer werden. Und pappt auch die farbe fingerdick
überm salpeter, kerbt doch des tüchtigen meißelschlag
alle krätze aus rotem ziegel.

Zugewiesen – wie man sagt amtlich – ein mietbereich
und gelöscht auf karteikarten in der registratur suchen –
der, wohnungsnotleidenter, dringender fälle. Ein stück
maßnahmeplan fristgemäß mit zwei jahren verzug reali –
siert: seht, für mich fiel was ab!

2

Die vor mir das smarte logis behauste, riefen sie eine
hure. Wie’s ganze viertel hier weiß, trieb sie’s mit aus –
ländern, schwarzen gar, selbst ihre söhne hätten die
nase gerümpft – saubere söhne! Ich plaudere vor der
wohnungstür mit den sittsamen mietern. Jeder hat was
vom klatsch: zage belebung phantasieloser nächte auch
neuer stoff fürs gedicht.


gruß vs
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 23. September 2011, 23:41

DER VORMARSCH
DER WEISSEN HAARE


Wieder `ne fête bei der man angeblich,
Nicht fehlen darf sausen gelassen und
Die fernsehprogramme rauf + runter
Gedreht – zum glück denkt hier noch

Keiner an satelittenfernsehen + ver –
Kabeln: fünfzig programme ein alp
Und der sichere zwang tage + nächte
TV – fenster zu observieren während da

Draußen die boviste explodieren und
Unheil geschieht ohnehin schon genug
Vor den blaubunten röhren und erst
Dahinter. Da sprießen dir unbemerkt


Die ersten schlohweißen barthaare
Denn schließlich das alter hast du ja
Und man irrt sich zu glauben es kämen
Erst graue härchen; die gibt es nicht

Das geht gleich voll los mit total –
Entzug des pigments erst bei einem
Dann zählst du schon sieben und bald
Kommt der morgen an dem du es nicht

Mehr schaffst in der üblichen zeit
Alle lästigen borsten zu zupfen
Dann läßt du es schleifen und redest
Von würdevollem ergrauen und einmal

Nach sendeschluß setzt du ganz heimlich
Den alten elektrorasierapparat unter
strom …

gruß vs
vs1400
 

Re: Gedichte und Prosa der DDR

Beitragvon vs1400 » 29. September 2011, 22:59

Hundstage

Die beklemmende ruhe
Ein sanftes sägemehl
Durch aorten geblasen
Die köter mit ein –
Geklemmten schwänzen
Dösige faune
Im gras die geröteten
Rücken vertrocknet
Im julie kein bett
Für mein junges
Heißblut

Thomas Böhme „ Die schamlose Vergeudung des Dunkels“.

gruß vs
vs1400
 

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