Freizeit beim Feind

Aufarbeitung und Schlußfolgerungen

Freizeit beim Feind

Beitragvon Interessierter » 11. Mai 2019, 13:55

US-amerikanische Soldaten in Ost-Berlin

1. US-Soldaten als Grenzgänger
2. Shopping, Dining & Sightseeing – die Aufenthalte in Ost-Berlin
3. Reaktionen in Ost und West
4. Fazit

Anmerkung:

Am 2. August 1989 berichtete die im Ostteil der Stadt erscheinende »Berliner Zeitung« unter Rückgriff auf eine Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa), dass die Ost-Berliner sich über die Besuche alliierter Soldaten aus dem Westen ärgern würden: »Wer etwa an Samstagen das Umfeld des ›Centrum‹-Warenhauses am Hauptbahnhof erkundet, findet ohne Mühe mehrere britische Privatwagen und britische Militärbusse. Vor dem ›Centrum‹-Kaufhaus am Alexanderplatz stehen zwei französische Militärbusse und drei amerikanische. Und dann marschieren, mit Schottenrock und strammen Waden, ein paar ›Highlander‹ durchs sozialistische Konsumparadies.«[1]

Pelze, Kameras, Lampen, Teppiche, Porzellan, Bettwäsche, Gardinen, Kinderkleidung und Spielzeug, aber auch Hausrat sowie Lebensmittel würden die Soldaten massenweise »im Kofferraum und unterm Sitz ihres Wagens verstauen«. Ein »mehrgängiger Abendschmaus« und Krimsekt locke die Westalliierten zudem regelmäßig in die »feinen Restaurants der Nobelhotels«. Insbesondere die US-Soldaten würden bei ihren Besuchen »den dicken Maxe machen«, so zitierte die Tageszeitung einen Ost-Berliner, der »täglich mit ihnen zu tun« habe. Vier Fotos von mit Einkäufen beladenen Soldaten begleiteten den Artikel.

Fast wie eine schelmische Ironie der Geschichte erscheinen die Bilder dem rückblickenden Betrachter, erinnern sie doch an jene Fotos, die nur wenige Monate später, nach der Grenzöffnung am 9. November 1989, auf der anderen Seite der Berliner Mauer entstanden. Der Zeitungsartikel wirft die Frage auf: Wie war es möglich, dass jene Soldaten, die doch eigentlich West-Berlin im Falle einer sowjetischen Aggression verteidigen sollten, genüsslich in Ost-Berlin einkaufen gingen? Und dies zu einer äußerst unruhigen Zeit, als in den westlichen Medien über Botschaftsbesetzungen, Massenflucht und erste Demonstrationen in der DDR berichtet wurde und sich auch Experten nicht sicher waren, wie die Sowjetunion auf die Entwicklungen reagieren werde.

Mein Aufsatz widmet sich – inspiriert durch Zeitzeugen-Erzählungen und basierend auf Überlieferungen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), der Berliner Senatskanzlei und der amerikanischen Berlin Brigade[2] sowie auf zeitgenössischen Presseartikeln – einer besonderen Gruppe von Grenzgängern: den in West-Berlin stationierten US-Soldaten.


Für sie (wie auch für die Soldaten der britischen und französischen Armee) markierte die Mauer einerseits die Front des Kalten Krieges, andererseits durften sie diese aber ohne große Kontrollen passieren und ihre Freizeit in Ost-Berlin verbringen. Der Beitrag schildert damit schlaglichtartig einige Konsequenzen des Berliner Sonderstatus, der aus heutiger Sicht überraschende Praktiken hervorbrachte. Es ist eine Geschichte der Normalisierung des Anomalen, der Routinisierungen im Alltag der Teilung. Im Vordergrund stehen hierbei vier Fragen: Wer durfte wann und wie nach Ost-Berlin? Womit verbrachten die GIs ihre Zeit jenseits der Mauer? Wie wurde in Ost und West auf diese Grenzüberquerungen reagiert? Welche Rückschlüsse lassen sich aus den Befunden ziehen?

Dieser sehr lange und hochinteressante Bericht ist mit Fotos und Dokumenten unterlegt und hier zu finden:
https://zeithistorische-forschungen.de/1-2018/id%3D5555
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Re: Freizeit beim Feind

Beitragvon augenzeuge » 11. Mai 2019, 15:55

Wie war es möglich, dass jene Soldaten, die doch eigentlich West-Berlin im Falle einer sowjetischen Aggression verteidigen sollten, genüsslich in Ost-Berlin einkaufen gingen? Und dies zu einer äußerst unruhigen Zeit, als in den westlichen Medien über Botschaftsbesetzungen, Massenflucht und erste Demonstrationen in der DDR berichtet wurde und sich auch Experten nicht sicher waren, wie die Sowjetunion auf die Entwicklungen reagieren werde.


Gute Frage, und ein sehr guter Artikel (Link).

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Re: Freizeit beim Feind

Beitragvon pentium » 11. Mai 2019, 16:00

augenzeuge hat geschrieben:
Wie war es möglich, dass jene Soldaten, die doch eigentlich West-Berlin im Falle einer sowjetischen Aggression verteidigen sollten, genüsslich in Ost-Berlin einkaufen gingen? Und dies zu einer äußerst unruhigen Zeit, als in den westlichen Medien über Botschaftsbesetzungen, Massenflucht und erste Demonstrationen in der DDR berichtet wurde und sich auch Experten nicht sicher waren, wie die Sowjetunion auf die Entwicklungen reagieren werde.


Gute Frage, und ein sehr guter Artikel (Link).

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Haben diese GIs sich für Botschaftsbesetzungen, Massenflucht und erste Demonstrationen, für die Probleme in der DDR überhaupt interessiert, ich hege da so meine Zweifel...

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Re: Freizeit beim Feind

Beitragvon augenzeuge » 11. Mai 2019, 16:03

pentium hat geschrieben:
augenzeuge hat geschrieben:
Wie war es möglich, dass jene Soldaten, die doch eigentlich West-Berlin im Falle einer sowjetischen Aggression verteidigen sollten, genüsslich in Ost-Berlin einkaufen gingen? Und dies zu einer äußerst unruhigen Zeit, als in den westlichen Medien über Botschaftsbesetzungen, Massenflucht und erste Demonstrationen in der DDR berichtet wurde und sich auch Experten nicht sicher waren, wie die Sowjetunion auf die Entwicklungen reagieren werde.


Gute Frage, und ein sehr guter Artikel (Link).

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Haben diese GIs sich für Botschaftsbesetzungen, Massenflucht und erste Demonstrationen, für die Probleme in der DDR überhaupt interessiert, ich hege da so meine Zweifel...

...


Ich nicht. Sie mussten es fast zwangsweise tun, weil sich die Regeln, Ostberlin besuchen zu können, in Abhängigkeit der Ereignisse ständig änderten. Dann saßen die Amerikaner in Marienfelde (Notaufnahme) und waren an allen Dingen stets sehr interessiert. Kein Übersiedler kam an einem Gespräch mit ihnen vorbei. Auch ich nicht.
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Re: Freizeit beim Feind

Beitragvon pentium » 11. Mai 2019, 16:12

augenzeuge hat geschrieben:Ich nicht. Sie mussten es fast zwangsweise tun, weil sich die Regeln, Ostberlin besuchen zu können, in Abhängigkeit der Ereignisse ständig änderten. Dann saßen die Amerikaner in Marienfelde (Notaufnahme) und waren an allen Dingen stets sehr interessiert. Kein Übersiedler kam an einem Gespräch mit ihnen vorbei. Auch ich nicht.
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Meinst du ernsthaft, ein GI aus irgend einer Kleinstadt im mittleren Westen der USA interessiert sich für irgendwelche Probleme in der kleinen DDR, nur weil er den Aufpasser in WB spielen muss? Für die Alliierten spielte doch die DDR keine Rolle, höchstens die Sowjetische Kommandantur. Und Marienfelde ist eine andere Geschichte.
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Re: Freizeit beim Feind

Beitragvon augenzeuge » 11. Mai 2019, 16:16

Ganz so wars nicht. Ich saß u.a. mit ihnen 1988 in Tempelhof beim Grillen, und da interessierte man sich sehr über die Entwicklung. Und diejenigen, die in den Osten rüberfahren konnten, waren meist sehr gut informiert, was aktuell politisch passierte.

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Re: Freizeit beim Feind

Beitragvon augenzeuge » 11. Mai 2019, 17:06

Dieser sehr lange und hochinteressante Bericht ist mit Fotos und Dokumenten unterlegt und hier zu finden:
https://zeithistorische-forschungen.de/1-2018/id%3D5555


Klasse:
So stellte das MfS 1978 fest, dass die bevorzugten Aufenthaltsorte der Amerikaner aufgrund »der niveauvollen Einrichtung und des guten Angebots« die Speisegaststätte Stockinger in der Schönhauser Allee und die Offenbachstuben in der Stubbenkammerstraße im Bezirk Prenzlauer Berg waren.[50] Beide Adressen waren auch bei der lokalen Künstlerszene beliebt und stellten kleine, bunte Oasen inmitten der Hauptstadt der DDR dar. Die Journalistin und Schriftstellerin Jutta Voigt erinnert sich an die Atmosphäre: »Pariser Leben in den Offenbachstuben im Prenzlauer Berg. […] Das Publikum an den weiß gedeckten kleinen Tischen – ein schillernder Weltenmix. Leonard Bernstein, Countertenor Jochen Kowalski, Chansonnier Jürgen Walter. Die Ständige Vertretung mit Bahr und Bräutigam, die britische Militärmission im Schottenrock, die Exzellenzen der italienischen, französischen, amerikanischen Botschaft. Bibi Johns, Roy Black, Allendes Leibarzt Dr. Bartulín und ein Siegfried vom Zentralrat der FDJ. Alfred Hrdlicka, Günter Grass und die Kessler-Zwillinge, später noch Mitterrand. Dazu Evelyn Künnecke, die homosexuellen Freunde der Kellner, die Bohèmegeliebten der Serviererinnen und die Nachbarn aus der Stubbenkammerstraße. Die Utopie der sozialistischen Menschengemeinschaft im Zwielicht der Verhältnisse.


Anfang der 1970er-Jahre kam das MfS dann in den Besitz der amerikanischen Reise-Regularien und kommentierte sie basierend auf dem beobachteten Verhalten.[59] So wurde unter anderem festgestellt, dass die Amerikaner (entgegen den Vorschriften der US-Armee) oft DDR-Bürger – aber auch West-Berliner und Westdeutsche – streckenweise in ihren Fahrzeugen mitnehmen würden.[60] Dabei wurde davon ausgegangen, dass die kurz zuvor erlassene Aufforderung an die US-Soldaten, vermehrt die östliche Stadthälfte zu besuchen, Teil einer »Globalstrategie« sei, um »Kontaktpolitik, politisch-ideologische Diversion, Menschenhandel, Geheimdienstaktivität« intensivieren zu können: »Die Bevölkerung der Hauptstadt der DDR einschließlich der staatlichen Organe soll sich an die Anwesenheit von Angehörigen der US-Armee gewöhnen und diese als normal hinnehmen bzw. betrachten.«[61] Dass die US-Soldaten aus eigenem Antrieb handelten, ohne einer zentralen Anweisung zu folgen, kam den MfS-Mitarbeitern nicht in den Sinn.


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Re: Freizeit beim Feind

Beitragvon HPA » 11. Mai 2019, 22:05

pentium hat geschrieben:
augenzeuge hat geschrieben:Ich nicht. Sie mussten es fast zwangsweise tun, weil sich die Regeln, Ostberlin besuchen zu können, in Abhängigkeit der Ereignisse ständig änderten. Dann saßen die Amerikaner in Marienfelde (Notaufnahme) und waren an allen Dingen stets sehr interessiert. Kein Übersiedler kam an einem Gespräch mit ihnen vorbei. Auch ich nicht.
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Meinst du ernsthaft, ein GI aus irgend einer Kleinstadt im mittleren Westen der USA interessiert sich für irgendwelche Probleme in der kleinen DDR, nur weil er den Aufpasser in WB spielen muss? Für die Alliierten spielte doch die DDR keine Rolle, höchstens die Sowjetische Kommandantur. Und Marienfelde ist eine andere Geschichte.


Doch, interessierte es sie schon. Das kann ich aus erster Hand bestätigen Da ging es u.a.auch darum ,die eine oder andere HVA Ratte auszusortieren.
Die Leute beim Befragungswesen waren keine kleinen GIs oder irgendwelche hinterwäldlerischen Rednecks!
HPA
 

Re: Freizeit beim Feind

Beitragvon Merkur » 12. Mai 2019, 07:22

HPA hat geschrieben: Da ging es u.a.auch darum ,die eine oder andere HVA Ratte auszusortieren.


Na, wieder im Tierreich unterwegs? Den einen oder anderen GI scheinen sie ja beim aussortieren übersehen zu haben. Gab es beim sortieren nennenswerte Erfolge?
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
Merkur
 
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Re: Freizeit beim Feind

Beitragvon augenzeuge » 12. Mai 2019, 07:47

Erfolge werden sie gehabt haben, natürlich nicht öffentlich.

Das nun ausgerechnet in Marienfelde die Stasi in Form eines gekauften Entscheidungsträger mit vertreten war, konnte man nicht verhindern.

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