Die total verkorkste Stasi-Aktion „Matrose“

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Die total verkorkste Stasi-Aktion „Matrose“

Beitragvon Interessierter » 12. Juni 2020, 11:00

Als 22 West-Jachten und ein Bundespräsident nach Rostock segelten

MfS-Akten belegen dreitägige Überwachung

Rostock – Der Auftrag war, den Staatsfeinden Wind aus den Segeln zu nehmen...
Am 6. Juni 1987 durften erstmals westdeutsche Segler einen DDR-Hafen anlaufen. Prof. Dr. Karl Carstens (CDU, damals 72), – Bundespräsident a.D. und Mitglied des Segelclubs Fehmarn – hatte das über Erich Honecker eingefädelt.

Mit 89 Skippern (22 Jachten) machten Carstens & Co. für drei Tage in Warnemünde fest. Die Stasi versetzte das in höchste Alarmbereitschaft. Ihre größte Angst war: „Feindliche negative Personen“ – also DDR-Ausreisewillige oder Regime-Gegner – könnten „provokatorische und demonstrative Handlungen“ vornehmen oder in Fluchtabsicht nachts auf die West-Boote schleichen.

MfS-Bezirksleiter, Generalmajor Rudolf Mittag (damals 58), machte das Ganze daher zur Chefsache und startete eine großangelegte Beschattungs-Aktion. Kennwort „Matrose".

Wie die Stasi-Akten jetzt enthüllen, war das für die Abteilung „Horch & Guck" eher eine ernüchternde Angelegenheit. Sie musste sich um jeden Schei... kümmern!

► Klo-Notstand. Die westdeutschen Segler-Frauen hatten sich über die verschmutzten Toiletten im Jachthafen beschwert (nur ein Wasserhahn außen). Blamabel! Die Stasi notierte: „Durch operative Einflussnahme wurden zusätzliche und saubere sanitäre Einrichtungen der Sportschule zur Verfügung gestellt.“ Dem Hausmeister war befohlen worden, die Duschräume zu öffnen.

► Suffke-Rettung. Im Bericht über die Westsegler heißt es: „Ein Besatzungsmitglied fiel 1.15 Uhr in stark angetrunkenem Zustand ins Wasser.“ Ein Posten der PKE (Passkontrolleinheit der Stasi) habe beim Herausfischen helfen müssen.

► Westgeld-Schnorrer. Carstens und seine Skipper-Freunde besuchten auch einen Gottesdienst in der Rostocker Marienkirche. Was danach passierte, war selbst der Stasi peinlich. Sie protokollierte: „In der Kirche wurde gesammelt, dabei wurde gezielt zuerst zu den BRD-Bürgern gegangen.“

► Spitzel-Panne. In der Kirche erfasste die Stasi die Kontaktaufnahme einer Ausreisewilligen mit Carstens. „Eine Frau aus dem Kreis der Kirchgänger schenkte ihm ein Gesangbuch und sagte dabei: Sie hoffe, nach zweimaliger abgelehnter Antragstellung auf Genehmigung auf Ausreise in die BRD.“ „Matrose" habe geantwortet: „Sicher werden sie reisen können.“ Verärgert notiert der Offizier weiter: „Keine Sofortmaßnahmen zur Identifizierung der DDR-Bürgerin möglich." Zu viele Leute, zu viele Journalisten waren da.

► Dumm gelaufen. Beim Rundgang in Rostock liefen Carstens & Co. nicht nur die feine Bummelmeile entlang, sondern auch in verfallene Nebenstraßen. „Kritisch äußerten sie sich zum Zustand der Östlichen Altstadt“, hält die Stasi fest. Ergänzt aber: „Die Erklärung der Betreuer, dass diese in spätestens fünf Jahren umgestaltet ist, wurde akzeptiert.“

► Banale Erkenntnisse. Carstens nächtigte im Warnemünder Neptun-Hotel. Die Stasi mietete sich ebenfalls dort ein. Ein Major bezog mit drei Mitarbeitern ein eigenes Einsatzzimmer (Nr. 1719) mit eigenem Telefonanschluss. Drei IM waren zudem im Dauer-Einsatz. Auch Abhörtechnik wurde geschaltet. Im Stasi-Jargon hieß das: „Durchführung operativ technischer Maßnahmen im Hotel Neptun mit der Zielstellung, Gesprächsinhalte zu dokumentieren".

Auszüge der protokollierten Erkenntnisse über Bundespräsident Carstens:

„19 Uhr. im Hotelrestaurant, Tisch Nr. 11, Abendbrot gegessen – Fisch und Selters.“ Und weiter: „Danach aufs Zimmer. Beabsichtigte früh ins Bett zu gehen, da er einen anstrengenden Tag hinter sich hatte. 21.30 Uhr Nachtruhe." Oder: „16.45 Uhr telefonierte er mit seiner Verwandtschaft auf Fehmarn und teilte ihnen seine Ankunft mit.“ Carstens im Telefonat mit Bräutigam (damals Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in der DDR): „auf der Mole eine große freundliche Menschenmenge anwesend.“

► Misslungene Agitation. Beim Frühstück mit dem Hoteldirektor, so die MfS-Akten, habe sich Carstens zu der Forderung geäußert, Abrüstung auf Kosten der deutschen Wiedervereinigung zu vollziehen. Er habe diese Forderung als „nicht realistisch“ und als „ein wiederholter unglücklicher Versuch, der nichts einbringt“ bezeichnet.

► Schöne-Frauen-Fazit: Von der Abschiedsrede von Carstens abends im Seemannskrug des Hotels stufte die Stasi diesen Spruch des Bundespräsidenten als wichtig ein: „Warnemünde hat die schönsten Frauen der DDR, Fehmarn hat die schönsten Frauen der BRD...“

Divers Fotos und ein Dokument im Link:
https://www.bild.de/regional/mecklenbur ... .bild.html
Interessierter
 

Re: Die total verkorkste Stasi-Aktion „Matrose“

Beitragvon augenzeuge » 12. Juni 2020, 12:23

Wenn man sich diese Angst vor feindlich negativen...... [flash] ...auf der Zunge zergehen lässt, kann man doch nur noch den Kopf schütteln.

habe sich Carstens zu der Forderung geäußert, Abrüstung auf Kosten der deutschen Wiedervereinigung zu vollziehen.

Die deutsche Wiedervereinigung wurde von DDR-Leuten angesprochen? Ist ja unglaublich.

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Re: Die total verkorkste Stasi-Aktion „Matrose“

Beitragvon Volker Zottmann » 12. Juni 2020, 14:21

Ich stelle mir immer nur vor, was die in der Zeit alles hätten schaffen können, wenn die Stasis ordentlicher Arbeit nachgegangen wären. Selbst wenn sie nur neuen Strandhafer auf die Dünen gepflanzt hätten, wäre es sinnvoll gewesen.
So viele, wenn teils auch fleißige, Nichtsnutze.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 


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