Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Alles zum Thema Geheimdienste und Sicherheit in der DDR und in der BRD

Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Grenzgänger » 17. Februar 2022, 18:44

Ein Bahnhof als Tummelplatz der Spione

Grenzpolizisten am Bahnhof KK.jpg


Wer heute auf dem Bahnhof Küstrin-Kietz, den letzten Haltepunkt auf der deutschen Seite, unmittelbar an der polnischen Grenze gelegen, ahnt zumeist nicht einmal, dass er sich auf einem der einst wichtigsten Grenzbahnhöfe an der Ostgrenze der ehemaligen DDR befindet. Noch weniger ahnt der Besucher, dass sich hier auf diesem Bahnhof einst verschiedene Geheimdienste tummelten. CIA, KGB, Organisation Gehlen und deren Nachfolger, der Bundesnachrichtendienst. Kurz BND. Und natürlich das Ministerium für Staatssicherheit.
Was haben denn die ganzen Dienste auf diesem popligen Bahnhof gesucht? Was gab es denn hier zu spionieren? Du willst uns doch hier nur die Taschen vollhauen, mein lieber Uwe!
Mitnichten! Um die Geschichte zu verstehen, muss man sie von Anfang an erzählen. Gut, ganz so weit möchte ich nun doch wieder nicht ausholen. Aber ein Rückblick in die unmittelbare Nachkriegszeit ist dennoch unumgänglich.

Das Ende des Zweiten Weltkriegs hatte der Landschaft an der Oder nicht nur Leid und Tod, sondern auch jede Menge strukturelle Veränderungen gebracht. Die „Verschiebung“ der polnischen Westgrenze bis in die Mitte von Oder und Neiße, hatte nicht nur zwei in Jahrhunderten zusammengewachsene Regionen, die Kurmark und die Neumark, voneinander getrennt und vielen tausend Deutschen und Polen den Verlust der Heimat gebracht, sondern auch zu völlig anderen Neuheiten gesorgt. Zum Beispiel für eine bislang ungeahnte strategische Bedeutung des bislang eher relativ unbedeutenden früheren Stadtteils Küstrin-Kietz. Und dem sich dort befindlichen, nicht minder unbedeutenden Vorstadt-Bahnhof.

Nun war aus dem Stadtteil der nun mehr „geteilten“ Stadt Küstrin, die in alter Form nicht mehr existierte, ein formal eigenständiger Grenzort geworden. Und aus dem unbedeutenden Vorstadt-Bahnhof ein Grenzbahnhof. Gelegen an einer Strecke, die Berlin mit Königsberg im fernen Ostpreußen befand. Das Gebiet um Königsberg gehörte seit 1945, als Exklave, zur Sowjetunion. Und die Gegend zwischen Oder und Elbe zum „Sowjetischen Sektor“, der späteren Deutschen Demokratischen Republik. Die sowjetische Führung konnte über diese Bahnlinie, via Polen, fortan Güter -und Militärtransporte von einem Teil ihres neuen Herrschaftsgebiets in den anderen rollen lassen. Der Bahnhof Küstrin-Kietz, obwohl wie der gesamte Ort in Trümmern liegend, entwickelte sich rasch zu einem wichtigen Umschlagplatz für den besagten grenzüberschreitenden Güter -und Militärverkehr. Wozu in den ersten Jahren auch Transporte mit so genannten Reparationsgütern gehörten.
Die einstige Harmonie der Siegermächte, falls es sie in der Realität, außerhalb der großen Politik, je gegeben hat, hielt jedoch nicht lange an. Bald entwickelte sich in Europa ein so genannter „Kalter Krieg“, der durchaus verdammt „heiß werden konnte.“ Damit schlug die Stunde der Geheimdienste. Ihnen fiel die Aufgabe zu, möglichst viele Informationen über die Aktivitäten des jeweiligen Gegners einzuholen. Um dessen Absichten zu erraten und im Fall eines Falles, verhindern oder bekämpfen zu können.


Zu den Schwerpunkten der vor allem in den Westsektoren Berlins bzw. Westberlin residierten westlichen Geheimdiensten, darunter die US-amerikanische Central Intelligence Agency, besser bekannt unter dem Kürzel CIA. Zu den besonderen Interessengebieten dieses berühmten, aus diversen Spielfilmen und Romanen – vermeintlich – bekannten Geheimdienstes, gehörte auch die besagte Bahnlinie zwischen Berlin und Küstrin-Kietz. Und auch darüber hinaus bis an ihren Endpunkt im sowjetischen Kaliningrad, wie Königsberg seit 1945 offiziell hieß. Um an die hochwichtigen Informationen zu gelangen, benötigte die CIA, wie andere Geheimdienste beiderseits der „Frontlinie des Kalten Krieges“ auch, Helfer. Die für ihre Auftraggeber vor Ort Augen und Ohren offenhielten. Und -was diesen Leuten zumeist verschwiegen wurde – für diese im Fall einer Entdeckung den Kopf hinhalten mussten. Nicht selten im wahrsten Sinn des Wortes.

Ihre Tätigkeit hatte nichts mit dem Actionbeladenen Abenteuerleben eines James Bond zu tun. Im Osten wie im Westen! Sie waren im Prinzip „austauschbare Werkzeuge“, deren Verlust zwar bedauert aber zumeist kommentarlos hingenommen wurde. Das mussten unter anderem sieben Eisenbahner vom Bahnhof Küstrin-Kietz erfahren, die dort jahrelang die CIA mit detaillierten Informationen versorgten. Diese Informationen beinhalteten nicht nur Meldungen über Transporte. Sondern auch sämtliche Veränderungen rund um den Bahnhof. Der ab 1951 sukzessive eine erhebliche Erweiterung der Gleisanlagen, der technischen Anlagen und der Gebäude erfuhr. Jede diesbezügliche Aktivität, inklusive aussagefähiger Skizzen oder Kopien von Originalunterlagen, landeten wenig später in der Zentrale der CIA in Langley, unweit von Washington.
Hätte Erich Mielke einen Blick in die im Jahr 2017 für die Öffentlichkeit freigegebenen, in der Zeit des „Kalten Krieges“ angelegten Dokumente werfen können, wäre er wohl über den Wissensstand der Amerikaner über verschiedene Objekte in der DDR, wie eben auch den Grenzbahnhof Küstrin-Kietz (ab 1954 nur noch Kietz), mehr als zornig geworden. Die Dokumente stellen aber auch, vor allem für einen lokalen Hobbyhistoriker wie mich, einen unschätzbaren Wert dar. Kaum jemand weiß beispielsweise heute noch, wann das Empfangsgebäude des Bahnhofs wiederaufgebaut und eingeweiht wurde. Wenn, ja wenn die sieben später verhafteten und zu hohen Zuchthausstrafen verurteilten Eisenbahner, nicht so fleißig Nachrichten für die CIA gesammelt hätten.

Wie diese Information über den geplanten Beginn der Arbeiten zur Erweiterung des Bahnhofs:
Am 6. Dezember 1950 erschien eine Kommission, bestehend aus sowjetischen Soldaten (und einem polnischen Zivilisten aus Warschau, auf dem Bahnhof Küstrin-Kietz.
Dem deutschen Bahnhofsvorsteher wurde mitgeteilt, dass der Bau der neuen Gleisanschlüsse in Küstrin-Kietz geplant sei. Nach dem Inspizieren versammelte einer der sowjetischen Offiziere das deutsche Stationspersonal und notierte die Namen aller Mitarbeiter mit familiären Beziehungen zur Bundesrepublik oder andere westliche Länder. Am nächsten Tag begann die Arbeit unter der Aufsicht des polnischen Zivilisten. Eigentlich war geplant, die neuen Gleise am Bahnhof Küstrin-Kietz zu bauen, den Bahnhof Küstrin-Altstadt zu reaktivieren und die Oderbrücke um 2 Meter zu erhöhen.
Das im Frühjahr 1945 vollständig zerstörte Installationsgebäude des Bahnhofs Küstrin-Kietz wurde auf Kosten von 150000 Ostmark rekonstruiert. Das Gebäude wurde am 28. Dezember 1950 in Betrieb genommen. Die deutschen Zollbeamten bewohnen ein Haus, das vom Bahnhofs- Gebäude abgetrennt ist.
Die Vermessung für den Umbau des Bahnhofs zum Grenzübergang wurde von Mitarbeitern aus Frankfurt (Oder), des Eisenbahnamts und der Berliner Eisenbahnzentrale durchgeführt. Nach Angaben des Stationsmeisters wären umfangreiche Aushubarbeiten für den Bau neuer Gleise erforderlich. Die Kosten des Projekts sollen sich auf 2000000 Ostmark belaufen. Anfang Februar 1951 wurden die im Zusammenhang mit dem Projekt abzutragenden Gebäude von Vertretern der Eisenbahnverwaltung inspiziert.
Die Arbeiten an dem Projekt sollen am 1. März 1951 mit zunächst 500 bis 700 Mitarbeitern beginnen, die später auf 2000 erhöht werden sollen. Es wurden keine Vorbereitungen für die Ausführung der Arbeiten getroffen.
Am 9. und 13. Februar 1951 wurde bekannt, dass für den Bahnhof Küstrin-Kietz der Bau umfangreicher neuer Gleise geplant ist. Der Bau soll 1951 abgeschlossen sein.

Wird fortgesetzt

Uwe
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Grenzgänger » 17. Februar 2022, 18:59

[/attachment][/attachment]
Eisenbahnverkehr durch den Bahnhof Kietz.pdf
Originale Einblicke

Bau von Laderampe 17071951.pdf

Verladerampe (FILEminimizer).JPG


Installation des Bahnhofs Kietz.pdf


Beginn umfangreicher Arbeiten auf dem Bahnhof Küstrin-Kietz April 1955.pdf


Bau des Bahnhofsgebäudes 2 (FILEminimizer).JPG


Bahnhof Kietz (FILEminimizer).jpg


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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Grenzgänger » 17. Februar 2022, 19:14

Fortsetzung

Acht Schwerlastzüge.jpg


Über die Motive der Eisenbahner, bei denen es sich um völlig normale, durchschnittliche Familienväter handelte., kann man heute nur spekulieren. Manche unterstellen ihnen Abenteuerlust. Andere gar „finanzielle Interessen.“ Meiner Meinung dürfte die übergroße Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen, den neuen Realitäten an der Oder und nicht zuletzt auch eine Abneigung gegen die überwiegend als Besatzer wahrgenommenen „Russen“, eine nicht unwesentliche Rolle bei dem Entschluss sich auf die gefährliche Tätigkeit eines „Geheimagenten“ einzulassen. Angeworben wurden die künftigen „Mitarbeiter“, zumeist bei Besuchen in Westberlin. Von gezielt nach geeigneten Kandidaten Ausschau haltenden, speziell ausgebildeten Werbern.
Echte Geheimdienstexperten – ich bin natürlich keiner – weisen in ihren Untersuchungen auf die unzureichende Ausbildung der Agenten hin. Was, zumindest in einigen Fällen, auch auf die „CIA-Eisenbahner“ auf dem Bahnhof Kietz zutraf. Ihr unvorsichtiges, alles andere als professionelles Verhalten bescherte der noch jungen Staatssicherheit schnell die ersten Erfolge. So wird beispielsweise von einem Eisenbahner berichtet, der seine Spezialkamera in einer Lampe auf dem Schreibtisch seines Büros, versteckte. Dieses Versteck blieb einem Vorgesetzten nicht lange verborgen, was für den ertappten Eisenbahner fatale Folgen hatte.
Wie rasch ein Eisenbahner, selbst wenn er mit Spionage nichts am Hut hatte, durch „verdächtiges Verhalten“ in das Visier der Staatssicherheit geraten konnte, zeigt dieser Bericht eines als „Geheimer Informator“ des MfS tätigen Lokführers aus dem Jahr 1961:
Meine Beobachtungen wurden besonders darauf gerichtet, dass wenn ich von Polen mit einem Zug einfahre, ob jemand vom Stellwerk B 5 den Zug mit einem Fernglas beobachtet.
Am Sonntag den 30.07. 1961 stellte ich fest, wie der (im Original geschwärzt) mit dem Fernglas unseren Zug vom Stellwerk B 5 beobachtete.
Wir kamen mit dem Zug von Polen und brachten einen bunten Zug von der Übergabe nach Kietz. Ich beobachte dies von der Lok aus.
Die Staatssicherheit leitete gegen den Stellwerker, der zudem durch „negative Diskussionen“ aufgefallen war, sofort verdeckte Ermittlungen ein. Zusätzlich wurde der bestehende Verdacht noch durch den Umstand verstärkt, dass seinerzeit Ferngläser zu den teuren Luxusgütern zählten.

An dieser Stelle sollte aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass die Spionageabwehr des MfS auf dem Grenzbahnhof Kietz eine erste Niederlage einstecken musste, verantwortlich für diese Schlappe, die weniger der Unerfahrenheit der Staatssicherheit als dem Kompetenzgerangel zwischen KGB und MfS geschuldet war, allerdings kein Agent der CIA, sondern ein „Kollege“ der „Organisation Gehlen“, Namens Krüger. Dieser leitete nicht nur das Zollamt Kietz, direkt neben den Gleisanlagen, er stand auch im Dienste Gehlens und des KGB. Und darüber hinaus auch in denen des Westberliner Verfassungsschutzes. Krüger hatte auch seine Ehefrau, die als Funkerin vorgesehen war und die gemeinsame Tochter in die Spionageaktionen eingespannt, Die beiden Frauen brachten als Kuriere die von Krüger gesammelten Nachrichten über die Sektorengrenze nach Westberlin. Doch die Staatssicherheit kam der Kietzer „Agentenfamilie“ bald auf die Schliche. Als sie Krüger verhaften wollte, musste dieses, den damaligen Regularien zufolge, erst vom KGB genehmigen lassen. Da Krüger jedoch in deren Sold stand, wurde der Staatssicherheit der Zugriff untersagt. Erst nach der Vorlage weiterer Beweise ließen sich die „Russen“ überzeugen. Da war Krüger, der von wem auch immer, einen warnenden Anruf erhalten haben soll, schon längst am Bahnhof Kietz in den nächsten Zug nach Berlin gestiegen und von dort aus in den „Westen“ geflüchtet. Anders als Ehefrau und Tochter, die im Gefängnis landeten.
Aus den Unterlagen der CIA geht weiter hervor, dass die „Organisation Gehlen“ den Bahnhof Kietz zu einer Operationsbasis für Spionageaktivitäten im Nachbarland Polen „ausbauen“ wollte. Als Schlüsselfiguren fungierten dabei ein auf dem Grenzbahnhof arbeitender Dolmetscher für die polnische und russische Sprache, der die eigentlich verschlossene Grenze jederzeit überqueren konnte, dessen Ehefrau und ein im Ort ansässiger Fischer. Während die Ehefrau, analog wie im Fall Krüger, als Funkerin und Kurier Verwendung fand, agierte der Fischer als Schleuser. Mittels eines seinem Bruder, der ebenfalls als Fischer arbeitete, gehörenden Kahns, setzte dieser Agenten über die Oder und damit über die Staatsgrenze, nach Polen. Für den gefahrvollen Job erhielt der Fischer eine Vergütung von 70 Mark. Was damals, Anfang der Fünfziger Jahre, verdammt viel Geld gewesen ist.

wird fortgesetzt

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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Icke46 » 17. Februar 2022, 22:12

Hallo, Uwe,

Wie immer eine interessante Darstellung. Meine Frage: Gibt es denn alte Übersichtsforos, die einen Eindruck von dem Grenzbahnhof in seiner Blütezeit vermitteln? Denn bei dem Eindruck, den der Bahnhof Küstrin-Kietz heute vermittelt, ist das wirklich schwer vorstellbar.

Ich hatte ja bisher einmal das Vergnügen da durchzufahren auf dem Weg von Berlin-Lichtenberg nach Pompeji, und der Eindruck war da eher: warum hält der Zug jetzt mitten in der Pampa [grins] ?

Na, mal schauen, möglicherweise fahre ich noch mal dort lang, und sei es nur, um mein Devisenlager abzubauen [laugh] . Polnische Zloty, Schweizer Franken und britische Pfund müssen weg - wird vermutlich dann mein erster Einsatz als Rentner sein. Wobei ich wohl mit den Franken anfangen werde, weil die am schnellsten weg sind - ein Hamburger in meinem Zielort 28 Franken - ist doch günstig. Aber das nur nebenbei.
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Grenzgänger » 18. Februar 2022, 16:59

Ein paar Eckdaten zum ehemaligen Grenzbahnhof Kietz

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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon steffen52 » 18. Februar 2022, 17:19

Grenzgänger hat geschrieben:Ein paar Eckdaten zum ehemaligen Grenzbahnhof Kietz

https://www.youtube.com/watch?v=6o7OtgoUYX4

Uwe, kann man nicht öffnen. [frown]
Gruß steffen52
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon augenzeuge » 18. Februar 2022, 17:30

steffen52 hat geschrieben:
Grenzgänger hat geschrieben:Ein paar Eckdaten zum ehemaligen Grenzbahnhof Kietz

https://www.youtube.com/watch?v=6o7OtgoUYX4

Uwe, kann man nicht öffnen. [frown]
Gruß steffen52


Aber jetzt! [grins]
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Grenzgänger » 18. Februar 2022, 17:52

Dankeschön Jörg [rose] [rose]

Viele Grüße
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Grenzgänger » 18. Februar 2022, 18:41

Die Passkontrolle im Einsatz gegen Spione

_DSC8937 (FILEminimizer).JPG


Am Grenzbahnhof Kietz waren bis 1972 auch Passkontrolleure stationiert. Diese Aufgabe wurde bis 1962 von der „Deutschen Grenzpolizei“ wahrgenommen. Nach dem Mauerbau ging dieser Aufgabenbereich an die Staatssicherheit. Zunächst agierte die zur Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Frankfurt (Oder) gehörende Passkontrolleinheit unter der Bezeichnung „Abteilung Passkontrolle & Fahndung“, aus der die Hauptabteilung VI hervor ging.
Die Passkontrolle zog 1972, nach der Bildung des Grenzgemeinschaftsbahnhofs Kostrzyn, zusammen mit dem Zoll, einem Teil der Eisenbahner und der Transportfirma DEUTRANS, auf das andere Ufer der Oder, nach Polen um.
Der Bahnhof Kietz blieb dennoch weiter ein bedeutender Umschlagplatz für den Güter -und Militärverkehr.
Die Passkontrolle war nur eine von mehreren Aufgaben der PKE-Leute am Grenzbahnhof Kietz. Wie diese Dokumente zeigen, wurden die Männer der Einheit auch zur Spionageabwehr im Rahmen von Militärtransporten, eingesetzt.
Verladung Bahnhof (FILEminimizer) (2).jpg


Verladung Bahnhof II (FILEminimizer) (2).jpg


Diese und weitere Dokumente zeigen das Zusammenspiel der einzelnen MfS-Abteilungen rund um den Grenzbahnhof. Den Hauptanteil bei der "Sicherung" des Bahnhofs leistete die Abteilung XIX (Sicherung des Verkehrswesens" der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Frankfurt (Oder). Um den Bahnhof kümmerten sich weiterhin die Spionageabwehr ( Abteilung II der Bezirksverwaltung Frankfurt (Oder) und die MfS-Kreisdienststelle Seelow.

Wird fortgesetzt

Gruß an alle
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Grenzgänger » 19. Februar 2022, 16:21



Und hier noch ein Video über den Grenzbahnhof Küstrin-Kietz. Die Aufnahmen sind mehr als historisch. Sie sind vor dreißig Jahren, anlässlich der Freigabe des grenzüberschreitenden Personenverkehrs nach Kostrzyn, entstanden. Zu sehen und zu hören ist unter anderem der ehemalige MP von Brandenburg, Manfred Stolpe.


Gruß an alle
Uwe

P.S. Ich bin zu dämlich, dass Video vernünftig einzubetten [peinlich] [peinlich]
Dafür hast du doch Leute. [grins] AZ
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Grenzgänger » 19. Februar 2022, 16:38

icke46 hat geschrieben:Hallo, Uwe,

Wie immer eine interessante Darstellung. Meine Frage: Gibt es denn alte Übersichtsforos, die einen Eindruck von dem Grenzbahnhof in seiner Blütezeit vermitteln? Denn bei dem Eindruck, den der Bahnhof Küstrin-Kietz heute vermittelt, ist das wirklich schwer vorstellbar.

Ich hatte ja bisher einmal das Vergnügen da durchzufahren auf dem Weg von Berlin-Lichtenberg nach Pompeji, und der Eindruck war da eher: warum hält der Zug jetzt mitten in der Pampa [grins] ?

Na, mal schauen, möglicherweise fahre ich noch mal dort lang, und sei es nur, um mein Devisenlager abzubauen [laugh] . Polnische Zloty, Schweizer Franken und britische Pfund müssen weg - wird vermutlich dann mein erster Einsatz als Rentner sein. Wobei ich wohl mit den Franken anfangen werde, weil die am schnellsten weg sind - ein Hamburger in meinem Zielort 28 Franken - ist doch günstig. Aber das nur nebenbei.


Hallo Kurt!
Alte Übersichtsfotos sind selten. Damals durfte dort eigentlich nicht fotografiert werden. In den beiden Videos kann man den ursprünglichen Bahnhof gut erkennen. Heute sieht das dort zum größten Teil völlig anders aus.
Verschwunden sind übrigens auch die Eisenbahnbrücken über den Vorflutkanal und die Oder. Die Brücken werden aber gegen neue und modernere Varianten ersetzt. Spätestens zum Ende des Jahres sollen die Arbeiten abgeschlossen und die Strecke nach Polen wieder freigegeben werden.

Gruß Uwe
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Grenzgänger » 21. Februar 2022, 16:46

Bahnhof 1965.jpg


Umbenennung 8 (FILEminimizer).jpg


Bahnhof 2022 (FILEminimizer).jpg


Hier sieht man die Veränderungen auf dem ehemaligen Grenzbahnhof recht deutlich,

Gruß an alle
Uwe
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon augenzeuge » 21. Februar 2022, 19:30

am 20.02. 2022

Top renoviert!! [super]
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Grenzgänger » 22. Februar 2022, 17:59

Fortsetzung

_DSC2662 (FILEminimizer)_LI (FILEminimizer).jpg


Auf dem Bahnhof Kostrzyn (bis 1945 Bahnhof Küstrin-Neustadt) fand ab 1972 die eigentliche Grenzabfertigung des Güter -und Militärverkehrs statt. Der Personenverkehr endete nach wie vor am Bahnhof Kietz. Dieser Zustand endet erst Ende Mai 1992, zwanzig Jahre nach der Eröffnung des Grenzgemeinschaftsbahnhofs Kostrzyn. DDR-Eisenbahner waren aber auch schon lange zuvor, gemeinsam mit ihren polnischen Kollegen, in Kostrzyn tätig, Zu diesen grenzüberschreitend wirkenden Eisenbahnern gehörten unter anderem die Mitglieder der Übergabebrigade und die Dolmetscher. Um das für den Auslandseinsatz bestimmte Personal zum Bahnhof Kostrzyn und wieder zurückzubringen, verkehrte mehrmals ein eigens für diesen Zweck von der Reichsbahn eingesetzter Pendelzug über die Grenze. Jeder einzelne Mitarbeiter war im Besitz spezieller Dokumente, ohne die weder ein Grenzübertritt noch der Aufenthalt in Polen möglich war.
Für die Kontrolle der Dokumente war die Passkontrolleinheit zuständig. Angesichts der Tatsache, dass sich sowohl die Mitfahrenden als auch die Kontrolleure zumeist seit vielen Jahren persönlich kannten, wohl keine allzu anspruchsvolle Aufgabe.

Kein Wunder, dass sich die Mitarbeiter der Passkontrolleinheit, wie auch die des Zolls, allgemein kein besonders hohes Ansehen unter den Eisenbahnern genossen. Während der, allgemein als lästig und überflüssig empfundenen Kontrollen, mussten sich die PKE-Leute zuweilen immer wieder abfällige Bemerkungen über ihre Tätigkeit anhören. Zum Beispiel „eure Tätigkeit ist doch nur etwas für Rentner“. Ein frisch ernannter Unterleutnant, der beim Betreten des Abteils die Bahner nicht mit dem entsprechenden Tagesgruß begrüßt hatte, wurde gefragt, „ob ihm der Unterleutnant zu Kopf gestiegen wäre?“ Und weiter: „Wenn du erst Leutnant geworden bist, dann bekommst du das Maul zum Grüßen überhaupt nicht mehr auf.“ Bei einer anderen Gelegenheit wurde dem „maulfaulen“ Offizier auch mal die Dienstmütze vom Kopf geschlagen.

Bei den Beschimpfungen der Angehörigen von PKE und Zoll, tat sich besonders ein Eisenbahner hervor, der als „IM“ für die Abteilung XIX im Einsatz war. Ob dieser daraus für sich eine gewisse „Narrenfreiheit ableitete“ oder ob er damit lediglich seine persönliche Meinung kundtun wollte, steht nicht fest. Fakt ist jedoch, dass sich die Mitarbeiter der PKE die verbalen Ausfälle des Eisenbahners nicht allzu lange gefallen ließen. Ohne freilich den IM-Hintergrund des „Störenfrieds“ zu kennen. Der Leiter der PKE-Diensteinheit fertigte eine entsprechende Beschwerde über den Eisenbahner, mit dem hauptsächlichem Ziel, diesem in Zukunft den Einsatz in Kostrzyn zu verwehren. Die Beschwerde landete auf dem Tisch des Leiters der Abteilung XIX der MfS-Bezirksverwaltung Frankfurt (Oder). Derselben Abteilung für die der unbotmäßige Eisenbahner „nebenberuflich arbeitete“.
Kurz danach fand in einer „Konspirativen Wohnung“ der Staatssicherheit eine heftige Aussprache zwischen dem zuständigen Führungsoffizier und dem IM statt. Dem Eisenbahner wurde erklärt, „dass sich aus seiner Tätigkeit für die Staatssicherheit keine Sonderrechte ergeben.“ Sollte er seine verächtlichen Bemerkungen gegenüber den Passkontrolleuren und den Zöllnern nicht unterlassen, drohte ihm der Führungsoffizier gar mit strafrechtlichen Konsequenzen. Dass das Ansehen von MfS-Angehörigen ausgerechnet von einem „Inoffiziellen Mitarbeiter“ untergraben wurde, konnte keineswegs hingenommen werden. Da half dem IM selbst seine sonstigen umfangreichen Aktivitäten für die Staatssicherheit nicht.

Zu den Aufgaben der PKE-Mitarbeiter, die erst nach der Öffnung der Akten bekannt wurden, gehörte das „Abschöpfen“ der Eisenbahner. So fand sich der Inhalt manch eines Gesprächs in den Unterlagen wieder. Selbst scheinbar harmlose Fragen fanden das Interesse der Staatssicherheit und konnten unter Umständen weitere Ermittlungen auslösen:
An einem Sommernachmittag des Jahres 1985 fuhr eine in Kietz wohnhafte Eisenbahnerin nach der Frühschicht mit dem Dienstpendel von Kostrzyn zurück nach Hause. Ihr gegenüber befand sich ein Oberfeldwebel der Passkontrolleinheit, Der Oberfeldwebel wohnte in Frankfurt (Oder), was der Frau bekannt war. „Sagen Sie mal, wo kann man denn in Frankfurt gut und preiswert essen gehen?“, erkundigte sich die Eisenbahnerin bei ihrem Gegenüber. „Wollen Sie sich mal was gutes gönnen?“, erwiderte der PKE-Mitarbeiter lächelnd. „Ja, dass auch. Aber der Grund besteht vielmehr darin, dass meine Verwandten aus Dortmund zu Besuch kommen. Denen kann ich ja schließlich nicht das Essen in unserer Dorfkneipe zumuten.“ Freundlich lächelnd nannte der junge Oberfeldwebel der arglosen Eisenbahnerin die Namen einiger Restaurants in der Bezirksstadt. Am nächsten Tag fertigte der Passkontrolleur einen Informationsbericht, über den im Gespräch offenbarten, „Westkontakt“ der Eisenbahnerin.
Ein anderer PKE-Mitarbeiter informierte seine Vorgesetzten darüber, dass in der Gemeinde Kietz „große Vorbehalte gegenüber im Rahmen einer Amnestie Haftentlassenen bestand.“ Vor allem, weil die Haftentlassenen mit Wohnraum versorgt werden sollten, während andere viele Jahre auf eine Wohnung warten mussten. In den Akten spiegelte sich auch das von der PKE festgestellte „verdächtige Verhalten“ eines Eisenbahners wider. Dieser hatte mehrfach, scheinbar unmotiviert, sein Dienstzimmer verlassen und „auffälliges Interesse“ für bereitstehende Militärtransporte gezeigt.

Wird fortgesetzt

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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon augenzeuge » 22. Februar 2022, 19:43

Dem Eisenbahner wurde erklärt, „dass sich aus seiner Tätigkeit für die Staatssicherheit keine Sonderrechte ergeben.“

Sehr schön! So ein Führungsoffizier hatte es ja auch nicht immer leicht. [flash] Was für minderbemitteltes Klientel alles IM wurde, erstaunlich.
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Gerd Böhmer » 22. Februar 2022, 20:54

Grenzgänger hat geschrieben:Ein Bahnhof als Tummelplatz der Spione

Grenzpolizisten am Bahnhof KK.

Uwe


Nabend,

Vielen Dank, habe den Beitrag einmal in das historische Forum von Drehscheibe-Online weitergeleitet. Im Jahr 1989 hatte ich erstmalig die Gelegenheit diesen Bahnhof zu besuchen - siehe unter Sonderfahrt nach Kietz am 19. August 1989.
In den Jahren zwischen 2006 und 2008 wurde der Verkehr von und nach Polen wegen umfangreicher Bauarbeiten an der Oderbrücke in Frankfurt/Oder über Kietz umgeleitet.
MfG Gerd Böhmer,
Reichsbahninspektor aD
http://www.gerdboehmer-berlinereisenbahnarchiv.de
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Grenzgänger » 24. Februar 2022, 06:18

Gerd Böhmer hat geschrieben:
Grenzgänger hat geschrieben:Ein Bahnhof als Tummelplatz der Spione

Grenzpolizisten am Bahnhof KK.

Uwe


Nabend,

Vielen Dank, habe den Beitrag einmal in das historische Forum von Drehscheibe-Online weitergeleitet. Im Jahr 1989 hatte ich erstmalig die Gelegenheit diesen Bahnhof zu besuchen - siehe unter Sonderfahrt nach Kietz am 19. August 1989.
In den Jahren zwischen 2006 und 2008 wurde der Verkehr von und nach Polen wegen umfangreicher Bauarbeiten an der Oderbrücke in Frankfurt/Oder über Kietz umgeleitet.


Vielen Dank Gerd!
Ich werde die Beiträge in der nächsten Zeit fortsetzen. In meinem Privatarchiv "schlummern" noch etliche interessante Dinge, die (hoffentlich) auf Interesse stoßen werden. Zum Bahnhof (Küstrin)-Kietz forsche ich schon ein paar Jahre, da ist eine Menge zusammengekommen.

Viele Grüße
Uwe
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Grenzgänger » 24. Februar 2022, 06:27

augenzeuge hat geschrieben:
Dem Eisenbahner wurde erklärt, „dass sich aus seiner Tätigkeit für die Staatssicherheit keine Sonderrechte ergeben.“

Sehr schön! So ein Führungsoffizier hatte es ja auch nicht immer leicht. [flash] Was für minderbemitteltes Klientel alles IM wurde, erstaunlich.
AZ


Als "minderbemittelt" würde ich den Mann jetzt nicht bezeichnen. Eher als jemand, der auf seinen Vorteil bedacht war. Die Abneigung gegen die PKE-Männer und die Geringschätzig ihrer Tätigkeit war echt. Er war auch sehr westlich eingestellt, was nur auf dem ersten Blick ein Widerspruch zu seiner IM-Tätigkeit war.
Wie oben schon gesagt: Er hatte sich aus seinem "Nebenjob" Vorteile erhofft. Wobei die Hoffnung durchaus nicht immer enttäuscht wurde.

Gruß an alle
Uwe
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Grenzgänger » 3. März 2022, 16:07

Bevor es mit dem Grenzbahnhof weitergeht, möchte ich an dieser Stelle die folgende, sicherlich ebenfalls interessante Geschichte, die sich in unmittelbarer Nähe des Grenzbahnhofs abgespielt hat, vorstellen.


Die geheime Armee

Unmittelbar an der Oder, am äußersten östlichen Rand Deutschlands, kurz vor der das deutsche Küstrin-Kietz mit dem polnischen Kostrzyn verbindenden Grenzbrücke, befindet sich eine längst verlassene Kaserne. Das durch einen beschädigten, an den Seiten mehrfach untergrabenen Maschendrahtzaun nur notdürftig von der Außenwelt abgeschirmte, einstige militärische Areal wirkt traurig und öde. Durch die löchrigen Dächer der langsam aber sicher zerfallenden Gebäude, von deren Fassaden der graue Putz abblättert, wachsen mittlerweile sogar Bäume. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Häuser zusammenfallen. In Unkenntnis der gesamten komplexen Geschichte, wird das Gelände allzu oft als „Russenkaserne“ bezeichnet und damit auf deren letzte Nutzer reduziert. Dabei hat die um 1904 erbaute Kaserne schon viel mehr Uniformierte gesehen. Der Reigen reicht von der deutschen kaiserlichen Armee über das „Hunderttausend-Mann-Heer“ in der Weimarer Republik bis zur Wehrmacht und eben den erdbraun uniformierten Sowjetsoldaten. Jede einzelne dieser Einheiten hat ihre tiefen Spuren innerhalb und außerhalb der Kaserne hinterlassen. Wenn die Mauern der Gebäude reden könnten, dann hätten sie der Nachwelt von vielen Soldatenschicksalen zu berichten, die es wert sind aufgeschrieben und vor dem Vergessen bewahrt zu werden.
Eine Formation, die hier ihre Spuren hinterlassen hat, ist allerdings so gut wie unbekannt. Die Rede ist von der „1. Volkspolizei-Bereitschaft Brandenburg, Kategorie B“. Deren Geschichte begann am 10.Oktober 1949. An jenem Tag wurde die Einheit aus dem sächsischen Torgau an ihren neuen Standort, nach Küstrin-Kietz verlegt. Zu diesem Zeitpunkt firmierte die ca. 250 Mann starke Truppe noch unter der Bezeichnung III. Volkspolizei-Bereitschaft. Anders als die Bezeichnung annehmen lässt, handelt es sich bei diesen Bereitschaften jedoch keineswegs um Polizisten. Sondern um reine Militäreinheiten. Obwohl die noch junge „blutjunge“ DDR zu diesem Zeitpunkt offiziell noch keine Armee besaß, hatte man unter dem Deckmantel Volkspolizei-Bereitschaft, bereits sehr früh mit der Ausbildung und dem Aufbau von Streitkräften begonnen. Allgemein wird diese „getarnte Armee“ heute als „Kasernierte Volkspolizei“ bezeichnet. Diese besaß jedoch mit der „Hauptverwaltung Ausbildung“, abgekürzt HVA, einen ersten Vorläufer.
Die einzelnen Waffengattungen waren in Kategorien unterteilt. Der Buchstabe B hinter der Bezeichnung 1.Volkspolizei-Bereitschaft Brandenburg, wies Eingeweihte daraufhin, dass es sich dabei um eine Artillerieeinheit handelte. Während die Bevölkerung von Küstrin-Kietz die Männer zunächst für „normale Polizisten“ hielt.
Die Kaserne war in den Kämpfen um die Festung Küstrin, im Februar / März 1945, schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Während die Polizeisoldaten ihr Quartier bezogen, gingen die Reparatur und Sanierungsarbeiten an den beschädigten Gebäuden weiter. Für die Ausführung der Arbeiten war die „Märkische Bau-Union“ verantwortlich. Zwischen den Arbeitern und den uniformierten Bewohnern der Kaserne bestand von Anfang an ein eher gespanntes Verhältnis. Was auch auf das Verhältnis mit den Bewohnern von Küstrin-Kietz zutraf. Der Umstand, dass in dem fast zu hundert Prozent zerstörten Ort bevorzugt militärische Objekte wiedererbaut wurden, stieß allgemein auf tiefes Unverständnis.
Ende Oktober 1949 sollten die zunächst „stummen Spannungen“ zwischen den Angehörigen der VP-Bereitschaft und den Bauarbeitern schließlich in offene Aggressionen umschlagen. Eine technische Panne sorgte für die Enttarnung der „Polizeitruppe“: Eines Abends wurde die Kraftfahrzeugabteilung in Marsch gesetzt, um Bewaffnung, die sie eigentlich überhaupt nicht besitzen durften, im „Zentralen Auslieferungslager der HVA“, in Doberlugk-Kirchheim, in Empfang zu nehmen und nach Küstrin-Kietz zu transportieren.
Zu dieser Bewaffnung gehörten unter anderem leichte und schwere Feldhaubitzen aus den Beständen der früheren Wehrmacht und sowjetische Minenwerfer. Um den Transport vor „unbefugten Blicken“ geheim zu halten, sollte er in den Nachtstunden erfolgen. Nach den Berechnungen der Verantwortlichen würden die LKW in den frühen Morgenstunden, lange vor dem Eintreffen der ersten Bauarbeiter, wieder in der Kaserne sein. Hallen zum Verstecken der Geschütze, hatte der Vorgänger der VP-Bereitschaft, das 54. Neumärkische Feld-Artillerie-Regiment der Wehrmacht, ausreichend zurückgelassen.
Was nutzt jedoch der beste Plan, wenn etwas Ungeplantes dazwischenkommt? Beispielsweise eine Fahrzeugpanne. Auf dem Rückweg, irgendwo zwischen dem südlichen Brandenburg und Küstrin-Kietz, blieb eines der Transportfahrzeuge „liegen“. Der Schaden konnte zwar relativ schnell behoben, der straffe Zeitplan jedoch nicht mehr eingehalten werden. So kam es, dass die Fahrzeuge mit den Geschützen beinahe zeitgleich mit den ersten zur Arbeit erscheinenden Bauarbeitern den Kasernenhof befuhren. Wütend und aufgebracht umringten die fassungslosen Arbeiter die Polizisten. „Wollt ihr etwa wieder einen Krieg anfangen?“, mussten sich die jungen Männer fragen lassen. Am selben Tag brach in einem der sich im Bau befindlichen Kasernengebäude, im Bereich des Kohlenkellers, ein Feuer aus. Dass es sich dabei um eine vorsätzliche Brandstiftung handelte, lag auf der Hand. Der oder die Täter wurden in den Reihen der Bauarbeiter, aber auch unter den Polizisten vermutet. Bei den Untersuchungen tat sich, unter anderem, ein Politit-Kultur-Offizier der Einheit Namens Hans Carlsohn hervor. Dieser Carlsohn sollte es später noch zum General der Staatssicherheit bringen. In dieser Funktion leitete er bis zum Ende der DDR, das Vorzimmer des Ministers für Staatssicherheit, Erich Mielke. Hier in Küstrin-Kietz war dem General in spe allerdings kein Glück beschieden. Die Brandstiftung konnte nicht aufgeklärt werden.

wird fortgesetzt
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Grenzgänger » 3. März 2022, 16:08

Fortsetzung

Als „Graue Eminenz“ fungierte in der Einheit zu dieser Zeit ein sowjetischer Leutnant Namens Michailow. Ob er tatsächlich so hieß, ist mehr als fraglich. Der Offizier, der vermutlich dem sowjetischen Militärgeheimdienst GRU angehörte, übte in etwa jene Funktionen aus, die später in den DDR-Streitkräften von der Militärabwehr des MfS übernommen wurde.
Ein Zeitzeuge, mit dem ich persönlich sprechen konnte, schilderte Michailow wie folgt:

„Michailow trat zumeist in einer sowjetischen ´Leutnantsuniform auf. Michailow hatte sich schon nach einigen Wochen unbeliebt gemacht. Er übte sich darin, den Wachmannschaften des Kasernenobjektes „proletarische Wachsamkeit“ beizubringen, lauerte nachts in dem ja immer noch unübersichtlichen Gelände nachlässigen Wachposten auf, entriss ihnen den Karabiner 98 k und sorgte für drei Tage Arrest für den überraschten. Andererseits kümmerte er sich, wenn die auf der polnischen Seite nachts tätigen Streifensoldaten das Feuer auf die VP-Streifen unserer Kaserne am Oderufer eröffneten und diese stundenlange Deckung suchten. Michailow rannte dann über die Oderbrücke zur polnischen Seite und stauchte die dort tätigen Offiziere zusammen. Im Weiteren wurde immer deutlicher, dass Michailow ein Offizier des sowjetischen Sicherheitsapparates in der DDR gewesen ist.

Bei der Durchsicht der im Internet verfügbaren CIA-Unterlagen bin ich auch auf Dokumente über die Anwesenheit der 1.VP-Bereitschaft in Küstrin-Kietz gestoßen. Der CIA war auch die Person des Michailow, der als ca. dreiundzwanzig Jahre alt, schwarzhaarig und als Kirgise oder Kasache beschrieben wurde, sowie dessen Funktion als „V-Nuller“ bekannt.
Wie schon am Grenzbahnhof Küstrin-Kietz, stand dem US-amerikanischen Geheimdienst bis in die Mitte der Fünfziger Jahre, im Bereich der Kaserne ein engmaschiges Informationsnetz zur Verfügung. Obwohl von der CIA nicht explizit benannt, kann davon ausgegangen werden, dass ein Teil der Informanten aus den Reihen der „Märkischen Bau-Union“ stammte.
Wie es seiner Aufgabe entsprach, begann auch Leutnant Michailow innerhalb der Kaserne Informanten anzuwerben.
Lassen wir wieder unseren Zeitzeugen zu Wort kommen:
„An einem frühen Novemberabend bestellte mich Michailow in sein Dienstzimmer. Lobessprüche auf meine Person leiteten das Gespräch ein. Dann begann er mit typischen „Lagebeschreibungen“ des „Klassenkampfes“ und den erforderlichen Abwehrmaßnahmen des Sozialismus, wobei ich ihm zu helfen hätte. Detailliert sprach er von Missstimmungen in der Einheit. Es sei nötig, manche Personen zu beobachten. Die mir zugedachte Rolle kapierte ich sofort. „Der größte Lump im ganzen Land, ist und bleibt der Denunziant“, fiel ich ihm ins Wort. Er verfärbte sich, fuhr mich an, dies sei eine bourgeoise Haltung. Er werde nun eine Verpflichtung mit mir abschließen, die ich zu befolgen hätte. Er hätte sich eingehend über meine Familie erkundigt, bei „Nichtbefolgung seiner Befehle“ werden sofort Maßnahmen eingeleitet. Im Übrigen wüsste ich bereits viel zu viel, so dass er dafür sorgen könnte, dass ich sofort 10 Jahre in ein Lager käme! Diese Unverfrorenheit und Bedrohung erschreckten mich. Ich unterzeichnete das Papier mit einem Namen, den mir Michailow vorgab, vernahm noch die Aufforderung einen Stimmungsbericht über Bereitschaft abzuliefern, dann lief ich schnell aus dem Dienstraum, schloss mich in einem anderen Raum ein und heulte vor Wut und Verzweiflung.“

Fortsetzung folgt
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Grenzgänger » 3. März 2022, 16:09

Der Zeitzeuge vertraute sich sofort einem Kameraden an. Mit diesem verband ihn eine Handlung, für die beide unweigerlich viele Jahre ins Zuchthaus gegangen wären. Die jungen Männer hatten einen Wochenendurlaub für einen „Abstecher“ im Sender „RIAS“ genutzt. Ihre Absicht bestand darin, die Öffentlichkeit über die geheimen militärischen Aktivitäten der SED, nicht zuletzt auch über die als Polizei getarnte Armee in der DDR, aufzuklären.
Den Ausschlag das hohe Risiko eines RIAS-Besuches einzugehen, hatten verschiedene Anlässe gegeben. Zum Beispiel eine Versammlung in der Kaserne, an der ein VP-Oberkommissar aus der HVA Berlin und der HVA-Chefinspekteur Dölling selbst teilnahmen.

Die von beiden Offizieren gegenüber der gesamten Belegschaft der Kaserne gehaltene Ansprache, wird von dem Zeitzeigen als „Tirade gegen angebliche Bedrohung durch die Bundesrepublik Deutschland und des dort herrschenden „Adenauer-Regiments“, deren Unterdrückung der Arbeiterklasse durch uns beendet wird“, bezeichnet.
Die Rede Döllings gipfelte in den Worten: „Aus diesem Grund müssen Sie alle Kräfte aufbieten und ihre Aufgaben in der Ausbildung erfüllen. In wenigen Monaten werdet ihr in Hamburg, Köln, oder Stuttgart sein.“ Dölling hatte sich derart in Rage geredet, dass sich seine Stimme regelrecht überschlug.
Den Zeitzeugen erreichten aber noch andere beunruhigende Nachrichten. Ein aus dem WISMUT-Sperrgebiet im Erzgebirge stammender Kamerad hatte ihm von einer dort existierenden FDJ-Schule berichtet, auf der „zuverlässige FDJ-ler und Genossen für Sabotageeinsätze in Westdeutschland ausgebildet werden.“ Das erklärte Ziel dieser Einsätze bestand darin, Unruhen unter der Bevölkerung der Bundesrepublik zu provozieren.

Mit diesem Wissen begaben sich die beiden jungen „Polizeisoldaten“ zum RIAS. Dort vertrauten sie sich dem seinerzeit sehr bekannten Moderator Peter Hertz an. Dieser hörte aufmerksam zu. Im Anschluss an das Gespräch, versicherte Hertz, dass er die brisanten Neuigkeiten vertraulich behandeln und auf keinem Fall an eine andere Stelle weiterleiten wolle.
Der Zeitzeuge war noch im Jahr 2016 -dem Zeitpunkt des Gesprächs – davon überzeugt, dass Hertz Wort hielt. In den Unterlagen der CIA findet sich jedoch eine Mitteilung über Entlassungen, Verhaftungen und Versetzungen innerhalb der Kaserne in Küstrin-Kietz, die unmittelbar nach einer Rundfunksendung über die dortige Einheit erfolgten. Selbstverständlich ist es mehr als unwahrscheinlich, dass der RIAS-Moderator Hertz, die ihm von den Soldaten übermittelten Nachrichten nicht sofort an die entsprechenden Stellen weitergeleitet hatte. Dazu waren die Mitteilungen viel zu brisant. Außerdem konnten sie als „politische Munition“ benutzt werden. Das Gehörte im Rahmen einer Radio-Sendung „unters Volk zu streuen“, dürfte jedoch mehr als ungeschickt gewesen und mit dem versprochenen „Quellenschutz“ kaum zu vereinbaren gewesen sein.

Nun aber wieder zurück zum Anwerbeversuch des Leutnants Michailow:

Die beiden Soldaten kamen dabei auf einen bemerkenswerten Einfall. Zuerst wurde tatsächlich ein Stimmungsbericht verfasst, den der Zeitzeuge jedoch nicht mit dem von Michailow vorgegebenen Decknamen, mit seinem Klarnamen unterzeichnete. Was gegen alle Regeln der Konspiration verstieß und einen Affront gegen den Auftraggeber darstellte. Der Stimmungsbericht selbst entsprach allerdings der Realität. Denn die allgemeine Stimmung innerhalb der Truppe, war mehr als schlecht. Die Soldaten waren nicht mit der schlechten Unterbringung und den Vorgesetzten unzufrieden. Viele von ihnen hatten sich nur zum Dienst verpflichtet, weil sie Polizisten sein wollten. Ihre Verwendung als Artilleriesoldaten entsprach nicht ihren beruflichen Vorstellungen, so dass sie am liebsten den Dienst quittiert hätten.

Der Zeitzeuge gab den Bericht jedoch erstmal nicht ab. Als ihn Michailow nach ein paar Tagen telefonisch dazu aufforderte, entschloss sich der Zeitzeuge zu einem ungewöhnlichen, für ihn alles andere als risikolosen Schritt. Er faltete den Bericht zusammen, um ihn, wie zufällig, im Speiseraum „zu verlieren.“ Sollte der Bericht, wie vom Zeitzeugen erhofft, gefunden werden, war dieser als Informant „verbrannt“. Allerdings ging aus dem Schreiben nicht der Empfänger, GRU-Leutnant Michailow, hervor.

Das Schreiben wurde tatsächlich gefunden. Der Finder lieferte den Bericht sofort im Dienstzimmer des Kommandeurs der Bereitschaft, VP-Rat Kunz, ab. Da der Zeitzeuge unzweifelhaft als Verfasser hervor ging, beorderte ihn Kunz sofort wutschnaubend in sein Büro. Dort trat der Zeitzeuge sofort die Flucht nach vorn an: „Leutnant Michailow hat mich mit der Fertigung des Berichts beauftragt.“ Darauf Kunz: „Ach so. Hauen Sie ab, Mensch!“

Anschließend wurde der Zeitzeuge von einem weiteren Vorgesetzten, dem Politit-Offizier der Einheit, VP-Oberrat Steuer, zum Gespräch gebeten. Steuer hatte das Gebrülle des Leiters gehört und wollte zunächst lediglich die Ursache wissen. Freimütig berichtete der Zeitzeuge von Michailows Versuch, ihm als Informanten anzuwerben. Fassungslos schüttelte Steuer mit den Worten: „Das machen sie also schon wieder mit unserer Jugend“, den Kopf.
Dem Zeitzeugen zufolge handelte es sich bei dem VP-Oberrat um einen früheren Gewerkschafter, der 1945 in Erkner der SPD beigetreten war. Wie viele andere SPD-Mitglieder auch, war er nach der Vereinigung seiner Partei mit der KPD, SED-Mitglied geworden.

Michailow meldete sich nach ein paar Tagen bei dem Zeitzeugen. Voller Zorn überschüttete er ihn mit Vorwürfen über dessen „Unfähigkeit“, die dazu geführt hat, dass er ihn nun nicht mehr treffen kann. Der Leutnant erklärte die Zusammenarbeit, die es in Wahrheit nie gegeben hat, für beendet. Fühlbare Nachteile ergaben sich für ihn nicht. Leutnant Michailow ging anscheinend von keinem Vorsatz aus.
Von der Anwerbung und deren Ausgang erfuhr auch Peter Hertz, der dem Zeitzeugen daraufhin „besondere Vorsicht“ empfahl.
Das kurze Intermezzo der 1. VP-Bereitschaft Brandenburg in Küstrin-Kietz, endete bereits im Frühjahr 1950. Angeblich vertrugen die Soldaten das „raue Klima“ an der Oder nicht. Als wahrscheinlicher gilt jedoch die Annahme, dass der „konspirative Zweck“ der Einheit inzwischen bekannt geworden war. Außerdem ließ die noch immer extrem mit Kriegsmunition verseuchte Umgebung der Kaserne keine praktische Ausbildung zu.
Schon im März 1950 bezog die Bereitschaft in Potsdam ein neues Quartier. In der Kaserne in Küstrin-Kietz übernahm bis zum Mai 1991, die Sowjetarmee das Zepter.
Der von mir erwähnte und zitierte Zeitzeuge blieb seiner ablehnenden Haltung gegenüber der SED treu. In Potsdam wurden er und einige andere Kameraden von einem Informanten des MfS, der sich nach außen hin ebenfalls als Feind der SED „tarnte“, denunziert. Für sein „staatsfeindliches Verhalten“ musste der Zeitzeuge mit zwei Jahren Gefängnis büßen. Nach seiner Entlassung ging er in die Bundesrepublik, wo er später jahrzehntelang als richtiger Polizist tätig sein konnte.

Fortsetzung folgt
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Re: Allerlei "Geheimes" rund um den Grenzbahnhof Kietz

Beitragvon Grenzgänger » 3. März 2022, 16:46

Der Schauplatz heute

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Eine Anekdote am Rande: Im Frühjahr 2014 bin ich mit @Nostalgiker durch die Kaserne gestreift. Wenige Tage nach unserem Besuch fanden Kinder dort eine bis heute unbekannte männliche Leiche.
Die Leiche hat aber nichts mit unserem Besuch dort zu tun. Das mir ja keine Gerüchte aufkommen [grins]

Gruß an alle
Uwe [hallo]
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