Das wohl einschneidenste Datum in der Zusammenarbeit zwischen dem MfS und der DS war der 13.8.1961. Im Sommer 1962 war ein rasanter Anstieg von versuchten und gelungenen Fluchten von DDR-Bürgern an den Grenzen Bulgariens mit Griechenland und der Türkei zu verzeichnen. Die „Abstimmung mit den Füßen“ durch die Ostdeutschen aufhalten, konnte das MfS oder die DS auch in Bulgarien nicht, denn die Gesamtzahl der Fluchtversuche blieb auf dem höchsten Niveau außerhalb Deutschlands.
Von nun an verlief die „verlängerte Mauer“ auch in Bulgarien. Bemerkenswert war dabei, dass die Fluchtbewegungen von DDR-Touristen, die die Gefahr der bulgarischen Grenzen wohl irrtümlich stark unterschätzten, für die DS und die bulgarischen Grenztruppen weniger Auswirkungen hatten als für das MfS. Die „Mauer“ an Bulgariens Grenzen stand nämlich schon seit spätestens 1953, als per Erlass des Innenministers ein Schießbefehl an der Staatsgrenze angeordnet wurde. Dieser hatte bis in die 90er Jahre Bestand und kostete, laut Schätzungen des Innenministers Dimitar Ludzhev von 1992, mindestens 339 Menschen das Leben, darunter mindestens 20 Bürger der DDR.
Darüber hinaus wurden über die Jahre hunderte bulgarische und ost-deutsche Bürger bei dem Versuch, die Grenze in den Westen zu überqueren, verletzt, gefangen, gefoltert und wegen „Republikflucht“ oder „Landesverrat“ jahrelang eingesperrt. Hierfür wurde über die Jahre ein perfides System aus Spitzeln in den Touristen- und Grenzgebieten, Grenzstreifen, Signalgrenzzäunen und dichter Überwachung durch Grenzsoldaten etabliert. Die Stasi trug dazu durch die Entsendung ihrer eigenen Operativgruppe bei, die zunächst nur saisonal in Varna, später auch in Burgas und ganzjährig in Sofia arbeitete. Mit sich brachten sie ein dichtes Netz aus sog. „Reise-IM“, die Fluchtsignale rechtzeitig melden sollten; Beobachtungsgruppen wurden getarnt auf Zeltplätzen untergebracht und jährliche Absprachen der zuständigen Abteilungen im Frühjahr sollte die Zusammenarbeit verbessern. Wie in andere Länder auch, so exportierte die Stasi sogar die MfS-eigenen Passabfertigungskabinen nach Bulgarien, um die Bruderländer mit derselben Technik wie die Grenzübergangsstellen der DDR auszurüsten.
In den 1970er Jahren tat sich eine der Chimären auf, an denen die kommunistischen Staatssicherheitsdienste letztlich zerbrechen sollten. Ihrer Konzeption nach als Kinder des Kalten Krieges stalinistischer Prägung, interpretierten KGB, MfS und DS die Entspannungspolitik und das „politische Tauwetter“ als neuen Versuch der „politisch-ideologischen Diversion“ des Westens.
Hinter der Friedens- und Annährungsrhetorik meinte man stets neue Maßnahmen zur ideologischen Zersetzung der sozialistischen Gemeinschaft erkennen zu können. So waren es gerade die „langen 70er Jahre“ nach dem Prager Frühling, in denen es die Staatssicherheitsdienste mit Dissidenten zu tun hatten, von denen Al. Solschenizyn, Wolf Biermann oder Georgi Markov nur die spektakulärsten waren. Obgleich die Repressionsapparate in vielfältigster Weise darauf reagierten und vor keinem Mittel zurückschreckten, war hierbei keine klare Linie zu erkennen. Dies galt auch für die Zusammenarbeit der Stasi mit der bulgarischen DS. Spätestens seit 1968 war die sog. „politisch-ideologische Diversion“ ein Dauerthema des Erfahrungsaustauschs zwischen den ost-deutschen und bulgarischen Genossen.
Der Fall Petar Semerdzhiev
Die „Entlarvung“ der „ideologischen Diversion“ des Westens wurde im Zuge der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki 1975 zu einer immer wichtigeren Aufgabe der Aufklärungsdienste des Ostblocks. Auch die dafür zuständigen Abteilung X der HV A des MfS und Abteilung VIII der PGU-DS entdeckten hier ihre gemeinsamen Interessen. Wie Arbeitspläne der Abteilungen belegen, wurden spätestens seit 1966/67 gemeinsame „aktive Maßnahmen“ geplant und durchgeführt. Selbige stellten oftmals unter hohem Aufwand ausgearbeitete Desinformations-, Falschmeldungs- und getarnte Propagandaaktionen dar, die auf „weiche“ Einflussnahme auf die öffentliche Meinung abzielte. Ein besonders unappetitliches und perfides Beispiel für die Zusammenarbeit der Stasi mit der DS auf diesem Gebiet zur Diskreditierung bietet der Fall Petar Semerdzhiev.
Semerdzhiev, ein den stalinistischen Säuberungswellen zum Opfer gefallener Anwärter auf eine Mitgliedschaft im ZK der BKP, wurde nach seiner Emigration zu einem der aktivsten und bekanntesten bulgarischen Dissidenten. Vor allem über Radio Free Europe verbreite er für die bulgarischen Kommunisten unerträgliche Angriffe, die sich nicht zuletzt gegen die Person Todor Zhivkovs persönlich richteten. Zusammen mit dem anderen großen Dissidenten, Georgi Markov, wollte er sogar eine von der offiziellen Darstellung abweichende Biographie des Generalsekretärs und Staatsoberhaupts herausgeben. Dafür war im von der Auslandsaufklärung der bulgarischen Staatssicherheit auch ein ähnliches Schicksal wie dem 1978 in London ermordeten Markov angedacht worden. Einzig seine gute Abschirmung im Exil in Jerusalem und seine persönliche Vorsicht machten den Liquidierungsplänen der DS einen Strich durch die Rechnung.
Bei den Genossen von der Abteilung X der HV A in Ost-Berlin ließ man anfragen, ob es möglich sei, ein Dokument zu fälschen, dass eine Spitzeltätigkeit Semerdzhievs für die Gestapo, SS oder eine andere nazistische Spezialeinheit während seiner Internierungszeit im Lager in den 40er Jahren beweisen sollte. Gefälschte Nazi-Dokumente, wie auch z.B. der Fall von Bundespräsident Lübke beweist, waren eine Spezialität des MfS. Auch in diesem Fall gelang es den Spezialisten des MfS ein angebliches Schreiben des Reichssicherheitshauptamtes zu fälschen, in dem von einem Spitzel der berüchtigten bulgarischen Geheimpolizei namens Petar Semerdzhiev berichtet wird, der nicht nur bereit sei, mit der Gestapo zusammenzuarbeiten, sondern auch selbst durch seine Informationen bei Suche und Liquidierung von Juden geholfen habe. Den Höhepunkt bildete dabei der Einschub, Semerzhdiev habe sich auf Anweisung der Geheimpolizei an seine spätere Ehefrau angenähert, um Vertrauen in jüdischen Kreisen zu gewinnen.
Den Inhalt des Dokuments hatten dabei weitestgehend die bulgarischen Genossen ausgearbeitet, die Form hingegen das MfS. Das Dokument erschien zusammen mit einem feindseligen Artikel in der französischen Tageszeitung Le Mond im Sommer 1976, wobei bislang unklar ist, welcher Dienst dort seine Agenten hatte. Doch die erhoffte Reaktion blieb aus, weder offizielle israelische Stellen noch die Mitstreiter Semerdzhievs wandten sich von ihm ab.
Das Beeindruckend-Verstörende an dem Beispiel P.Semerdzhievs ist wohl nicht zuletzt die offensichtliche Skrupellosigkeit der Staatssicherheitsdienste, ein Opfer und Lagerinsasse als Täter und Nazi-Kollaborateur darzustellen. Weitere Beispiele aus den 70er Jahren zeigen ebenso, dass gerade die Stasi gewillt war, Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit für ihre Interessen zu fördern. Auch vor der Verbreitung von Flugblättern mit fremdenfeindlichem Gedankengut schreckte man nicht zurück, wie die Operation „AM Rigas“ aus dem Jahre 1974 belegt.
Fortsetzung folgt......