Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Es gab zwischen beiden deutschen Staaten große Unterschiede in der Sozialpolitik (welche ja eine der Philosophien des DDR-Sozialismus war). Wo lagen die Unterschiede? Wie effektiv waren beide Sozialsysteme? Was war ungerecht, was war gerecht? Wie ist es im Vergleich zu heute?
Der Bereich für Diskussionen zu den Sozialen Systemen der beiden deutschen Staaten.

Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon Merkur » 25. September 2011, 09:12

S51 hat geschrieben:
Merkur hat geschrieben:...Unser mopedfahrender RKSt-Kriminalist ...


Grrrrrrr.... Klingt da die ausgesprochene Hochachtung der Fachkommissariate vor der praktischen Alltagsarbeit durch?


Nein, bitte nicht falsch auffassen !!!
Ich habe gedanklich einfach Usernamen/Bild mit den geschriebenen Worten verbunden. Das kam dann dabei raus.
Man kann die Tätigkeit der damaligen Arbeitsrichtungen III/1 - III/5, einschl. der RKSt, bei der Bekämpfung der Alltagskriminalität gar nicht hoch genug würdigen. Hier wurde eine erfolgreiche Arbeit zu Gewährleistung einer hohen Ordnung und Sicherheit realisiert. Zur Erinnerung:
Das war die Zeit, als der diensthabende Kriminalist am Sonntag mit seinem Spurensicherungskoffer noch zum Kellereinbruch oder Karnickeldiebstahl fuhr. Kann sich heute kaum jemand noch dran erinnern.
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon augenzeuge » 25. September 2011, 16:24

Hallo Uwe,

ich denke wer in den Westen flüchten wollte, konnte nach Torgau kommen. Folgendes kurzes Beispiel was der MDR 2005 brachte:

"Andreas F. bekommt mit zwölf seinen ersten Eintrag in der Stasi-Akte, weil er über Flucht in den Westen redet. Mit 16 kommt er in den Jugendwerkhof Hummelshain. Dort hält er es nicht aus, haut immer wieder ab.

Nach dem Aufenthalt in Kinderheimen u. ä. war der 16-jährige Betroffene 1971 für mehrere Monate in den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau verlegt worden, da er zuvor nach den Angaben der zuletzt für ihn zuständigen Heimleitung durch massive Disziplinierungsschwierigkeiten u.a. Prügeleien aufgefallen war. Die Verlegung erfolgte regelmäßig ohne vorherige Anhörung der Eltern; auch die betroffenen Jugendlichen erfuhren meist erst auf dem Transport, dass sie in den Geschlossenen Jugendwerkshof Torgau eingeliefert werden würden. Dieser Jugendwerkhof war durch eine drei Meter hohe Mauer mit Glasscherben (inkl. Wachtürmen sowie Suchscheinwerfer) und Wachhunde an Laufketten gesichert und von der Außenwelt gänzlich abgeschottet.

Er muss miterleben, wie ein Freund von ihm in einer Zelle verbrennt - einer der nie ganz geklärten Todesfälle von Torgau. Andreas F. ist Frührentner, bis heute in psychotherapeutischer Behandlung, schwer traumatisiert."

Wie politisch "fehlgeleitet" konnte man denn damals mit 16 Jahren sein?

Hier noch eine Bewertung: http://www.carookee.com/forum/Staatsterror/42/16820527
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon S51 » 25. September 2011, 17:08

augenzeuge hat geschrieben:..."Andreas F. bekommt mit zwölf seinen ersten Eintrag in der Stasi-Akte, weil er über Flucht in den Westen redet. Mit 16 kommt er in den Jugendwerkhof Hummelshain. Dort hält er es nicht aus, haut immer wieder ab.

Nach dem Aufenthalt in Kinderheimen u. ä. war der 16-jährige Betroffene 1971 für mehrere Monate in den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau verlegt worden, da er zuvor nach den Angaben der zuletzt für ihn zuständigen Heimleitung durch massive Disziplinierungsschwierigkeiten u.a. Prügeleien aufgefallen war.
...Die Verlegung erfolgte regelmäßig ohne vorherige Anhörung der Eltern; auch die betroffenen Jugendlichen erfuhren meist erst auf dem Transport, dass sie in den Geschlossenen Jugendwerkshof Torgau eingeliefert werden würden. Dieser Jugendwerkhof war durch eine drei Meter hohe Mauer mit Glasscherben (inkl. Wachtürmen sowie Suchscheinwerfer) und Wachhunde an Laufketten gesichert und von der Außenwelt gänzlich abgeschottet.

Er muss miterleben, wie ein Freund von ihm in einer Zelle verbrennt - einer der nie ganz geklärten Todesfälle von Torgau. Andreas F. ist Frührentner, bis heute in psychotherapeutischer Behandlung, schwer traumatisiert."

Wie politisch "fehlgeleitet" konnte man denn damals mit 16 Jahren sein?
...


Bitte, wer glaubt denn ernsthaft, dass jemand mit zwölf eine "Stasiakte" kriegt, weil er von Flucht redet. Mit zwölf war man noch nicht strafmündig. So etwas wäre weder eine Vorbereitung, noch ein Versuch und schon gar keine Tatausführung gewesen. Also absolut kein Grund für eine "Akte"! Da wurden gar keine Akten gefertigt, sondern so etwas allenfalls gem. StPO § 58 eingestellt und (? = bin mir nach so langer Zeit nicht mehr sicher wegen dem §)) als Notiz zur Jugendhilfe gegeben. Die Akte kann es, wenn es wirklich eine gab, nur gegeben haben, weil schwerere Sachen passiert sind. Sachbeschädigungen, politische Beleidigungen noch und nöcher. Wenn er dann, weil das in den Vernehmungen zur Sprache kam, solche Äußerungen tat wie "hau ich eben ab..." um so den Vorhaltungen ausweichen und eine Strafe abzuschwächen, steht das nun "wohlfeil" in den Akten. Grund und Anlaß des Vorganges war es aber eben nicht.

Kommt denn niemand in´s Grübeln, wenn er ganz nebenbei das liest, was ich mir erlaubt habe fett zu markieren? Das waren nämlich neben den Fluchtversuchen die wirklichen Gründe für die Einweisung nach Torgau.
Unter "Prügelei" ist allerdings in diesem Sprachgebrauch kein nettes Tätscheln, auch keine geringfügige Sache zu verstehen. Das fand nur Eingang in die Akten, wenn es schwerst zur Sache ging, es dabei Geschädigte, sprich Verletzte gab. Das dann nicht nur einmal...

Bei dieser Verbrennung hat einer der wegen Schlägerei im Arrest gelandet ist, mit geschmuggelten Zündhölzern die heutzutage offiziell gar nicht vorhandene Matratze in Brand gesetzt. Die Zündhölzer waren ursprünglich fürs rauchen "organisiert" (geklaut wie die Zigaretten). Fehler der Erzieher war die mangelhafte Durchsuchung. Rauchmelder oder vergleichbares hat es zu dieser Zeit ja nicht gegeben. Als man in der Panik nach erfolgter Räumung endlich vor Ort kam, war es zu spät.
Kann man "natürlich" heutzutage aber so nicht schreiben. Also wird es in diesen Schilderungen in aller Regel so ganz nebenbei ein bischen "versteckt".
Sonst wär man ja kein Opfer sondern...

Das meine ich mit "sinnbildlich die Balken biegen".
Zuletzt geändert von S51 am 25. September 2011, 17:19, insgesamt 1-mal geändert.
S51
 

Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon Edelknabe » 25. September 2011, 17:19

Textauszug aus Jörgs Vortext:

"Andreas F.bekommt mit zwölf seinen ersten Eintrag in die Stasiakte, weil er über Flucht in den Westen redet"?????

Entschuldigt, aber ich kann meine Lachen nicht mehr im Zaume halten...or ne, mit zwölf Jahren, ich fasse es nicht als hatte die DDR nichts besseres zu tun, als über einen Zwölfjährigen eine Akte anzulegen.
So langsam verstehe ich Interessierter und Co, ihr hattet wohl doch Recht, das Land DDR war irgendwie paranoid und sah schon in den Kindern potenzielle Klassenfeinde und gut, das meine Klassenlehrerin nicht alles notiert hatte, was der Rainer-Maria in seinem kindlich jugendlichen dussligen Gesülze von sich gab.
Andererseits verdammt, ich wäre heute damit ein Opfer und bräuchte kein Lotto spielen, um monatlich doch mein gutes Opfergeld-Geld vom Staat zu bekommen.
Sarkasmus hin Sarkasmus her, hier kann man eigentlich nur noch auf diese Schiene verfallen und man stelle sich vor, man war Staatsbürger der DDR und ließ sich nichts zu Schulden kommen und nicht mal das wird gewürdigt nein, es bedarf der Andreas F, denn der Junge hatte es richtig, aber auch voll richtig gemacht, er hatte mit zwölf Jahren damals in der DDR schon über Flucht in den Westen geredet.
Was für eine gnadenlose freiheitliche Intelligenz, was für eine kühne Voraussicht, was für eine Kämpfernatur, nein, was für ein jugendlicher Held?

Rainer-Maria müde, enttäuscht...warum ich nicht, warum?
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon augenzeuge » 25. September 2011, 17:26

Hallo S51-

dann muss die MDR Sendung erlogen sein. Und auch die Pressemitteilung 50/2004 des Kammergerichts - Justizpressestelle Moabit -.
Daher habe ich das. Ich gehe und ging davon aus, dass hier eine Recherche betrieben wurde.

Mit der Prügelei ist das immer schwierig, wie feste war es denn wirklich? Du kannst recht haben, streite ich gar nicht ab.

Also die Sendung war von Katarina Schickling, MDR, lief 2005. Leider habe ich es nicht gesehen.
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon S51 » 25. September 2011, 17:38

augenzeuge hat geschrieben:...dann muss die MDR Sendung erlogen sein. Und auch die Pressemitteilung 50/2004 des Kammergerichts - Justizpressestelle Moabit -.
...


Nicht erlogen! Wie kommst du denn auf so etwas!!!
Allenfalls ein wenig zielgerichtet unvollständig recherchiert und entsprechend bearbeitet. Und wer das entsprechende Urteil des Kammergerichtes, hier speziell den Absatz am Schluß sich zu Gemüte führt, der merkt, dass das Gericht so seine Probleme mit der Urteilsbegründung hatte und meinte, zur Untermalung noch ein paar Allgemeinweisheiten zu bedürfen.
Zu "dick" war die Akte des Antragstellers.

Es ist ja nicht so, dass der Punkt selbst nicht stimmt. Es ist nur halt so, dass der Zusammenhang aus Gründen der Begründung dabei weggelassen wurde. Da gibt es so eine uralte Fabel mit dem Komma (hängen nicht laufen lassen... von der Kommasetzung hing dann einiges ab).
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon Affi976 » 25. September 2011, 17:41

Zitat ABV:...Ich kenne keinen einzigen Fall, in dem jemand nur wegen seiner politischen Meinung oder seinem "nonkonformen" Erscheinungsbild in den Jugendwerkhof eingewiesen wurde.

genau ,@ Uwe,
ich denke, es sind nun genug Fälle privater, wie auch dienstlicher Natur geschildert worden, die Dein Zitat belegen.
Sicherlich wird es Unterschiede gegeben haben. Fritzchen hat 3x zugeschlagen und hat 1/2 Jahr bekommen und Ernst hat 10x zugeschlagen und hat "nur" 3 Monate bekommen. Das will ich alles glauben. Aber wer im JWH und dann noch im geschlossenen JWH gelandet ist, hat nicht nur Schuhcreme an die Türklinke geschmiert. So leid es mir für die Opfer tut.
Und eine Stasiakte mit, wie?, mit 12!!! [shocked] . Auch wenn`s vom MDR gesendet, heisst es nicht, es entspricht der Wahrheit!
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon nightfire64 » 25. September 2011, 17:44

Also langsam komme ich wirklich nicht mehr mit!! [mad]

Ihr glaubt auch wirklich jeden Quatsch, er muss einfach nur schaurig genug sein!! [angst]

Gott geb’s…, wer gut erzählen kann. [denken]

Kerstin
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon augenzeuge » 25. September 2011, 17:57

Affi976 hat geschrieben:Und eine Stasiakte mit, wie?, mit 12!!! [shocked] . Auch wenn`s vom MDR gesendet, heisst es nicht, es entspricht der Wahrheit!
VG Affi


Also doch nicht der Wahrheit? Affi, ich weiß es nicht und wenn du ehrlich bist, du auch nicht. Die Frage, was passierte seitens der Organe, wenn ein 12 jähriger eine Straftat offen plante, sollte beantwortet werden können. Und mit "Quatsch" kann mir da keiner kommen, das reicht mir nicht, sorry, Kerstin.
Ich denk schon, dass das irgendwo dokumentiert wird. Vielleicht kann Merkur etwas dazu sagen, dem glaubt ihr ja sicher eher als dem MDR, der sich so etwas aus den Fingern saugen muss. Wirklich?
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon augenzeuge » 25. September 2011, 18:07

Hier nochmal eine Zeitzeugengeschichte:


Schlimmer kann es nicht mehr kommen, dachte er, als die zwei Männer mit ihm im grünen Wartburg Kombi durch den Wintermorgen fuhren. Schlimmer als das vergangene Vierteljahr im Jugendwerkhof Freital, die verzweifelte Flucht, die Festnahme und die Einzelzelle, in der der 17-Jährige schlief - bis sie ihn abholten. Die Männer um Stefan Lauter sagten nicht, wohin sie ihn brachten. Auch nicht, als ihr Wagen bereits die imposante alte Häuserfront passiert hatte und sich das wuchtige Schleusentor hinter ihnen schloss.

Über Stunden stand der schmächtige Junge auf einem Büroflur, Menschen gingen wortlos an ihm vorüber. Als er einen der Unbekannten fragte, wo er sei, schlug der ihm mit einem Schlüsselbund ins Gesicht. Jetzt wusste Stefan Lauter, es würde noch schlimmer kommen.

An diesem 8. Februar 1985 kam der junge Berliner in den Jugendwerkhof Torgau: den einzigen Geschlossenen Jugendwerkhof der DDR.
Wer in anderen Jugendhilfe-Einrichtungen aus der Reihe tanzte, wurde hierher geschickt. Auch Stefan Lauter, der zu fliehen versucht hatte.

Was ihm in den folgenden vier Monaten widerfuhr, erlitten auch die anderen Insassen, rund 40 Jungen und 20 Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren: Zur Begrüßung kam er drei Tage lang in Einzelarrest, die Haare wurden ihm abrasiert. In Einheitskluft leistete er stupide Handwerksarbeit in der hauseigenen Werkstatt, Prügel und bis zu 14 Tage Einzelarrest waren gängige Erziehungsmittel.

Als Stefan Lauter wegen eines gequetschten Fingers in das Torgauer Krankenhaus gebracht wurde, kam er in Handschellen und Knebelkette in den Behandlungsraum. Der Vize-Direktor des Werkhofs, schildert der heute 37-Jährige, verweigerte ihm eine Betäubungsspritze mit den Worten: "Der kommt aus dem Jugendwerkhof. Der hält Schmerzen aus wie ein Indianer." Bis zu einem halben Jahr mussten die halben Kinder im Lager in der sächsischen Kleinstadt ertragen. Mindestens ein Insasse nahm sich im Werkhof das Leben, andere versuchten sich zu töten, indem sie Nägel oder Lack schluckten. Verzweiflung bestimmte das Lebensgefühl.

Die so genannten Erzieher verweigerten den Jugendlichen bewusst jegliche Privat- und Intimsphäre. Vom Aufstehen bis zum Einschlafen mussten sie alles im Laufschritt erledigen. Selbst beim Toilettengang waren sie nicht allein, sondern mussten warten, bis auch mehrere Mitinsassen aufs Klo mussten. Die Trennwände zwischen den Toilettenkabinen hatte die Werkhofleitung ausgebaut. Vor den Fenstern waren Gitter und Sichtblenden montiert. In der Arrestzelle gab es keine Matratze, zwei Decken mussten reichen, Blicke aus dem Fenster waren verboten. Wachttürme mit Suchscheinwerfern und Wachhunde sicherten das Gelände, das von einer rund vier Meter hohen, mit Glasscherben bewehrten Mauer umgeben war.

Viele leiden noch heute unter ihren Erinnerungen an diese Zeit. Das Vorurteil war weit verbreitet: Wer in Torgau sitzt, der wird schon etwas Schlimmes getan haben, und so hart wird es dort schon nicht sein. "Als ich nach Berlin zurückkehrte, wollte mir meine Mutter meine Schilderungen nicht glauben. Weder meine Berichte über die Prügel, noch über den Arrest", sagt Stefan Lauter und drückt seine Zigarette aus. Der Aschenbecher vor ihm füllt sich von Stunde zu Stunde. Seine Geschichte erzählt der hagere Mann mit den kurz geschnittenen blonden Haaren gefasst, er präsentiert sogar ein Paar eiserne Handschellen. Sie ähneln denen aus Torgau. Doch seine unruhigen Augen blicken zwischen den Zigarettenzügen immer wieder aus dem Fenster. Eine Art Atemholen vor dem nächsten Satz, der nächsten Erinnerung.

Heute arbeitet Lauter in einer Gedenkstätte in der ehemaligen Stasi-Zentrale, er will das DDR-Unrecht nicht in Vergessenheit geraten lassen. Der zweifache Vater gehört zu den wenigen, die für ihre Leiden eine Haftentschädigung durch die Bundesrepublik erhalten. Er konnte nachweisen, dass DDR-kritische Äußerungen in der Schule und sein Austritt aus der FDJ für seinen Weg nach Torgau mit verantwortlich gewesen waren. Seit dem Ende der DDR beharrte die gesamtdeutsche Rechtsprechung auf dem Grundsatz: Die Rehabilitierung eines ehemaligen Insassen ist nur möglich, wenn seine politische Einstellung den Betroffenen in den Werkhof gebracht hatte oder die Einweisung völlig unangemessen gewesen war.
(Aus der Erinnerungs- und Begegnungsstätte im ehemaligen Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau)
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon Affi976 » 25. September 2011, 18:19

Zitat AZ:...mit verantwortlich gewesen waren.

genau!
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon S51 » 25. September 2011, 18:50

[quote="augenzeuge]... Die Frage, was passierte seitens der Organe, wenn ein 12 jähriger eine Straftat offen plante, ...[/quote]

Einer der wesentlichen Umstände für das Fehlen von Voraussetzungen der Strafverfolgung war die Strafunmündigkeit gem. § 99 StPO der DDR. Strafmündig war man mit vollendetem 14. Lebensjahr. Davor war eben "Schicht im Schacht".
Aber:
Der Abschluß erfolgte gem. §§ 96 oder 141 StPO der DDR. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, keine Akte (weshalb das mit der Stasi-Akte so Quatsch ist) gefertigt aber der Vorgang als "Notiz" (von solch einer Notiz ist dann hier als Bestandteil einer "Akte" die Rede) an die Jugendhilfe gesendet. Gegebenenfalls eine KP 40 (Kontrollmitteilung) für die Schutzpolizei und den ABV gefertigt. Wenn Wiederholungen wahrscheinlich waren, sonst nicht. Zur Einstellung wurden Vorschläge gemacht, was die mögliche Ahndung oder Erziehungsmaßnahmen betraf. Gegen die Eltern kam gegebenenfalls ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoß gegen § 142 StGB der DDR (Verletzungen der Erziehungspflichten aber nur in begründeten - und extrem seltenen, die Eltern waren genug gestraft- Ausnahmefällen wie Vernachlässigung des Kindes, Gefährdung der geistigen und sittlichen Entwicklung) in Frage. Ich kenne diesbezüglich keinen solchen Fall.
Erziehungsmaßnahmen wurden nur und ausschließlich über die Jugendhilfe, bei schweren Delikten (Tötungsdelikten, Brand- und Sprengstoff- oder Waffendelikte, mitunter auch bei sehr vielen Häufigkeitsdelikten) in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft eingeleitet. Was die Jugendhilfe mit unseren Vorschlägen gemacht hat, war deren Sache (oft waren wir mit dem unserer Meinung nach zu laschem Ergebnis gar nicht glücklich). Meist in Zusammenarbeit mit dem ABV. Das konnten öffentlicher Tadel, Wiedergutmachung, ärztliche Hilfen oder nach langem Hin und Her auch erzieherische Hilfen bis hin zur Heimeinweisung sein. Niemals jedoch nur wegen eines Deliktes.
Praktisch kam dann der ABV und, schon seltener, der Sachbearbeiter der K zu den Eltern nach Hause. Hat ordentlich Dampf gemacht. Bis hin zur Todesstrafe alles ausgemalt, was so einen Sprößling später dann einmal im kriminellen Millieu erwischen könnte und schließlich mitgeteilt, dass die Sache eingestellt sei. Damit hatte der ABV in diesen Familien nicht selten den Stand des guten Onkels...(und wir von der K waren das böse Drohgespenst am Familienhimmel).
Der Vorgang blieb dann als Aktennotiz bis zum vollendeten 18 Lebensjahr bei der Jugendhilfe liegen und wurde dann archiviert. Wenn nichts mehr passierte war das Thema damit erledigt. Keine Strafakte, kein Ermittlungsverfahren.
Passierten ab dem 14. Lebensjahr weitere dem ursprünglichen vergleichbare Delikte tauchte der Sachverhalt als Argument für eine nun erforderliche Strafe wieder auf. Mehr nicht.
S51
 

Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon augenzeuge » 25. September 2011, 18:56

Danke S51, gut erklärt. Dann war es eine Notiz, die später in die Akte wanderte.... [wink]
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon S51 » 25. September 2011, 19:12

augenzeuge hat geschrieben:...Weg nach Torgau mit verantwortlich gewesen waren.[/size][/color] ...


Ich habe das wesentliche Wort unterstrichen. Jeden weiteren Kommentar spare ich mir. Denn das sagt alles.
S51
 

Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon Nostalgiker » 25. September 2011, 19:14

Ich dachte das nach den Wortmeldungen einiger User hier welche in ihrem unmittelbaren Verwandtschafts-- und Freundeskreis Menschen haben die selbst in Jugendwerkhöfen waren, die die Gründe genannt haben die zur Einweisung führten, und dann die Gruppe welcher aus Sicht der Polizei schilderte welche Tatbestände vorhanden sein mußten das das Jugendamt/Schule/auch Eltern letzendlich über eine Einweisung in einen JWH entschieden; nicht Torgau!!!! nachdem alle Bemühungen den Jugendlichen zu Einsichten zu bewegen gescheitert waren, hier wieder etwas mehr Ruhe einzieht und eine sachbezogene Diskussion weiter geht; wenn nötig.
Nein dem ist nicht so.
Mit einer Beharrlichkeit welche für mich langsam zur Penetranz ausartet, wird von Dir, Augenzeuge, immer und immer wieder auf dem Thema rumgehackt das da lautet, sie wurden bereits wegen DDR kritischer Äußerungen nach Torgau verbracht. Wo sie davor waren, was sie gemacht haben um da hin zu kommen, alles nichtig, alles nicht relevant. Es geht Augenzeuge nur darum das "DDR kritische Äußerungen" bereits der ausschlaggebende und alleinige Grund waren um direkt nach Torgau zu kommen.

Fernsehen lügt nicht, Zeitung lügt nicht. Jedenfalls in der freiheitlichen, der Wahrheit verpflichteten Demokratie.
Skandale über sachlich falsche, schlecht bis schlampig recherchiertes Material, fand alles nicht statt. Das "wahre" Berichte, Reportagen oder gar Nachrichten eine bestimmten Richtung gingen, nämlich dem Objekt der dieser Bericht gilt Schuld nachzuweisen, das gab es natürlich nur in der DDR.
Alle Journalien die sich Journalisten nennen dürfen sobald sie halbwegs einen Satz vor der Kamera fehlerfrei aussprechen können, sind integere, der Wahrheit und nur der Wahrheit verpflichtete Personen deren heres Berufsziel und Ethos es ist sich in keinerlei wie auch geartete Kampagne einspannen zu lassen. Sie sind einfach der Wahrheit verpflichtet.

Wie solche Menschen "arbeiten" habe ich mal in einem gut recherchierten Bericht über die Drehbuchautorin Annette Hess, ihres Zeichens verantwortlich für die "Frau vom Checkpoint Charlie" und "Weissensee" gelesen.
Recherche, Quellenstudium, Zeitzeugenbefragungen und zwar alle Seiten; bei ihr Fehlanzeige.
Sie blättert gerne in alten Zeitungen und wenn sie eine kurze Notiz interessant findet dann ist der Rest ihre Phantasie. Was schert da die Realität, auch wenn sie Vergangenheit ist.

Den letzten Satz in Deinem ellenlangen Zitat hätteste mal schön Rot und groß machen sollen Augenzeuge:
Die Rehabilitierung eines ehemaligen Insassen ist nur möglich, wenn seine politische Einstellung den Betroffenen in den Werkhof gebracht hatte oder die Einweisung völlig unangemessen gewesen war.

Nur der "Nachweis" der Unangemessenheit gekoppelt mit politischer Einstellung als alleiniger Grund für die Einweisung bringt das Geld.

Da ja nach Ansicht von Augenzeuge alle Insassen von Torgau unschuldig dort waren warum besteht dann das Kammergericht Berlin auf solch lästiger Einzelfallprüfung?
Da hätten sie doch pauschal alle Insassen von Torgau für Unschuldig erklären können und gut wär's gewesen.

Abschließend frage ich mich natürlich welche persönlichen Beweggründe Du hast ständig und ständig darauf zu beharren das es so hätte sein können, jedes Sachliche Argument mit einem "ja aber" konterst.
Eigenes Traumata irgendwie nicht richtig verarbeitet?
Nicht falsch verstehen, ich möchte Dir keinesfalls zu nahe treten aber mich macht nur Dein schon fast verbissener Eifer hier etwas Beweisen zu wollen was nicht zu beweisen ist schon sehr stutzig.
Es geht Dir nicht um Torgau, es geht Dir um etwa ganz anderes.

Gruß
Nostalgiker
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon augenzeuge » 25. September 2011, 19:14

Uwe, das seh ich auch so. Also kann man dem MDR nicht mehr vertrauen. Schlimm. [mad]

Und S51, ich habe das auch schon so gelesen, die Markierung war nicht notwendig. Es geht immer um die gesamte Geschichte- das ist klar.
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon augenzeuge » 25. September 2011, 19:15

Nostalgiker, worum es mir ging habe ich deutlich gemacht, deine Märchen kannst du für dich behalten. [mad]
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon S51 » 25. September 2011, 19:29

augenzeuge hat geschrieben:... Dann war es eine Notiz, die später in die Akte wanderte.... [wink]
AZ


Akte oder "Notiz" sind strafprozeßrechtlich ein riesen Unterschied! Das eine ist Grundlage für Maßnahmen, das andere nur eine Information. Diese Person betreffend wird aber der Eindruck erweckt, dass eine solche Notiz wesentlich für Maßnahmen (hier die Einweisung in den GJWH) gewesen sei. Dies jedoch stimmt eben nicht.
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon ex-maja64 » 25. September 2011, 19:37

Nostalgiker hat geschrieben:Eigenes Traumata irgendwie nicht richtig verarbeitet?



So etwas ähnliches hatte ich schon vor 2 Jahren, damals noch im anderen Forum geschrieben.
Du hast Recht, bei manchen Menschen wird sowas zur Manie, im schlimmsten Fall hält die bis ans Lebensende an.


Mario
ex-maja64
 

Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon S51 » 25. September 2011, 19:48

augenzeuge hat geschrieben:... Also kann man dem MDR nicht mehr vertrauen. Schlimm. [mad]
...


Vertrauen, blind? Himmel, das entäuscht mich dann doch.
Ich schau gerne den MDR. Man findet vieles wieder und verglichen mit anderen Sendern ist er eher mal relativ objektiv. Doch darf man nicht vergessen, dass wir zwar nicht mehr den sozialistischen Klassenstandpunkt dafür aber den Umstand haben, dass für Fördermaßnahmen, Gelder und Sendeplätze ein gewisses Wohlverhalten gegenüber den Geldgebern, quasi den Staat schon erforderlich ist. Mitunter sehr deutlich erkennbar erforderlich ist...
Soll heißen, ohne mindestens einen anteilnehmenden Unrechtskommentar über die böse DDR am Rande geht eigentlich nicht mal eine Sendung über Krokusfarben im Kleingarten durch.
Besonders die "Umschau" stößt einem da mitunter sauer auf.
Es ist nun mal so, dass viele Beiträge über DDR-Jugendwerkhöfe im Kontext zu Berichten über Vorfälle in westlichen Einrichtungen ähnlicher Art gesendet wurden und werden. Nach dem Motto, die waren eben noch böser.
Es fällt gerade bei manchen Beiträgen in den dritten Programmen auf, dass sehr zielgerichtet auf der Betroffenheitsschiene gefahren wird. Da wird gar nicht selten an den Belegen so rumgekürzt, dass sie "passen". Ein Vorkämpfer auf diesem Gebiet war und ist auch der gegenwärtige Chef einer Bundesbehörde...
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon Interessierter » 25. September 2011, 20:44

Zitat S51
Bitte, wer glaubt denn ernsthaft, dass jemand mit zwölf eine "Stasiakte" kriegt, weil er von Flucht redet. Mit zwölf war man noch nicht strafmündig. So etwas wäre weder eine Vorbereitung, noch ein Versuch und schon gar keine Tatausführung gewesen. Also absolut kein Grund für eine "Akte"!

Hallo S51,
kann es sein, daß Du Dich evtl. ein wenig weit aus dem Fenster lehnst?
Begründung:
Die Stasi verfolgte im Auftrage der SED bei Kindern und Jugendlichen scheinbar gesellschaftswidriges, nichtkonformes Verhalten mit versteckten und offenen Repressionen.
Zwei Schlüsseldokumente hierzu stammen aus dem Frühjahr 1966: Die Dienstanweisung 4/66 und der Befehl 11/66.
Zunächst wurden hier alle Gruppen und Personen benannt, die - aus der Erfahrung der Stasi - im Alter von 14 - 25 Jahren " Delikte mit hoher Gesellschaftsgefährlichkeit " begehen könnten.
Dafür waren unter anderem auch folgende Personen und Gruppen aufzuklären:

vorbestrafte Jugendliche
haftentlassene Jugendliche
arbeitsscheue Jungendliche und Arbeitsbummelanten
Rückkehrer aus der BRD
Oberschüler
Gruppierungen, die aufgrund ihrer angeblich labilen politischen und moralischen Haltung eine Basis zur Vorbereitung und Durchführung staatsfeindlicher Verbrechen bildeten.
Jugendliche aus gestörten familären Verhältnissen
Studenten
Jugendliche mit ungenügenden fachlichen und schulischen Leistungen
Lehrlinge
Jugendliche, die sich bewusst oder unbewusst vom sozialistischen Erziehungsprozess isoliert hatten.

Hierzu baute die Stasi ein Netz von IMs unter 18 Jahren bzw. 21 Jahren von 12.000 bis 17.200 Kindern und Jugendlichen aus.

Eine andere Form der Bindung von Kindern und Jugendlichen war die Anwerbung ab der 7. Klasse für die Stasi, wobei der Schüler das 12. Lebensjahr vollendet haben musste.

Für diese 12.000 bis 17.000 Kinder und Jugendliche werden sicher auch Akten angelegt worden sein, gleich ob 12 Jahre 15 oder 17 Jahre, genau wie sicher auch für die Berichte über Jugendliche ab 12 Jahre, über die IMs berichteten.

Daher halte ich Deine von mir zitierte Aussage für wenig wahrscheinlich.

[rose]

Ps. Das ist hier ab Seite 87 nachzulesen:
http://www.kas.de/wf/doc/kas_334-544-1-30.pdf
Interessierter
 

Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon ex-maja64 » 25. September 2011, 20:59

@ Ignorierender, ich bin immer wieder erstaunt über deine Sachkenntnis und deine Fähigkeit zum Googlen.
Links zur Konrad Adenauer Stiftung kommen bei mir besonders gut.
Sicher ist dir natürlich auch dieser Fall bekannt, wo ein dreijähriger die Essensaufnahme mit den Worten " Ich will nicht mehr" ablehnte. Woraufhin die Schtasi bei im Fluchtgedanken feststellte und eine Akte über ihn anlegte.
Wie perfide dieses Ministerium war zeigt sich aber auch daran, das von seiner Windel noch eine Geruchsprobe angelegt wurde.
Bei deinen Qualitäten, dürfte es doch auch noch möglich sein, über diesen Fall ein Youtube-Video zu finden.


Mario [rose]

P.S. nur mal so nebenbei, in der siebten Klasse war man in der Regel 13 Jahre alt.
ex-maja64
 

Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon S51 » 25. September 2011, 21:09

Interessierter hat geschrieben:...kann es sein, daß Du Dich evtl. ein wenig weit aus dem Fenster lehnst?
Begründung:
...Zwei Schlüsseldokumente hierzu stammen aus dem Frühjahr 1966: Die Dienstanweisung 4/66 und der Befehl 11/66.
Zunächst wurden hier alle Gruppen und Personen benannt, die - aus der Erfahrung der Stasi - im Alter von 14 - 25 Jahren " Delikte mit hoher Gesellschaftsgefährlichkeit " begehen könnten.
... 7. Klasse für die Stasi, wobei der Schüler das 12. Lebensjahr vollendet haben musste.

Für diese 12.000 bis 17.000 Kinder und Jugendliche werden sicher auch Akten angelegt worden sein, gleich ob 12 Jahre 15 oder 17 Jahre, genau wie sicher auch für die Berichte über Jugendliche ab 12 Jahre, über die IMs berichteten.

Daher halte ich Deine von mir zitierte Aussage für wenig wahrscheinlich.

[rose]

Ps. Das ist hier ab Seite 87 nachzulesen:
http://www.kas.de/wf/doc/kas_334-544-1-30.pdf


Na dann guck noch mal richtig:
Wir schrieben von einer Akte im zarten Alter von 12 Jahren.
Diese Dienstanweisung sagt eindeutig aus, dass sie für Jugendliche ab 14 Jahren gilt.
Wenn ich im Alter von 7 Jahren eingeschult würde, wäre ich in der 7. Klasse 14 geworden. Gut, mich hat die Schule seinerzeit schon mit 6 Jahren "geholt" aber trotzdem war 7. Klasse und 12 Jahre eher eine illusorische Variante... Wenn wie hier dargestellt jemand ab 12 in der 7. Klasse geworben werden durfte, müsste er schon ein relativ schneller Frühzünder gewesen sein...
Unsere Reverenzperson war vergleichbar eher ein schulischer Spätzünder...
Wir schrieben aber von einer Akte, in der jemand einer Straftat beschuldigt worden wäre. In der DDR galten für die K genauso wie für das MfS das StGB und die StPO. Daran konnte niemand vorbei. Und schon gar nicht wäre mit einer derartigen Rechtswidrigkeit eine Einweisung in den GJWH begründbar gewesen. Schon, weil es eine Strafakte zu dieser Lebenszeit nicht geben konnte und man eine IM-Akte im öffentlichen Leben gar nicht verwendet hätte. Selbst wenn es also einen IM-Vorlauf gegeben hätte (da habe ich leider keine Ahnung von, können andere besser hierzu Auskunft geben), kann dies keine Akte gewesen sein, in der jemandem etwas in Form eines strafbaren Deliktes vorgehalten wurde. Ich bezweifle auch, das ein IM seine Akte oder das, was darin stand jemals erfahren hat. Außerdem, als IM hätte unsere Reverenzperson keine Entschädigung erhalten. Das eine schließt zumindest gegenwärtig das andere bei der zum Zeitpunkt des Kammergerichtsurteils und nach wie vor geltenden Rechtsauffassung definitiv aus.
Wir sprechen demzufolge nicht von einer IM-Akte. Weder als Vorlauf noch als sonstwas. Ansonsten hätten wir es aus anderen Gründen mit einem deftigen Justizskandal zu tun.
Zuletzt geändert von S51 am 25. September 2011, 21:21, insgesamt 2-mal geändert.
S51
 

Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon Interessierter » 25. September 2011, 21:14

ex-maja64 hat geschrieben:@ Ignorierender, ich bin immer wieder erstaunt über deine Sachkenntnis und deine Fähigkeit zum Googlen.
Links zur Konrad Adenauer Stiftung kommen bei mir besonders gut.
Sicher ist dir natürlich auch dieser Fall bekannt, wo ein dreijähriger die Essensaufnahme mit den Worten " Ich will nicht mehr" ablehnte. Woraufhin die Schtasi bei im Fluchtgedanken feststellte und eine Akte über ihn anlegte.
Wie perfide dieses Ministerium war zeigt sich aber auch daran, das von seiner Windel noch eine Geruchsprobe angelegt wurde.
Bei deinen Qualitäten, dürfte es doch auch noch möglich sein, über diesen Fall ein Youtube-Video zu finden.


Mario [rose]

P.S. nur mal so nebenbei, in der siebten Klasse war man in der Regel 13 Jahre alt.


Mensch ex - maja64, dabei bin ich ja noch nicht einmal auf diesen von S51 geschriebenen und mir zitierten Satz eingegangen:

So etwas wäre weder eine Vorbereitung, noch ein Versuch und schon gar keine Tatausführung gewesen. Also absolut kein Grund für eine "Akte"!

Was meinst Du denn wieviel Akten die Stasi angelegt hatte, wo weder eine Vorbereitung, noch ein Versuch oder schon gar keine Tatausführung gewesen war ? [ich auch]
Interessierter
 

Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon augenzeuge » 25. September 2011, 21:26

Nostalgiker hat geschrieben:Den letzten Satz in Deinem ellenlangen Zitat hätteste mal schön Rot und groß machen sollen Augenzeuge:
Die Rehabilitierung eines ehemaligen Insassen ist nur möglich, wenn seine politische Einstellung den Betroffenen in den Werkhof gebracht hatte oder die Einweisung völlig unangemessen gewesen war.

Nur der "Nachweis" der Unangemessenheit gekoppelt mit politischer Einstellung als alleiniger Grund für die Einweisung bringt das Geld.

Es geht Dir nicht um Torgau, es geht Dir um etwa ganz anderes.

Gruß
Nostalgiker


Zunächst muss ich dich erneut enttäuschen, Nostalgiker. Mir ist in dem Beitrag ein Fehler unterlaufen. Und du bist auch noch drüber gestolpert.... [laugh]

Das Kammergericht hatte im Dezember 2005 seine frühere Rechtsprechung aufgegeben, wonach eine Rehabilitierung nur dann möglich war, wenn die Einweisung in den Jugendwerkhof eine Reaktion auf die politische Einstellung oder auf unangepaßtes gesellschaftliches Verhalten des Betroffenen darstellte oder gänzlich unverhältnismäßig war.

Sorry, war nicht Absicht, zeigt mir aber wie gut du in der Materie steckst.

Und was das Trauma betrifft, mir ging bzw. geht es nur um die Wahrheit von Torgau. Dir geht es drum, dass dort nur "Kriminelle" waren, zu recht wie du meinst. Und das glaube ich eben nicht. Ich habe auch nie behauptet, dass dort nur politische Verfechter drin waren. Für mich war die Mitte immer die Wahrheit. Wenn du das nicht verstehst, dann tuts mir leid aber nicht weh. Das dazu.

Wer hier von uns ein Trauma hat, wird in der cholerischen Art der Beiträge sehr deutlich. Ich habe keins, aber es geht mir gegen den Strich, wenn hier falsche Behauptungen stehen bleiben sollen, besonders dann, wenn sie mich betreffen. In diesem Zusammenhang musst du mir auch keine PM's über meine alten Beiträge schreiben, die du ja mit einem nahezu euphorischem Eifer liest, ich frag mich schon warum, aber vermutlich liest du sie nicht alle sorgfältig genug. Nochmal für dich. Ich bin nicht durch ein Abi gefallen, ich habe es sofort bestanden, aber ich wäre wie ein anderer Mitschüler fast von der Prüfung ausgeschlossen worden, weil ich eine gebrauchte Winterjacke mit einem VW-Aufnäher trug. Ob du das glaubst oder nicht ist mir wurscht. Du scheinst ja vieles nicht erlebt zu haben. Aber dafür kann ich nichts. Du kannst gern alle meine Beiträge hier lesen, eine Lüge wirst du nie finden.
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon nightfire64 » 25. September 2011, 21:27

Interessierter hat geschrieben:Eine andere Form der Bindung von Kindern und Jugendlichen war die Anwerbung ab der 7. Klasse für die Stasi, wobei der Schüler das 12. Lebensjahr vollendet haben musste.



Ich kenne zwar Niemanden, der unter 12 Jahre war und die 7. Klasse besuchte..., aber ansonsten hast du vollkommen Recht. [shocked]

Sie standen in Kolonnen bei uns in der Schule auf den Gängen und bevor wir zur Hofpause durften, mussten wir alle erst als IMs unterschreiben. [laugh] [laugh]

Kerstin [rose]
nightfire64
 

Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon S51 » 25. September 2011, 21:39

Interessierter hat geschrieben:...Was meinst Du denn wieviel Akten die Stasi angelegt hatte, wo weder eine Vorbereitung, noch ein Versuch oder schon gar keine Tatausführung gewesen war ?...


Für eine Akte, egal wo und wann, damals wie heute, braucht es einen rechtlichen Anlaß. Gesetzliche Grundlagen, die Aussicht auf Rechtsfolgen, die sich aus Akteninhalt und tangierten Gesetzen und Verordnungen ergeben.
Wenn dem nicht gegeben ist macht so etwas einfach mal keinen Sinn.
Das MfS war doch aber eine Behörde. eine deutsche Behörde und die macht eine Menge aber ohne Rechtsgrundlage Akten verzapfen - das doch eher nicht.
Dazu kommt, dass die Mißachtung von Gesetzen zumindest bei uns, der K oder auch der Schutzpolizei schnell mal den Job kosten konnten. Wir waren nicht unkündbar.
Wenn in der DDR jeder für eine mehr oder minder nette Bemerkungen eingezogen wäre, müsste ich heute noch brummen. Andere noch viel länger. Wenn ich da nur an W. Stoph denke und an die Sachen, die er so manches Mal in der Ehrenfelsstr. in Karlshorst vom Stapel gelassen hat. Vor noch und nöcher Ohren...
Merkur hat es hier schon so manches Mal angemerkt, die eigentlichen Vorgänge aus diesem Bereich waren aber vergleichsweise selten. So mancher Ex-DDR-Bürger hat da schon vergeblich nach passenden Einträgen gesucht.
S51
 

Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon augenzeuge » 25. September 2011, 21:45

S51 hat geschrieben:Für eine Akte, egal wo und wann, damals wie heute, braucht es einen rechtlichen Anlaß. Gesetzliche Grundlagen, die Aussicht auf Rechtsfolgen, die sich aus Akteninhalt und tangierten Gesetzen und Verordnungen ergeben.


Interessant, und wie erklärt man Briefe in der MfS-Akte, die man als 13 jähriger geschrieben oder erhalten hatte? Die Abteilung M musste hier ja etwas abgelegt haben. Einen rechtlichen Anlaß brauchte man doch da nicht....da reichte die Vermutung aus.
AZ
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Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon S51 » 25. September 2011, 21:49

augenzeuge hat geschrieben:[.. dass dort nur "Kriminelle" waren, zu recht wie du meinst. Und das glaube ich eben nicht. Ich habe auch nie behauptet, dass dort nur politische Verfechter drin waren. Für mich war die Mitte immer die Wahrheit. ...


In all den offiziellen Berichten, Artikeln und Internetseiten wird meist so getan, als ob beinahe nur Politische darinnen waren und selbst die mit kriminellem Hintergrund eigentlich nur aus politischen Gründen so wurden.
Die Wahrheit liegt hier jedoch nicht mal in der Mitte, eher so 10 zu 90, zu manchen Zeiten (um 1968 herum) maximal bei 20 zu 80. Das ist von der offiziellen Wahrheit weit entfernt.
Und tatsächlich ist es bei genauerem Hinsehen oft so, dass selbst bei den verbleibenden 10 bis 20 % noch rund die Hälfte ein gut Teil ihrer Biographie merkwürdig verändert haben.

Dazu kommt, das die Darstellung der Vorgänge in den JWH offiziell immer einseitig zu Lasten der Erzieher erfolgt. Da war nicht alles fehlerfrei! Die materiellen Bedingungen waren bescheiden, die Ausbildung oft auch. Es sind definitiv auch Dinge passiert, die selbst als "Überreaktion" schwer vermittelbar sind. Aber die Voraussetzungen der Insassen waren eben auch nicht ideal. Gerade für Torgau weiß ich, dass Erzieher den Jugendlichen mehrfach geholfen haben. Dass nicht nur der Zwang Erziehungsmethode war sondern sogar Adoptionen vorkamen. Davon erfährt man offiziell gar nichts.
Genauso wie man von den kriminellen Handlungen mancher Insassen während des Aufenthaltes dort nichts erfährt. Tote im wahrsten Sinne des Wortes totgeschwiegen werden.
Es muß sich noch viel ändern.
Zuletzt geändert von S51 am 25. September 2011, 22:09, insgesamt 1-mal geändert.
S51
 

Re: Schlimmer als Knast - Die Jugendwerkhöfe der DDR

Beitragvon S51 » 25. September 2011, 21:55

augenzeuge hat geschrieben:...Interessant, und wie erklärt man Briefe in der MfS-Akte, die man als 13 jähriger geschrieben oder erhalten hatte? Die Abteilung M musste hier ja etwas abgelegt haben. Einen rechtlichen Anlaß brauchte man doch da nicht....da reichte die Vermutung aus.
AZ


Was war die Abteilung M? Das fragst du mich? Ein Blick auf die Familie wird helfen, denke ich. Jemand, den sie dort auf dem Kieker hatten und über den man dann in die "Wertung" kam. Diese Person muss dann schon eine gewisse Bedeutung gehabt haben.
Noch mal. Unsere Reverenzperson bezieht sich immer nur auf sich.
S51
 

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