Edelknabe hat geschrieben:vs wo findest du nur die ganze Prosa und die Gedichte aus der DDR-Zeit, die wirklich sehr gut sind? Ich kippte schon dreimal meine Bücherregale um und wühlte alles durch, auch möchte ich mich nicht rühmen, aber davon besitze ich Einige aber finde dabei nicht ein Gedicht vom sozialistischen Alltag, eher so kämpferische Prosa über Vietnam, Chile, Angola und Anderswo auf der Welt.
Weiter so Gedichtefreund.
Rainer-Maria
nun ja, sie ist mein eigen und steht im regal, schön geordnet ... dachte ich.
aber bitte und nur für dich ...
VOM LEBEN
IN DER ERDGESCHOSSWOHNUNG
für Uta, Henriette und alle die dauernd
oder vorübergehend hier wohnen
Ein erdgeschoß ist ein geschoß aus der rede oder ein
Aus der erde geschossenes etwas und nun denke du
Nicht gleich an pörsching oder wie das zeugs heißt
Aus dem radio … Eine erdgeschoßwohnung befindet
sich
Nahe der erde was hier in leipzig meint nahe dem
Trottoir oder auch bürgersteig so daß ein verstiegener
Bürger an der gegenüberliegenden haltestelle
Meinen gerissenen schatten auf dem schnapprollo
Ausmachen kann wenn er nicht gerade unauffällig
Notizen auf den zeitungsrand schreibt und sollte
Er mit dem c – bus fahren wolln wird er lange da
Stehen, der kommt erst zur rush – hour wieder zum
Einsatz und auch nur werktags doch ich beachte ihn
Kaum, allerdings wenn uns der kaffee samstagnacht
Ausgeht schaun wir mal über die straße und pumpen
Uns ein paar bohnen von inge & herb.
Aber meist ist die fete im gange der ewige kinder-
Geburtstag die grellen laternenfeste, die blasigen
Dialoge pathetischer rocker wechseln mit diakonissen-
Geflüster der aufwasch bleibt immer für nach dem auf-
Wachen auf den lehnen der sessel trocknen die windeln
Der pizzakauenden tochter. Ich will keine scheiße
Am hals, sagte herr netzer, da gebe ich ihm recht
Dort gehört sie nicht hin und ständig falle ich
Über irgendein spielzeug oder finde einen trunkenen
Igel auf deiner matratze das weiße kaninchen kommt
Später man muß auch den sandmann winken ( sonst
holt
Er sich kindchens augen ), jettes bronchitis hält
Die familie in trab bis morgens um fünf.
Tags drauf müssen die kohlen stimmen der keller
Schluckt wenig die öfen pro tag einen halben zentner
Und noch kei frost im treppenflur gelbe pfützen
Mancher schämt sich eben im freien ein fröhliches
Wasser zu schlagen: so sind wir erzogen ob mann ob
Maus mit IMI wird alles wie neu.
Leben in erdgeschossen: da hilft auch kein klingel-
Abstellen wenn man alleine sein will doch manchmal
Sind wir zu dritt und vertauschen die rollen wir
Schalten den fernseher an mit dem 1. Programm dd-
R und das reicht denn wer steigt schon auf’s dach:
Du nicht ich nicht die zeitungsfrau etwa und auch
Die nachbarin hat seit fast achtzig jahren nur
Ein programm ganz ohne doppelten boden der fehlt
Uns für manches gerümpel, die drahtseilskulpturen
Die gipselefanten die hermafroditen zum aufblasen
Usw., man kann sich ja selber was ausdenken es bleibt
Stets ein rest, einen nagel ins ofenblech schlagen
Ein firmenschild zweckfremd verwenden die steck-
Dosen tarnen vor findigen winzigen fingern der
Interessierten presse ein interview unterschlagen
Und schließlich sich selbst eine tarnkappe nähen
Die all diese löchrigen leute so durchsichtig
Macht, ja das ist schon ein spiel mit dem feuer
Manchmal, aus der erde die normierten geschosse …
Thomas Böhme „ Die schamlose Vergeudung des Dunkels“
trauer um hubert fichtedie fichten haben halbmast geflaggt
die sind ja wohl nicht mehr zu retten
da hilft auch nicht bleifrei bellen
und alternativen wie braunkohle
anstatt aids oder atomkraft gegen
tumoren. nein danke
gehen zwei durch den wald sagt der eine
Dieser Augenblick soll ganz da sein.
sagt der andre, du mein zentrales
forschungsthema. sagt der eine Ich lobe
den Arsch, der ist wie ein Auge, das
die Welt ist und du häng dich
von mir aus!
die fichten haben immer noch halbmast
kein akt der erlösung an diesem märz,
achten, den überregionalen tage
der frau. kein akt der erlösung
die gaststätten müssen das
schubweise abfangen.
die fichten haben, naja wissen wir nun.
so gehen die kolosse unter die weißen
wale und wir kriegen einen frei
für die obduktion, wie er ja selber wußte:
Als Museumsstück ist der Schriftsteller
Abhandlungswürdiger. Nun kann man
lesen,
thomas böhme „stoff der piloten“
letzte ansprachean den maurergesellen marinus van der lubbe
marinus, marinus, zünd nicht den reichstag an!
das fanal macht die falschen fanfaren frohlocken.
du rettest doch deutschland nicht, so hilf wenigstens
einem zu fliehen, schon das wäre viel.
die du wach
rütteln wills, glaubst du denn, daß sie schlafen?
ach, sie stehn schon auf mörderlisten. nein, nicht du
lieferst sie an die henker, aber du lieferst denen
den anlaß. kehr um, noch ist zeit.
auch in leiden
werden bald schlachten toben, dort nimm deinen platz ein:
noch sind die reihen der kämpfer zu denen du zähltest –
und sie zählen auf dich – nicht gelichtet durch ferne
und lager und deportation.
wirf die streichhölzer fort,
sonst verwirfst du dein junges leben, und die tat wird
dann auch nicht dir selber gehören, haften bleibt
von ihr nur asche und scham. und dein offenes gesicht
wird gebrandmarkt erscheinen auf braunem papier.
marinus,
weil ich weiß, daß du kinder liebst und dein herz
den verdammten schlägt, deine hoffnung commune heißt,
nicht chaos – übe dich in der schwierigsten form des kampfs,
der geduld. die schlächter
haben es eilig.
in ihren kellern proben sie schon folter. mensch
du erleichterst es ihnen noch, wenn du weitergehst jetzt,
zerschlag nicht das fenster, steig nicht ein, versuche
die ersten flämmchen zu löschen, marinus, marinus, marinus, halt
ein, halt …
thomas böhme „stoff der piloten“
gruß vs ... wieviel kann man davon am stück "ertragen".