von Affi976 » 18. September 2011, 21:18
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Auszug aus Thüringer-Allgemeine Zeitung:
Als der Papst noch der Theologie-Professor Joseph Ratzinger war und mehrmals in die DDR reiste, geriet er ins Visier des Ministeriums für Staatssicherheit. In den Unterlagen sind, auch zu den damaligen Erfurt-Besuchen, keine Sensationen zu entdecken, aber viele interessante Details.
Eine gewisse Bewunderung hatte die Staatssicherheit schon für den Theologen Joseph Ratzinger, "mit der Adresse in der BRD: Maxburgstr. 2 in 8000 München 2". Ein Mitarbeiter der Hauptabteilung XX schrieb am 23. April 1984 einen ausführlichen Lebenslauf:
"Ratzinger werden von Personen seiner näheren Umgebung hohe Intelligenz und die Fähigkeit, sich schnell in Verwaltungsangelegenheiten einzuarbeiten, bescheinigt. Obwohl er zunächst auf einen Gesprächspartner etwas scheu wirke, verfüge er über einen gewinnenden Charme. Ratzinger wird persönlich von seiner Schwester Maria betreut."
Die Stasi zeigte Respekt, aber auch nicht mehr. Der Theologie-Professor und Kardinal hat eine schmale Akte: Die Stasi observierte ihn offenbar nicht intensiv, zumindest gelang es ihr nicht, einen Mitarbeiter in seiner Nähe zu gewinnen. Dass sie Ratzinger, den heutigen Papst, überhaupt ins Visier nahm, hatte vier Gründe:
Erstens reiste er zwischen 1974 bis 1987 mindestens vier Mal in die DDR ein, notiert von der Staatssicherheit; dabei besuchte er zweimal Erfurt.
Zweitens war der Kardinal für die DDR in den Achtzigerjahren der wichtigste Deutsche im Vatikan. Im Dossier über ihn bei der Staatssicherheit - "streng geheim" - wird von der "Schlüsselposition in der Kurie" geschrieben. Er galt nach dem Papst und Staatssekretär Casaroli "als derzeit (1984) einflußreichster Politiker und als führender Ideologe".
Drittens galt der Kardinal in Rom als "schärfster Gegner des Kommunismus".
Viertens war Joseph Ratzinger befreundet mit dem polnischen Kardinal Woityla, den auch die Staatssicherheit der DDR fürchtete; 1978 wurde Woityla zu Papst Johannes Paul II. gewählt.
In Ratzingers Personenakte von 1984 schreibt die Stasi: "Seit Mitte der siebziger Jahre verband Ratzinger eine enge Freundschaft mit dem damaligen Kardinal Woityla, für dessen Berufung zum Papst er sich sehr einsetzte. Dieser beauftragte ihn 1980 mit der Organisation der kirchlichen Unterstützung in der BRD für die konterrevolutionäre Entwicklung in Polen."
IM-Berichte über "R" sind ebenso selten wie dünn. Kurz vor Weihnachten 1979 berichtet "IM Georg", der als Generalsekretär in der Berliner Bischofskonferenz arbeitete: "Im Vatikan wird davon gesprochen, R. anstellte des ,überalterten' Kardinal Sepa (Vorsitzender der Glaubenskongregation) an die Kurie zu berufen."
Rainer Erices recherchierte für den MDR auch in der Stasi-Unterlagenbehörde und entdeckte in den Akten der Auslandsspionage die Namen von offiziellen und inoffiziellen Mitarbeitern, die aber nicht eigens auf Ratzinger angesetzt waren:
IM Aurora, ein Professor für wissenschaftlichen Atheismus aus Jena;
IM Lorac, Theologie-Professor aus Leipzig;
IM Georg und IM Anton aus der Bischofskonferenz in Berlin;
IM Lichtblicke, Benediktinerpater aus Trier
[b]IM Antonius aus der KNA (katholische Nachrichtenagentur)
IM Bernd aus Italien;[/b]
IM Gemse, ein Journalist aus München;
IM Löwe, ein CSU-Bundestagsabgeordneter
Was interessierte die Stasi überhaupt am Wirken des Kardinals? Es waltete keine Sammelwut, die Erkenntnisse sind anekdotisch, ja beliebig. Die meisten Einträge in Ratzingers Akte stammen aus Zeitungen, also frei zugänglichen Quellen, zumindest im Westen und allgemeinen Rapporten über die katholische Kirche:
Juni 1976: Stellungnahme in BRD-Zeitung "Welt" - "Kardinal erbittet Hilfe für Katholiken in der DDR".
November 1977: R. empfing die Schwester des US-Präsidenten Stapleton-Carter, Ruth, die sich zu einem Privatbesuch in der DDR aufhält. Sie ist Repräsentantin einer Meditationsbewegung der USA.
Juni 1980: Kardinal Joseph Ratzinger, München-Freising/BRD, der in der Münchener Universität einen Vortrag halten wollte, wurde durch eine Gruppe Studenten, die sich "Marxistische Gruppe" nennt, gewaltsam am Sprechen gehindert (Quelle: Frankfurter Allgemeine)
Die Staatssicherheit suchte auch Hinweise in Ratzingers Biografie zu seinem Verhalten während der Nazi-Diktatur: "Dokumente zu R. aus der Zeit vor dem 8. Mai 1945 sind nicht vorhanden", berichtet die Hauptabteilung IX im Februar des Jahres 1981, als sie über die "Hilfsgemeinschaft Freiheit für Rudolf Hess" informierte; diese bemühte sich um eine Freilassung des letzten, in Berlin-Spandau inhaftierten Kriegsverbrechers.
Auch in anderen Akten der Staatssicherheit, im Umfeld des Kardinals, bleibt das Interesse an Ratzinger allgemein:
Über die Einschätzung der Ostpolitik von Papst Johannes Paul II. durch die westdeutschen Bischöfe (1980);
Über Kenntnisse von Vertretern der Katholischen Kirche der BRD zu den Ereignissen in Polen (1981);
Versuche der Einflussnahme auf die innere Entwicklung in der VR Polen (1981);
Opus Die (gemeint ist offenbar: Opus Dei) - Einschätzung der Personalpolitik des Papstes (1981);
Über ein Gespräch mit dem Personalchef des Bistums Münster zu der Berufung Kardinal Ratzingers an die päpstliche Kurie nach Rom (1982);
Strauß (offenbar der CSU-Politiker) - aktuelle Vorstellungen zur Wiedervereinigung (1984);
Information zu Hintergründen der Verurteilung der Theologie der Befreiung (1985);
Personalchef der Diözese Münster: Aussagen zu Auseinandersetzungen zwischen dem polnischen Kardinal Glemp und Kardinal Ratzinger - Wallfahrt der Vertriebenen-Verbände (1986)