Die Berliner Morgenpost schrieb: "Auf ein Denkmal der sowjetischen Armee in Chemnitz (Karl-Marx-Stadt) ist in der Nacht vom 9. zum 10. März ein Sprengstoffanschlag verübt worden."
Allzuviel war nicht passiert - ein paar zerborstene Fensterscheiben, verstreute Metallsplitter. Am Denkmal selbst, einem Weltkriegspanzer vom Typ T-34, war die linke Kette abgeplatzt, außerdem hatte die Detonation eine rostige Laufrolle 50 Meter weit ins Gelände der Volkspolizei katapultiert. Es gab keine Verletzten.
Dennoch versetzte der Anschlag das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in höchste Aufregung: Eine solche Provokation war den Staatsschützern der DDR noch nie untergekommen.
Es handelte sich auch nicht um irgendeine Stadt, sondern um den politischen Stammsitz Erich Honeckers, in dem sich der SED-Chef alle fünf Jahre mit Traumergebnissen in die Volkskammer wählen ließ.
Mielkes Fahnder suchten den Panzersprenger monatelang vergebens. Der Minister tobte. Systematisch wurden alle Anwohner rund um das Denkmal ausgehorcht und verhört, jeder Wald der Umgebung wurde durchkämmt, jeder Verdächtige observiert. Der ehemalige Stasi-Oberstleutnant Eberhard Böttcher, 55, erinnert sich: "Wir waren Tag und Nacht im Einsatz, so eine Fahndungsmaßnahme hat es in der DDR sonst nie gegeben."
Erst fünf Monate nach der Tat konnte das MfS Erfolg melden: Am 18. August wurden der DDR-Bürger Josef Kneifel und seine Ehefrau Irmgard, wohnhaft in Niederlichtenau bei Karl-Marx-Stadt, verhaftet.
Damit begann ein brutaler Leidensweg durch den realsozialistischen Strafvollzug. Wie das SED-Regime mit Kneifel umsprang, ist selbst für die harten Gebräuche in ostdeutschen Knästen ungewöhnlich - und entlarvend für die Unmenschlichkeit des Systems. Kneifel war kein gefährlicher Opponent, sondern nur ein schwieriger Einzelgänger.
Bei seiner Festnahme half der Stasi die Technik. Irmgard Kneifel, von ihrem Mann in die Attentatspläne eingeweiht, hatte ihren Sohn aus erster Ehe ins Vertrauen gezogen. Der, engagierter Christ, erleichterte sein Gewissen bei einem Pfarrer in Karl-Marx-Stadt. Den trieb dieses Wissen ebenfalls um; unter vier Augen fragte er seinen Vorgesetzten, Superintendent Christof Magirius, ob er als Pfarrer strafbare Handlungen anzeigen müsse. Die Stasi hörte mit und übernahm die Sache.
Einen Gegner wie Josef Kneifel hatte die DDR nur einmal.
Dabei hatte der Dissident, Jahrgang 1942, als überzeugter Sozialist begonnen. Mit 17 fegt der Volkspolizeihelfer Kneifel durch sächsische Dörfer, um den Widerstand der Bauern gegen die Kollektivierung zu brechen. Aus glühender Überzeugung bewirbt er sich nach einer Fleischerlehre 1960 beim MfS-Wachregiment "Felix Dserschinski". Wegen einer Nierenschwäche wird er abgelehnt. Innerhalb von zwei Jahren wandelt er sich zu einem erbitterten Antikommunisten. Im Mai 1975 hält die MfS-Kreisdienststelle Karl-Marx-Stadt seine Übersiedlung für geboten.
Doch da ist es schon zu spät: Kneifel sitzt zum erstenmal in Haft.
Der Mann ist nach einigen forschen Äußerungen im Betrieb denunziert worden. Wegen "mehrfacher Staatsverleumdung in der Öffentlichkeit" muß er für zehn Monate in den Bau.
Den Kampf des eisernen Opponenten gegen den verhaßten Staat DDR dokumentiert die rund 8000 Seiten umfassende MfS-Akte des Mannes, der seit 1972 "operativ überwacht" worden ist, zunächst als "Vorgang 1000/68", später unter den Kodenamen "Zange" und "Panzer".
Daß Kneifel die Torturen überlebt, verdankt er nach eigener Einschätzung vor allem seiner Ehefrau. Irmgard Kneifel, die 1981 wegen "Nichtanzeigen einer Straftat" zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde und im berüchtigten Frauenknast Hoheneck einsaß, läßt sich auch durch ausgeklügelte "politisch-operative Maßnahmen (Deckname: ,Saturn'')" nicht beirren.
Beharrlich fordert sie bessere Haftbedingungen, beschwert sich beim DDR-Generalstaatsanwalt, spricht mit Kirchenleuten, wendet sich an Sowjetdiplomaten.
Die Stasi sieht zu und ärgert sich. Denn "die Aktivitäten der Kneifel" bewirken genau das, was zu verhindern Ziel aller Kontrolle war: Der Fall Kneifel wird bekannt.
Wie die Stasi den Fall Kneifel am liebsten gelöst hätte, steht in einem Vermerk über eine Dienstbesprechung im Zuchthaus Bautzen I: "Genosse Scherch äußerte sich sinngemäß, daß uns ein Exitus nur recht sein könnte, weil wir dann ein Problem weniger hätten."
Fortsetzung folgt.....