Die Überwachung der Bürger in Klein-Glienicke

Alles zum Thema Geheimdienste und Sicherheit in der DDR und in der BRD

Die Überwachung der Bürger in Klein-Glienicke

Beitragvon augenzeuge » 8. Januar 2021, 10:56

Seit dem 13. August 1961 verlief ein Zaun durch Heinrichs Garten, dort, wo bis dahin ihre Sitzgruppe stand und ihr Wäscheplatz war. 1965, als es wieder mehr Baumaterialien gab, wurde die doppelte Mauer errichtet: Mauer, Streifen, Mauer. Nur eine Brücke führte von Klein-Glienicke in den anderen Teil der DDR, nach Potsdam. Die Dorfbewohner, die dort hin wollten, mussten stets ihren Ausweis vorzeigen. In ihrem Pass war ein Stempel. Ohne Kontrolle kam man weder hinein noch aus Klein-Glienicke heraus.

„Wir sagten uns dann immer, anderen Menschen auf der Welt geht es viel schlechter. Es gab keine großen sozialen Unterschiede, jedenfalls hatten wir zunächst diesen Eindruck – denn Unterschiede haben sich in der DDR dann auch herausgebildet.“ Es habe Arbeit und Grundnahrungsmittel gegeben, „wir haben geduldig auf unser Auto gewartet, 20 Jahre lang. Ich hatte Eltern und Geschwister hier, war verwurzelt, und machte viel Sport – so war ich abgelenkt. Und es ist ja so schön hier“, sagt die heute 69-Jährige. Es sieht tatsächlich idyllisch aus: in dem Dorf stehen noch vier der ursprünglich zehn Schweizerhäuser aus dem 19. Jahrhundert.

Doch die Sportlehrerin Heinrich fühlte sich eingesperrt: „Es wurde so eng“. Etliche Häuser wurden abgerissen. Flüchtlinge sollten keine Chance bekommen. Immer wieder waren Menschen über die Mauer gesprungen. In einem Keller wurde monatelang mit einer Kinderschaufel ein Tunnel angelegt, durch den eine Familie entkam. Nach und nach wechselten die Einwohner: Immer mehr, besonders mit der DDR Verbundene, siedelten sich an.

„Diese Leute waren uns nicht angenehm. Und dann das mit der Grenze, mit den Hunden und mit den Kontrollen. Man konnte sich ja nicht bewegen, wie man wollte. Ich war so traurig“, erzählt Heinrich. Dazu kam die Sorge um die Kinder und um die Zukunft. „Einer meiner Schüler hat eine Leiter an die Mauer gestellt und ist abgehauen. Das hatte Konsequenzen: Die Eltern wurden aus dem Ort und aus dem Beruf geschmissen, die stellten dann einen Ausreiseantrag. Die Mutter wurde schwer krank, der Mann hatte sich aufgehängt. Was aus dem Sohn geworden ist, weiß ich immer noch nicht.“ Heinrich zog 1980 mit ihrer Familie nach Potsdam. Die DDR verlassen wollte sie nicht? Man stelle sich das immer so einfach vor, sagt sie. Sie habe Angst gehabt.

Groß war die Erleichterung, als die Mauer fiel. Und bald interessierte sich Heinrich dafür, ob es auch über sie eine Stasi-Akte gab. So ganz glaubte sie nicht daran. Doch die Behörde sagte anderes: Sie könne kommen und sich ihre Akte ansehen. „Ich hatte Magenschmerzen“, erinnert sich Heinrich. [b]Die Stasi hatte gründlich gearbeitet: Briefe, die Heinrich nach Westdeutschland geschickt hatte, waren abgedruckt worden. Man wusste über den Tagesablauf der Familie genau Bescheid, genauso wie über die finanzielle Situation Und es war von „politisch-ideologischen Schwächen“ die Rede. In der Akte waren auch noch so kleine Vorfälle vermerkt: Die Kinder hatten einen Ball über die Mauer zurückgeworfen und die Behörde stellte laut Akte die Frage, ob die Eltern das angeordnet haben könnten zur Kontaktaufnahme. „Als das damals passiert war, sind die Kinder sofort von den Grenzern zurechtgewiesen worden.
[/b]

Verbotenes Mauer-Bier
Eigentlich war es ja verboten gewesen, doch die Jugendlichen in Klein-Glienicke haben immer wieder Bier mit dem Nachbarn im Westen über die Mauer ausgetauscht, und die Kinder aus dem Westen sind gern auf die Mauer geklettert – auf die Ostseite hinunterspringen durften sie freilich nicht.

Eine Informantin hieß „IM Erika“: Die Inoffizielle Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit war eine Frau aus dem Freundeskreis. Oft habe man miteinander gefeiert, sagt Heinrich. In einem Bericht an die Stasi schrieb „Erika“ über Heinrich: „Obwohl die H. Lehrerin ist, soll sie eine recht oberflächliche Bindung zu unserem Land haben.“ „Ich war der Meinung, dass ich meine Rolle perfekt gespielt habe – wobei, es war ja nicht nur eine Rolle. Ich hatte im Sport Erfolge vorzuweisen, habe Schüler in die Volleyball-Nationalmannschaft gebracht. Ich hatte mich nie gegen den Staat gestellt.“

Nach der Akteneinsicht hatte Heinrich eine Panikattacke. Sie wurde ins Spital eingeliefert. Ihre Akte schmiss sie weg. Nur den Bericht der IM Erika hob Heinrich auf. Angesprochen habe sie ihre einstige Freundin nie darauf – sie habe gewartet, „dass Erika dies tun würde“, sagt Heinrich.


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Re: Die Überwachung der Bürger in Klein-Glienicke

Beitragvon zollo » 8. Januar 2021, 11:30

Welche menschlichen Abgründe sich beim Lesen einer Stasiakte auftun ist ungeheuerlich.
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Re: Die Überwachung der Bürger in Klein-Glienicke

Beitragvon Volker Zottmann » 8. Januar 2021, 14:50

zollo hat geschrieben:Welche menschlichen Abgründe sich beim Lesen einer Stasiakte auftun ist ungeheuerlich.


Und wenn man selbst noch soche Denunzianten kennt, ist es wohl noch schlimmer.

Dort in Klein Glienike bin ich über diese Brücke auch "eingedrungen". War vor 4 Jahren aber bei Kaffeee und Torte dort auszuhalten. Wir sind dort überall mit unseren Rädern der alten Grenze entlang geradelt. Man kann sich das damalige Dilemma selbst nur schwer vorstellen.

Gruß Volker
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Re: Die Überwachung der Bürger in Klein-Glienicke

Beitragvon augenzeuge » 8. Januar 2021, 16:33

Eine winzige Insel DDR auf West-Berliner Seite, drei Hektar groß, umgeben von Mauer und Klassenfeind. Das war Klein-Glienicke. Nur durch eine Brücke mit Babelsberg verbunden, auch sie streng bewacht von Grenzsoldaten. Der Ort mit seinen 500 Einwohnern war aus Sicht der DDR-Grenztruppen einer der am schwierigsten zu kontrollierenden Abschnitte der Mauer um Berlin.

Nur wer einen Stempel im Ausweis hatte, durfte rein. Wer in Klein-Glienicke lebte, bekam nicht so einfach Besuch. Ohne Passierschein und Begleitung durch die Grenzer ging nichts.

Es war streng verboten, die Mauer zu fotografieren. So ließen viele Klein-Glienicker ihre Bilder am Urlaubsort in Thüringen oder in einem Fotoladen an der Ostsee entwickeln. Gitta Heinrich schildert, wie sie zunehmend unter dem Eingesperrtsein litt. Die Diagnose ihres Hausarztes: Mauerkoller.

Christa Schmidt erzählt, wie ihr und ihrem Mann die Flucht misslang. Sie war damals Mitte 30. Christa Schmidt musste für ein Jahr ins Stasi-Gefängnis an der Lindenstraße in Potsdam, ihr Mann wurde zu vier Jahren Haft in Bautzen verurteilt. Die Potsdamerin: "Danach habe ich nie wieder an Flucht gedacht."

Andere haben es geschafft. So wie Brigitte und Helmut Schimpfermann. Sie nutzen die Gelegenheit, als eines Nachts die Beleuchtung der Grenzanlagen ausfiel. Als Birgitte Schimpfermann die Fotos der Staatssicherheit vom Fluchtort sieht, weint sie. Sie zeigen die Holzleiter der Nachbarn, die das Ehepaar sich gegriffen hat, um mit den beiden Kindern über die Mauer zu klettern.

Das mit den Leitern war sowieso so eine Sache in Klein-Glienicke. Die Angst vor Republikflüchtlingen war so groß, dass jede Leiter stets angeschlossen sein musste. Wer sich nicht daran hielt, musste fünf Mark Strafe zahlen. Immer wieder flüchteten Bewohner über eine Leiter.

Den Grenztruppen gelang es nicht, diesen Abschnitt der Berliner Mauer vollständig zu kontrollieren. Nirgendwo war die Grenze verwinkelter und schwerer einsehbar als in Klein-Glienicke.

Tragischer Vorfall
Spektakulärer war die letzte Tunnelflucht nach West-Berlin 1973. Pateley hatte noch mit dem Klein-Glienicker über das Holz gesprochen, das dieser vor der Haustür zurechtschnitt. Es war für den Bau des Tunnels gedacht. Im Film nennt der heute 80-Jährige die Flucht "eine meiner größten Niederlagen".

Am 15. November 1968 kommt es an der Mauer in Klein-Glienicke zu einem tragischen Vorfall. Der 21-jährige Horst Körner wird auf der Flucht entdeckt und verliert die Nerven. Er schießt auf den 27-jährigen Grenzsoldaten Ralf Henniger. Dessen Kamerad tötet daraufhin Horst Körner. Auch Rolf Henning stirbt.

Ruth Herrmann erinnert sich an das "deutsch-deutsche" Begräbnis ihrer Großmutter. Diese war in Klein-Glienicke verstorben. Der Rest der Familie lebte längst im Westen.

Getrennt durch den Stacheldraht nahm Ruth Hermann damals zusammen mit ihrer Mutter an dem Begräbnis auf der anderen Seite teil. Pfarrer Strauß sprach bewusst laut, damit ihn die Verwandtschaft im Westen hören konnte.
(aus welt.de?

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Re: Die Überwachung der Bürger in Klein-Glienicke

Beitragvon Olaf Sch. » 8. Januar 2021, 19:00

eine Perversion der Perversion.
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Re: Die Überwachung der Bürger in Klein-Glienicke

Beitragvon pentium » 8. Januar 2021, 19:11

AkkuGK1 hat geschrieben:eine Perversion der Perversion.


Warst du nicht auch bei den Grenztruppen....?
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Re: Die Überwachung der Bürger in Klein-Glienicke

Beitragvon augenzeuge » 8. Januar 2021, 22:03

pentium hat geschrieben:
AkkuGK1 hat geschrieben:eine Perversion der Perversion.


Warst du nicht auch bei den Grenztruppen....?


Manche entwickeln sich in Jahrzehnten weiter und erkennen Fehler. Bei der teuersten Immobilie der DDR, die 1 Milliarde im Jahr verschlang, kann man diese Vokabeln heute schon benutzen. [grins]
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Re: Die Überwachung der Bürger in Klein-Glienicke

Beitragvon Interessierter » 9. Januar 2021, 07:56

pentium » 8. Jan 2021, 19:11

AkkuGK1 hat geschrieben:
eine Perversion der Perversion.



Warst du nicht auch bei den Grenztruppen....?


Kannst du auch erklären warum Akku heute nicht dieser Meinung sein sollte?
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Re: Die Überwachung der Bürger in Klein-Glienicke

Beitragvon Olaf Sch. » 9. Januar 2021, 08:49

Ja ich war bei den Grenztruppen, wie 50% aller Ostdeutschen die dienten. Ich war 18 und wollte auf keinen Fall zu den MOT Schützen. Die Tragweite konnte ich gar nicht abschätzen, als sie mir 14 Tage vor der Einberufung mitteilten, dass ich an die Grenze kommen, da dachte ich bei mir: spinnen die? Wollen die das ich abhaue? Ich war schon vor der Grenze kein Fan der DDR, danach habe ich aktiv dagegen gearbeitet. Habe ich aber alles schon mal hier geschrieben. Deinen Vorwurf finde ich nicht dem Anliegen dieses Forums angemessen.
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Re: Die Überwachung der Bürger in Klein-Glienicke

Beitragvon Werner Thal » 9. Januar 2021, 13:26

Klein Glienicke - 25 Jahre Mauerfall:



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Re: Die Überwachung der Bürger in Klein-Glienicke

Beitragvon augenzeuge » 9. Januar 2021, 14:40

Werner Thal hat geschrieben:Klein Glienicke - 25 Jahre Mauerfall:

W. T.


Ich habe nicht gewusst, dass man am 19.12. 89 die Bewohner immer noch kontrollierte, und kein Fremder hinein durfte. [flash]

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Re: Die Überwachung der Bürger in Klein-Glienicke

Beitragvon pentium » 9. Januar 2021, 15:15

*Dos Rauschen in Wald hot mir'sch ageta, deß ich mei Haamit net loßen ka!* *Zieht aah dorch onnern Arzgebirg der Grenzgrobn wie ene Kett, der Grenzgrobn taalt de Länder ei, ober onnere Herzen net!* *Waar sei Volk verläßt, daar is net wert, deß'r rümlaaft of daaner Erd!*
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Re: Die Überwachung der Bürger in Klein-Glienicke

Beitragvon Werner Thal » 9. Januar 2021, 15:42

Kl1.gif
Kl2.jpg
Kl3.jpg
Kl4.jpg
Bild 2 zeigt 1962 ein Haus, das
damals "zu dicht an der Zonengrenze nach Wannsee lag" Daher wurde das Haus plattgemacht. Leider ist aus der Serie "Geheimnisvolle Orte" Klein Glienicke nicht als Mediathek verfügbar.
Selbst habe ich aber die Sendung analog auf einer VHS-Cassette.

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