Unter großem Einfluß

Alles zum Thema Geheimdienste und Sicherheit in der DDR und in der BRD

Unter großem Einfluß

Beitragvon Interessierter » 24. Januar 2020, 08:39

Die allgegenwärtige Stasi bespitzelte sogar die Volkspolizei.

Der Kriminalpolizist Hilmar Lohmann* benahm sich manchmal merkwürdig: An seinem Schreibtisch in der Kreisdienststelle Leipzig-Land führte er "wiederholt" Selbstgespräche. Mitunter aß er trockenes Brot und erklärte den verdutzten Volkspolizisten, daß er sich so "auf einen Ernstfall" vorbereite.

Wenn so einer dann noch ein ausgefallenes Hobby hat - Lohmann züchtete Giftschlangen in seiner Wohnung -, gilt er schnell als spinnert. In einem Punkt aber hätten die Vopos ihrem Kollegen glauben können: Mehrfach hatte der sich beschwert, er werde "von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) beobachtet".

Alle Marotten des Volkspolizisten, aber auch seine Vermutungen über die Stasi wurden in aller Ausführlichkeit * Name von der Redaktion geändert. vom Leiter der Dienststelle, Oberstleutnant Händel, der Staatssicherheit gemeldet. Die Mitarbeiter des MfS waren dankbare Empfänger solcher Informationen. "Bergeweise", so ein Stasi-Auflöser, haben die Staatsschützer Material gehortet über die eigentlichen Hüter von Recht und Ordnung, die Volkspolizei (VP).


Der Schlangenfreund geriet auch deshalb in die Akten, weil er einmal in einer Fachzeitschrift inseriert und daraufhin Kontakt zu einem holländischen Tierfreund bekommen hatte. Freimütig teilte sein Vorgesetzter den Stasi-Leuten außerdem mit, der "physische und psychische Zustand des Genossen L." entspreche "nicht mehr den Anforderungen für eine Mitarbeit" in der Abteilung KI, zuständig für schwere Kriminalität und Beschädigung von Volkseigentum.

Daß die Abwehroffiziere und inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi bei der Volkspolizei herumschnüffelten, zeigt, wie wenig Vertrauen selbst Staatsorgane zur Honecker-Zeit einander entgegenbrachten. Mit großer Akribie wurden auch die absurdesten Banalitäten in den Akten vermerkt. Als "erarbeiteter Hinweis" wurde zum Beispiel gespeichert, daß ein 23jähriger Vopo nach Feierabend "unter Verwendung seines Dienstausweises" einen Jugendklub betrat, um "sich Zigaretten zu kaufen und um sofort bedient zu werden".

Ob im Dienst oder privat, wenn die Vopos Alkohol intus hatten, war die Stasi nicht weit: So fiel ein 31jähriger VP-Major auf, weil er seinen Nachbarn im angeheiterten Zustand Feuerwerkskracher auf den Balkon geworfen hatte. Den Schnüfflern entging auch jener Kriminalpolizist nicht, der mitunter betrunken auf der Wache saß, im Dienstzimmer nächtigte oder "bei einer unbekannten weiblichen Person". Der Name seines Vorgesetzten, der diese "Vorkommnisse vertuschen" wollte, kam gleich mit in die Akte.

Die Datensammelsucht der Stasi könnte den überwachten Polizisten trotz der Stasi-Auflösung gefährlich werden. In einem vereinigten Deutschland, so der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Hermann Lutz, würden nicht alle DDR-Volkspolizisten in eine gesamtdeutsche Polizei übernommen werden. Da mag die Versuchung groß sein, sich aus dem Fundus der Staatssicherheit zu bedienen, um ungeeignete Polizisten herauszufiltern.

"Bislang" gebe es solche Pläne nicht, heißt es im Innenministerium der DDR. Die Akten seien ohnehin nicht verläßlich, da die Staatssicherheit oftmals "oberflächlich" gearbeitet habe. Alles, was zur Beurteilung eines Polizisten wichtig sei, stehe ja "in den normalen Personalakten".

Nicht ganz. Ein Vermerk etwa über politische (Un-)Zuverlässigkeit eines Ordnungshüters im Stasi-Ordner könnte heute die demokratische Gesinnung des einst Bespitzelten unter Beweis stellen. Der Kriminalpolizist Alexander Fels*, der 1981 gefeuert wurde, weil er seine Frau nicht überzeugen konnte, zur Wahl zu gehen, würde ebenso rehabilitiert wie ein Volkspolizei-Obermeister, der sich verdächtig gemacht hatte, weil er "wiederholt im Intershopladen" in Halle einkaufen ging.

Bis die neuen Länder die Polizeihoheit ausüben können, ist für die Polizei Innenminister Peter-Michael Diestel zuständig, der gegen den Protest des Bürgerkomitees die Stasi-Akten aus dem ganzen Land in Ost-Berlin unter Verschluß halten möchte.

Das Innenministerium fürchtet "Unregelmäßigkeiten": So seien schon mehrfach Akten in private Hände gelangt, weil einzelne Stasi-Auflöser sich nicht an die strengen Bestimmungen der Bürgerkomitees gehalten hätten.

Manchem Polizisten kann nur recht sein, wenn seine Eigenheiten dem Einblick Neugieriger entzogen bleiben. Bemerkungen wie "steht unter großem Einfluß seiner Ehefrau", "wurde wiederholt angetroffen im Dienstzimmer ein Buch lesend" oder "neigt sehr stark zum Alkohol" haben dann keine Folgen.

https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13501032.html
Interessierter
 

Re: Unter großem Einfluß

Beitragvon augenzeuge » 24. Januar 2020, 13:42

Ob im Dienst oder privat, wenn die Vopos Alkohol intus hatten, war die Stasi nicht weit: So fiel ein 31jähriger VP-Major auf, weil er seinen Nachbarn im angeheiterten Zustand Feuerwerkskracher auf den Balkon geworfen hatte. Den Schnüfflern entging auch jener Kriminalpolizist nicht, der mitunter betrunken auf der Wache saß, im Dienstzimmer nächtigte oder "bei einer unbekannten weiblichen Person". Der Name seines Vorgesetzten, der diese "Vorkommnisse vertuschen" wollte, kam gleich mit in die Akte.


[laugh] Flächendeckend eben. Das bezog sich scheinbar auch auf die private Bettfläche.....

Und das Vertuschen ließ sich die Stasi doch nicht nehmen. [grin]

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