Das "Attentat" auf Erich Honecker am Silvestertag 1982

Besondere Vorkommnisse in der Zeit des kalten Krieges

Das "Attentat" auf Erich Honecker am Silvestertag 1982

Beitragvon Interessierter » 29. November 2016, 13:01

Schüsse in Klosterfelde

Der Ablauf

31.12.1982, 11:30h, Klosterfelde
Der angebliche Attentäter Paul Eßling, von Beruf Ofensetzer, erscheint in seinem Haus, um zu telefonieren. Seine Mutter, die gerade das Essen vorbereitet hat, wundert sich nicht, dass er einfach mit seinem dunkelgrünen Lada 1300 davonfährt - Paul neigt nicht dazu, viel zu erklären.

31.12.1982, etwa zur gleichen Zeit, Liebermannstraße Berlin-Weißensee
Zwei Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit, beide um die 30 Jahre alt, steigen in einen Volvo 164 SE. Sie sind im "Sicherungsdienst der Verkehrspolizei im Rahmen des Personenschutzes Führender Repräsentanten von Partei und Regierung". Ihr Auftrag heute: Sie sollen die Fahrt Honeckers von der Waldsiedlung Wandlitz zum Jagdrevier in die Schorfheide begleiten.

31.12.1982, 13 Uhr, Waldsiedlung Wandlitz
Die Offiziere schließen sich pünktlich mit ihrem Volvo Honeckers Konvoi an. Zwei Citroe:ns (ein "Hauptwagen" mit dem SED-Chef an Bord und ein begleitender "Kommandowagen") fahren vorweg.
In Wandlitz biegt die Kolonne auf die F109 nach Norden, saust mit den üblichen 90 km/h durch den Ort und nähert sich einer Kreuzung.
Dann geht alles sehr schnell:
Aus Richtung Stolzenhagen schert Eßling mit seinem dunkelgrünen Lada unmittelbar vor dem "Hauptwagen" ein. Die Kolonne bremst stark ab, die Citroe:ns können dann aber den Lada problemlos überholen. Honecker ist also bereits außer Gefahr, als die Katastrophe ihren Lauf nimmt.
Die beiden Stasi-Offiziere im Volvo erhalten per Funk das Kommando, den "Verkehrsrowdy" zu stoppen. Sie schalten das Blaulicht ein und versuchen, Eßling zum Anhalten zu bewegen. Der gibt Gas und zieht mit 90 km/h davon. Im Volvo glaubt man, es mit einem Betrunkenen zu tun zu haben.
Hinter den ersten Häusern endet die Verfolgungsfahrt.

Ein entgegenkommender LKW, der wegen Blaulicht und Sirene anhält, versperrt dem Lada die Bahn.
Der Oberleutnant steigt aus, winkt den LKW weiter und geht auf Eßling zu: "Was soll denn das hier werden?"
Eßling, mittelgroß mit schwarzer Lederjacke, steht hinter der Fahrertür seines Wagens. Angeblich greift er nun urplötzlich unter seine Jacke zur Hüfte, zieht eine Pistole und eröffnet das Feuer auf die Offiziere.
Der Oberleutnant wird getroffen, sein Kollege im Volvo zieht erst jetzt die 9mm-Makarow und erwidert das Feuer, die Türscheibe des Lada splittert. Eßling hebt erneut die Waffe, richtet sie auf seine Schläfe und drückt ab.

31.12.1982, Klosterfelde, 13:10h
Eßling ist sofort tot, Anwohner und der LKW-Fahrer, der die Schüsse wegen des laufenden Motors nicht gehört haben will, kommen zum Tatort.
31.12.1982, MfS-Klinink
Berlin-Bruch, 14:00h
Der angeschossene Oberleutnant wird in der Klinik operiert. Der Lungendurchschuss saß drei Zentimeter über dem Herz, aus dem Rippenfellraum wurden 800ml Blut entfernt. Sein Zustand ist zunächst ernst, bessert sich dann aber schnell.

31.12.1982, Klosterfelde, 15:30h
Die Untersuchunskommission der Staatssicherheit trifft am Tatort ein.
Der Tote liegt noch immer unter einer Decke neben dem Lada. Die Leiche wird nach dem Abschluss der kriminaltechnischen Untersuchungen zunächst in den Hof des nächstgelegenen Hauses gebracht.

31.12.1982, Klosterfelde, abends
Die ersten Anwohner in Klosterfelde werden als Zeugen vernommen, die Leiche Paul Eßlings wird zur gerichtsmedizinischen Untersuchung abtransportiert.
01.01.1983, Klosterfelde, 2:30h
Paul Eßlings Sohn Ralf kehrt von einer Silvesterfeier zurück und erfährt vom Tod seines Vaters; auch seine Großmutter wird unterrichtet.

Weitere Details findet man hier:
https://meike-wulf.homepage.t-online.de ... entat.html

Eine sehr detaillierte Schilderung, die sicherlich auch wieder in Details bestritten wird, die aber an den Geschehnissen nichts ändern.
Interessierter
 

Re: Das "Attentat" auf Erich Honecker am Silvestertag 1982

Beitragvon Beethoven » 29. November 2016, 13:39

Da gibt es nicht zu leugnen, lieber sich "Interessierter" Nennender.

Man hörte damals kaum etwas darüber und schon gar keine Details. Das der Ofensetzer nun Selbstmord beging als da das Feuer durch die Männer vom Personenschutz erwidert wurde, ist wohl eindeutig.
Er hat das Feuer eröffnet und hat einen Personenschützer mit der Schusswaffe verletzt. Das ist wohl auch unstrittig.
Schon das hätte ihn mehrere Jahre in den Vollzug gebracht.

Seine Motive lassen sich vermutlich gar nicht mehr ergründen.

Ich persönlich vermute, er war angetrunken (2,5 Promille bei der Obduktion belegen das wohl recht eindeutig) und wußte gar nicht was er da tut. Vermutlich war er gerade in einem menschlichen Tief. Also was solls?

Eigentlich, aus heutiger Zeit verwunderlich, wo doch alle so gegen Honecker und seine Politik waren, dass es nur diesen einen Zwischenfall, ob es ein Attentatsversuch war, wissen wir ja gar nicht genau, gab.
Andere "Diktatoren" waren da viel öfter Ziele von Attentaten.

Gruß
Die größten Vorteile im Leben überhaupt wie in der Gesellschaft hat ein gebildeter Soldat. J. W. v. Goethe

Das Gesetz ändert sich, die Gesinnung nicht.
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Re: Das "Attentat" auf Erich Honecker am Silvestertag 1982

Beitragvon Merkur » 29. November 2016, 14:46

Interessierter hat geschrieben:Eine sehr detaillierte Schilderung, die sicherlich auch wieder in Details bestritten wird, die aber an den Geschehnissen nichts ändern.


Nein, alles okay aber auf viele Details verzichtet.
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
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Re: Das "Attentat" auf Erich Honecker am Silvestertag 1982

Beitragvon Icke46 » 29. November 2016, 15:39

Aus dem Text von @Interessierter vom 05.02.16:

Eßling, Paul 13.5.1940 - 31.12.1982

42jähriger selbständiger Ofenbaumeister aus Klosterfelde bei Bernau;
nimmt am 31.12.1982 dem Wagenkonvoi von Erich Honecker die Vorfahrt; nach erzwungenem Stop durch ein Begleitfahrzeug schießt er auf ein Mitglied des Personenschutzes und verletzt es schwer; als das Feuer erwidert wird, erschießt sich E. selbst;
spätere Behauptungen, E. habe ein Attentat auf Honecker geplant und sei dabei erschossen worden, können nicht bewiesen werden

Quelle: Jan Eik: Ein Attentat. In Das Magazin 4/1990 S. 32 ff

Der Stern 11. Januar 1983:
„ Ein Ofensetzer aus einem Dorf bei Berlin versuchte Silvester, auf den DDR-Staatsratsvorsitzenden der DDR zu schießen. Der Attentäter verfehlte sein Ziel. Erich Honecker entkam und überlebte. Dem Schützen blieb nur der Selbstmord. Er schoß sich in den Kopf und starb auf der Stelle.“

Neues Deutschland 12. Januar 1983 :
“ Die Pressestelle des Ministerium des Innern weist Falschmeldungen westlicher Agenturen und Presseorgane über einen Verkehrszwischenfall am 31. Januar 1981 in Klosterfelde, Kreis Bernau, zurück.
An diesem Tag war es zu einer schweren Verkehrsgefährdung durch den Fahrer eines PKW Typ Lada gekommen. Nach Feststellung der Volkspolizei stand der Fahrer des PKW unter starkem Alkoholeinfluß.
Eine ärztliche Untersuchung ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,5 Promille. Nach schwerer Gefährdung des Straßenverkehrs war der PKW-Fahrer den Aufforderungen, die Fahrt zu stoppen, nicht gefolgt, sondern beging Fahrerflucht. Als er durch eine Streife der Volkspolizei gestellt wurde, schoß der Volltrunkene aus einer Handfeuerwaffe.
Dabei wurde ein Streifenangehöriger der Volkspolizei schwer verletzt.
Bevor es gelang, den Täter festzunehmen, beging er mit seiner Schußwaffe Selbstmord.“

Am 14. Januar wird STERN-Korrespondent Dieter Bub ins Außenministerium zitiert. Dort wird ihm mitgeteilt, er habe die DDR „ auf Grund grober Verletzungen der gesetzlichen Bestimmungen, wegen wahrheitswidriger und verleumderischer Berichterstattung“ binnen 48 Stunden zu verlassen.

Der Spiegel 17. Januar 1983 (er verwirf die Attentatsversion als unsinnig) formuliert die Hypothese, E. „tötete möglicherweise nicht sich selbst, sondern wurde von Sicherheitsbeamten erschossen“.

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Re: Das "Attentat" auf Erich Honecker am Silvestertag 1982

Beitragvon Wosch » 29. November 2016, 15:52

icke46 hat geschrieben:
Man bekommt richtige Fernseh-Gefühle - Wiederholungen sind das Salz in der Suppe - nur muss man hier immerhin keine Gebühren zahlen [grins] .




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