Kinder von Stasi-Mitarbeitern Mein Vater, der Spitzel
Verfasst: 29. November 2019, 09:24
Der Sturm auf die Zentrale beendete die Macht der Stasi. Die meisten ihrer Geheimnisse wurden öffentlich. Doch in vielen Familien einstiger Mitarbeiter wird weiter geschwiegen. Timo Hoffmann
Eine Viertelmillion Menschen arbeiteten laut Unterlagenbehörde im Laufe der DDR hauptamtlich für die Staatssicherheit, 91 000 noch im Oktober 1989. Mindestens 600 000 waren laut Stasi-Statistiken in den vier Jahrzehnten des „Arbeiter- und Bauernstaats“ zusätzlich als Inoffizielle oder Gesellschaftliche Mitarbeiter Sicherheit registriert, 174 000 allein im Dezember 1988. Die meisten von ihnen waren Männer – und Väter.
Worüber sie zu Hause sprachen, war nicht ihre Privatsache. Von Inoffiziellen Mitarbeitern wurde verlangt, auch engsten Angehörigen ihre Verpflichtung zu verheimlichen. Hauptamtliche Mitarbeiter waren zumindest angewiesen, mit ihrer Familie nicht über Dienstliches zu sprechen. Nach außen erzählten sie meist, beim Ministerium des Innern oder der Volkspolizei beschäftigt zu sein. In einigen Fällen war selbst die Ehefrau über den wirklichen Arbeitgeber ebenso ahnungslos wie die Kinder – zumindest vorerst. Denn viele Kinder teilen die prägende Erfahrung jenes Moments, in dem sie vom väterlichen Doppelleben erfuhren. Manchmal traf es sie völlig unvorbereitet, etwa bei der Armee, in Oppositionsgruppen oder später beim Aktenstudium. Andere bekamen mit der Zeit mit, warum ihr Vater etwa hin und wieder in Uniform zur Arbeit ging. „Er hat zwar nie darüber gesprochen und es war immer ein Tabu“, sagt einer. „Aber irgendwann war es einfach klar.“
Ein Tabu ist es geblieben. Auch nach dem Sturm auf die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße ist wenig darüber bekannt, welche Folgen die Taten für die Kinder der Väter haben. Das Thema existiert in der Öffentlichkeit fast nicht, weder im Internet noch in Selbsthilfegruppen, Medien, privaten Unterhaltungen oder auf dem Buchmarkt.
Der Grund dafür ist simpel: Der Großteil dieser längst erwachsenen Kinder schweigt strikt darüber. 2006 beschrieb die Schriftstellerin Jana Hensel in einem Zeitungsartikel, wie sie wochelang in ihrem Bekanntenkreis, bei Stiftungen, Vereinen, Fachleuten und Behörden herumtelefonierte und eine Chiffre-Anzeige schaltete, um Kinder früherer Stasi-Mitarbeiter zu finden. „Daraufhin bekam ich keine Antwort, wie mir auch keiner der Kontaktierten spontan weiterhelfen konnte“, resümierte sie.
Dem ist noch immer so, und einige Ursachen liegen nahe. Eine ist die Angst des Kindes vor einer Zerrüttung des Verhältnisses zu Vater und Mutter. Wer Betroffene anspricht, wird häufig mit einem knappen „Nein, meine Eltern leben doch noch“ zurückgewiesen. „Es ist ein natürliches Bedürfnis, die Eltern zu schonen“, sagt der Berliner Psychotherapeut Karl-Heinz Bomberg, der rund 15 Kinder früherer Stasi-Mitarbeiter behandelt hat. „Man will kein Nestbeschmutzer sein.“
Schließlich geht der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit meist ein großer zeitlicher Abstand voraus. „Man schiebt es erst einmal weg, weil die Seele sich wohlfühlen will“, sagt Bomberg. Oft beginnt die Bewältigung erst, wenn Betroffene durch ein Detail wieder darauf stoßen – oder Symptome wie paranoide Ängste, Misstrauen, Schuldgefühle oder Suchtprobleme auftreten.
Erst mit einem Abstand von Jahrzehnten haben einige wenige Betroffene ihre Erlebnisse niedergeschrieben. Es sind meist Nachkommen von DDR-Spionen, die in Westdeutschland im Einsatz waren. 2004 veröffentlichte Pierre Boom, Sohn des bekanntesten DDR-Agenten Günter Guillaume seine Erinnerungen. In seinem bemerkenswerten Buch „Der fremde Vater“ beschreibt er eindringlich den Augenblick, als ihm 1974 mit dem Rücktritt von Willy Brandt als Bundeskanzler erstmals zweifelsfrei deutlich wurde, dass die Spionagevorwürfe gegen seinen Vater wahr waren. „Meine Gefühle in diesem Moment sind mit kaum etwas vergleichbar, was ich zuvor oder danach erfahren habe. Meine Eltern waren nun im Grunde wildfremde Menschen für mich, die etwas gänzlich anderes denken und fühlen mussten als jene, die ich in den letzten 17 Jahren zu kennen geglaubt hatte.“
https://www.tagesspiegel.de/themen/mein ... 60556.html
Ein Bericht aus dem Jahre 2010, der wohl leider auch heute noch seine Gültigkeit hat.
Eine Viertelmillion Menschen arbeiteten laut Unterlagenbehörde im Laufe der DDR hauptamtlich für die Staatssicherheit, 91 000 noch im Oktober 1989. Mindestens 600 000 waren laut Stasi-Statistiken in den vier Jahrzehnten des „Arbeiter- und Bauernstaats“ zusätzlich als Inoffizielle oder Gesellschaftliche Mitarbeiter Sicherheit registriert, 174 000 allein im Dezember 1988. Die meisten von ihnen waren Männer – und Väter.
Worüber sie zu Hause sprachen, war nicht ihre Privatsache. Von Inoffiziellen Mitarbeitern wurde verlangt, auch engsten Angehörigen ihre Verpflichtung zu verheimlichen. Hauptamtliche Mitarbeiter waren zumindest angewiesen, mit ihrer Familie nicht über Dienstliches zu sprechen. Nach außen erzählten sie meist, beim Ministerium des Innern oder der Volkspolizei beschäftigt zu sein. In einigen Fällen war selbst die Ehefrau über den wirklichen Arbeitgeber ebenso ahnungslos wie die Kinder – zumindest vorerst. Denn viele Kinder teilen die prägende Erfahrung jenes Moments, in dem sie vom väterlichen Doppelleben erfuhren. Manchmal traf es sie völlig unvorbereitet, etwa bei der Armee, in Oppositionsgruppen oder später beim Aktenstudium. Andere bekamen mit der Zeit mit, warum ihr Vater etwa hin und wieder in Uniform zur Arbeit ging. „Er hat zwar nie darüber gesprochen und es war immer ein Tabu“, sagt einer. „Aber irgendwann war es einfach klar.“
Ein Tabu ist es geblieben. Auch nach dem Sturm auf die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße ist wenig darüber bekannt, welche Folgen die Taten für die Kinder der Väter haben. Das Thema existiert in der Öffentlichkeit fast nicht, weder im Internet noch in Selbsthilfegruppen, Medien, privaten Unterhaltungen oder auf dem Buchmarkt.
Der Grund dafür ist simpel: Der Großteil dieser längst erwachsenen Kinder schweigt strikt darüber. 2006 beschrieb die Schriftstellerin Jana Hensel in einem Zeitungsartikel, wie sie wochelang in ihrem Bekanntenkreis, bei Stiftungen, Vereinen, Fachleuten und Behörden herumtelefonierte und eine Chiffre-Anzeige schaltete, um Kinder früherer Stasi-Mitarbeiter zu finden. „Daraufhin bekam ich keine Antwort, wie mir auch keiner der Kontaktierten spontan weiterhelfen konnte“, resümierte sie.
Dem ist noch immer so, und einige Ursachen liegen nahe. Eine ist die Angst des Kindes vor einer Zerrüttung des Verhältnisses zu Vater und Mutter. Wer Betroffene anspricht, wird häufig mit einem knappen „Nein, meine Eltern leben doch noch“ zurückgewiesen. „Es ist ein natürliches Bedürfnis, die Eltern zu schonen“, sagt der Berliner Psychotherapeut Karl-Heinz Bomberg, der rund 15 Kinder früherer Stasi-Mitarbeiter behandelt hat. „Man will kein Nestbeschmutzer sein.“
Schließlich geht der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit meist ein großer zeitlicher Abstand voraus. „Man schiebt es erst einmal weg, weil die Seele sich wohlfühlen will“, sagt Bomberg. Oft beginnt die Bewältigung erst, wenn Betroffene durch ein Detail wieder darauf stoßen – oder Symptome wie paranoide Ängste, Misstrauen, Schuldgefühle oder Suchtprobleme auftreten.
Erst mit einem Abstand von Jahrzehnten haben einige wenige Betroffene ihre Erlebnisse niedergeschrieben. Es sind meist Nachkommen von DDR-Spionen, die in Westdeutschland im Einsatz waren. 2004 veröffentlichte Pierre Boom, Sohn des bekanntesten DDR-Agenten Günter Guillaume seine Erinnerungen. In seinem bemerkenswerten Buch „Der fremde Vater“ beschreibt er eindringlich den Augenblick, als ihm 1974 mit dem Rücktritt von Willy Brandt als Bundeskanzler erstmals zweifelsfrei deutlich wurde, dass die Spionagevorwürfe gegen seinen Vater wahr waren. „Meine Gefühle in diesem Moment sind mit kaum etwas vergleichbar, was ich zuvor oder danach erfahren habe. Meine Eltern waren nun im Grunde wildfremde Menschen für mich, die etwas gänzlich anderes denken und fühlen mussten als jene, die ich in den letzten 17 Jahren zu kennen geglaubt hatte.“
https://www.tagesspiegel.de/themen/mein ... 60556.html
Ein Bericht aus dem Jahre 2010, der wohl leider auch heute noch seine Gültigkeit hat.