DER SPIEGEL - 2/1982 - DDR-Spionage: Bierdosen für den Stasi
Ein Jahr nach gelungener Flucht in die DDR hat sich der ehemalige Stasi-Agent Erich Ziegenhain den
bundesdeutschen Behörden gestellt. Er enthüllte Interna, Bräuche und peinliche Pannen des Ost-Berliner
Ministeriums für Staatssicherheit. Jetzt (1982) wird der Rückkehrer wegen geheimdienstlicher Tätigkeit
angeklagt.
Beim deutsch-deutschen Plausch in Ost-Berlin, im "Lindencorso" Unter den Linden, ging es etwas steif zu:
Der Westdeutsche blieb zugeknöpft. "Komisch", stichelte schließlich der Gastgeber, "bei euch im Westen
denkt gleich jeder, daß hier überall die Staatssicherheit herumläuft." Der Mann mußte es wohl besser wissen,
er selbst war vom Stasi.
Dies zeigte sich auch bald im Verlauf des Gesprächs; unverhohlen meldete der Stasi-Mann Informations-
wünsche an und drohte dem Westdeutschen, der in den sechziger Jahren als Student der Freien Universität
vielfältige Ostkontakte unterhalten hatte, mit kompromittierenden Enthüllungen aus jener Zeit.
Das wirkte. Am Ende der Unterhaltung war der Gast als DDR-Agent angeworben.
Damit, Anfang der 70er, begann die langjährige Beziehung zwischen Erich Ziegenhain (West) und Gerhard Jack (Ost),
Regierungsrat im hessischen Sozialministerium der eine, Major und Bereichsleiter im DDR-Ministerium für
Staatssicherheit (MfS) der andere.
Sieben Jahre lang lieferte der Beamte aus Wiesbaden der Nachrichtenzentrale in der Ost-Berliner Normannenstraße
alles, was er so zu fassen bekam. Verschlusssachen waren nicht darunter, stattdessen war "Hainfels", so der
Agentenname des Regierungsrats, wie die Mehrheit der Ost-Berliner Westkundschafter mit dem Sammeln von Mosaik-
steinchen befaßt. Er besorgte Tagungsberichte, Statistiken, Personalaufstellungen, übermittelte Telephonlisten -
alles aus seinem Ministerium.
Später ergaben amtliche Recherchen, daß der nachrichtendienstliche Wert der Quelle "Hainfels" nur geringfügig
gewesen sein kann. Doch die Ost-Berliner ließen ihren Auftragnehmer auch da noch nicht fallen, als der mit
Bewerbungen bei zwei Bonner Ministerien gescheitert war.
Denn als im Sommer 1979 der hochgestellte MfS-Insider Werner Stiller die Fronten wechselte und dabei Dutzende
seiner im Westen aktiven Mitarbeiter verriet, wurde Erich Ziegenhain rechtzeitig gewarnt. Ihm gelang, wie
Dutzenden anderen Stiller-Geschädigter, die Flucht in die DDR.
Allerdings ist Erich Ziegenhain inzwischen längst wieder in der Bundesrepublik. Obwohl im Osten zunächst in allen
Kundschafter-Ehren empfangen und vom Leiter der MfS-"Hauptverwaltung Aufklärung", Generaloberst Markus Wolf
höchstpersönlich, mit Orden geschmückt, erlebte der verdiente Agent seine DDR-Zeit als Enttäuschung.
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W. T.