Das Fanal von Zeitz / Pastor Brüsewitz verbrennt sich aus Protest gegen SED-RegimeAus dem Tagesspiegel:
http://www.tagesspiegel.de/zeitung/der-protestant/737712.htmlIn Zeitz, einer Stadt in Sachsen-Anhalt, übergießt sich am 18. August 1976 der Pfarrer Oskar Brüsewitz mit Benzin und zündet sich an. Es ist sein letztes Zeichen im Kampf für die Freiheit des Glaubens.Hinterher, als der Rußfleck auf dem Kirchplatz von Zeitz langsam verblasste, da haben sie alle versucht, ihre eigene Wahrheit über Oskar Brüsewitz zu finden. Ein Verrückter, der seine fünf Sinne nicht beeinander hatte. Ein Verzweifelter, der keinen Ausweg wusste. Ein Mutiger, der im Kampf gegen den Unrechtsstaat sein Leben opferte.Keine Minute lang hatte Oskar Brüsewitz, 47, Pfarrer aus Rippicha, auf dem Kirchplatz von Zeitz gebrannt. Sekunden, die seine Freunde nicht loslassen, die seine Familie schmerzen. Sekunden, die das System DDR in Aufruhr bringen.
Rippicha, ein kleines Dorf nahe Zeitz, im südlichsten Zipfel von Sachsen-Anhalt. Ein paar Häuser, Wiesen mit Schierlingskraut, ein Weiher. Und eine Kirche. An ihrer Mauer erinnert ein Schild an Oskar Brüsewitz, auf dem Friedhof an der Kirche leuchten rot und weiß die Blumen auf seinem Grab. Im Giebel des dahinter liegenden Hauses ist ein kleines Loch, dahinter hatte die Stasi eine automatische Kamera installiert. Man musste doch wissen, wer das Grab eines Staatsfeindes besuchte, jetzt hätte es längst geklickt. Ein Foto für die Akten.
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So ist der Kirchhof ein Wegweiser auf der Suche nach der Geschichte des Oskar Brüsewitz: Zu seinen Freunden, die wie das Schild sein Andenken bewahren wollen. Zur Stasi, die ihn über den Tod hinaus beobachtete. Und zu seiner Frau, die die Blumen auf dem Grab pflegt.
Viel ist geredet und geschrieben worden über Oskar Brüsewitz, Akten, Bücher, Artikel. Doch hier, auf dem Sofa im backsteinernen Pfarrhaus von Rippicha, wo man ihm am nächsten ist, bleibt es still. 76 Jahre ist Christa Brüsewitz alt, eine zarte Frau mit weißem Pagenschnitt und lebhaften Augen. Über ihren Mann und über den Tag, an dem er nicht wiederkam, möchte sie nicht mehr sprechen. Einen unvorstellbaren Schmerz trägt sie in sich, seit 30 Jahren, sie möchte ihn nicht hervorholen.
Sie hat ja auch schon erzählt, wie es war, an diesem Mittwoch im August, Freunden, Journalisten. Und der Stasi, fünf Stunden lang, beim Verhör noch am selben Tag. Wie ihr Mann morgens in den Garten ging, alle Rosen abschnitt, sie in der Wohnung verteilte. Wie er sie umarmte und fragte, ob sie ihn liebe, und sie dann mit den Töchtern frühstückten, ausgiebig, es waren ja Ferien.
Dann fuhr er los.
„Gegen 10.20 Uhr fuhr der PKW `Wartburg 311- Camping`, Farbe hellgrau, (…) vor der Michaeliskirche ein“, notierte die Volkspolizei. „Der PKW war an beiden Vordertüren nicht firmengerecht mit der in schwarzer Farbe ausgeführten Aufschrift Evangelische Kirche Rippicha versehen.“ Oskar Brüsewitz stieg aus und stellte Schilder an den Wagen: „Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen“. Einige hundert Schaulustige hatten sich versammelt, als er eine Milchkanne aus dem Auto nahm, sich mit Benzin übergoß und seinen Talar mit einem Streichholz in Brand setzte. Etwa 20 Meter lief er über den Platz, dann erst konnten Umstehende mit einer Decke das Feuer löschen. Vier Tage später erlag er in einem Krankenhaus seinen schweren Verbrennungen. Die Stasi ließ seine Frau nicht mehr zu ihm.
Eine sandfarbene Säule steht heute auf dem Kirchplatz in Zeitz, dort, wo Oskar Brüsewitz sich verbrannte. Tod durch Selbstverbrennung, in Saigon protestierte so ein Mönch 1963 gegen den Vietnamkrieg, in Prag 1968 ein Student gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings. 300 Grad ist eine Benzin-Stichflamme heiß, in wenigen Sekunden versengen Haare und Nägel, die Haut verbrennt, wird gelbgrau und lederartig hart. Durch den Flüssigkeitsverlust werden die Blutgefäße porös, das Gewebe schwillt an, die gestörte Durchblutung lässt Herz, Leber und Nieren versagen.
Was muss passieren, dass sich einer entscheidet, so aus dem Leben zu gehen?
Es muss das Ende einer traurigen Geschichte sein. Doch wenn man die fragt, die Oskar Brüsewitz kannten, dann erzählen sie von einem humorvollen Mann, zu Streichen aufgelegt, charmant. Manchmal lachen sie beim Erinnern laut auf, so wie Dietmar Meckel, der damals Pfarrer in der Nachbargemeinde war. Eine seiner liebsten Geschichten ist die: In einer Zeitungsanzeige lud Oskar Brüsewitz ein in die „geheizte Kirche“. „Die Leute fragten sich: Wieso hat die Kirche plötzlich eine Heizung?“, sagt Meckel, und dann erklärt er lachend, wie Oskar morgens den Bäcker rausklingelte, ihn um eine Gasflasche bat, zuhause den Gasherd abmontierte und in die Kirche stellte. Richtig warm wurde es zwar nicht, aber die Kirche war voll. „Ich sagte damals immer: Das ist ein echter Brüsewitz!“
Rippicha ist die erste Pfarrstelle von Oskar Brüsewitz. Er ist gelernter Schumacher, schon in den 50er Jahren beobachtet ihn die Stasi, als er Bibelschriften ins Schaufenster seiner Werkstatt legt und mit christlicher Jugendarbeit beginnt. 1964 bewirbt sich Brüsewitz bei der Erfurter Predigerschule, es ist sein zweiter Versuch. Diesmal wird er aufgenommen.
40 Jahre ist er alt, als er 1969 mit seiner Familie nach Rippicha kommt. Er renoviert Pfarrhaus und Kirche eigenmächtig, Anträge sind nicht seine Sache. In einem Brief an die westdeutsche Partnergemeinde bittet er um 20 Meter Linoleum für die Kirche, „Fußbodenbelag ist hier so gut wie gar nicht zu bekommen.“ Und er berichtet stolz über die ersten Erfolge, 50 Personen kämen jetzt manchmal sonntags in den Gottesdienst.
Der neue Pfarrer, der Hühner und Schafe hält, kommt gut an in der ländlichen Gemeinde. Er klingelt an jede Tür, „wenn jemand nicht in die Kirche kommt, dann muss ich zu ihm gehen“. Morgens steigt er früh den Kirchturm hoch, nimmt zwei Glocken in jede Hand und bindet sich die dritte ans Bein, läutet, oft länger und mehrmals am Tag. Er baut ein Kreuz aus Neonröhren, drei Meter 60 hoch, zwei Meter breit. In Rippicha herrscht die Kirche, das soll jeder sehen, hoch oben am Kirchturm leuchtet das Kreuz über die Felder. Die Partei schaltet sich ein, schließlich bittet die Kirchenleitung ihren Pfarrer, das Kreuz abzumontieren. Brüsewitz weigert sich, „solange der Sowjetstern überall leuchtet, solange bleibt auch mein Kreuz!“
Denn für Kompromisse ist Oskar Brüsewitz nicht zu haben, der Kommunismus ist für ihn das Reich der Finsternis, in dem sein Kreuz hell strahlen soll. In einer Welt, in der „zwischen Licht und Finsternis ein mächtiger Krieg“ tobt, will er für Gott, seinen „General“, „die Front stürmen“, schreibt und sagt er immer wieder. Die militärische Sprache sei seine Art gewesen, das Verhältnis der Kirche zur übermächtigen SED zu kennzeichnen, sagt Dietmar Meckel, „ich redete anders, aber es war ein Kampf, das wusste jeder.“
Die sozialistische Indoktrinierung der Jugend stört Brüsewitz, er baut einen Spielplatz, organisiert Kinderfeste, spielt mit den Kindern Fußball. Fröhlich sieht er dabei auf Fotos aus, ein hagerer Mann mit zerzausten blonden Haaren, „ein ungestümer Pfarrer mit wilden Kindern“, erinnert sich ein Berliner Freund. Der Lehrer im Ort schaut frustriert zu, „die Pionierorganisation hatte es nicht leicht“, berichtet er später, „weil Pastor Brüsewitz mit seinen recht einfachen Methoden die Jugend besser begeistern konnte als wir mit all unseren Doktrinen“.
1974 steht vor der Schule das Schild „25 Jahre DDR“, Brüsewitz kontert mit „2000 Jahre Kirche Jesu Christi“. „Freitag habe ich unsern Trabbi geputzt und die Tage vorher Plakate beschrieben“, schreibt Tochter Dorothee 1975 an eine Freundin. „Neulich stellte die SED ein Schild auf (in unserem Nachbargarten), ich malte eins, wir stellten es genau davor in unseren Garten, gut was?“
Seine Familie unterstützt ihn, und sie spürt die Konsequenzen. 1975 macht Esther Brüsewitz den besten Schulabschluss im Kreis Zeitz, zur Oberschule wird sie nicht zugelassen, eine Stelle als Gleisbauarbeiterin bietet man dem schmalen Mädchen an. Weinend sitzt Esther in der Klasse, „siehst du“, sagt ihr Lehrer nur, „wenn dein Vati dich gelassen hätte, wäre dein Lebensweg ein anderer.“
IM „Willy Koch“ und IM „Romeo“ berichten über den aufmüpfigen Pfarrer, die Polizei bricht seine Fußballspiele ab, nimmt ihn mit auf die Wache, die Stasi schickt anonyme Briefe an die Kirchenleitung. Einen, der gegen den Kommunismus predigt und sie lächerlich macht, kann die SED nicht dulden, schon gar nicht im Wahlkreis von Erich Mielke. Und dass Brüsewitz mit seinen Aktionen nicht hinter Kirchenmauern bleibt, sondern mit Pferdewagen und Plakaten auch nach Zeitz fährt, ist für die Partei eine offene Provokation: Ein Eindringen in den öffentlichen Raum, den sie doch allein für sich beansprucht.
Mehrfach drängt der Staat die Kirchenleitung, Brüsewitz aus dem Amt zu entfernen. Die Kirche steht hinter ihm, doch auch für sie ist der Pfarrer nicht einfach. „Seine theologische Auffassung“, sagt Harald Schultze, damals Konsistorialrat in Magdeburg, vorsichtig, „war schon eher am Rand dessen, was innerhalb unserer Kirche verkündet wird, so eine Übersteigerung passt eigentlich nicht in unser Verständnis von Glaube und Weltbild“.
In Rippicha zeigen die Zersetzungsmaßnahmen der Stasi Wirkung, die Gottesdienst-Besucher werden weniger, die Härte der Staatsorgane gegenüber ihrem Pfarrer schreckt ab. Und soviel Freude Brüsewitz` Aktionen auch verbreiten, ihr Kern ist doch ein ernster Appell: Wenn du an Gott glaubst, verstecke dich nicht hinter Parteiabzeichen, wenn du an Gott glaubst, steh auf und bekenne dich, sonst bist du nichts als ein „Gesinnungslump“. Oskar Brüsewitz hat kein Verständnis dafür, dass sich die Masse nicht zu ihrem Glauben bekennt. „Doch als Pfarrer“, sagt Dietmar Meckel, „muss ich manchmal auch Erbarmen mit denen haben, die mir nur heimlich auf die Schulter klopfen.“
Ende 1975 wird der sture Pfarrer auch für die Kirche zum Problemfall. Die Kirchenleitung hatte „das Gefühl, dass es keinen Zweck hat, den Staat so zu reizen“, sagt Harald Schultze, „es schaffte nur unnötige Aggression“. Man beschließt, ihm einen Stellenwechsel zu empfehlen, einen Neuanfang. Ende Juli spricht der Propst mit Brüsewitz, er scheint mit dem Wechsel einverstanden, doch innerlich hat er aufgegeben, fühlt sich von der Kirche verlassen. Er verkauft sein Vieh und organisiert keine Veranstaltungen mehr, gegenüber IM „Willy Koch“ erwähnt er, „dass es nichts mehr bringt.“
Dann, am 18. August 1976, fährt Oskar Brüsewitz nach Zeitz.
Gleich nach seinem Fanal schlagen die staatlichen Stellen Alarm. Die Stasi entwirft mehrere „Maßnahmepläne“ und startet eine „operative Postkontrolle“, ein Beobachtungsstützpunkt gegenüber dem Pfarrhaus erfasst, wer die Familie Brüsewitz besucht, Post von Familie und Freunden wird überwacht.
Die SED fordert die Kirche auf, sich von ihrem Pfarrer zu distanzieren. Horst Dohle, damals Büroleiter des Staatssekretärs für Kirchenfragen, beschreibt die Interessenlage der Partei heute so: „Die SED, der DDR-Staat konnten und wollten sich nicht im Vorfeld der Belgrader KSZE-Nachfolgekonferenz als Staat christlicher Märtyrer vorführen lassen.“ Die Kirche, so der „Maßnahmeplan“, soll erklären, dass es sich bei Brüsewitz „um eine Person handelt, die nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte ist“. Diese Unterstellung weist die Kirche zurück, doch eine offene Konfrontation mit dem Staat will sie vermeiden. Es ist die Zeit des Wandels durch Annäherung, schrittweise und durch Pochen auf die Grundfreiheiten, zu denen sich die DDR seit der KSZE in Helsinki 1973 bekannt hat, will man eine Liberalisierung vorantreiben.
Nach Brüsewitz´ Tod fordern viele Pfarrer ein klareres Bekenntnis der Kirche zu der Tat ihres Pfarrers. Harald Schultze gehörte mit Manfred Stolpe, damals Leiter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen der DDR, zu denen, die eine Konfrontation zwischen Kirche und Staat ablehnten: „Das hätte uns automatisch als Staatsgegner gebrandmarkt und uns jeder Handlungsmöglichkeit beraubt“, sagt er. Der Vorwurf, die Kirche hätte sich damit mutlos zum Kumpan des Staats gemacht, ärgert ihn noch heute.
Nach zwei Tagen erfahren die Medien im Westen vom Fall Oskar Brüsewitz, das ZDF filmt bei der Beerdigung, an der mehrere hundert Menschen teilnehmen. Die SED reagiert mit einer Verleumdungskampagne, deren Gipfel ein Artikel im „Neuen Deutschland“ ist. Dort wird dem „Pfarrer, der nicht alle fünf Sinne beisammen hatte“ unter anderem unterstellt, „bei einem Fußballspiel mit Kindern weniger angehabt (zu) haben als eine Unterhose“. „Ob er unter seinem General“, heißt es, „Gott oder den BND verstand, wollen wir hier nicht näher erörtern.“
Diesmal protestiert auch die Kirchenleitung entschieden, in einem „Brief an die Gemeinden“ widerspricht sie den Verleumdungen. Die SED verhindert den Abdruck des Briefes in der Presse. Erich Honecker bezeichnet ihn als einen der „größten konterrevolutionären Akte gegen die DDR“.
In den Gemeinden kommen sich kirchliche und politische Opposition langsam näher. „Wir sagten damals ja oft: Man müsste mal, man sollte eigentlich“, sagt Dietmar Meckel, „Oskar hatte ganz einfach etwas gemacht“. Freunde beginnen, in Kirchenkreisen Informationen über Brüsewitz zu verteilen, ihre Wohnungen werden durchsucht, aber sie agieren im Schutzraum der Kirche. Andere, die einen Protestbrief gegen den Artikel im „Neuen Deutschland“ schreiben, werden verhaftet, verurteilt und schließlich von der Bundesrepublik freigekauft.
Das Grab von Oskar Brüsewitz in Rippicha liegt abseits der anderen Gräber, rechts einen kleinen Kieselpfad hinunter, fast verdeckt von einer mächtigen Eibe, ein Kreuz aus Metall mit einem lächelnden Christus. Die ersten Spatenstiche hat er selbst kurz vor seinem Tod getan, hier wollte er liegen. In der Selbstmörderecke. Dabei sei sein Tod kein Selbstmord gewesen, sagen Freunde, sondern vor allem sein letztes Zeichen für den christlichen Glauben in einem atheistischen Staat. Und doch, sagt Dietmar Meckel, wird es auf die Frage nach dem Warum nie eine endgültige Antwort geben, „wenn man an Oskar denkt, dann müssen Fragen offen bleiben“.
Offene Fragen und Widersprüche, eine sandfarbene Säule auf dem Kirchplatz von Zeitz, ein rostiger Kinderspielplatz in Rippicha, eine schweigende Frau auf dem Sofa, ein Schild an der Kirchmauer für den „Kämpfer gegen das Unrecht“. An die Geschichte eines Unbequemen zu erinnern fällt anscheinend schwer. Erst vor ein paar Wochen, fast siebzehn Jahre nach der Wende, enthüllte Rainer Eppelmann, Vorsitzender der „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“, das Schild an der Kirche. Eine Revolution wie die von 1989 habe immer viele Väter und Mütter, sagte Eppelmann, selbst Pfarrer zu DDR-Zeiten. Einer davon, einer der Urväter, sei Oskar Brüsewitz.
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