Seit der Enthüllung über die Stasi-Tätigkeit des ehemaligen Polizisten Karl-Heinz Kurras, der Benno Ohnesorg erschoss, wird neu über die Studentenbewegung von 1967/68 debattiert. Im Interview mit WELT ONLINE betont Historiker Peter Horvath seine Erkenntnis: SED und Stasi inszenieren die 68er-Revolte.
WELT ONLINE: Der Schriftsteller Peter Schneider meint, die DDR habe keinen wesentlichen Einfluss auf die Revolte der Studentenbewegung genommen. Hat er Recht?
Peter Horvath: Die Archivalien sprechen eine andere Sprache. Die DDR hat systematisch Einfluss genommen. Zum einen über die FDJ; jährlich wurden die Zahl der geführten Gespräche und die durchgeführten Seminare akribisch genau erfasst. Den regionalen SDS-Gruppen in der Bundesrepublik ordnete man FDJ-Gruppen zu und bearbeitete sie systematisch. Ein zweiter Kanal lief in Westdeutschland über die damals ja noch illegale KPD. Sie instruierte ihre Mitglieder, im SDS im Sinne der eigenen Positionen tätig zu werden. Hierzu gehörte es, Aktionen gegen die Notstandsgesetze und gegen Atomrüstung zu initiieren. Der SDS sollte das Ziel übernehmen, West-Berlin zu einer entmilitarisierten "Freien Stadt" zu machen, also von der Bundesrepublik zu lösen. Der dritte Kanal war der Geheimdienstapparat des MfS. Es gab eine Reihe von Einflussagenten, die an wichtigen Positionen im SDS tätig waren.
WELT ONLINE: Nennen Sie uns konkrete Beispiele?
Horvath: Wie gut die Kontakte zwischen SDS und FDJ waren, zeigte sich etwa an Wolfgang Lefèvre. Als SDS-Bundesvorstandsmitglied und Konventspräsident der Freien Universität Berlin traf er sich am 20. und 27. Juni 1967 heimlich mit hohen Funktionären der FDJ in Ost-Berlin und beriet mit ihnen darüber, wie die Studentenbewegung weiterentwickelt werden könne, um die Machtstrukturen in West-Berlin zu verändern. Weitere Themen waren, wie die Anti-Springer Kampagne weiterzuführen sei und wie ein "Gegenparlament" in West-Berlin geschaffen werden könne. Einen Monat später fand sogar ein viertägiges gemeinsames Seminar von SDS und FDJ in Ost-Berlin statt, an dem auch Reimut Reiche teilnahm, der SDS-Bundesvorsitzende.
WELT ONLINE: Die wichtigsten Veteranen der 68er und des SDS haben sich nie zu ihren Kontakten zu DDR und zu SED bekannt. Haben sie vielleicht ein schlechtes Gewissen?
Horvath: Es ist nicht einfach zuzugeben, dass man verführt und getäuscht worden ist. Ich war selber viele Jahre in der DKP und ihrem Umfeld tätig - es ist nicht so leicht, sich aus diesem ideologischen Schlamm herauszuarbeiten. Man muss eingestehen, dass man eher betrogener Betrüger als selbstbestimmtes Individuum war.
WELT ONLINE: Sie planen eine Studie unter dem Arbeitstitel "Eine inszenierte Revolte?". Warum "inszeniert"?
Horvath: Nach der Kurras-Enttarnung werde ich das Fragezeichen sogar weglassen. Es wird immer deutlicher, dass ganz gezielt eine Wirklichkeit inszeniert wurde, die kommunistischer Propaganda und Ideologie entsprach. Die West-Berliner Polizei wurde als faschistoid inszeniert, die per Kopfschuss von hinten Studenten "hinrichtet". Der Bundesrepublik wurde mittels der Kampagne gegen die Notstandsgesetze unterstellt, sie befände sich auf dem Weg in die Notstandsdiktatur. Meiner Ansicht nach war 1968 keine Revolte, die aus einer inneren Not geboren wurde. Vielmehr wurde eine innere Not inszeniert und provoziert, die zur Revolte führte.
https://www.welt.de/kultur/article39268 ... volte.html
Eine Erkenntnis des Historikers Horvath, die wieder einmal aufzeigt, wie rücksichtslos die Stasi im Westen agierte.