Die Auflösung der Staatssicherheit im Bezirk Schwerin

Alles zum Thema Geheimdienste und Sicherheit in der DDR und in der BRD

Die Auflösung der Staatssicherheit im Bezirk Schwerin

Beitragvon Interessierter » 28. Januar 2021, 11:00

Bürgerkomitee ohne Opposition?

Zur Vorgeschichte

Die Schweriner zogen anläßlich ihrer wöchentlichen Montagsdemonstrationen erstmals am 27. November 1989 zum Sitz der ehemaligen MfS-Bezirksverwaltung am Demmlerplatz. Sie war 10 Tage zuvor zum Bezirksamt für Nationale Sicherheit umgewandelt worden. Laut Lagefilm des Zentralen Operativstabes des Amtes für Nationale Sicherheit in Ostberlin meldete das Schweriner Bezirksamt:

„Genehmigte Kundgebung des ‚Neuen Forums’ auf dem alten Garten mit ca. 6.000 Teilnehmern von 17.30 Uhr bis 18.20 Uhr. Der Inhalt umfaßte teilweise weitergehende Forderungen des ‚NF’ , die zum Teil verfassungswidrig waren. Anschließend fand eine Demonstration statt, deren Marschroute zum BAfNS führte und sich dort gegen 19.45 Uhr auflöste. Vor dem Objekt wurden massiv Sprechchöre gegen das ehemalige MfS gerufen. Die mitgeführten Transparente richteten sich gegen die SED, die sozialistische Planwirtschaft und forderten die ‚Wiedervereinigung’. Durch den Veranstalter wurden am Objekt Ordnungskräfte eingesetzt.“2

Da das Neue Forum an einem friedlichen Verlauf der Demonstrationen interessiert war, ließ es sich auf eine Absprache mit der Polizei ein und stellte eigene Ordnungskräfte, die ein gewaltfreies Agieren der Demonstranten unterstützen sollten.

Am 4. Dezember 1989 führte eine weitere Montagsdemonstration in Schwerin zum Bezirksamt der Staatssicherheit (im Folgenden Bezirksamt genannt) am Demmlerplatz. Dazu im Bericht des Amtes selbst:

„Demonstration mit anschließender Kundgebung von 17.30 Uhr bis 19.35 Uhr vom Alten Garten zum Sitz des BafNS am Demmlerplatz. [...] Rechtsanwalt [...] aus Ludwigslust forderte das Objekt Demmlerplatz des AfNS der Justiz zu übergeben und eine unabhängige Rechtssprechung zu sichern. Von einigen der Diskussionsredner wurde der Boykott der Unterschriftensammlung ‚Für unser Land’ gefordert. Weitere Forderungen waren: ‚Auflösung der Kampfgruppen’, ‚Bildung eines Untersuchungsausschusses zur Arbeit der Staatssicherheit’ und ‚die Bestrafung aller Funktionäre, die kriminelle Handlungen begingen’. Zu direkten Angriffen auf das Dienstobjekt des BAfNS kam es nicht.“3

An diesem Tage fand die erste Besetzung eines Bezirksamtes in Erfurt statt. Als dies bekannt wurde, verabredeten die Mitglieder der Schweriner Gruppe „Staat und Recht“ des Neuen Forums, Thomas Schmidt und Jutta Schuster, während der Montagsdemonstration ein Treffen für den folgenden Abend im Keller der Kieferklinik auf dem Gelände des Schweriner Bezirkskrankenhauses. Der Raum dort war durch Thomas Schmidt organisiert worden und als Treffpunkt der Arbeitsgruppe eingeführt. An dem Treffen nahmen neben den beiden Genannten Klaus Behnke, Cornelia und Wolfram Nagel, Renate und Rainer Trotz sowie Hans-Jürgen Rietzke teil, möglicherweise auch weitere. Die Erinnerungen daran, wer genau dabei war und was besprochen wurde, gehen heute auseinander. Es soll um die Besetzung des Bezirksamtes für Nationale Sicherheit gegangen sein und um konkrete Maßnahmen wie zum Beispiel das Observieren des Bezirksamtes während des gesamten Tages durch Mitglieder der Gruppe.4

Neben der Gruppe „Staat und Recht“ existierte in Schwerin ein Untersuchungsausschuss „Amtsmissbrauch und Korruption“, der aus 13 Personen, die den alten und neuen politischen Parteien, sozialen Organisationen sowie der Bürgerbewegung angehörten, bestand und seine Legitimation später durch die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Schwerin erhielt. Die Mitglieder dieses Untersuchungsausschusses konzentrierten sich vor allem auf Nebenstellen des Schweriner Bezirksamtes am Rande der Stadt. Dort konnten sie Aktenvernichtungen nachweisen, was zum eigentlichen Impuls für die Begehungen bzw. Besetzungen von Dienststellen des MfS/AfNS wurde.

Der interessante, längere Bericht mit vielen interessanten Details geht hier weiter. Also nichts für " Nur - Schlagzeilenleser ".
https://stasibesetzung.de/schwerin/default-title-1
Interessierter
 

Re: Die Auflösung der Staatssicherheit im Bezirk Schwerin

Beitragvon Interessierter » 28. Januar 2021, 11:22

Hier ein Beispiel mit dem Verhalten von Regierungsbeauftragten und Stasiangehörigen:

Zunächst wurden bei dem Gespräch keine der Fragen nach Strukturen und Verantwortlichkeiten, nach dem Verbleib der Waffen, nach Dienst- und konspirativen Objekten oder zur Aktenvernichtung beantwortet.

„Goldmann hat gemauert. Dann ist Wolfgang Lehmann ausgerastet und hat gedroht: ‚Wenn nicht sofort geantwortet wird, dann holen wir sämtliche Leute rein, die noch draußen stehen – etwa 30 bis 40 – und ich rufe den Sender an und lasse die Bevölkerung zur sofortigen Besetzung und Blockade aufrufen.’ Nach einer Bedenkzeit haben sie dann Fragen beantwortet.“9

Im Wochenbericht der Norddeutschen Zeitung schrieb Thomas Balzer zu den Vorgängen am Abend des 6. Dezember 1989 am Demmlerplatz unter anderem:
„Die Zellen waren bereits am Vortag versiegelt worden, doch, wie sich herausstellte, nur laienhaft, obwohl Staatsanwalt Löwenstein anwesend war. Die weiteren Gespräche ließen bei der Bürgerkommission kein Vertrauen zu den Stasi-Mitarbeitern aufkommen. Deshalb stellten die Schweriner den Antrag, die ganze Dienststelle zu versiegeln und den Betrieb stillzulegen. Nur sechs Personen, davon drei Techniker, dürfen jetzt täglich in das Haus, unter Aufsicht. Noch in dieser Nacht wurde die aus Wehrpflichtigen bestehende Wachmannschaft durch VP und Volkskontrolleure ergänzt. Vor den Türen und Toren des Gebäudes patrouillierten bereits seit 15.20 Uhr Volkspolizisten. Sie überwachten jeden Transport in das und aus dem Objekt. Leider erfolgte die Weisung, auch die Aktentaschen der vielen Herren, die zu Dienstschluß ihre Arbeitsstelle verließen, zu kontrollieren, viel zu spät.
Interessierter
 

Re: Die Auflösung der Staatssicherheit im Bezirk Schwerin

Beitragvon Interessierter » 28. Januar 2021, 11:33

Oder auch hier:

In der Nacht des 6. Dezember war der Schwerpunkt der Ereignisse gegen Mitternacht erneut im Dienstobjekt Rampe des BafNS. Dort hatten sich diverse geheimpolizeilich arbeitende Einheiten der früheren Bezirksverwaltung, die Wach- und Sicherungskompanie sowie die Kreisdienststelle Schwerin befunden. Nach den Aufzeichnungen von Wolfgang Loukidis kamen er und weitere Leute gegen 20 Uhr aus dem Pfarrhaus in Retgendorf vor das Tor des Objektes Rampe, blockierten dieses und warteten auf den Bezirksstaatsanwalt. Die Wachposten zeigten sich kooperativ gegenüber den aufgebrachten Bürgern und erzählten, der Wachleiter habe Entwaffnung angeordnet, da man keine Konfrontation sondern Partnerschaft wolle.18 Außerdem erhielten sie im Gespräch mit den Wachsoldaten einen Tipp, wo vernichtetes Aktenmaterial vergraben worden war. Die Bürger informierten daraufhin die Presse und sorgten in Begleitung von Militärstaatsanwalt Schumann dafür, dass die Akten wieder ausgegraben wurden.

„Ein Baggerfahrer aus Leezen förderte sie (die vernichteten Akten, M.K.) dann in der Nähe eines Kohlenquartiers auf dem Gelände mit schwerem Gerät zu Tage. Eine Baggerschaufel tief kam die weiße, zellstoffähnliche Masse zum Vorschein – Papier, das vorher den Reißwolf durchlief.“19


Im Anschluss an die nächtliche Freilegung der geschredderten Akten wurde das gesamte Areal, bestehend aus acht Gebäuden, durch die Volkspolizei abgeriegelt, die einzelnen Gebäude durch den Staatsanwalt versiegelt und der Zutritt kontrolliert.
Interessierter
 


Zurück zu Geheimdienste und Sicherheit

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast

cron