Ansonsten empfehle ich mal in dem Buch von Ina Merkel, Utopie und Bedürfnis - die Geschichte der Konsumkultur in der DDR, erschienen 1999, zu blättern oder zu lesen ....
Man muss ja nicht jeder Empfehlung folgen. Manchmal reicht es schon die Rezensension von dem renommierten Historiker
Ilko-Sascha Kowalczuk zu lesen.
Konsumkultur, Konsumutopie, KonsumrealitätDer Sammelband »Wunderwirtschaft« ging auf eine vielbesuchte Ausstellung in der Berliner Kulturbrauerei zurück, die die Autorin des vorliegenden Bandes, Ina Merkel, maßgeblich initiiert und organisiert hatte. Ina Merkel, Kulturwissenschaftlerin, Mitbegründerin des »Unabhängigen Frauen-Verbandes« 1989 und seit 2000 als Professorin in Marburg tätig, geht es in ihrer Studie darum, anhand der Konsumkultur in der DDR »nach der Dynamik bzw. den Brüchen und Reibungen im Verhältnis von Staat und Bevölkerung« (S. 13) zu fragen. Dabei will sie eben nicht nur »Konflikt-, sondern auch nach Konsenspunkten zwischen Politik und Bevölkerung« (S. 12) suchen. Diesen Ansatz versucht sie, in drei Schritten umzusetzen. »In der vorliegenden Arbeit geht es erstens um die Analyse der Widersprüche einer ideologisch geprägten Konsumpolitik, zweitens um die Ausdifferenzierung einer homogen erscheinenden Konsumkultur und drittens um die Untersuchung der kulturellen Praxen des Erwerbs, Gebrauchs und Verbrauchs von Kosumgütern...« (S. 13)
Merkel sieht in der DDR keine Konsumgesellschaft, sondern nach dem Selbstverständnis der Herrschenden eine sich entwickelnde »Kulturgesellschaft«, in der ein originär sozialistisches Konsummodell kreiert werden sollte. Diesem war die Vorstellung inhärent, »was die Menschen für ihr Wohlbefinden brauchen, wie sie leben, wie sie konsumieren und wie sie ihre Zeit verbringen sollten« (S. 13). In diesem paternalistischen Ansatz sieht Merkel keine Versorgungsmentalität, sondern eine Gegenmoderne, die zwischen 1958 (Aufhebung der Rationierung) und 1971 (Machtwechsel Ulbricht – Honecker)5 installiert werden sollte, ehe mit dem Machtantritt Honeckers eine am Westen orientierte Konsumpolitik propagiert worden sei.
Die sechziger Jahre bilden den eigentlichen Untersuchungszeitraum Merkels, obwohl an einigen Stellen des Bandes sowohl Aspekte aus der Zeit vor 1958 und noch viel stärker aus der Zeit nach 1971 behandelt werden. Zum zentralen Begriff in der Darstellung avanciert der Begriff »Konsumkultur«, den Ina Merkel definiert »als daß widersprüchliche Verhältnis von Konsumpolitik – sowohl als wirtschaftspolitische Strategie wie auch als ideologischer oder kultureller Wertehorizont oder sogar als Erziehungsimpetus – und Konsumverhalten – begriffen als individuelle Aneignungsweise, in der der Zusammenhang von sozialer Lage, Tradition und Mentalität aufscheint. ... Konsumkultur umfaßt die Formen des Erwerbs von Gegenständen ebenso wie ihren praktisch-aneignenden und symbolisch-kommunikativen Gebrauch.« (S. 27f.)
Die Arbeit basiert auf schriftlichen Hinterlassenschaften von SED, Regierungsstellen und Massenorganisationen, auf Untersuchungen des Institut für Bedarfs- bzw. Marktforschung der DDR, auf der Auswertung von zeitgenössischen DEFA-Spielfilmen – die allerdings ausweislich des hier vorgelegten Bandes offenbar vor allem implizit Berücksichigung fanden6 – sowie auf 52 Interviews mit 64 Zeitzeugen, die Merkel gemeinsam mit einem Mitarbeiter durchführte. Allerdings versäumt es die Autorin leider, ihre Leserschaft darüber aufzuklären, nach welchem Muster die Interviewten ausgewählt wurden, so daß der Wert dieser Interviews – obwohl aus diesen vielfach zitiert wird – letztlich unklar bleibt. Wer den Argumentationen Merkels folgen kann, wird den Wert dieser Interviews nicht bezweifeln. Umgekehrt folgt daraus, daß ebenso gesagt werden könnte, die Auswahl der Interviewten sei einseitig und auf die Thesen der Autorin zugeschnitten.Die Autorin verwickelt sich häufig in Widersprüche, weil sie ganz offenbar ihre eigenen – mehr oder minder ausgeprägten – asketischen Konsumvorstellungen auf die DDR-Bevölkerung überträgt und daher immer wieder apostrophiert,
die DDR-Bevölkerung hätte mindestens in den sechziger Jahren einsichts- und verständnisvoll die materiellen Mängel ertragen und kompensiert. Die sozialistische Konsumutopie scheiterte vor allem, so eine der Thesen von Ina Merkel, weil sie sich in Konkurrenz mit der westlichen Konsumwirklichkeit begab und die ostdeutsche Bevölkerung zugleich den medial vermittelten westlichen Konsumbildern in ihrer Mehrheit hoffnungslos erlegen war.
Wie wenig dabei die Autorin letztlich zu überzeugen vermag, mögen einige Beispiel verdeutlichen: Der Aufstand vom 17. Juni 1953 »hinkte mit seinen Forderungen den Ereignissen hinterher« (S. 39), womit Merkel lediglich die längst überwunden geglaubte Interpretation neu aufwärmt, der Aufstand hätte allein ökonomische Ursachen gehabt. Daß dem bei weitem nicht so war, hätte ein nur flüchtiger Blick in die Forschungsliteratur ergeben.
Völlig überraschend kann der Leser erfahren, daß es in der DDR »Heimcomputer« zu kaufen gab (S. 64). Dies ist nicht nur nicht wahr, dies hätte zugleich auch bedeutet, daß es in der DDR auch Kopierer und ähnliche »Waffen« zu kaufen gegeben hätte.
Merkel schreibt: »In der relativ geduldigen Hinnahme der peramenten Versorgungsstörungen wie auch in der Akzeptanz von Sparsamkeitsprinzipien drückt sich ein gewisses Einverständnis mit grundlegenden ökonomischen Strategien aus.« (S. 89)
Denn »Hinnahme« bedeutet in einer Diktatur noch lange nicht »Einverständnis«. Ganz abgesehen davon berichtet Ina Merkel von einer Vielzahl von Beispielen, bei denen gerade eben nicht hingenommen, sondern auf vielfache Art und Weise individuell und kollektiv Protest und Unmut artikuliert wurde.Ina Merkels Untersuchung ist vor allem anzumerken, daß die Verfasserin unzufrieden mit den Ergebnissen der Revolution von 1989, die sie stets »Wende« nennt, ist.
Ina Merkels Studie hinterläßt insgesamt einen zwiespältigen Eindruck. Allerdings wirft sie Fragen auf, die zum weiteren Nachdenken und vor allem zu weiteren Forschungen anregen sollten. Am meisten irritiert allerdings an der Arbeit der Kulturwissenschaftlerin und Alltagshistorikerin, daß die Untersuchung in den meisten Passagen blutarm bleibt, daß sie weitgehend auf dem Feld der Politikgeschichte verharrt.
Die Menschen mit ihren Wünschen, Sehnsüchten, Enttäuschungen, Hoffnungen und Zielen kommen kaum vor, und wenn, dann nur um Merkels einseitig vorgetragene Thesen zu illustrieren. Insofern spiegelt dieses Buch nicht zuletzt politische und moralische Überzeugungen der Autorin, was keineswegs verwerflich ist, was aber zugleich zu dem Befund hinführt, daß die Konsumgeschichte und Konsumkultur der DDR als Forschungsfeld auch nach diesem Buch spannend und aktuell spannend bleibt.
Der vollständige längere Beitrag hier:
http://www.horch-und-guck.info/hug/arch ... kowalczuk/