Die DDR und Luther

Alles zum Thema Kirche und Religion in beiden deutschen Staaten

Die DDR und Luther

Beitragvon pentium » 14. Februar 2014, 19:45

Im August 1976 protestierte Pfarrer Oskar Brüsewitz offen gegen das DDR-Regime. Sein Protest endete in seinem Tod. Daraufhin suchten Kirche und SED gemeinsam nach einem Ausweg aus der offenen Konfrontation. Bei einem Gipfeltreffen verständigten sich beide Seiten auf ein friedliches Nebeneinander - und darauf, das Lutherjahr 1983 groß zu feiern.

Nach den dramatischen Ereignissen des Jahres 1976 suchten die DDR-Kirchenleitungen und die SED nach einem Ausweg aus der offenen Konfrontation. Am 6. März 1978 empfing Erich Honecker den Berliner Bischof Schönherr und andere hochrangige Kirchenvertreter zum ersten und einzigen offiziellen Gespräch. Die SED erwartete von der Kirche ein Bekenntnis zur DDR und zum Sozialismus, die Kirchenvertreter endlich das Zugeständnis eigener Gestaltungsräume. Im Ergebnis verständigte man sich auf ein friedlicheres Nebeneinander. Schon 1971 hatte Bischof Schönherr auf einer Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) erklärt: "Wir wollen Kirche nicht neben, nicht gegen, sondern Kirche im Sozialismus sein."
Kirche durfte Luthers 500. Geburtstag feiern

Beim Treffen mit Honecker hatten die Kirchenmänner auch das Zugeständnis erhalten, das für 1983 anstehende Lutherjahr aus Anlass des 500. Geburtstages mit Kirchentagen gebührend feiern zu können. Wegen der weltweiten Strahlkraft des Ereignisses wurden zahlreiche Gäste aus dem Ausland erwartet, aber auch aus der Bundesrepublik.

http://www.mdr.de/damals/lutherjahr-in-der-ddr100.html

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Re: Die DDR und das Lutherjahr 1983

Beitragvon pentium » 25. Juli 2014, 14:47

Mit und durch Martin Luther weiter im Gespräch, oder hat es sich schon wieder „ausgeluthert“

Bericht über eine ungewöhnliche Tagung

Zitat:
Wenige Tage nach dem 513. Geburtstag von Martin Luther fand in den Räumlichkeiten des Instituts für vergleichende Staat-Kirche-Forschung (Planckstraße 20, 10117 Berlin-Mitte) das 5. Werkstattgespräch zum Thema „Luther und die DDR - Gespräche über ein ungewöhnliches Jubiläum 1983“ statt.
...
Prof. Dr. Adolf Laube verwies auf die bekannte Tatsache, daß Ende der 70er Jahre marxistische Historiker damit begannen, sich mit dem Leben und Werk von Martin Luther wissenschaftlich zu beschäftigen, was u. a. auch zu einer Verwissenschaftlichung des Luther-Bildes führte und nicht mehr vordergründig polemisch-propagandistisch geprägt war. Die Führung der DDR war an Thomas Müntzer orientiert, was dann auch entsprechende Konsequenzen in der Propaganda hatte. Martin Luther galt als „Bauernschlächter und Fürstenknecht“. In diesem Zusammenhang sei an die Schrift von Alexander Abusch „Irrwege einer Nation“ (1946) erinnert, der jenes Bild mit einem Firniß versah und damit zementierte. Marxistische Historiker entdeckten dann später (Ende der 70er Jahre) Martin Luther als Theologen und die Dialektik von Theologie und sozialen Bestrebungen.

Lange vor der Luther-Ehrung 1983 der DDR kam es zu wissenschaftlichen Gesprächen zwischen marxistischen und Kirchen-Historikern, bei denen ein reger Austausch stattfand, die aber doch mehr im Verborgenen ihren Ort hatten. Darauf machte vor allem Dr. Siegfried Bräuer aufmerksam, der auch während seiner Zeit als Pfarrer in Leipzig (vor 1980) Kontakte zu Max Steinmetz, dem sogenannten Nestor der marxistischen DDR-Geschichtsforschung, pflegte.

Sinn und Ziel der Luther-Ehrung 1983 der DDR beschrieb Prof. Dr. Gerhard Brendler u. a. so:
„Wenn die DDR zur eigenen Staatsnation werden und sich für lange Fristen in Europa einrichten wollte, dann mußte sie ihre eigene Ikonographie aus dem eigenen Staatsterritorium heraus entwickeln. Alles andere war Tünche, Leihgabe und fremdes Alphabet. Vielleicht waren dann sogar Marx und Engels nur Trier und Wuppertal - also Westen; Luther hingegen Wittenberg, Friedrich II. Potsdam und Bismarck die Altmark - also unser Land. Der Kern der neuen Führung war Ende April 1945 aus Moskau eingeflogen worden, jetzt griff das Land nach deren Nachfolgern, und diese selber umwarben das Land. Dies war der historische Sinn der Luther-Ehrung 1983 und die sich anbahnende Lösung des Traditionskonfliktes.“
...
Dr. Siegfried Bräuer zog eine kurze Bilanz bezüglich des Verlagsprogramms der Evangelischen Verlagsanstalt Berlin bis zum Jahre 1983. Durch eine Vielzahl von Luther-Publikationen im 83er Jahr „wurde die Evangelische Verlagsanstalt international entdeckt“. In der Zusammenarbeit zwischen dem Verlag und der Hauptabteilung Verlage im DDR-Kulturministerium gab es „keine unüberwindliche Situation“. Man hatte sich darauf eingestellt, mit der „Zensurstelle“ (gemeint ist jene Hauptverwaltung) zu leben. Was Dr. Bräuer im nachhinein (nach dem Studium umfänglicher Akten z. B. in der Gauck-Behörde) mehr als betrüblich stimmt, ist die Tatsache, daß nicht die Zensurstelle Publikationen verhindert hat (sie qualifizierte er als „Helferin“), sondern die vielen Versuche von Theologen der Humboldt-Universität, durch entsprechende Gutachten das Erscheinen von theologischen Veröffentlichungen unmöglich zu machen. Wenn diese Gutachten konsequent berücksichtigt worden wären, dann wären sehr viel weniger Bücher in der Evangelischen Verlagsanstalt erschienen.
...
Die vierte Gesprächsrunde, von Dr. Joachim Heise, stellvertretender Leiter und Geschäftsführer des einladenden Instituts, moderiert, galt dem fünfteiligen Fernsehfilm „Martin Luther“ und dem Dokumentarfilm „Bürger Luther“.

Zu Beginn der Tagung und gewissermaßen zur Einstimmung auf das Tagungsthema sahen die Teilnehmer den genannten Dokumentarfilm von Lew Hohmann, der bei diesem Film die Regie innehatte. Der vierten Gesprächsrunde gehörte neben Lew Hohmann noch Dr. Wolfgang Schnedelbach, ehemaliger Mitarbeiter in der Abteilung Propaganda des Zentralkomitees der SED, er war hier für die Geschichtspropaganda verantwortlich; Erich Selbmann, ehemaliger Leiter des Bereiches Dramatische Kunst des DDR-Fernsehens; Prof.Kurt Veth, Regisseur des Luther-Films, und Prof. Dr. em. Herbert Trebs, theologischer Fachberater des Luther-Films an.

Prof. Kurt Veth berichtete über das Werden des genannten Filmes, über seine Zusammenarbeit mit dem leider verstorbenen Hauptdarsteller des Films, Ulrich Thein.

Seitens des Zentralkomitees der SED gab es u. a. die Vorgabe an den Fernsehfilm, auf das „stimmige Verhältnis“ zwischen Martin Luther und Thomas Müntzer zu achten. Der Luther-Film des DDR-Fernsehens wurde ein großer Erfolg, den nicht nur die Macher des Films, sondern auch die DDR-Führung für sich ‚verbuchten‘.
...
Die Luther-Ehrung 1983 der DDR hatte ein Modell zwischen Staat und Kirche geschaffen, das leider nicht genutzt worden ist. Die Luther-Ehrung hatte im Umgang zwischen Kirche und Staat Normen gesetzt, die eigentlich nicht mehr unterboten werden sollten; aber mit dem 83er Jahr hatte es sich für die DDR-Führung „ausgeluthert“, und man ging wieder zur Tagesordnung über, d. h. es gewannen wieder jene in Partei und Regierung die Oberhand, die von Anfang an der Luther-Ehrung mehr als kritisch gegenüberstanden. Die genannte Publikation von Alexander Abusch aus dem Jahre 1946 hatte immer noch für viele Partei- und Staatsfunktionäre der DDR große Aktualität. Man wollte u. a. mit Thomas Müntzer revolutionär sein und bleiben; Luther war für sie ein Vertreter der Konterrevolution, eben ein „Bauernschlächter und Fürstenknecht“.

quelle:
http://www.luise-berlin.de/lesezei/blz97_01/text03.htm

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Wie die DDR mit Luther-Geburtstag internationalen Ruf aufwerten wollte

Beitragvon andr.k » 1. August 2014, 21:58

Die DDR-Führung wollte mit dem Lutherjahr 1983 nach Ansicht des Thüringer Altbischofs Werner Leich "auf keinen Fall die Kirchen stärken".

Eisenach. SED- und Staatschef Erich Honecker habe den 500. Geburtstag des Reformators "mit einer Träne im Knopfloch groß aufziehen" lassen, um damit sein eigenes Ansehen international aufzuwerten, sagte Leich. Der heute 87-jährige Theologe war als Bischof und Vorsitzender des Lutherkomitees der Evangelischen Kirchen in der DDR mehrfach mit Honecker zusammengetroffen.

Luther-Geburtstag.JPG

Werner Leich war zu DDR-Zeiten Landesbischof. Hier ist er beim Friedensgebet in Friedrichroda (Kreis Gotha) im Herbst 1989 zu sehen. Foto: TLZ-Archiv/privat

Der Kirchenhistoriker Peter Maser hat vor kurzem berichtet, das Lutherjahr 1983 in der DDR habe im Hause von SED-Chef Erich Honecker wegen dessen "Lutherspielereien" zu Ärger mit Frau Margot geführt. Haben Sie als Vorsitzender des kirchlichen Lutherkomitees damals etwas von solchen Unstimmigkeiten gespürt?

Nein. Bei der Wiedereröffnung der umfassend sanierten Wartburg im April 1983 wirkte Honecker sehr gelöst. Er erzählte mir, wie er nach dem Krieg bei der Rückkehr ins Elternhaus im Saarland seine Mutter beim Backen von Christstollen antraf. Da hatte ich den Eindruck, dass bei ihm irgendwo so etwas wie christliche Erinnerung vorhanden war. Aber von der Ehrung Luthers als Mann der Kirche war er nicht sehr begeistert. Er ließ das Jubiläum mit einer Träne im Knopfloch groß aufziehen, um seine internationale Reputation aufzuwerten.

Und Margot Honecker?

Mit ihr bin ich nur ein Mal zusammengetroffen, bei einem Empfang des staatlichen Lutherkomitees. Sie war ja Ministerin für Volksbildung und damit zuständig für die Schulen im Land. Deshalb erneuerte ich ihr gegenüber die kirchliche Bitte zu einem Gespräch über die anhaltenden Probleme für Kinder aus christlichen Elternhäusern. Sie reagierte kurz und etwas schnippisch, man könnte sich ja mal unterhalten. Nach dieser Reaktion war mir klar, dass sie überhaupt kein Interesse daran hatte, mit uns ernsthaft zu reden.

Weshalb hat die DDR den 500. Geburtstag von Martin Luther damals so groß aufgezogen? Immerhin galt der Reformator bis dahin als Fürstenknecht und Feind der Bauern...

Dem SED-Staat ging es immer um ein positives Bild von der DDR in der Welt. Von historischen Ereignissen wie dem 500. Luther-Geburtstag versprachen sich die Genossen weltweite Beachtung. Dafür nahmen sie auch die Revision ihres bisherigen Geschichtsbildes in Kauf. Bei Luther durften jetzt selbst marxistische Wissenschaftler nach dem christlichen Selbstverständnis des Reformators und seiner Mitstreiter fragen...

"Das hat manchen Funktionär deutlich überfordert"

... mit welchem Ergebnis?


Die Verunsicherung auf staatlicher Seite und besonders in den Schulen war groß. Plötzlich galt der Kirchenmann als einer der Repräsentanten für progressive Traditionen, auf die sich die SED so gerne berief. Das hat manchen Funktionär deutlich überfordert. Nicht nur der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Erfurt gab denn auch Ende 1983 die Parole aus, nunmehr habe es "ausgeluthert", jetzt werde wieder "Karl Marx in die Knochen geblasen".

Hat die SED mit dem Lutherjahr 1983 ihr Ziel erreicht?

Das Anliegen der weltweiten Anerkennung ist zum großen Teil misslungen. Bundespräsident Carl Carstens sagte seine Teilnahme ab, weil die DDR-Führung auf einer offiziellen Aufwartung des westdeutschen Staatsoberhauptes in Ost-Berlin beharrte. Darauf konnte sich der Westen nicht einlassen, weil es eine Anerkennung des SED-Staates bedeutet hätte. Der Absage von Carstens folgten alle skandinavischen Länder. Damit fehlten wichtige Teile des protestantischen Europas.

Was hat das Luther-Jubiläum 1983 den Kirchen gebracht?

Für uns war das Lutherjahr damals ein Geschenk. Wir haben es mit unserem unabhängigen kirchlichen Lutherkomitee langfristig vorbereitet, und die zahlreichen Veranstaltungen haben vielen Christen in der DDR Mut gemacht, ihr Christsein öffentlich zu bekennen. Ich denke da an die Aktivitäten in den Kirchgemeinden, aber nicht zuletzt auch an die großen Regionalkirchentage. Auf diesen Regionaltreffen zwischen Rostock und Erfurt haben jeweils Zehntausende Menschen in aller Öffentlichkeit gezeigt, dass es neben der offiziellen staatlichen Propaganda noch etwas anderes gibt.

Zudem brachte das Lutherjahr für die Renovierung von Kirchengebäuden Baugenehmigungen und Baumaterial in einem bis dahin ungekannten Ausmaß. Bei alledem sind wir uns aber immer völlig im Klaren darüber gewesen, dass der Staat auf keinen Fall die Kirchen stärken will. Dass es der SED-Führung damit ernst war, hat sich schon bald gezeigt. In Gesprächen mit Kirchenleuten ließen die Staatsvertreter keinen Zweifel daran, dass sie nicht bereit waren, die Kirchen positiv zu sehen. Und wie sich die Schwierigkeiten bis zum Ende der DDR immer weiter verschärften, haben wir alle miterlebt.

Drei Jahrzehnte danach steht 2017 ein weiteres großes Reformationsjubiläum an. Wie nehmen Sie die bisherigen Vorbereitungen wahr?

Das ist naturgemäß völlig anders als 1983. Das damalige Gegenüber von Kirche und Staat gibt es nicht mehr. Es ist charakteristisch für die heutige Zeit, dass zur Reformation und zu Luther jeder seine Meinung sagen kann. in dieser Meinungsvielfalt sehe ich jedoch bisweilen die Gefahr, dass der Kern der Sache um der originellen Schlagzeile willen aus dem Blick gerät.

Quelle: Thomas Bickelhaupt / http://www.tlz.de/startseite/detail/-/s ... 0003222220

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Re: Wie die DDR mit Luther-Geburtstag internationalen Ruf aufwerten wollte

Beitragvon pentium » 2. August 2014, 10:17

Siehe auch den Thread: "Die DDR und das Lutherjahr 1983"

Kann man die beiden Themen vielleicht zusammenführen?

Danke
pentium
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