Mit und durch Martin Luther weiter im Gespräch, oder hat es sich schon wieder „ausgeluthert“
Bericht über eine ungewöhnliche Tagung
Zitat:
Wenige Tage nach dem 513. Geburtstag von Martin Luther fand in den Räumlichkeiten des Instituts für vergleichende Staat-Kirche-Forschung (Planckstraße 20, 10117 Berlin-Mitte) das 5. Werkstattgespräch zum Thema „Luther und die DDR - Gespräche über ein ungewöhnliches Jubiläum 1983“ statt.
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Prof. Dr. Adolf Laube verwies auf die bekannte Tatsache, daß Ende der 70er Jahre marxistische Historiker damit begannen, sich mit dem Leben und Werk von Martin Luther wissenschaftlich zu beschäftigen, was u. a. auch zu einer Verwissenschaftlichung des Luther-Bildes führte und nicht mehr vordergründig polemisch-propagandistisch geprägt war. Die Führung der DDR war an Thomas Müntzer orientiert, was dann auch entsprechende Konsequenzen in der Propaganda hatte. Martin Luther galt als „Bauernschlächter und Fürstenknecht“. In diesem Zusammenhang sei an die Schrift von Alexander Abusch „Irrwege einer Nation“ (1946) erinnert, der jenes Bild mit einem Firniß versah und damit zementierte. Marxistische Historiker entdeckten dann später (Ende der 70er Jahre) Martin Luther als Theologen und die Dialektik von Theologie und sozialen Bestrebungen.
Lange vor der Luther-Ehrung 1983 der DDR kam es zu wissenschaftlichen Gesprächen zwischen marxistischen und Kirchen-Historikern, bei denen ein reger Austausch stattfand, die aber doch mehr im Verborgenen ihren Ort hatten. Darauf machte vor allem Dr. Siegfried Bräuer aufmerksam, der auch während seiner Zeit als Pfarrer in Leipzig (vor 1980) Kontakte zu Max Steinmetz, dem sogenannten Nestor der marxistischen DDR-Geschichtsforschung, pflegte.
Sinn und Ziel der Luther-Ehrung 1983 der DDR beschrieb Prof. Dr. Gerhard Brendler u. a. so:
„Wenn die DDR zur eigenen Staatsnation werden und sich für lange Fristen in Europa einrichten wollte, dann mußte sie ihre eigene Ikonographie aus dem eigenen Staatsterritorium heraus entwickeln. Alles andere war Tünche, Leihgabe und fremdes Alphabet. Vielleicht waren dann sogar Marx und Engels nur Trier und Wuppertal - also Westen; Luther hingegen Wittenberg, Friedrich II. Potsdam und Bismarck die Altmark - also unser Land. Der Kern der neuen Führung war Ende April 1945 aus Moskau eingeflogen worden, jetzt griff das Land nach deren Nachfolgern, und diese selber umwarben das Land. Dies war der historische Sinn der Luther-Ehrung 1983 und die sich anbahnende Lösung des Traditionskonfliktes.“
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Dr. Siegfried Bräuer zog eine kurze Bilanz bezüglich des Verlagsprogramms der Evangelischen Verlagsanstalt Berlin bis zum Jahre 1983. Durch eine Vielzahl von Luther-Publikationen im 83er Jahr „wurde die Evangelische Verlagsanstalt international entdeckt“. In der Zusammenarbeit zwischen dem Verlag und der Hauptabteilung Verlage im DDR-Kulturministerium gab es „keine unüberwindliche Situation“. Man hatte sich darauf eingestellt, mit der „Zensurstelle“ (gemeint ist jene Hauptverwaltung) zu leben. Was Dr. Bräuer im nachhinein (nach dem Studium umfänglicher Akten z. B. in der Gauck-Behörde) mehr als betrüblich stimmt, ist die Tatsache, daß nicht die Zensurstelle Publikationen verhindert hat (sie qualifizierte er als „Helferin“), sondern die vielen Versuche von Theologen der Humboldt-Universität, durch entsprechende Gutachten das Erscheinen von theologischen Veröffentlichungen unmöglich zu machen. Wenn diese Gutachten konsequent berücksichtigt worden wären, dann wären sehr viel weniger Bücher in der Evangelischen Verlagsanstalt erschienen.
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Die vierte Gesprächsrunde, von Dr. Joachim Heise, stellvertretender Leiter und Geschäftsführer des einladenden Instituts, moderiert, galt dem fünfteiligen Fernsehfilm „Martin Luther“ und dem Dokumentarfilm „Bürger Luther“.
Zu Beginn der Tagung und gewissermaßen zur Einstimmung auf das Tagungsthema sahen die Teilnehmer den genannten Dokumentarfilm von Lew Hohmann, der bei diesem Film die Regie innehatte. Der vierten Gesprächsrunde gehörte neben Lew Hohmann noch Dr. Wolfgang Schnedelbach, ehemaliger Mitarbeiter in der Abteilung Propaganda des Zentralkomitees der SED, er war hier für die Geschichtspropaganda verantwortlich; Erich Selbmann, ehemaliger Leiter des Bereiches Dramatische Kunst des DDR-Fernsehens; Prof.Kurt Veth, Regisseur des Luther-Films, und Prof. Dr. em. Herbert Trebs, theologischer Fachberater des Luther-Films an.
Prof. Kurt Veth berichtete über das Werden des genannten Filmes, über seine Zusammenarbeit mit dem leider verstorbenen Hauptdarsteller des Films, Ulrich Thein.
Seitens des Zentralkomitees der SED gab es u. a. die Vorgabe an den Fernsehfilm, auf das „stimmige Verhältnis“ zwischen Martin Luther und Thomas Müntzer zu achten. Der Luther-Film des DDR-Fernsehens wurde ein großer Erfolg, den nicht nur die Macher des Films, sondern auch die DDR-Führung für sich ‚verbuchten‘.
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Die Luther-Ehrung 1983 der DDR hatte ein Modell zwischen Staat und Kirche geschaffen, das leider nicht genutzt worden ist. Die Luther-Ehrung hatte im Umgang zwischen Kirche und Staat Normen gesetzt, die eigentlich nicht mehr unterboten werden sollten; aber mit dem 83er Jahr hatte es sich für die DDR-Führung „ausgeluthert“, und man ging wieder zur Tagesordnung über, d. h. es gewannen wieder jene in Partei und Regierung die Oberhand, die von Anfang an der Luther-Ehrung mehr als kritisch gegenüberstanden. Die genannte Publikation von Alexander Abusch aus dem Jahre 1946 hatte immer noch für viele Partei- und Staatsfunktionäre der DDR große Aktualität. Man wollte u. a. mit Thomas Müntzer revolutionär sein und bleiben; Luther war für sie ein Vertreter der Konterrevolution, eben ein „Bauernschlächter und Fürstenknecht“.
quelle:
http://www.luise-berlin.de/lesezei/blz97_01/text03.htmmfg
pentium