von augenzeuge » 11. Januar 2022, 19:48
Von Ulrich Reitz Der Bürger und das Windrad: Robert Habeck verabschiedet sich von einer urgrünen Vision
In Bayern muss der Abstand zwischen einem Windrad und der nächsten Ortschaft mindestens zehn mal so groß sein wie ein Windrad hoch ist. Bei einer 200 Meter hohen Windmaschine heißt das: zwei Kilometer Abstand. Seit mehr als sieben Jahren ist das so, was zur Folge hat, dass Windkrafträder in Bayern nicht mehr gebaut werden. Das Paradoxe an der Situation ist, dass die Idee, zwischen dem Bürger und dem Windrad Einvernehmen herzustellen, eine längst Wirklichkeit gewordene Vision der Grünen ist - von der sich Habeck nun verabschiedet. Formulieren wir es so grausam, wie es ist: Klima zuerst heißt: Bürgerbeteiligung erst danach.
Damit nicht genug. Auch mit einem anderen grünen Dogma räumt Habeck auf. Ein Rotmilan soll ein Windrad nicht mehr stoppen können. Klima zuerst heißt: Artenschutz erst danach. Man sieht: Der Klimaschutz enthält ein Teil-Dementi urgrüner Umweltpolitik. Das ist das eine Bemerkenswerte daran. Das andere: Zu den Verteidigern der urgrünen Idee zählen heute die Schwarzen. Markus Söder beispielweise.
Robert Habeck wird also Markus Söder in Bayern besuchen. Viel Zeit damit wird er sich nicht lassen können, denn sein Wind-an-Land-Gesetz, so der schön-harmlose Name für diesen fetten legislativen Brummer, soll schließlich schon zu Ostern durchs Kabinett. Und bis zum Sommer durch den Bundestag. Und den Bundesrat.
Der Bundesrat, der hat in unserem konkreten Fall einen Namen: Markus Söder. Das 10-H-Gesetz ist ein bayerisches Gesetz, die Abstandsregel ist eine bayerische Abstandsregel. Der Ministerpräsident ist der bayerische Ministerpräsident. Und wenn der bayerische Ministerpräsident sein bayerisches Gesetz nicht ändert, dann fällt Robert Habeck in Berlin auf den Bauch.
Das ist allerdings bei Weitem nicht die einzige Möglichkeit des wohl wichtigsten grünen Bundesministers, dort aufzuschlagen. Die Windkraft hat sehr viele Gegner, in Form von Individuen vor Ort, aber auch organisiert in Gruppen und Verbänden.
Es gibt inzwischen sogar einen Dachverband, der „Vernunftkraft“ heißt, was gleichfalls ein harmloser Name für diesen für Habeck persönlich lebensgefährlichen Verein ist. Und dieser Verband weiß schon, was er zu tun hat, wenn der Windradminister in Interviews eine „implizite Windkraftpflicht“ ausruft: Aus allen Rohren wird er schießen.
Was will nun Habeck dagegen tun, gegen Söders neugrüne Renitenz und den Bürger-Widerstand von „Vernunftkraft“ und jene Individuen, die Windräder auf ihren bisherigen Wanderwegen ablehnen mit dem Argument, dass der Minister selbst nennt: „Da geh ich doch immer sonntags spazieren mit meinem Waldi.“
Zwingen kann er am Ende nicht, also will er reden. Zwar, wie er sagt, nicht mit jedem einzelnen der 80 Millionen Deutschen, aber mit den für die Klimawende wichtigsten schon. Zugunsten von Habeck muss man vermerken, dass er im Reden ziemlich gut ist.
Dass wir mit Windrädern unsere Freiheit bewahren, wird er den Gassi-Gängern dann beibiegen. Dass es nicht um ein „Entweder – Oder“ geht, den Artenschützern. Dass wir mit Windrädern unabhängig werden bei der Energieversorgung, was, denkt man an Russland, vielleicht nicht ganz unwichtig werden kann.
Dass die Industrie doch wissen müsse, woran sie mit der Energiewende sei, wird er der Wirtschaft sagen. Dass Deutschland endlich wieder innovativ werden müsse, enttäuschten Patrioten. Und dass dies Jobs bringe, den Gewerkschaften. Und für den sozialen Ausgleich werde dann schon gesorgt.
Vielleicht kann man die Bürger auch zu Beteiligten machen am Windrad und damit zu Verkäufern von Energie. Aus Strom würde dann „Bürger-Strom“ – ein individual-kapitalistisches Projekt quasi. Wenn man früher von so etwas sprach, nannte man es: Geld und gute Worte.
Habeck will seine Widersacher überzeugen. Wo ihm das nicht gelingt, will er sie kaufen (sozusagen). Ob er denn nicht scheitern könne, wurde Habeck soeben gefragt. Er sei nicht Minister geworden, um nichts zu tun und nichts zu riskieren, antwortet er, was so klingt wie es klingt, wenn ein Gorilla sich auf der Suche nach Dominanz auf die eigene Brust trommelt.
Mit seiner energetischen Klimawende geht Habeck eine sehr große Wette ein
Dann zitiert der studierte Philosoph Habeck den Philosophen-Dichter Friedrich Hölderlin:
„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“
Das stammt aus der ersten Strophe von Hölderlins Pathmos-Hymne; und es handelt sich nicht nur um ein viel gesagtes, sondern auch um ein vielsagendes Zitat.
Hölderlin schrieb die komplexen 15 Strophen 1803, da war die Aufklärung schon „durch“. Vor der Aufklärung war das „Rettende“ stets „Gott“ gewesen. Mit dieser einfachen Alternative wollte und konnte Hölderlin sich nicht mehr begnügen.
Das „Rettende“ bei Hölderlin wie bei Habeck (auch er verfasste Bücher) ist nicht „Gott“, sondern die Fähigkeit des Menschen zur Erkenntnis.
Am Ende geht also Habeck mit seiner energetischen Klimawende eine sehr große Wette ein. Der Minister wettet, dass Vernunft und Solidarität stärker sind als Eigennutz.
Die "Habeck-Kurve" wird schon bald zeigen, ob der Klimaminister Erfolg hat - oder sich verzockt
Und wann werden wir wissen, ob Habeck seine Wette gewonnen hat? In der zweiten Hälfte der Legislaturperiode. Ab dann kann und wird nachgezählt werden.
Wie viele Windräder mehr?
Wie viele Wärmepumpen mehr?
Wie viele Strom-Ladestationen mehr?
Wie viele Soldardächer mehr?
Wie viele Jobs mehr?
Wie viel Geld mehr?
Am Dienstag hielt Habeck zwei Grafiken in die Kameras. Dann wird es eine dritte geben. Sie beschreibt die „Habeck-Kurve“.
Wie würde der herbstlockige Entertainer Thomas Gottschalk fröhlich sagen?
Topp – die Wette gilt!
"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war“.
"Es ist manchmal gefährlich, Recht zu haben, wenn die Regierung Unrecht hat. (Voltaire)"