Wodka aus Sektgläsern
Erich Mielkes Agenten schrieben nicht nur Spitzelberichte, sondern auch Gedichte - schlechte.
Das Buch, erschienen 1985, trägt den Titel "Wir über uns". Der Inhalt wurde zur Geheimsache erklärt: "Nur für den Gebrauch im MfS bestimmt."
Alle Autoren des Bandes waren Bedienstete von Erich Mielkes Ost-Berliner Ministerium für Staatssicherheit, das sich selbst in der Tradition der sowjetischen Geheimpolizei Tscheka sah. Ein Zirkel namens "Schreibende Tschekisten" hatte in dem Buch zum 35. MfS-Jubiläum hymnische Texte versammelt, die den Dienst für Ost-Berlins Spionagezentrale auf das schwülstigste verherrlichten.
Leseprobe: _____" Schwert der Partei, dem tückischen Feind entreißt du " _____" unbarmherzig die Maske, legst seine Würgerhände bloß, " _____" kommst dem heuchelnden Verräter auf die Spur. " _____" Die Scharten des Kampfes machen dich nicht stumpf: " _____" ständig erneuerst du dich. Nur immer noch schärfer und " _____" stärker kommen deine Schläge aus der Unsichtbarkeit. "
Werke wie "Wir über uns" erhellen, ebenso wie andere, bislang unveröffentlichte Schriftstücke aus dem Hause Mielke, eine bizarre Seite des Ost-Berliner Unterdrückungsapparates: die ebenso makabren wie unfreiwillig komischen Bemühungen der Stasi-Spitze, ihre rund 100 000 hauptamtlichen Mitarbeiter moralisch aufzurüsten - mit lyrischen und musikalischen Ergüssen, mit Traditionsfeiern und Saufgelagen, bei denen der Wodka zuweilen in Sektgläsern serviert wurde.
In den Stasi-Archiven finden sich, neben 180 Kilometern Aktenbänden mit Aufzeichnungen über das bespitzelte Volk, über verwanzte Dichterwohnungen und geplante Internierungslager für Staatsfeinde, auch skurril anmutende Richtlinien, die tiefe Einblicke in die Psyche der Überwacher gewähren: minutiöse Weisungen, mit denen die zu Motivationszwecken organisierte Fröhlichkeit im Hause Mielke bis ins Detail geregelt wurde.
Eine eigens eingesetzte MfS-Arbeitsgruppe, "AG Freud und Leid" genannt, hatte für den reibungslosen Ablauf aller Festivitäten zu sorgen, Hochzeiten und Todesfälle inklusive. Staatsjubiläen, Ordensverleihungen und Beförderungen, von "Freud und Leid" auf allen Ebenen organisiert, waren für sämtliche Stasi-Chargen Pflichttermine mit militärischem Gepränge.
Vorgeschrieben war bei solchen Anlässen die grünbeige "Ausgangsuniform", nachempfunden der Paradekluft des karibischen Revolutionsführers Fidel Castro, die Ex-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann nach einem Kuba-Besuch Anfang der siebziger Jahre mit nach Hause gebracht hatte.
Auch Stasi-Feste wurden mit konspirativem Schnickschnack abgesichert - was gelegentlich zu kleinen Pannen führte. So versäumte es die MfS-Führung, vor einer Party im Ost-Berliner Metropol dem Hotel den vereinbarten Code zu übermitteln.
Die Stasi-Gäste, die sich mit den Worten vorstellten, sie kämen vom "Außenhandelsbetrieb Spielwaren", wurden zunächst zurückgewiesen: "Das muß ein Irrtum sein. Ihr AHB feiert hier nicht." Erst als eine zweite Gruppe verschwörerisch Einlaß begehrte, klärte ein Vorgesetzter die Empfangsdame auf: "Das ist doch das Codewort."
Die Zusammenkünfte im Metropol entwickelten sich bisweilen zu "wüsten Orgien": "Da wurde wahnsinnig gesoffen - das brachte die Materie so mit sich", erinnert sich ein Beteiligter. Mit von der Partie waren Stasi-Kurtisanen, die sonst ausländischen Hotelgästen zu Diensten waren. Zu vorgeschrittener Stunde wurde auch schon mal eine Hotelvitrine mit Meißner Porzellan ausgeräumt.
Weiter mit dem Bericht geht es hier:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13682229.html
Einfach köstlich der "Außenhandelsbetrieb Spielwaren" selten so