30 Jahre nach dem Mauerfall

Aufarbeitung und Schlußfolgerungen

30 Jahre nach dem Mauerfall

Beitragvon Interessierter » 22. August 2020, 10:24

Die Relevanz der zeithistorischen Forschung

In diesem Jahr begehen wir den 30. Jahrestag des Mauerfalls, 2020 feiern wir 30 Jahre Deutsche Einheit. Diese überaus bedeutsamen und auch heute in der Erinnerung noch sehr bewegenden Ereignisse gehören zu den größten Glücksmomenten der deutschen Geschichte. Unvergessen ist der Satz von Willy Brandt: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.“

Der Weg zur Friedlichen Revolution in der DDR bis in die ersten Jahre im vereinigten Deutschland ist einer der wichtigsten und weitreichendsten Prozesse der deutschen Zeitgeschichte. Gerade oder vielleicht, weil die Einheit heute eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint und bereits eine Generation herangewachsen ist, die nur das geeinte Deutschland erlebt hat, kommen der Forschung und der Vermittlung der Transformationsgeschichte große Bedeutung zu. Nicht zuletzt erhalten die Forschungsergebnisse zur Transformationsgeschichte auch deshalb viel Aufmerksamkeit, weil das Gefühl der Ungleichheit noch immer vorhanden ist, trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs vieler ostdeutscher Regionen. Diese Wahrnehmung ist keineswegs unberechtigt: So sind etwa Ostdeutsche in Führungspositionen von Wirtschaft und Wissenschaft weiterhin unterrepräsentiert.

Umwälzungen in Folge der Wiedervereinigung

Für viele Menschen in der damaligen DDR brachte die Wiedervereinigung massive Umwälzungen in einer kurzen Zeitspanne: Neben dem Zusammenbruch des politischen und gesellschaftlichen Systems änderten sich quasi über Nacht die Rahmenbedingungen für das persönliche Leben: ganze Industriesektoren wurden binnen weniger Monate abgewickelt wodurch Arbeitsplätze in ungeheurer Zahl wegfielen. Ein Großteil der Ostdeutschen konnte im erlernten Beruf nicht weiterarbeiten. In der DDR erworbene berufliche und akademische Abschlüsse wurden nur eingeschränkt anerkannt. Viele Menschen mussten Umschulungen absolvieren, Arbeitsplätze mehrmals wechseln, waren zeitweise arbeitslos oder lange Zeit befristet beschäftigt.

Die Verwerfungen und Unsicherheiten der Wendezeit zeigten erhebliche Auswirkungen. So sank etwa die Geburtenzahl in den neuen Ländern von 1990 bis 1994 von jährlich 178.000 auf 79.000.[1] Eine ganze Generation schrumpfte zahlenmäßig auf die Hälfte ihrer Vorgängergeneration. Die Zahlen haben sich erfreulicherweise seitdem wieder erholt; dennoch zeigen der Einbruch der Geburtenzahlen und die starke Abwanderung der ersten 15 Jahre nach 1990 enorme Auswirkungen auf die Gegenwartsgesellschaft und reichen schließlich bis in die Zukunft: Die Alterung der Bevölkerung schreitet vor allem in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands viel schneller voran als in vergleichbaren westdeutschen Gebieten.

Die Erfahrungswelten der Wendezeit liegen zudem keineswegs in ferner Vergangenheit. Die in den frühen 1990er Jahren geborenen Kinder befinden sich jetzt in den ersten Jahren ihres Arbeitslebens, viele sind heute in einem ähnlichen Alter wie ihre Eltern zum Zeitpunkt der Wende. Die Folgen der Umwälzungen der deutsch-deutschen Vereinigungsgeschichte sind in allen Familien präsent. Biographische Erfahrungen werden weitergegeben und prägen kommende Generationen.
Voltaires Aphorismus „Die Zeit heilt alle Wunden“ hilft hier nicht weiter - wir brauchen auch weiterhin eine aktive gesellschaftliche, politische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Phase der deutschen Geschichte.

Leistungen der Ostdeutschen würdigen

Die Bürgerbewegung in der DDR engagierte sich gegen ein Unrechtssystem, das Meinungsfreiheit und Demokratie unterdrückte. Dass sich Menschen in Ostdeutschland unter schwierigen Bedingungen, verbunden mit erheblichen persönlichen Nachteilen für einen politischen Wechsel engagierten, ist eine kaum zu überschätzende Leistung.


Mehr erfährt man hier:
https://zeitgeschichte-online.de/node/57014
Interessierter
 

Re: 30 Jahre nach dem Mauerfall

Beitragvon Interessierter » 17. November 2020, 11:33

Dreißig Jahre Friedliche Revolution - drei Jahrzehnte deutsche Einheit

Ein Plädoyer für eine Perspektiverweiterung



Ein gesamtdeutscher Dialog

Im Februar 2018 waren ebenso viele Jahre und Tage seit dem Mauerfall vergangen, wie zwischen dem Mauerbau und dem 9. November 1989 lagen. Die deutsche Einheit seit 1990 ist somit zu einem Teil unserer Geschichte geworden. Die treibt heutige Zeitgenössinnen und Zeigenossen oft mehr um, als die vorausgegangenen Jahre der deutschen Teilung. Bislang klammern unsere Erinnerungskultur und historische Bildung die Jahre seit 1990 weitgehend aus. Dabei ist seit einiger Zeit der Deutungskampf über die Folgen der deutschen Einheit für Ostdeutschland neu entbrannt, den die Postkommunisten in den 1990er Jahren so virtuos geführt hatten. An deren Stelle sind nun die Rechtspopulisten getreten, die im Osten erfolgreich das Gefühl des zu kurz gekommen seins schüren. Zugleich usurpieren sie nicht nur die Slogans der Friedlichen Revolution, sondern stellen ihren politischen Kampf gegen die demokratische Ordnung der Bundesrepublik dem Widerstand gegen die SED-Diktatur im Jahre 1989 gleich.

Insofern bedarf es mehr denn je einer gesamtgesellschaftlichen Verständigung über den Charakter der SED-Diktatur und der freiheitlichen Ordnung der Bundesrepublik als auch die Bedeutung der Friedlichen Revolution für die Freiheits- und Demokratiegeschichte.[4] Aber ebenso wichtig ist der Diskurs über die Zeitgeschichte der deutschen Einheit seit 1990. Der muss Misserfolge ebenso offen thematisieren wie er Erfolge benennt. Dabei wird es darauf ankommen, die Jahre 1989/90 nicht mehr als Endpunkt oder Anfangspunkt der historischen Betrachtung zu nehmen. Wer die Entwicklung der deutschen Einheit seit 1990 rekapitulieren und deuten will, muss die Geschichte der DDR und der deutschen Teilung wenigstens seit den 1970er-Jahren kennen und einbeziehen.

Der vollständige Beitrag hier:
https://zeitgeschichte-online.de/node/57009
Interessierter
 

Re: 30 Jahre nach dem Mauerfall

Beitragvon Interessierter » 26. November 2020, 08:28

Aufarbeitung Ostdeutschland – Eine Standortbestimmung

Nicht ohne Grund erleben wir aktuell, dass die Ereignisse der Friedlichen Revolution, der Deutschen Einheit und der ersten Jahre nach der Wiedervereinigung auch in den Fokus historischer Betrachtungen geraten. Der Abstand von einer Generation bedeutet, dass wir nunmehr allmählich von der Perspektive der Erinnerung in die Perspektive des Historisierens übertreten.

Die Debatten um die Weizsäcker-Rede zum 8. Mai 1985 oder der Historikerstreit der 1980er Jahre zeigten, wie hart selbst fast zwei Generationen nach Kriegsende noch um ein Geschichtsbild gerungen wurde. Die Auseinandersetzung über das Selbstbild, den Umgang mit Geschichte und den Folgerungen daraus sind eine jahrzehntelange Arbeit ist, die mit dem Abstand einer Generation eher beginnt, als das sie endet.

Ein Ostdeutsches 1968


Insofern stehen wir heute inmitten einer Art „ostdeutschen 1968“. Es geht dabei letztlich um die Frage, was Ost- und Mitteldeutschland heute ausmacht. Und darum, was davon auf welche Ursachen zurückzuführen ist. Denn dass sich Landstriche unterscheiden, ist zunächst eher die Regel als die Ausnahme. Auch vor 100 Jahren hat die Uckermark von der Schwäbischen Alb vieles getrennt. Der größte Unterschied lag vielleicht darin, dass es noch keine Demoskopen gab, die uns dies wöchentlich vor Augen geführt hatten. Neben all dem Trennenden auch innerhalb der Neuen Länder gibt es aber strukturelle Themen, die uns einen: Dies sind z.B. geringere Vermögen, größere biographische Brüche, weniger Präsenz in Führungspositionen, eine ländlichere Siedlungsstruktur mit allen Folgen wie weiten Schulwegen, schlechterem Internet oder ungünstigerer medizinischen Versorgung. Dies ließe sich fortsetzen. Für all dies sind auch mit dem Abstand von dreißig Jahren die Mehrzahl der Gründe in der Zeit vor 1989 zu suchen. Insofern ist der Versuch lohnend, die Zeit seit 1990 genauer zu betrachten. Alles andere hätte ein „Überfahren“ des Ostens mit all seinen Erfahrungen und Schätzen bedeutet und eine Perspektivverschiebung zur Folge, die in die Irre führen kann.

Eine Revolution und ein Umbruch dieser Dimension hatte natürlich Schattenseiten und auch tiefschwarze Abgründe. Für viele Menschen waren die unmittelbare Erfahrung des Endes der DDR und das Chaos der ersten Jahre nicht nur mit Aufbruch, Freiheit und Wiedervereinigung verbunden, sondern vor allem mit Ungewissheit und Orientierungslosigkeit. Das Ende der DDR und die Wiedervereinigung sind Weltgeschichte – und zugleich millionenfach persönlich erlebte Geschichte, von Görlitz bis nach Bischofferode. „Im Kleinen bleibt Geschichte unentschieden“, hat Christoph Dieckmann einmal formuliert. Die Politik hat im eigenen Glück des historischen Gelingens manche Probleme ignoriert. Und so blieben Wertschätzung und Anerkennung mitunter auf der Strecke. Zu schnell wollte man das westliche System im Osten verwirklicht sehen.


Politiker sind nicht die besseren Historiker


Lange genug herrschten in Politik und Medien ein „Westblick“. Nur bei Problemen richtet sich der Spot kurz und grell auf den Osten – danach folgt westdeutsch geprägte Normalität, in der der Osten lediglich die Rolle eines Anhängsels spielt, politisch und wirtschaftlich.

Dass für die Geschichtswissenschaft die Epochenwende von 1989/90 allmählich mehr in den Blick rückt, ist eine logische Folge der üblichen zeitgeschichtlichen Achsverschiebung. Insofern bedarf es nicht politischer oder feuilletonistischer Zusatzinterpretationen. Ich für meinen Teil glaube zumindest nicht, dass Politiker*innen die besseren Historiker*innen sind. Ich vertraue stattdessen auf die wissenschaftliche Arbeit, die nach und nach Themen für sich entdeckt. Die Öffnung von Akten, wie etwa im Fall der Treuhand, ist deshalb wichtig und wird Anstoß für viele weitere Forschungen sein.


Von der Erinnerung zum Gedenken


Wenn wir einen Blick voraus wagen, so wird sich der Umgang mit der Geschichte vor 1989 ebenso wie nach 1989 sicher weiter verändern. Für die Zeit vor 1989 gilt: Wir bewegen uns nach und nach von der Erinnerung zum Gedenken. Es gibt weniger Zeitzeug*innen, die uns beispielsweise darüber berichten können, was Stalinismus in der DDR bedeutet, wie es zum 17. Juni 1953 kam und was die Folgen waren oder was der Mauerbau bedeutete. Umso intensiver müssen wir die nächsten Jahre nutzen, um all diesen Dingen weiter Gehör zu verschaffen. Aber umso wichtiger ist es auch, die dauerhaften Grundlagen dafür zu legen, dass Erinnerungen bewahrt bleiben können und das Fundament für Gedenkarbeit legen können. Eine der Aufgaben der heuten Stasiunterlagen-Behörde, die Akteneinsicht für Betroffene, verliert ganz sicher an Bedeutung. Die Arbeit einer solchen Institution, insbesondere auch nach einer erfolgten Neuausrichtung, verliert aber nicht an Aktualität – gerade in einer Zeit, in der wir um uns herum sehen, wie schnell Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in anderen Kontexten wieder unter Druck geraten können.

Das Entscheidende aber scheint mir zu sein: Die Neujustierung der Betrachtungswinkel bietet eine Chance, ein gemeinsames Geschichtsbuch zu öffnen. Trotz des Trennenden kann man die Zeit vor 1989 auch als eine gemeinsame in zwei verschiedenen Staaten und Systemen begreifen und die Revolution von 1989/90 als Ausgangpunkt etwas gemeinsam Neuen.

https://zeitgeschichte-online.de/node/57012
Interessierter
 


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