Die Relevanz der zeithistorischen Forschung
In diesem Jahr begehen wir den 30. Jahrestag des Mauerfalls, 2020 feiern wir 30 Jahre Deutsche Einheit. Diese überaus bedeutsamen und auch heute in der Erinnerung noch sehr bewegenden Ereignisse gehören zu den größten Glücksmomenten der deutschen Geschichte. Unvergessen ist der Satz von Willy Brandt: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.“
Der Weg zur Friedlichen Revolution in der DDR bis in die ersten Jahre im vereinigten Deutschland ist einer der wichtigsten und weitreichendsten Prozesse der deutschen Zeitgeschichte. Gerade oder vielleicht, weil die Einheit heute eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint und bereits eine Generation herangewachsen ist, die nur das geeinte Deutschland erlebt hat, kommen der Forschung und der Vermittlung der Transformationsgeschichte große Bedeutung zu. Nicht zuletzt erhalten die Forschungsergebnisse zur Transformationsgeschichte auch deshalb viel Aufmerksamkeit, weil das Gefühl der Ungleichheit noch immer vorhanden ist, trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs vieler ostdeutscher Regionen. Diese Wahrnehmung ist keineswegs unberechtigt: So sind etwa Ostdeutsche in Führungspositionen von Wirtschaft und Wissenschaft weiterhin unterrepräsentiert.
Umwälzungen in Folge der Wiedervereinigung
Für viele Menschen in der damaligen DDR brachte die Wiedervereinigung massive Umwälzungen in einer kurzen Zeitspanne: Neben dem Zusammenbruch des politischen und gesellschaftlichen Systems änderten sich quasi über Nacht die Rahmenbedingungen für das persönliche Leben: ganze Industriesektoren wurden binnen weniger Monate abgewickelt wodurch Arbeitsplätze in ungeheurer Zahl wegfielen. Ein Großteil der Ostdeutschen konnte im erlernten Beruf nicht weiterarbeiten. In der DDR erworbene berufliche und akademische Abschlüsse wurden nur eingeschränkt anerkannt. Viele Menschen mussten Umschulungen absolvieren, Arbeitsplätze mehrmals wechseln, waren zeitweise arbeitslos oder lange Zeit befristet beschäftigt.
Die Verwerfungen und Unsicherheiten der Wendezeit zeigten erhebliche Auswirkungen. So sank etwa die Geburtenzahl in den neuen Ländern von 1990 bis 1994 von jährlich 178.000 auf 79.000.[1] Eine ganze Generation schrumpfte zahlenmäßig auf die Hälfte ihrer Vorgängergeneration. Die Zahlen haben sich erfreulicherweise seitdem wieder erholt; dennoch zeigen der Einbruch der Geburtenzahlen und die starke Abwanderung der ersten 15 Jahre nach 1990 enorme Auswirkungen auf die Gegenwartsgesellschaft und reichen schließlich bis in die Zukunft: Die Alterung der Bevölkerung schreitet vor allem in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands viel schneller voran als in vergleichbaren westdeutschen Gebieten.
Die Erfahrungswelten der Wendezeit liegen zudem keineswegs in ferner Vergangenheit. Die in den frühen 1990er Jahren geborenen Kinder befinden sich jetzt in den ersten Jahren ihres Arbeitslebens, viele sind heute in einem ähnlichen Alter wie ihre Eltern zum Zeitpunkt der Wende. Die Folgen der Umwälzungen der deutsch-deutschen Vereinigungsgeschichte sind in allen Familien präsent. Biographische Erfahrungen werden weitergegeben und prägen kommende Generationen.
Voltaires Aphorismus „Die Zeit heilt alle Wunden“ hilft hier nicht weiter - wir brauchen auch weiterhin eine aktive gesellschaftliche, politische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Phase der deutschen Geschichte.
Leistungen der Ostdeutschen würdigen
Die Bürgerbewegung in der DDR engagierte sich gegen ein Unrechtssystem, das Meinungsfreiheit und Demokratie unterdrückte. Dass sich Menschen in Ostdeutschland unter schwierigen Bedingungen, verbunden mit erheblichen persönlichen Nachteilen für einen politischen Wechsel engagierten, ist eine kaum zu überschätzende Leistung.
Mehr erfährt man hier:
https://zeitgeschichte-online.de/node/57014