Der paranoide Wahn der DDR

Aufarbeitung und Schlußfolgerungen

Der paranoide Wahn der DDR

Beitragvon zonenhasser » 24. Dezember 2019, 11:49

Oft hört man, die politisch Verantwortlichen der DDR seien paranoid, psychisch gestört gewesen. Andererseits war deren Kontrollwahn begründet. Handelte es sich doch um brutale Machthaber, die spätestens am 17. Juni 1953 erfahren mussten wie verhasst sie im Volk waren. Hier ein Beispiel:

Der paranoide Wahn der DDR

Veröffentlicht am 08.12.2006 | Lesedauer: 6 Minuten
Von Frank Käßner, Uwe Müller

Der Besuch Willy Brandts 1970 in Erfurt war ein Trauma der SED, denn dem Klassenfeind wurde hemmungslos zugejubelt. Das sollte beim DDR-Besuch Helmut Schmidts 1981 nicht noch einmal passieren. Jetzt aufgetauchte Stasi-Akten dokumentieren eines der größten deutschen Schmierentheaterstücke unter der Regie von Stasi-Chef Erich Mielke. So wurde in Güstrow kurzerhand die Bevölkerung ausgewechselt.


Erich Honecker ist erleichtert. Am 14. Dezember 1981 schreibt er seinem Stasi-Minister Erich Mielke einen Brief voller schwülstiger Dankesformeln. „Während des gesamten Zeitraumes war ständig eine stabile politisch-operative Lage gewährleistet“, lobt der DDR-Staatsratsvorsitzende.

Er preist die „konsequente und schöpferische Realisierung der Sicherungsmaßnahmen“ sowie die „hohe persönliche Einsatzbereitschaft und gewissenhafte Pflichterfüllung“. Der SED-Chef: „Der Auftrag, den die Partei- und Staatsführung dem Ministerium für Staatssicherheit erteilt hatte, wurde in Ehren erfüllt.“

Tags zuvor war der DDR-Besuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt zu Ende gegangen. Der SPD-Politiker hatte mit seiner Delegation in der Brandenburger Schorfheide politische Gespräche geführt und auf persönlichen Wunsch die mecklenburgische Residenzstadt Güstrow besucht. 36 Jahre nach Kriegsende war es erst der zweite Aufenthalt eines Bonner Regierungschefs im anderen Deutschland.

Die Premiere war aus Sicht der Ost-Berliner Machthaber gründlich missraten. Die Bilder mit Schmidts Vorgänger Willy Brandt gingen 1970 um die Welt. In Erfurt drängte das Volk – es drängte zu Brandt. Die Volkspolizei konnte die Absperrungen nicht halten. Begeistert skandierten Tausende: „Willy, Willy!“

Als sich der Staatsgast schließlich am Hotelfenster zeigte, kannte der Jubel keine Grenzen. Für die DDR-Führung war es eine Schmach, die sich nie wiederholen sollte. Sie beschloss: „Bei Veranstaltungen mit ähnlichem Charakter tritt das Leitungssystem der inneren Mobilmachung in Kraft.“

Das ist die Vorgeschichte zum Befehl 16/80, den Stasi-Chef Mielke am 18. August 1980 erlässt. Auf 21 Seiten legt der Armeegeneral „Maßnahmen zur politisch-operativen Sicherung der Vorbereitung und Durchführung des Arbeitsbesuches des Bundeskanzlers der BRD, Helmut Schmidt, in der DDR“ fest. „Die Aktion führe und leite ich persönlich“, verfügt Mielke. Er gibt ihr den Decknamen „Dialog“. Es sollte der größte Einsatz der Staatssicherheit in der Geschichte der DDR werden.

Die Operation ist akribisch festgehalten. Die Aufzeichnungen der Stasi füllen 20 Aktenordner, archiviert in der Birthler-Behörde. Sie umfassen Lageprotokolle, Landkarten, Fahrpläne, Berichte Inoffizieller Mitarbeiter, Wetterberichte. Aufgeklärt wurden Betriebe, Friedhöfe und Trafostationen. Das Material ist ein Beleg des paranoiden Wahns der Arbeiter- und Bauernmacht, die aus Angst vor dem eigenen Volk alles unter Kontrolle zu halten versuchte. Der Zentrale Operativstab des Ministers befehligt nicht weniger als 35.083 Angehörige der „bewaffneten Organe“. 13.873 Einsatzkräfte stellt das Ministerium für Staatssicherheit, 21.210 das Innenministerium.

Der Führung entgeht nichts. Bis zur Ministerebene wird die „Schmiererei auf der Herrentoilette im Sozialgebäude des VEB Hydraulikwerkes Schwerin-Süd“ gemeldet. Ein Unbekannter hatte auf dem Klo auch sein Herz erleichtert: „Der Honecker hat die Mauer gebaut und uns die Freiheit geklaut!“

Die Aufklärung übernimmt die Abteilung XVIII der Stasi-Bezirksverwaltung Schwerin, zuständig für die Sicherung zentraler volkswirtschaftlicher Bereiche. In Berlin meldet die Direktorin der 26. Polytechnischen Oberschule Köpenick der Polizei ein ähnliches Vorkommnis. „Helmut Schmidt, nimm uns mit“, steht im Klassenraum für Staatsbürgerkunde. Auch hier ermittelt prompt die Staatssicherheit.

Der Stasi-Chef lässt durchgreifen

Es herrscht Ausnahmezustand, Mielke lässt hart durchgreifen. Anwendung findet das klassische Repertoire des Polizeistaates. Zur „Verhinderung von Störungen und Provokationen“, bilanziert das Ministerium des Inneren unmittelbar nach der Abreise Schmidts, „standen 10.908 Personen unter Kontrolle“. 4481 Wohnungen wurden durchsucht und kontrolliert, 98 Ermittlungsverfahren eingeleitet, 81 Haftbefehle erlassen. In 4811 Fällen seien „Auflagen zur Verhinderung von Reisen in die vom Treffen berührten Orte erteilt worden“.
Die “Rote Fahne” schrieb noch “wir werden siegen”, da hatte ich mein Geld schon in der Schweiz.
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Re: Der paranoide Wahn der DDR

Beitragvon zonenhasser » 24. Dezember 2019, 11:51

Damit nicht genug: „Gegen 2135 kriminell gefährdete oder aus dem Strafvollzug entlassene Bürger wurden vorbeugende Maßnahmen eingeleitet.“ Verdächtige werden kurzfristig zur Armee einberufen, unter Hausarrest gestellt oder vorübergehend festgenommen.

Schmidt kriegt nichts mit

Von diesen Repressalien bekommen Schmidt und seine Delegation nichts mit. Ihre Boeing 707 landet am Freitag, dem 11. Dezember, um 14.50 Uhr auf die Minute pünktlich in Berlin-Schönefeld. Schon den Abflug in Köln-Wahn hat die Staatssicherheit protokolliert. Am Sonntag verlässt der Kanzlertross die DDR wieder, diesmal in einem Salonwagen der Bundesbahn, der kurz nach 18 Uhr die innerdeutsche Grenze Richtung Lübeck passiert.

Zwischen Ankunft und Abfahrt tauschen sich SED-Generalsekretär und Kanzler im Jagdschloß Hubertusstock und in Honeckers Gästehaus am unweit gelegenen Döllnsee 15 Stunden lang aus. Die Atmosphäre ist entspannt, mitunter geradezu heiter. In kleinen Runden wird Kartoffelsuppe mit Würstchen gereicht, dazu gibt es Radeberger Bier vom Fass und Doppelkorn. Die Tischreden beim Bankett sind sorgsam ausgearbeitet. Ordonanzen in schokoladenbrauner Livree stehen zu Diensten, am Tor präsentiert eine Ehrenwache.

Zwangsumtausch und Reiseerleichterungen

Einmal lässt Schmidt sich, an Honecker gewandt, sogar zur Anrede „verehrter Freund“ hinreißen. Gesprochen wird über den Zwangsumtausch, Reiseerleichterungen, Zusammenarbeit in Wissenschaft, Technik, Kultur, den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen, die Stationierung von Atomraketen in Europa und um ganz Grundsätzliches: Die SED-Führung dringt darauf, die „wirklichkeitsfremde Doktrin“ einer gemeinsamen deutschen Nation aufzugeben, die sozialliberale Regierung Schmidt hält dagegen, der Nationengedanke sei bei allen Deutschen unverändert lebendig.

Trotz unterschiedlicher Meinungen herrscht in der Schorfheide heile Welt. Auch die Nachricht aus Polen, dass dort das Kriegsrecht verhängt wurde, kann die Idylle nicht stören. Honecker stellt sich ahnungslos, Schmidt macht keine Anstalten, den Besuch abzubrechen.

Im Güstrower Schloss arbeitet derweil die Zentrale Führungsstelle der Staatssicherheit auf Hochtouren. Bis neun Uhr, so wird im Lagebericht festgehalten, sind „alle geplanten Vorbeugungszuführungen“ erfolgt. Als Honecker und Schmidt am Sonntag um 12.59 Uhr laut Lagefilm 347/81 des Geheimdienstes in einem Wagenkonvoi Schloss Hubertusstock in Richtung Güstrow verlassen, gleicht die 39.500-Einwohner-Stadt einer Festung.

„Volles Programm“ hatte der Zentrale Operativstab für Schmidts Besuchsziel angeordnet.

Am 6. Dezember war in Anwesenheit von Mielkes Stellvertreter Mittig eine „Generalprobe“ erfolgt. Inszeniert wird eine realsozialistische Satire auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Güstrower Dom. Die Darsteller sind keine Einheimischen, denn die dürfen ihre Häuser weder verlassen noch sich am Fenster zeigen. 32 Busse und drei Sonderzüge schaffen die Ersatzbevölkerung heran – alles Sammeltransporte. Mit der Bahn kommen aus Karl-Marx-Stadt, Gera, Leipzig, Halle, Magdeburg, Dresden und Cottbus 3399 linientreue Genossen. Insgesamt 5103 Bürger haben das Volk darzustellen und heile Welt zu spielen. Ironisch wird der Kanzler später anmerken: „Das war mehr, als ich erwartet hatte.“

Wie eine Freiluftaufführung

Die Regisseure haben sich einiges einfallen lassen. „Familiencharakter, cirka drei Förster in Uniform (Kinder)“ lautet die Anweisung für einige der um die 70 Personen, die am staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb in Stellung gebracht werden. „Gelockert in der Bewegung, wenig gruppiert“, soll die Freiluftaufführung neben einem Kindergarten am Stadteingang erscheinen. Zwanzig derartiger Possenspiele sind fürs Güstrower Protokoll entworfen. Beobachter sprechen von gespenstischen Szenen, die sich in der Stadt abgespielt haben, vor der Ernst-Barlach-Gedenkstätte, die Schmidt unbedingt besuchen wollte, ebenso wie auf dem Weihnachtsmarkt.

Honecker und die Spitze des Sicherheitsapparates aber schwelgen noch Tage danach im Hochgefühl. Dabei stört sie wenig, dass die Westmedien Güstrow als ein „Potemkinsches Dorf“ beschreiben. Acht Jahre vor dem Ende der DDR ist der Realitätsverlust der Machthaber weit fortgeschritten. Immerhin: Einigen Tschekisten scheinen bei der Großaktion Zweifel gekommen zu sein. In Einzelfällen, so konstatiert die Stasi in Auswertung des Besuchs später, seien die Sicherheitsmaßnahmen von den Bürgern „als Schwäche des Staates gewertet“ worden.
https://www.welt.de/politik/article7011 ... r-DDR.html
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Re: Der paranoide Wahn der DDR

Beitragvon Volker Zottmann » 24. Dezember 2019, 12:02

Und genau diese Truppe Mielkes, die operativ im Dauerwahn inmitten der Bevölkerung lauerte, war die "Stasi".
Mit dem Wort Stasi verband der normale DDR-Bürger nicht die anderen Abteilungen, die sich im In- und Ausland der tatsächliche Spionage hingaben, wie eben jeder übliche Geheimdienst.
Stasi war für Teile der Bevölkerung immer die Krake der Bedrohung. Menschen, die innerhalb meiner weitgefächerten Familie schon Kontakt mit hauptamtlichen Mitarbeitern hatten, bemerkten das sonst unsichtbare Netz natürlich allumfänglicher.

Umso älter die DDR wurde, um so paranoider wurden die Maßmahmen gegen die immer mehr aufmüpfige Bevölkerung.
Gut dass 1990 Schluss mit dem Spuk war, denn noch 5 Jahre hin, hätten diese Wahn-Traumatisierten sich sicher selbst noch inhaftiert.

Gruß Volker
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Re: Der paranoide Wahn der DDR

Beitragvon Merkur » 24. Dezember 2019, 12:13

Volker Zottmann hat geschrieben:Und genau diese Truppe Mielkes, die operativ im Dauerwahn inmitten der Bevölkerung lauerte, war die "Stasi".
Mit dem Wort Stasi verband der normale DDR-Bürger nicht die anderen Abteilungen, die sich im In- und Ausland der tatsächliche Spionage hingaben, wie eben jeder übliche Geheimdienst.
Stasi war für Teile der Bevölkerung immer die Krake der Bedrohung. Mensche, die innerhalb der weitgefächerten Familie schon Kontakt mit Hauptamtlichen Mitarbeitern hatten, bemerkten das sonst unsichtbare Netz natürlich allumfänglicher.
Ums älter die DDR wurde, um so paranoider wurden die Maßmahmen gegen die immer mehr aufmüpfige Bevölkerung.
Gruß Volker


Ich denke Volker, dass die meisten Menschen dahingehend eben nicht unterschieden haben, weil sie sich dafür gar nicht interessiert haben und die Strukturen nicht kannten.
Und dass Du das „unsichtbare Netz“ allumgänglich bemerkt hast, ist wohl eher Deiner unvergleichlichen Genialität zuzuschreiben. [wink]
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
Merkur
 
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Re: Der paranoide Wahn der DDR

Beitragvon Olaf Sch. » 24. Dezember 2019, 12:26

nein, der Volker hats genau auf den Punkt gebracht. Tja so ein Planet so dicht an der Sonne bringt eben auch Nachteile...
Olaf Sch.
 

Re: Der paranoide Wahn der DDR

Beitragvon Volker Zottmann » 24. Dezember 2019, 12:30

Merkur hat geschrieben:
Ich denke Volker, dass die meisten Menschen dahingehend eben nicht unterschieden haben, weil sie sich dafür gar nicht interessiert haben und die Strukturen nicht kannten.
Und dass Du das „unsichtbare Netz“ allumgänglich bemerkt hast, ist wohl eher Deiner unvergleichlichen Genialität zuzuschreiben. [wink]

Ich schrieb allumfänglicher, Merkur. Das bezieht sich auf die Gesamtbevölkerung. Das ist ein himmelweiter Unterschied zu dem, was Du gerade zu unterstellen versuchst. Versuchst Du gerade mich wieder so "sachlich" zu verschmähen, wie Du Deine Fachbücher schreibst?
Dein dazwischengeschobenen Gemeinheiten sind genau so perfide, wie einst der Geheimdienst arbeitete. Da werden winzige Satzteile verdreht oder weggelassen, sinnentstellend. Für mich disqualifizierst Du Dich damit.
Trotzdem habe ich Dich auch bei meinen Weihnachtsgrüßen bedacht, nachzulesen unter "Grüße und Wünsche"!


Volker
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Re: Der paranoide Wahn der DDR

Beitragvon HPA » 24. Dezember 2019, 12:38

Naja wenn er sowas wie Rückgrat hätte, würde er ja seinen Beamtenjob kündigen und sich fortan nur noch von seinen Stasifreunden sponsern lassen. Dann könnte er nach Herzenslust "sachliche" Bücher über die Stasi verfassen wie es ihm beliebt. Vorzugsweise sicherlich in Partnerschaft mit seinem Ex-OiBE Freund.

[grin]
HPA
 

Re: Der paranoide Wahn der DDR

Beitragvon Beethoven » 25. Dezember 2019, 19:52

Man Merkur, wann und wo hast Du Dich eigentlich geoutet? Ist glatt an mir vorbei gegangen.
HPA hat da echt besser aufgepasst oder bessere Quellen? Warum interessiert er sich eigentlich so für Deine Vita?
Paranoia kann es ja nicht sein, denn die hatten ja nur die alten Herren aus dem PB.

Freundlichst
Die größten Vorteile im Leben überhaupt wie in der Gesellschaft hat ein gebildeter Soldat. J. W. v. Goethe

Das Gesetz ändert sich, die Gesinnung nicht.
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Re: Der paranoide Wahn der DDR

Beitragvon HPA » 25. Dezember 2019, 19:58

Gähn . Beschäftige Dich erstmal mit gewissen Begrifflichkeiten ein bevor Du diese inflationär gebrauchst! [grins]
HPA
 


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