Hatten wir diesen Beitrag schon?
Er traf den Nerv
Die Selbstverbrennung von Oskar Brüsewitz im August 1976 und die Folgen
Karl-Adolf Zech, Berlin Ein Pfarrer, Oskar Brüsewitz, verbrannte sich öffentlich.
Dieser Beitrag erinnert daran und beschreibt aus persönlicher Sicht die Folgen, die sich aus einem vorsichtigen Durchbrechen von verordneter Unmündigkeit, von erwartetem Schweigen und Wegsehen im Zusammenhang mit dieser Tat ergeben konnten.1 Er versucht damit, etwas von dem Lebensgefühl in der verflossenen Diktatur zu vermitteln, das den altbundesrepublikanischen Mitbürgern so schwerverständlich zu machen ist und dessen Auswirkungen noch lange nachwirken werden.
Anhand der heute auswertbaren Unterlagen wird manches Detail der Arbeitsweise des DDR-Repressionsapparates, besonders auch der Linie XVIII der Staatssicherheit 2 , sichtbar.
...
Kirchen im SED-Staat
Dass die kleinen Kirchen in der DDR der große Angstgegner von SED und Staatssicherheit waren, ist bekannt und belegt. Gleichwohl standen sie auch von anderen Seiten unter starker Kritik: Manchem Christen waren sie zu angepasst an den SED-Staat, kritischen kirchlichen und nichtkirchlichen Gruppen zuwenig deutlich, zu schweigsam, zu kooperativ. Besonders nach der »Wende« schlugen die Wogen der Kritik hoch; es kam gar zu einem Vergleich von Ost-Kirchenleitungen mit den »Deutschen Christen«, der nazi-ergebenen Kirchenparteiung.3 Richard Schröder charakterisierte dieses Wechselbad mit den Worten: »Zuerst zuviel der Ehre, dann zuviel der Schande.«
Am 18. August diesen Jahres jährt sich zum zwanzigsten Male ein Ereignis, das wie kein anderes für diesen Widerstreit steht: die Selbstverbrennung des evangelischen Pfarrers Oskar Brüsewitz vor der Michaeliskirche in Zeitz. Diese Tat und ihre Folgen zeigten auch ein weiteres: Die ideologischen, taktischen oder Gewalt anwendenden Mittel einer totalitären Macht können dort an ihre Grenze stoßen, wo sich Christen vor eine klassische Bekenntnissituation gestellt sehen. Sie zeigt auch, welche Bedeutung Symbolhandlungen - schon bei den alten jüdischen Propheten beliebt - in erstarrten Strukturen haben können.
Das Herrschaftssystem der DDR basierte auf einem scholastischen Prinzip. Geschriebenes war zitierfähig, und das hatte Wahrheitsanspruch. Alle Erkenntnis war auf die »Klassiker« und ihre heutigen Exegeten zurückzuführen. Man musste nur dafür sorgen, dass das Geschriebene den aktuellen Parteizielen entsprach. Das ist auch ein Grund dafür, dass die »immer recht« habende SED sich derart vor westlichen Medien ängstigte, aber eben auch vor öffentlicher Meinungsäußerung im eigenen Lande, gesprochen oder geschrieben, etwa als Flugblatt. Ohne staatliches Einschreiten, ohne Tabuisierung, wäre es zitierfähig gewesen und hätte Fragen provozieren können, auf die die Macht keine Antwort hatte.
Es gab in der DDR einen einzigen öffentlichen Bereich, in dem man »nicht sagen musste, was man nicht dachte«4: die Kirchen. Und ganz unabhängig davon, oh sich manche von ihnen zuzeiten gefügiger, angepasster verhielten oder nicht, war ihre bloße Existenz schon ein hochpolitischer Faktor, auf den die SED stets besonders zu achten hatte. Das sage ich auch gerade deshalb, weil sich meine christliche Sozialisation in der nicht unproblematischen Thüringer Kirche vollzog. Innerkirchlich gab es natürlich ein breites Spektrum von Positionen in der Frage, wie weit der Dienst der Kirche in Öffentlichkeit hineinzugehen, auf welche Weise er Öffentlichkeit überhaupt wahrzunehmen habe.
3 So Hubertus Hoffmann, damaliger Vorsitzender des Journalisten-Bildungsinstitutes Sachsen-Anhalt e.V., auf einem Symposium zu Brüsewitz in Halle, am 5. 10. 1993.
4 Vgl. Reiner Kunze, Die wunderbaren Jahre, Frankfurt am Main 1976, das Gedicht »Orgelkonzert«.
http://www.zechweb.de/ErTrafDenNerv.htmmfg
pentium