Wie die Sorben ins Visier der Stasi gerieten

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Wie die Sorben ins Visier der Stasi gerieten

Beitragvon Interessierter » 19. August 2021, 12:30

Die Sorben in der DDR genossen einige Privilegien. Tatsächlich aber erwies sich die Vorzeigeminderheit als Propagandakonstrukt. Die Staatssicherheit setzte daher auf Kontrolle und Kollaboration.

Die etwa 60.000 bis 80.000 Sorben waren in der DDR eine von der Verfassung geschützte Minderheit, der Sonderrechte wie Unterricht in sorbischer Sprache sowie eigene Institutionen zugestanden wurden. Aber auch sie wurde von der Staatssicherheit kontrolliert, der zahlreiche Sorben als Mitarbeiter dienten. Der sorbische Historiker Timo Meškank hat dieses lange ausgeblendete Kapitel jetzt in seinem Buch „Sorben im Blick der Staatssicherheit“ beschrieben.

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Auch für die Sorben war die Teilnahme an Demonstrationen "für Freundschaft, Freiheit und Einheit im Zeichen der Natinalen Front" Pflicht
Quelle: picture alliance / United Archiv


Frage: Herr Meškank, mit Ihrem Buch legen Sie die erste umfassende Abhandlung zum Thema Sorben und Stasi vor. Warum hat es über 25 Jahre seit der Wende gedauert, dass sich ein Wissenschaftler mit diesem Stück Zeitgeschichte auseinandersetzt?

Timo Meškank: Im Sorbischen hat es nach dem gesellschaftlichen Umbruch 1989/90 – anders als im Rest der DDR – keinen Elitenwechsel gegeben. In den meisten sorbischen Institutionen, wie zum Beispiel dem Sorbischen Institut, ist stattdessen eine personelle Kontinuität zu verzeichnen. Diese Personen haben alles getan, um sich nicht mit dem Thema auseinandersetzen zu müssen, getreu dem Motto: Wir haben zwar in der SED-Diktatur gelebt, aber waren kein Teil von ihr. Hinzu kam, dass es im Sorbischen keine Gruppe gab, die wie die Bürgerrechtler in Ostdeutschland eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit forderte.

Frage: Wieso interessiert Sie dieser weiße Fleck in der sorbischen Geschichtsschreibung?

Meškank: Als Historiker macht es natürlich Spaß, Neuland zu erschließen. Ich merke auch, dass es gerade in der jüngeren Generation einen großen Informationsbedarf zu diesem Thema gibt. Der derzeitige Generationswechsel in den Institutionen macht es leichter, diese Zeit wissenschaftlich aufzuarbeiten. Bei mir kommt außerdem noch ein biografischer Zusammenhang hinzu.

Frage: Inwieweit gibt es diese persönliche Komponente?

Meškank: Ich habe mich als Heranwachsender immer gefragt, warum mein Großvater aus der Garde der alten Patrioten nach 1945 als Lehrer aufs Abstellgleis gestellt wurde. Heute weiß ich, dass er sich bereits 1946 kritisch zu den undemokratischen Strukturen der Domowina geäußert hat. Der Dachverband der Sorben hatte den Auftrag, den Sozialismus in der Lausitz zu propagieren und aktiv die Kollektivierung durchzusetzen. Nach seinem Einspruch galt mein Großvater nicht mehr als staatskonform und wurde schnell isoliert. Diese Stigmatisierung im sozialen Umfeld macht Menschen kaputt. Auch zu meinen Aktivitäten in der Endzeit der DDR hat die Stasi eine Akte angelegt. Wir hatten uns erlaubt, eine sorbische Studentenzeitung in Dresden herauszugeben. Es gab Wanzen in meinem Wohnheimzimmer, und meine Post aus der Zeit habe ich gesammelt in meiner Stasi-Akte gefunden.

Frage: Die Sorben galten doch in der DDR als staatlich geförderte Vorzeigeminderheit. Sie schreiben aber, dass für die Sorben sogar eine eigene Linie innerhalb der Stasi angelegt wurde. Wieso gerieten sie denn so ins Visier des Mielke-Ministeriums?

Meškank: Weil die Vorzeigeminderheit nur ein Propagandakonstrukt war. Diese Minderheit innerhalb des Volkes – in der Domowina und den staatlich geförderten Institutionen – waren nicht die realen Sorben. Stattdessen lebten die meisten Sorben in ihrer christlich-ländlich geprägten Parallelgesellschaft. Im Sorbischen ist der Sozialismus wie auf dem Mars gelandet. Weil es nicht gelang, den Marxismus-Leninismus im Sorbischen zu verankern, zeigte sich das Regime verunsichert. Die Folge war die Überwachung von staatlicher Seite.

Frage: Welche Schlüsse lässt Ihre Arbeit zu? Welche Chancen bietet sie?

Meškank: Noch heute haben viele das Bild von den in der DDR geförderten Sorben im Kopf, aber es gibt noch eine andere Seite. Mit dieser Arbeit füge ich ein weiteres Puzzleteil zur sorbischen Geschichte hinzu. Die Auswertung der 35.000 Blatt Stasi-Akten ergab, dass besonders Journalisten, Lehrer und Funktionäre als Inoffizielle Mitarbeiter tätig waren. Sie waren bereits durch ihren Beruf staatsnah. Unter den 134 IMs aus Überzeugung waren besonders viele SED-Mitglieder, anders als im Rest der DDR. Das ist für mich ein Hinweis, dass die Machthaber im traditionellen sorbischen Milieu wenig Anklang gefunden haben.

Timo Meškank: „Sorben im Blick der Staatssicherheit: Die Akten des K5 und des MfS der DDR 1949-1989“. (Domowina, Bautzen. 496 S., 29,90 Euro)

https://www.welt.de/geschichte/article1 ... ieten.html
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