Wenn es um die friedliche Revolution von 1989 geht, wird der Dokumentarfilmer Joachim Tschirner zu den Guten gezählt: Bei der großen Demonstration gegen das SED-Regime am 4. November 1989 auf dem Alex hielt er eine vielbeachtete Rede. Er war die Stimme der Revolution - tatsächlich aber war er ein Helfer des Regimes. Jahrelang spitzelte Tschirner für die Stasi.
Auf dem Alexanderplatz steht ein Lkw-Anhänger mit einem provisorisch zusammen gezimmerten Holzpodium darauf. Als ein Mann mit schwarzem Vollbart und großer Hornbrille auf das Podium klettert und ans Mikrofon tritt, weiß er vielleicht schon, dass er Teil einer ganz großen Sache ist. Wer sich dort hinstellt und über den verknöcherten Sozialismus und die SED-Diktatur spricht, gibt Hunderttausenden Menschen eine Stimme. Die Stimme der Revolution.
Es ist der 4. November 1989. Der Tag, an dem die SED-Führung erkennen muss, dass ihre Macht gebrochen ist. In der Innenstadt Ost-Berlins haben sich eine halbe Million Menschen versammelt.
Auf dem Holzpodium sprechen die Bürgerrechtler Marianne Birthler und Jens Reich, der Schriftsteller Stefan Heym, der Regisseur Heiner Müller, die Schauspieler Ulrich Mühe und Jan Josef Liefers, 26 Redner insgesamt. Um 13.28 Uhr ist jener Mann mit Vollbart und Hornbrille dran: Joachim Tschirner, ein international bekannter Dokumentarfilmregisseur, damals 41 Jahre alt. Er wird fünf Minuten sprechen, sein Thema ist die Unfreiheit der Medien. Tschirner sagt: "Ich glaube nicht daran, dass eine wirkliche Wende möglich ist, solange die noch in den Chefetagen der Sendeanstalten und Redaktionen sitzen, die lediglich ihre Sessel um 180 Grad gedreht haben." Als Tschirner vom Mikrofon wegtritt, brandet Beifall auf.
Es ist die Rede seines Lebens. Das Foto von Tschirner am Mikrofon, im Anorak mit einem Zettel in der Hand, ist eines der Fotos dieses Tages, die sich ins kollektive Gedächtnis Deutschlands eingebrannt haben. Man findet es bei Wikipedia, in Geschichtsbüchern, im Bundesarchiv.
Eine Akte, rund 600 Seiten stark
Aus heutiger Sicht erscheint Tschirners Auftritt wie ein dreistes Schauspiel. Denn nach Recherchen der Berliner Morgenpost soll Tschirner 16 lange Jahre unter dem Decknamen "Hans Matusch" als Inoffizieller Mitarbeiter für die Staatssicherheit gespitzelt haben. Es gibt ein vom SED-Geheimdienst angelegte Akte, rund 660 Seiten stark, sie füllt drei dicke Bände. Diese Akte enthält Protokolle des Verrats an Kollegen, Bekannten und Freunden. Laut dieser Akte war Tschirner 25 und Student, als er sich am 8. Dezember 1973 zur Zusammenarbeit bereiterklärte, handschriftlich. Am 2. Oktober 1989, so besagen es Dokumente, soll er sich letztmals mit seinem Stasi-Führungsoffizier in der konspirativen Wohnung "Kaufmann" getroffen haben. Gut einen Monat vor seinem legendären Auftritt als Reformer auf dem Alexanderplatz also.
Die ganze Geschichte findet man hier:
https://www.morgenpost.de/berlin/articl ... itzel.html
Schwer nachvollziehbar und unverständlich, wie man so dreist und unverfroren sein kann und als Stasi - Spitzel sich aufs Podium stellt.