In U - Haft bei der Stasi in Rostock

Alles zum Thema Geheimdienste und Sicherheit in der DDR und in der BRD

In U - Haft bei der Stasi in Rostock

Beitragvon Interessierter » 30. Mai 2017, 13:34

Die Wende existiert nicht
von Nils Zurawski

Als die schwere Zellentür sich öffnet, steht May-Britt Krüger bereits mit dem Gesicht zur Wand und wartet auf Anweisungen. Immer wieder ist es derselbe Wortlaut: "Bett 1!", sagt eine Stimme mit dem scharfen Ton eines Gefängniswärters: "Kommen Sie!"

Wie oft sie diesen Befehl hörte, hat Krüger nie gezählt. Die damals 22-Jährige kam am 10. August 1989 in Untersuchungshaft bei der Staatssicherheit in Rostock. "Bett 1" und später "Bett 2" war dort ihr Name - eine Bezeichnung ohne jede menschliche Anmutung. Zusammen mit ihrem Vater und einem befreundeten Paar war sie am Tag zuvor von den DDR-Sicherheitskräften auf dem Weg nach Ungarn bereits kurz hinter Rostock festgenommen worden. Der Vorwurf lautete Republikflucht und Bandenbildung. Außerdem hätte sie das Fluchtfahrzeug gestellt und sei somit "Mitwisserin" gewesen.

Bild
Im Visier der Stasi
May-Britt Krüger mit Eltern, undatiert 1980er Jahre © May-Britt Krüger
May-Britt Krüger mit ihren Eltern Mitte der 80er-Jahre. Die Familie wurde von der Stasi Tag und Nacht bespitzelt.

"Noch als ich in die U-Haft gebracht wurde, glaubte ich, dass nur mein Vater verhaftet würde. Im Leben habe ich nicht daran gedacht, dass ich selbst die nächsten Monate hier sitzen sollte", erzählt May-Britt Krüger heute. Für die junge Frau war es ein Schock, auch wenn es sie nicht völlig überraschte. Bereits in den 1970er-Jahren hatte ihr Vater einen Ausreiseantrag gestellt und geriet daraufhin in den Fokus des DDR-Geheimdienstes. May-Britt Krüger erinnert sich an die teilweise kaum verdeckten Bespitzelungen durch die Stasi.

Erst aus ihren Stasi-Akten erfuhr sie nach der Wende, dass auch die elterliche Wohnung verwanzt war und nahezu alles aufgenommen wurde, was dort stattfand - auch banale Ereignisse wie das gemeinsame Kuchenbacken mit ihrer Mutter.

Alltag zwischen Zelle und Verhörraum

Bild
Zellentrakt, Gedenkstätte Stasi Untersuchungsgefängnis, Rostock © NDR Fotograf: Nils Zurawski
Zellentrakt im Rostocker Stasi-Untersuchungsgefängnis. Hier musste May-Britt Krüger zahlreiche zermürbende Verhöre über sich ergehen lassen.

Während ihrer Haftzeit im Stasi-Untersuchungsgefängnis an der Augustenstraße, einem versteckten Gebäude im Innenhof der Rostocker Zentrale der Staatssicherheit, gab es für May-Britt Krüger nur das Leben hinter den Mauern. Was außerhalb stattfand, bekam sie nicht mehr mit. Der Alltag bestand aus dem Aufenthalt in den kleinen Zellen, zumeist mit einer anderen, später auch mit bis zu sechs Frauen, sowie den insgesamt 24 Verhören, in denen sie in den zweieinhalb Monaten Haft ihre geplante Republikflucht zugeben sollte. Ob sie tatsächlich über Ungarn in den Westen gegangen wäre, kann sie heute nicht genau sagen - und damals, so sagt sie heute, war sie so weit ja überhaupt nicht gekommen.

Dennoch wurden ihr in den zermürbenden Verhören, mit den immer gleichen Fragen, die immer wieder gleichen Anklagen vorgelegt, nur der Tonfall der Untersuchungsführer änderte sich - der erste brüllte, der sei ein "Schmierlappen" gewesen, erinnert sie sich. Sie nahm sich vor, dagegenzuhalten und nicht auf die Angebote und Drohungen einzugehen. So habe sie auch zu keinem Zeitpunkt zugegeben, dass sie flüchten wollte, berichtet Krüger, habe sich später in der Haft auf Rat ihres Anwaltes alle Protokolle vorlegen lassen und diese immer wieder korrigiert und angezweifelt.

Abgeschnitten von der Außenwelt

Bild
Gitter zwischen den Stockwerken, Gedenkstätte Stasi Untersuchungsgefängnis, Rostock © NDR Fotograf: Nils Zurawski
Gitter trennen die einzelnen Stockwerke der U-Haft-Anstalt.

Von der Dynamik der Ereignisse, die in der DDR stattfanden, merkte sie nichts. Auch von anderen Häftlingen wusste sie - mit Ausnahme der Zellengenossinnen - wenig. Die Verständigung war fast vollständig untersagt, das Personal verhinderte den Kontakt untereinander. Der Alltag im Gefängnis war streng geregelt: Einmal in der Woche gab es frische Unterwäsche, alles andere einmal im Monat. Ein Besuch pro Monat war erlaubt, allerdings nicht regelmäßig, sondern nach Belieben der Haftleitung, und auch das Briefeschreiben war streng reglementiert. Pro Tag gab es dazu 15 Minuten "Hofgang" in einem Außenkäfig, kaum größer als als 20 Quadratmeter.

Im Oktober 1989 fiel den Insassen auf, dass die Zellen deutlich stärker belegt waren als zuvor. Von draußen drangen Demonstrationsrufe zu May-Britt Krüger durch: "Stasi in die Produktion" und "Wir sind das Volk" skandierten die Menschen auf der Straße. Da wurde ihr bewusst, dass etwas passiert sein musste. Allerdings fiel es ihr schwer zu glauben, was sie hörte. Die Angst, dass doch noch etwas passieren würde, die Stasi einschreiten könnte und sie im Gefängnis dann hilflos wäre, war immer da.

Einen "Knacks" habe sie bis heute davonbehalten, sagt May-Britt Krüger. Geschlossene Räume, wie in Flugzeugen oder Fahrstühlen, bereiten ihr Unwohlsein. Und es hat lange gedauert, bis sie überhaupt über ihre Erlebnisse und die Zeit in der Haft offen sprechen konnte. Vieles war ihr peinlich, und sie selbst war am Anfang zu beschäftigt mit all den Geschehnissen.

http://www.ndr.de/kultur/geschichte/chr ... st100.html
Interessierter
 

Re: In U - Haft bei der Stasi in Rostock

Beitragvon Volker Zottmann » 30. Mai 2017, 20:37

Da hat man die junge Frau um die ganze aufregende Vorwendezeit betrogen.
Wie mögen sich ihre Vernehmer am 09.11.89 gefühlt haben?

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: In U - Haft bei der Stasi in Rostock

Beitragvon augenzeuge » 30. Mai 2017, 21:03

Volker Zottmann hat geschrieben:Da hat man die junge Frau um die ganze aufregende Vorwendezeit betrogen.
Wie mögen sich ihre Vernehmer am 09.11.89 gefühlt haben?


Ängstlich, und ganz sicher auch betrogen.... [denken]

AZ
"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war“.
„Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten“.
Benutzeravatar
augenzeuge
Flucht und Ausreise
Flucht und Ausreise
 
Beiträge: 84839
Bilder: 6
Registriert: 22. April 2010, 07:29
Wohnort: Nordrhein-Westfalen

Re: In U - Haft bei der Stasi in Rostock

Beitragvon SkinnyTrucky » 30. Mai 2017, 23:33

Sie ist auch in einer Doku zu sehen....ist auch auf YouTube, glaube ich....

....ja, so war die DDR....ich kam auch grad in die Stasi-Mühle und bin echt froh so glimpflich davon gekommen zu sein....

Diese Praxis der Ostberliner Ultras ist sehr sehr gruselig und man war als DDR-Bürger der ständigen Angst ausgeliefert das es dich selbst mal erwischt....


groetjes

Mara
Wenn es heute noch Menschen gibt, die die DDR verklären wollen, kann das nur damit zusammenhängen, dass träumen schöner ist als denken.... (Burkhart Veigel) Bild
Benutzeravatar
SkinnyTrucky
Flucht und Ausreise
Flucht und Ausreise
 
Beiträge: 9280
Bilder: 73
Registriert: 25. April 2010, 20:07
Wohnort: at the dutch mountains

Re: In U - Haft bei der Stasi in Rostock

Beitragvon Dr. 213 » 31. Mai 2017, 13:14

Mit der May- Britt hatte ich vor einiger Zeit mal einen netten E-Mail Kontakt.
Ich dachte, die kennste doch. Kam vom Alter und Aussehen alles hin.
Wie sich dann herausstellte haben wir beide tatsächlich in der Gegend um den Rostocker Hauptbahnhof gewohnt.
Allerdings war sie dann doch nicht die Britt, welche ich meinte.

An der Opfergeschichte kann man wirklich den ganzen Wahnsinn dieser Stasis bis ganz zuletzt sehen.
Und besonders auch, was für schwere Geschütze da wegen solcher Nichtigkeiten aufgefahren wurden.
Eingesperrt und ich will garnicht wissen, was für Demütigungen diese Frau in der Haft erfahren hat.
Die gleiche Stasi U- Haftanstalt übrigens, in die ich wahrscheinlich auch beinahe selber einfahren wäre.
Und darum interessieren mich diese Fälle und und in letzter Zeit besuche ich auch derartige Gedenkstätten,
was ich lange Zeit als quasi "nur" 3 Stunden Haftopfer mir mich selber kategorisch ausgeschlossen hatte.

Frau Krüger ist aktiv im Verband der Opfer des Stalinismus tätig und ich denke sie wird ihn eines Tages leiten.

Gruß
Dr. 213
Das größte Landraubtier der Neuzeit ist DER Bär.
Benutzeravatar
Dr. 213
 
Beiträge: 1727
Registriert: 17. August 2014, 13:52

Re: In U - Haft bei der Stasi in Rostock

Beitragvon Interessierter » 17. August 2017, 12:13

So schlimm war die Haft im DDR-Gefängnis

Bild

In den 60er Jahren wurde in Rostock ein menschenverachtendes Stasi-Gefängnis in Betrieb genommen. Tausende Regimekritiker wurden hier inhaftiert, in Einzelzellen mit blinden Glasbausteinen anstelle von Gittern. Ausgang gab es nur in den sogenannten "Tigerkäfigen". Zum Tag des offenen Denkmals berichten Augenzeugen von ihrer Haftzeit.

Wie ein Exot nimmt sich die einstige Stasi-Untersuchungshaftanstalt in Rostock auf der Liste der Bauten aus, die am Tag des offenen Denkmals besichtigt werden können.

Unter Kirchen, Burgen, Schlössern oder historischen Wohnhäusern wird aber auch dieser relativ junge Zweckbau als Monument einer Diktatur dem diesjährigen Veranstaltungsmotto "Vergangenheit aufgedeckt – Archäologie und Bauforschung“ durchaus gerecht, wie Sachgebietsleiterin Beate Karow von der Rostocker Außenstelle der Stasi-Unterlagen-Behörde erklärt. Die speziell für politische Häftlinge ausgerichtete Untersuchungshaftanstalt wurde in den 50er Jahren als DDR-weit erste ihrer Art geplant, gebaut und im Herbst 1960 in Betrieb genommen. Drei Zellenetagen mit offiziell 110 Häftlingsplätzen standen in direkter Verbindung zu den Vernehmungsräumen in der benachbarten Stasi-Bezirkszentrale, die zum Neubaukomplex gehörte.

Die Einzelzellen in dem Stasi-Knast waren 7,5 Quadratmeter groß. Anstelle von Fenstern wurden blinde Glasbausteine eingebaut. Die Häftlinge sollten nicht sehen können, wo sie sich befinden, wie Karow erläutert. Im Keller des Gebäudes gab es vier Dunkelzellen, die nicht mehr im Originalzustand erhalten sind. Zum Freigang wurden die Häftlinge in sogenannte "Tigerkäfige“ geführt. Für Außenstehende bestand keine Möglichkeit, den Innenhof einzusehen. In den umliegenden Häusern wohnten Stasi-Mitarbeiter.

Neben der Gedenk- und Dokumentationsstätte "Opfer politischer Gewaltherrschaft“, die in den 90er Jahren in der Rostocker U-Haftanstalt eingerichtet wurde, sind zum Tag des offenen Denkmals "vom Keller bis zum Dach erstmalig alle Bereiche unter Führung zu besichtigen“, kündigt Karow an. In den Räumen der ehemaligen Haftanstalt ist heute eine ständige Ausstellung über Geschichte, Struktur und Wirkungsweise des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zu besichtigen.

Tausende machten bittere Erfahrungen

Tausende Regimegegner der DDR machten in dem Untersuchungsgefängnis bittere Erfahrungen mit den Schergen der SED-Diktatur. Die Gründe für quälende Verhöre, Gewaltanwendung und Gefangenschaft waren staatsfeindliche Äußerungen oder Fluchtversuche. So war die 1948 geborene, heute als Reiseschriftstellerin bekannte Carmen Rohrbach nach ihrer todesmutigen und schließlich missglückten Flucht mit einem Schlauchboot über die Ostsee 1974 dort inhaftiert. In Rostock fanden ihre ersten Vernehmungen statt, ehe sie für zwei Jahre in das berüchtigte Frauengefängnis Hoheneck verfrachtet wurde. Sie wurde später von der Bundesrepublik Deutschland freigekauft. Rohrbach war erschüttert "über die menschenverachtenden Haftbedingungen, die ich im 20. Jahrhundert in einem europäischen Land so nicht vermutet hätte“, wie sie wiederholt bekundet hat.

Am 4. Dezember 1989 kam mit der Wende das Ende des Rostocker Stasi-Objektes, als Bürgerrechtler vor dem Gebäude "Mahnwachen gegen die Vernichtung von Beweismitteln“ errichteten und Einlass erzwangen. Gemeinsam mit der Polizei nahmen damals Bürgerkomitees die Stasi-Bezirkszentrale unter Kontrolle. Im März übernahm der Rostocker Pastor und spätere Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, der Volkskammer-Abgeordnete Joachim Gauck, die Leitung des Sonderausschusses zur Kontrolle der Auflösung des MfS.

Der Tag des offenen Denkmals findet jedes Jahr am zweiten Sonntag im September statt. Seit 1993 ist es der deutsche Beitrag zu den "European Heritage Days“, die in mehr als 48 Ländern stattfinden.


https://www.welt.de/politik/article2427 ... ngnis.html
Interessierter
 


Zurück zu Geheimdienste und Sicherheit

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 5 Gäste