Vor 39 Jahren starben sieben Menschen beim Absturz einer MiG in Cottbus. Heute offenbaren Stasi-Akten Details
Der Wohnblock steht im dicht bebauten Stadtteil Schmellwitz. Es ist ein typischer DDR-Plattenbau mit fünf Geschossen. Im dritten Aufgang ist ein Arbeiterwohnheim untergebracht. 61 Menschen sind hier zu Hause. Rosemarie A. wohnt in einer Wohngemeinschaft im zweiten Obergeschoss. Die junge Frau arbeitet wie ihre Nachbarn im Textilkombinat Cottbus, das nur wenige hundert Meter entfernt ist. An diesem Dienstagvormittag, es ist der 14. Januar 1975, hat Rosemarie A. frei. Sie ist zu Hause. Die 20-Jährige wird schon bald tot in ihrer Wohnung geborgen – wie vier ihrer Kolleginnen.
Die Vorderseite des Wohnblocks: Nach dem Absturz ragte nur noch das Leitwerk der Maschine aus dem Haus. Foto: BSTU
Es ist etwa zehn nach zehn, als die MiG 21 in den Wohnblock rast. Normalerweise hätte der routinemäßige Übungsflug der NVA-Maschine auf der Landebahn des Cottbuser Militärflugplatzes enden sollen. Bis dorthin wären es nur noch etwa zwei Kilometer gewesen. Mit voller Wucht durchschlägt der Düsenjäger die Fassade im zweiten Stockwerk des dritten Aufgangs. Die 14 Meter lange Maschine bleibt nahezu mit ihrer gesamten Länge in der Wohnung links des Treppenhauses stecken. Nur das Leitwerk ragt noch aus der Hauswand. 800 Liter Treibstoff entfachen ein Feuerinferno. Der Brand breitet sich schnell aus.
Der Einsatz verlangt den Feuerwehrmännern höchste Konzentration ab. Als sie am Unglücksort eintreffen, wissen sie weder, dass die MiG keine Munition trug, noch, wie viele Tanks ausgelaufen sind. Möglicherweise stehen elektrische Anlagen noch unter Spannung. Der Einsatzleiter nimmt an, dass unmittelbare Explosionsgefahr besteht. Er ordnet an, beide Nebeneingänge zu evakuieren.
Im brennenden Treppenhaus herrschen Temperaturen um tausend Grad Celsius. Geschmolzenes Magnesium und Aluminium tropft.
Noch heute existiert bei der Cottbuser Feuerwehr ein Dokument, in dem der Einsatz mit all diesen Details beschrieben ist. Das Protokoll belegt auch, dass es etwa eine Stunde dauert, bis der Brand unter Kontrolle ist. Zudem wird von der Rettung einer Frau berichtet. Ein Feuerwehrmann hatte sie durch die Fensterscheibe entdeckt und aus der brennenden Wohnung geholt. Ob sie das Unglück überlebt hat, ist ungewiss. In erhalten gebliebenen Unterlagen der DDR-Staatssicherheit ist die Rede von einer polnischen Person, die mit einer lebensbedrohlichen Rauchvergiftung ins Cottbuser Krankenhaus gebracht wurde. Zugleich ist überliefert, dass eine schwer verletzte Person wenige Tage nach dem Unglück im Cottbuser Krankenhaus starb.
Mit ihr fordert die Katastrophe insgesamt sechs zivile Todesopfer. Wer kann, rettet sich selbst und verlässt das brennende Haus. Dabei verletzen sich einige Mieter zum Teil schwer. Vermutlich waren einzelne Mieter des Wohnblocks in Panik aus ihren Fenstern gesprungen. Doch zum Glück sind die meisten Bewohner während des Absturzes nicht zu Hause. Allein in Aufgang 3 leben 61 Menschen. Insgesamt werden 182 Menschen in Sicherheit gebracht – darunter 41 Kinder.
Auch der Pilot der Unglücksmaschine ist unter den Todesopfern. Er wird 33 Jahre alt, hinterlässt eine Ehefrau. Peter Makowicka hätte überleben können. Als er seinem Flugleiter per Funk „Triebwerksausfall“ meldet, befindet er sich in 150 Metern Höhe über den Produktionshallen des Textilkombinats, wo Tausende Menschen arbeiten. Sein Flugleiter fordert ihn auf, sich mit dem Schleudersitz aus der Maschine herauszukatapultieren. Der Pilot aber will den Jäger möglichst so lange in der Luft halten, bis er unbebautes Gebiet erreicht. Doch die Maschine verliert dramatisch an Höhe.
Der Unglücksort wird nach dem Absturz sofort weiträumig abgesperrt. Der unmittelbare materielle Schaden beträgt 750 000 DDR-Mark. Die DDR-Presse berichtet über den Absturz in einer kurzen Meldung. Makowicka gilt als Held. Zwei Tage nach dem Absturz verleiht ihm die DDR-Obrigkeit posthum den Kampforden „Für Verdienste um Volk und Vaterland“ in Gold. Es ist wahrscheinlich, dass es ohne Makowickas Tun Hunderte Tote gegeben hätte.
Als Ursache der Katastrophe wird die Nachlässigkeit eines Technikers ermittelt. Er sollte die MiG für den Start vorbereiten. Allerdings erledigte er seine Arbeit nur oberflächlich. Im April 1975 wird er vom Militärobergericht Berlin zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Die alten Stasi-Unterlagen offenbaren, dass es den Verantwortlichen damals vor allem darum geht, herauszufinden, wie die Bevölkerung auf den Absturz reagiert. Tatsächlich ist die Wut vieler Cottbuser groß.
Schon früher hatten die Cottbuser unter dem ständigen Fluglärm der Jagdflieger gelitten. Der Absturz vom 14. Januar 1975 bringt das Fass zum Überlaufen. Doch die Angst vor einer weiteren Katastrophe ist offenbar auch bei den Verantwortlichen von Partei und Regierung groß. Denn bald nach dem Absturz beginnt der Bau des Militärflugplatzes Holzdorf (Elbe-Elster) an der Grenze zu Sachsen-Anhalt. 1982 wird das Jagdgeschwader von Cottbus nach Holzdorf verlegt und durch Kampfhubschrauber ersetzt.
Dennoch kommt es drei Jahre später erneut zum Absturz einer MiG 21 in Cottbus. Die Maschine ist in Drewitz (Spree-Neiße) stationiert. Während eines Ausbildungsfluges macht die Hydraulik Probleme. Der Pilot rettet sich mit dem Schleudersitz. Seine Maschine rast in ein Wohnheim, das bis auf einen Studenten, der verletzt wird, menschenleer ist. Auf der anderen Straßenseite sitzen an diesem Sonnabendvormittag Hunderte.
Quelle: Aus der Redaktion des Prignitzers / svz.de / http://www.svz.de/bb-uebersicht/panoram ... 00041.html
AK