Das schäbige Gedenken an die Toten des 17. Juni | Hier versteckt Leipzig die Opfer der SED
Leipzig – Der 17. Juni ist der Tag des Volksaufstandes von 1953; der Tag, an dem sich überall in der DDR die Menschen gegen das SED-Regime erhoben – und brutal niedergeschlagen wurden.
Allein im ehemaligen Bezirk Leipzig starben an jenem Tag neun Menschen. Doch wer ihnen Gedenken will, muss lange suchen. Während die alten Stasi-Chefs in 1A-Lage auf dem Ehrenhain des Südfriedhofs Seite an Seite mit den Opfern des Faschismus liegen, sind die Toten des 17. Juni im hintersten Winkel kaum noch zu finden.
„Es ist mehr als überfällig, so lange nach der Wende die Geschichte wieder gerade zu rücken“, sagt Ex-Stadtrat Roland Mey (74), der sich sich seit 1992 bereits versucht für das Thema stark zu machen – mit mäßigem Erfolg. „Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass mit unseren Steuergeldern die Grabstätten von Ex-Stasichefs gepflegt werden, obwohl die Verantwortung der Stadt längst abgelaufen ist.“
Und Tobias Hollitzer (50) vom Stasimuseum in der Runden Ecken sagt: „Es ist absolut unangemessen, wie das Problem ausgesessen wird. Gerade in der Stadt der Friedlichen Revolution muss es einen würdigen Gedenkortes für die Toten des 17. Juni geben!“
Im Grünflächenamt schient das nun endlich angekommen zu sein. Für die „Umgestaltung der Genkanlage des Volksaufstandes“ liege bereits eine Entwurfsplanung vor. Zum sozialistischen Ehrenhain heißt es auf BILD-Anfrage: „In der Zukunft wird eine Entscheidung zum weiteren Umgang mit den Gräbern zu treffen sein.“
Der Wunsch von Hollitzer und Mey: „Die Anlage für Opfer des 17. Juni muss in eine präsentere Lage, vielleicht auf die freie Fläche neben dem Ehrenhain. Und die SED-Fürsten dürfen nicht länger zusammen mit den Opfern das Faschismus geehrt werden.“
Bilder dazu findet man hier:
http://www.bild.de/regional/leipzig/arb ... .bild.html
Der Weg in die Krise:
Zur Vorgeschichte des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953
Der Weg in die Krise der DDR nimmt seinen Anfang, als die SED im Juli 1952 beschließt, dass ab sofort der "Sozialismus planmäßig aufgebaut" werde. Dieser neuen Richtung der SED-Politik gehen zwei Treffen der SED-Führung (Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht, Otto Grotewohl) Anfang April 1952 mit Stalin in Moskau voraus. Stalin erklärt bei den Gesprächen unter anderem, dass die Westmächte, "welche Vorschläge auch immer wir zur deutschen Frage machten, ihnen nicht zustimmen und sowieso nicht aus Westdeutschland weggehen würden". Deshalb müsse die SED-Führung nun endgültig "ihren eigenen Staat gründen". Zwar müsse die Propaganda für die Einheit Deutschlands fortgesetzt werden – aber nur, "um die Politik der Amerikaner zu entlarven". Die SED, so Stalin, solle die bisherige Kasernierte Volkspolizei zu einer 300.000 Mann starken Armee ausbauen; die "pazifistische Phase" der DDR sei beendet. Daneben sei die bisherige Demarkationslinie zwischen Ost- und Westdeutschland als Grenze zu betrachten, deren militärischer Schutz zu verstärken sei. Und schließlich verlangt Stalin den forcierten Ausbau sozialistischer Strukturen in der Industrie ("Volkseigene Betriebe") und vor allem in der Landwirtschaft ("Produktionsgenossenschaften").
II. SED-Parteikonferenz in Ost-Berlin, 9.-12. Juli 1952
Schon unmittelbar nach ihrer Rückkehr beginnt die SED-Führung die Moskauer "Empfehlungen" umzusetzen. Unter lang anhaltendem Beifall der Delegierten und Hochrufen auf das SED-Zentralkomitee wird schließlich auf der II. SED-Parteikonferenz vom »9.-12. Juli 1952« der planmäßige "Aufbau des Sozialismus" zur "grundlegenden Aufgabe" erklärt. Dies entspreche dem "Willen der Volksmassen". Die deutsche Einheit soll es nur unter sozialistischem Vorzeichen geben – und unter Führung der SED: "Der Sturz des Bonner Vasallenregimes ist die Voraussetzung für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands."
Aber wir hatten Helden am 17. Juni. Das waren die russischen Soldaten, die sich damals geweigert haben, auf uns streikende Arbeiter zu schießen. 41 von ihnen wurden dafür standrechtlich erschossen.
Kapitel 7: Der 17. Juni & Flucht nach Berlin
Dann kam es zu den Ereignissen um den 17. Juni 1953. Ich hatte schon erwähnt, daß die Bevölkerung immer selbstbewußter und das System immer unsicherer wurde. Für uns lag schon seit Wochen etwas in der Luft, wenn auch die Ereignisse am 17. Juni in ihrer dramatischen Wucht doch unerwartet kamen. Am 16. Juni abends hörten wir zu Hause im Radio von den Ereignissen in Berlin, vom Marsch der Hennigsdorfer Stahlarbeiter und den sich anschließenden Demonstrationen. Wir waren wie elektrisiert. Die Telefone gingen, um die Lage zu besprechen, ohne daß wir aber zu konkreten Entscheidungen kamen. Am nächsten Morgen suchte ich von der Kanzlei aus politische Freunde auf, um unser Vorgehen zu besprechen. Vorher hatten mich von den umliegenden Dörfern aus Bauern angerufen, die ebenfalls Richtlinien für Aktionen haben wollten. Wir vereinbarten, daß die Bauern zusammengetrommelt werden sollten, um mit ihren Traktoren am Holzmarkt in Jena aufzumarschieren.
Das hatte ich aber nicht erwartet: Als ich auf dem Rückweg zu meiner Kanzlei am Holzmarkt war, um die vorbereiteten Aktionen abzuwarten, kamen bereits lange Demonstrationszüge der Zeisswerke, der Schottwerke, voran die Professoren so wie das Reichsbahnausbesserungswerk. Alles strömte auf dem Holzmarkt zusammen, die Dinge nahmen ihren Lauf. Es wurden Reden gehalten, aber nichts war vorbereitet oder organisiert. Ich schreibe heute, am 17. Juni 1996, aber die Ereignisse von damals stehen mir wie gestern vor den Augen. Ich berichte nur, was ich selbst miterlebt habe. Die Masse setzte sich nunmehr zum Gerichtsgefängnis und zum Amtsgericht in Bewegung. Unterwegs wurde noch das Haus des FDGB, in der Nähe des Johannistores gestürmt. Vor dem Gefängnis erschien ein Mannschaftswagen mit Volkspolizei. Die Polizisten wurden heruntergezogen, sie zogen zum großen Teil freiwillig ihre Uniformen aus, die dann durch die Menge flogen. Der Einsatzwagen wurde umgekippt.
Dann war plötzlich ein langer Rammbock da, mit dem das Tor zum Gefängnis aufgebrochen wurde. Aus den umliegenden Häusern, die von Rotarmisten belegt waren, schauten die Russen verwundert und interessiert dem Treiben zu, ohne einzugreifen, da offensichtlich ein Eingreifbefehl noch nicht vorlag, denn die Ereignisse kamen auch für die Besatzungsmacht zu unerwartet. Im Gefängnis leisteten die Justizbeamten keinerlei Widerstand und gaben freiwillig die Schlüssel zu den Zellentüren heraus.
Die Gefangenen, alle aus politischen bzw. wirtschaftspolitischen Gründen inhaftiert, wurden im Triumphzug herausgetragen. Sie wurden mit Blumen empfangen. Woher die so plötzlich kamen war mir unerklärlich. Es handelte sich fast ausschließlich um Mandanten, die ich verteidigt oder noch zu verteidigen hatte. Sie erkannten mich und fragten, was sie nun tun sollten. Ich war mir auch nicht im Klaren, wie die Dinge weiterlaufen würden und empfahl ihnen, sich zunächst in Sicherheit zu bringen und von der Bildfläche zu verschwinden. Anschließend wurde noch das Gefängnis des Staatssicherheitsdienstes gestürmt und die dort vegetierenden Häftlinge befreit. Dabei war ich aber selbst nicht anwesend. Ich zog mich in meine Kanzlei zurück, wo ich mit einigen Männern, die mir politisch vertraut waren, beriet, wie der Verlauf der Dinge gelenkt werden könne.
Ari@D187 hat geschrieben:Durch den Lauf der Geschichte waren die Russen anwesend und vertraten ihre Interessen.
Die Hauptforderungen der "Demonstranten" waren größtenteils völlig unrealistisch.
Ari
Volker Zottmann hat geschrieben:Ari@D187 hat geschrieben:Durch den Lauf der Geschichte waren die Russen anwesend und vertraten ihre Interessen.
Die Hauptforderungen der "Demonstranten" waren größtenteils völlig unrealistisch.
Ari
Was war denn unrealistisch?
Eher doch die irrsinnigen Einschnitte die der Ziegenbart dem Volk auferlegte. Die Normerhöhungen wurden ja im Nachhinein teilweise wieder runtergefahren.
Unrealistisch war doch viel mehr, dass die DDR von selbsternannten "Hobbypolitikern" zum Sprung am "Klassenfeind" vorbei gelenkt wurde. Dass der Sprung, des Überholens ohne Einzuholen ein 40-jähriger Rohrkrepierer wurde, ahnte damals keiner.
"Schuster bleib bei Deinen Leisten!" Diese Volksweisheit hätten die Hilfsgesellen und Lehrabbrecher mal beherzigen sollen, uns wäre viel erspart geblieben.
Gruß Volker
Volker Zottmann hat geschrieben:Ari@D187 hat geschrieben:Durch den Lauf der Geschichte waren die Russen anwesend und vertraten ihre Interessen.
Die Hauptforderungen der "Demonstranten" waren größtenteils völlig unrealistisch.
Ari
Was war denn unrealistisch?
Eher doch die irrsinnigen Einschnitte die der Ziegenbart dem Volk auferlegte. Die Normerhöhungen wurden ja im Nachhinein teilweise wieder runtergefahren.
[...]
Zurück zu Besondere Vorkommnisse
Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast