von zonenhasser » 4. März 2013, 20:07
Der Fall Eigendorf und der Stasi-Romeo
Vor 30 Jahren verunglückte der Ex-DDR-Fußballnationalspieler Lutz Eigendorf, zwei Tage später starb er an den Unfallfolgen. Der Spieler des BFC Dynamo war 1979 in den Westen geflüchtet. Auf seine Frau setzte die Stasi einen Mitarbeiter mit besonderen Fähigkeiten an. Von Frank Müller
Seine Stimme am Telefon klingt leise. "Ich hatte nicht nur kaum eine Wahl, ich hatte überhaupt gar keine", beteuert Peter Hommann. Er meint damit den Start seiner Stasi-Karriere als "Informeller Mitarbeiter Peter", die er als sogenannter Romeo ausfüllte. Der Auftrag sei überraschend gekommen, sagt er. Unangenehm dürfte er aber keineswegs gewesen sein. Hommann wurde auf die Frau angesetzt, für die er ohnehin noch schwärmte. Es ging um seine Jugendliebe, die Ehefrau des prominenten "Republik-Flüchtlings" - so der offizielle Sprachgebrauch - Lutz Eigendorf. Der war am 21. März 1979 nach einem Spiel in Kaiserslautern im Westen geblieben. "Wooo ist denn der Eigendorf?", skandierten fortan gegnerische Fans genüsslich bei Spielen des BFC. Für das Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) war sofort klar: "Maßnahmen" müssen ergriffen werden, der "Operativvorgang Rose" wurde gestartet. Der Image-Schaden für die DDR und den Stasi-Club sollte in Grenzen gehalten werden. Die bis ins Mark getroffenen Stasi-Granden um Club-Förderer und Stasi-Chef Erich Mielke wollten unter allen Umständen verhindern, dass Gabriele Eigendorf mit ihrer Tochter Sandy die DDR ebenfalls verlässt.
Gabriele Eigendorf wusste nach eigenem Bekunden nichts von den Fluchtabsichten ihres Mannes. Dennoch wurde sie ebenso wie Eigendorfs Eltern sofort bewacht und bespitzelt. Bei der jungen Frau wurde zu einer der perfidesten Formen geheimdienstlicher "Arbeit" gegriffen - wodurch Hommann ins teuflische Geschäft kam. Nach zwei Fehlversuchen, Kandidaten, bei denen Gabi Eigendorf nicht angebissen hatte, sollte nun Peter Hommann ihr Vertrauen erschleichen.
Ein Armeefußballer verschwindet
Kamenz, Macherstraße 61, Mai 1979: Aus der Unterkunft der Armeefußballer der ASG Vorwärts verschwindet quasi über Nacht Mittelfeldspieler Peter Hommann. Dort leistet der 24-jährige, bei Union Berlin ausgebildete Kicker seinen "NVA-Ehrendienst". Relativ komfortabel, denn die Repräsentations-Truppe der DDR-Luftstreitkräfte dient eher unmilitärisch: Zwecks Prestigegewinn für die Volksarmee trainiert und spielt sie unter passablen Bedingungen Fußball. Doch Hommann hat seit Wochen einen hochbrisanten Zusatzauftrag, von dem keiner seiner Kameraden etwas ahnt.
Am 2. Mai 1979, sechs Wochen, nachdem sich Eigendorf abgesetzt hatte, stand Hommann mit einem Blumenstrauß vor Gabriele Eigendorfs Wohnung und bot seine Hilfe an. In wessen Auftrag, sagte er freilich nicht. Er kam offenbar im richtigen Moment, sie war verunsichert, mehrfach verhört worden und hatte die Bespitzelung in Teilen bemerkt. Die Bewachung ihrer Wohnung in der Zechliner Straße 3 war auch kaum zu übersehen. Hommann erwähnte ihr gegenüber sogar, dass er gute Kontakte zur Stasi habe, dass sie sich keine Sorgen machen solle. Er verneinte allerdings ihre Frage, ob er von der Stasi angesprochen worden sei, wie der Bericht vom 14. Mai 1979 an Führungsoffizier Werner Franke offenlegt. "Ich wusste, dass er mich liebt. Er war ein guter Bekannter", schilderte Gabi Eigendorf in einer Fernseh-Dokumentation von Heribert Schwan ihr damaliges Verhältnis zu Hommann und die Umstände seines "Comebacks". "Sie (Stasi-Mitarbeiter/Anm. d. A.) kamen täglich in meine Wohnung und machten Lutz schlecht. Sie wollten, dass ich mich von ihm trenne." Von ihrem Mann erreichte sie in dieser Zeit nur ein Brief, den Rest fing die Stasi ab.
Der Romeo hatte den Auftrag, sie von ihrem Mann zu entfremden. Er muss gute "Arbeit" geleistet haben, denn sie ließ sich von Lutz am 7. Juni 1979 scheiden, verlobte sich schon tags darauf mit Hommann, um ihn schließlich zu heiraten. Die Stasi organisierte im Juni 1979 einen gemeinsamen Ostsee-Urlaub für "IM Peter" und Gabi - Honeymoon in Binz.
Wenige Wochen nach dem Wiedersehen mit Gabi war Hommann für seine Kamenzer Mitspieler spurlos verschwunden. Selbst zu einem Berliner Kumpel unter den Vorwärts-Kickern brach der Kontakt ab. Die Stasi hatte Hommanns Versetzung eingefädelt, als sicher war, dass ihr Plan aufgeht - aus Tarngründen in eine andere Armeedienststelle, praktischerweise nach Berlin. Für die Stasi wurde er zum "IM Peter". Der letzte Spieler, der ihn in Kamenz sah, war der damals schon prominente Leipziger Wolfgang Altmann, der seine Armeezeit in der Oberlausitz "abkickte". "Hommel, wie wir ihn nannten, kam kurz nach seiner geheimnisvollen Versetzung nochmal in unser Quartier, um noch ein paar Sachen zu holen", schildert der ehemalige Oberliga-Lok-Spieler. "Die meisten von uns hatten ihn nicht mehr gesehen, sie waren schon zum Training. Da sagte er mir, dass er Kontakt zu Eigendorfs Frau aufgenommen hat. Dass er sie aus seiner Jugend kennt und viel für sie übrig habe, hatte er schon lange vorher einmal erzählt. Er sagte mir sogar, dass er bei ihr war und bemerkt habe, dass sie überwacht wird."
Wenngleich Hommanns "Offenherzigkeit" verwundert, erklärt sich doch, dass ihm dieser Auftrag sehr gelegen kam: Erstens hatte er sich um die Frau zu kümmern, die er ohnehin liebte. Zweitens war sein Armeedienst mit einem Schlag praktisch vorbei. Und drittens bekam er etliche Sonderzahlungen. Im Mai 1979 waren es laut Stasi-Unterlagen 600 Mark, im Juni 800 und in der zweiten Jahreshälfte 1979 insgesamt 2300 Mark* - für DDR-Verhältnisse stattliche Summen. Dies alles freilich um den Preis, seine große Liebe dem Geheimdienst auszuliefern. Nach und nach berichtete Hommann selbst über intimste Dinge. Zeitweise fuhr er direkt von Gabi in die konspirative Wohnung, welche die Stasi für Treffs mit seinem Führungsoffizier eingerichtet hatte, wie Heribert Schwan durch seine Sichtung von Stasi-Unterlagen aufdeckte.
Verunsicherung bis zum Trainer
Die Art von Hommanns "Abgang" aus Kamenz war sehr ungewöhnlich für einen Luftwaffen-Kicker. "Erläutert wurde da nichts, wir bekamen einen Überstellungsbefehl, und da hat man dann nicht gefragt", erklärt Hans-Joachim Gürgen, damals im Dienstgrad Major militärischer Chef der kickenden Truppe. Was etwas stutzen lässt, denn die Kamenzer mussten in aller Regel keinen Spieler abgeben, wenn sie ihn behalten wollten. Sie hatten im Gegenteil Zugriff auf praktisch jeden Fußballer der Luftstreitkräfte. Dass die Stasi die Zahl der Mitwisser über diesen seltsamen Vorgang dennoch selbst unter "Genossen" minimal hielt, also Gründe für die Versetzung nicht genannt wurden, darf man freilich glauben. Eine gewisse Verunsicherung war den Kamenzer Chefs, zu denen auch Trainer und Major Martin Geisler gehörte, indes anzumerken. Das bestätigen Zeugen, denen die Tragweite damals allerdings nicht klar war. Geisler, der Bruder des Leipziger Ex-Nationalspielers Manfred, schien zumindest etwas zu ahnen, wirkte tagelang seltsam nachdenklich, wie Thorsten Hartwig, von 1978 bis 1981 Torwart bei Vorwärts, bestätigt.
Hommanns Vater war bei der Stasi-Hauptabteilung "Personenschutz" als Fahrer prominenter DDR-Größen im Einsatz. Doch er scheint am Sonderauftrag für seinen Sohnes keine Aktie gehabt zu haben. Hommann wurde anders ausgewählt: Gabi Eigendorfs Mutter Erika erinnerte sich an Hommann als Jugendfreund ihrer Tochter. Sie soll ihn der Stasi vorgeschlagen haben und drängte Gabi zur Scheidung vom "Verräter" Eigendorf.
Die Kamenzer Mitspieler Hommanns begriffen erst durch Schwans Fernseh-Dokumentation, welch schmutzige Teilgeschichte von ihrer Unterkunft aus begonnen hatte und wie nah sie dem brisanten Geschehen waren. Als Gabriele vom Treiben ihres zweiten Mannes erfuhr, trennte sie sich von ihm und nahm Eigendorfs Namen wieder an. Tochter Sandy, die Hommann bis dahin für ihren Vater gehalten hatte, distanzierte sich ebenso vom Spitzel im eigenen Heim. Der Romeo zeigt sich voller Selbstmitleid. "Was ich deshalb durchgemacht habe, kann sich wahrscheinlich keiner vorstellen. Ich will darüber nicht mehr reden." Er verweigert ein Treffen und beendet das Telefon-Gespräch. Noch heute arbeitet Hommann auf dem BFC-Gelände. Seinen Stasi-Vorgesetzten galt IM Peter als zuverlässig, deckten sich seine Berichte doch mit den Mitschnitten aus Gabi Eigendorfs gründlich verwanzter Wohnung. Hommel alias IM Peter stand am 28. April 1979 zum letzten Mal im Team von Vorwärts Kamenz. Seinen Auftrag in Berlin erfüllte er mit "Bravour", von Gabriele Eigendorf ging keine Gefahr mehr für die DDR aus.
© Leipziger Volkszeitung 4. 3. 13
Die “Rote Fahne” schrieb noch “wir werden siegen”, da hatte ich mein Geld schon in der Schweiz.
Bert Brecht