von Edelknabe » 28. September 2011, 05:30
Wer ist das Opfer von wem – der Geschichte 3. und letzter Teil
Kleiner Hinweis noch, der erste Teil befindet sich auf Seite 18, der zweite Teil auf Seite 21, viel Spass beim lesen.
Meine Schwiegermutter zog aus. Eine Fürsorgerin holte das Kind ab, denn Monika wollte es nicht zu Gesicht kriegen, bestand aber darauf, daß es auf den Namen Karl –Georg getauft würde. Wehe, wenn es nicht getauft wird. Das überlebt sie nicht. Die Fürsorgerin muss es ihr schwören bei allem, was ihr heilig ist. Karl – Georg wird getauft werden. Karlinchen kommt zur Schule. Meine Schwiegermutter zieht immer noch aus. Ereignisse, von denen man hinterher sagt, sie hätten sich überstürzt.
Mittlerweile war es Oktober geworden, und Monika fing an, sich wahnsinnig auf Weihnachten zu freuen. Das sie zum ersten Mal in ihrem Leben in einer Familie feiert, denkt mal, sagte Klaus - Georg. Monika musste schwer rechnen, obwohl wir ihr Gehalt erhöht hatten. Das zweite Kind war auch noch nicht adoptiert. Nach dem neuen Nichtehelichengesetz ist nur derjenige nicht unterhaltspflichtig, der bei Berücksichtigungseinersonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhaltes den Unterhalt zu gewähren. Trotzdem kaufte Monika Geschenke für uns, die wir gar nicht würden annehmen können, so groß waren sie. Die Wäschekammer reichte nicht aus, sie zu verstecken. Ich durfte diese Schranktür nicht öffnen, hinter jenes Möbel nicht sehen. Monika erging sich in Andeutungen.
Leer ausgehen würde nur Karlinchen. Die verwöhnte Göre war immer am Petzen, außerdem hatte sie schon ein paar Mal gesagt, Monika solle sich dahin scheren, woher sie gekommen ist. Wer ist denn schon Karlinchen. Die hat überhaupt kein Recht, so was zu sagen. Darum existiert sie auch für Monika nicht und kann gefälligst ihren Dreck alleine weg machen. Monika denkt ja gar nicht daran, auch nur ein Stück, das Karlinchen gehört, in die Hand zu nehmen. Mit spitzen Fingern fischt sie jeden Schlüpfer jeden Strumpf, der Karlinchen gehört, aus der schmutzigen Wäsche und drapiert ihn um das neue Schreibpult im Kinderzimmer. Oder sie versteckt Karlinchens Fibel. Oder ihre Steiftiere. Sogar die Zahnklammer, die über tausend Mark gekostet hat. Sind Sie verrückt? Nein, katholisch.
Es half auch nichts, das es Karl- Georg zu bunt wurde .Mit einemmal wollte er von Anfang an gewarnt haben. Hatte er nicht schon immer gesagt, das könne nicht gut gehen und ich sei mal wieder das Opfer meiner Wünsche. Er sprach ein sehr ernstes Wort unter vier Augen mit Monika. Ich weiß nicht, was für Worte da gefallen sind, auf jeden Fall muss im Eifer des Gefechts von „ sich nie mehr hier blicken lassen“ die Rede gewesen sein.
Karl- Georg war mit seiner Geduld am Ende. Monika nannte es das größte Donnerwetter ihres Lebens, schmiß einfach den ganzen Kram hin und schloß sich drei Tage und drei Nächte in der Wäschekammer ein, aß nicht, trank nicht, schlief nur, lief, als der Zigarettenvorrat erschöpft war, nachts in die Kneipe, die noch geöffnet hat um diese Zeit, und ließ noch noch mal ordentlich vollaufen.
Dort muß sie, meiner Rechnung nach, einem Kerl in die Hände gefallen sein, jedenfalls war sie unversehens wieder in anderen Umständen. Meine Schwiegermutter begriff meine Engelsgeduld nicht mehr und zog endgültig aus, man könne sich ja in diesem Hause noch sonst was holen. Ich sagte nicht, Monika solle sich auf ihr Kindchen freuen. Die Tür vor der Nase zuschlagen können wir ihr nicht. Pillen schluckt Monika nicht. Zum Arzt geht sie nicht, da würde sie ja in den Boden sinken vor Scham. Das Kind behalten will sie um nichts in der Welt. Wer hat die Stirn, ihr zu sagen, sie müsse nun Verantwortung übernehmen, für das, was da in ihrem Bauch passiert. Mittlerweile ist das Kind schon kein Embryo mehr, sondern ein Fötus. Die Hauptstadien der Entwicklung des Lebens hat es schon hinter sich, den Sprung an Land schon geschafft auf der wunderbaren Stufenleiter der Evolution. Die Kiemen sind verknöchert, an den Händen die Schwimmhäute verschwunden, die seitlichen Augen zur Mitte gewandert, es wird atmen, greifen, einen wieder ansehen mit Blicken. Ich will damit nicht sagen, das es bis zum zweiten Monat ein Molch gewesen ist.
Von Anfang an steuern die Gen – Kommandos das Endziel Mensch an. Monikas Kind ist auf dem Wege, ein Warmblüter zu werden. Mutter Natur macht das schon.
Was dabei herauskommt, ist ein Säugetier, hilfloser als die meisten Tiere, dessen Bindung an die Mutter lebensbestimmend ist. Woher soll Monika das wissen. Die Fürsorgerin wird das Kind abholen, das irgend jemanden ähnlich sehen wird, und es wird wie Monika und wie schon Monikas Mutter und vielleicht deren Mutter in Heime kommen. Von Vätern ist keine Rede.
Heime müssen sein. Heime sind das Armutszeugnis einer Gesellschaft, deren Strukturen mehr als fragwürdig sind. Die Gesellschaft ist das Opfer ihre Strukturen. DieStrukturen sind das Opfer falschen Denkens, kapitalistischen zum Beispiel, individualistischen zum Beispiel. Ich bin das Opfer kapitalistischen individualistischen Denkens, sonst würde ich ja das Kind adoptieren, dies oder das davor .Nun aber wird das Kind wieder das Opfer von Heimen. Wer ist das Opfer von wem.
Monika schuftet für zwei. Bloß damit ich nicht sage: Was machen wir jetzt mit dir. Aus Angst, Karl- Georg könnte sagen, sie solle sich nie mehr hier blicken lassen. Monika ist uns ausgeliefert. Sie macht mir alles recht. Mein Haushalt glänzt, weil einer um sein Leben putzt. Ich kann mir meinen Herzenswunsch erfüllen und wieder auf der Hörbank sitzen. Ich bin Monika ausgeliefert. Wenn ich erst mitverdiene, werde ich ihr Gehaltserhöhung geben. Monika hält uns in Atem. Eines Tages ist der silberne Serviettenring mit dem eingravierten Karl – Georg verschwunden. Monika betet:
Heiliger Antonius, voll Vertraun
Wir auf deine Hilfe schaun
Gib, dass Gottes Wunderkraft
Den Serviettenring wiederschaft.
Aber diesmal versagte Gottes Wunderkraft. Das ist Monika noch nie passiert.
Mit einem silbernen Kuli, der noch aus der Zeit von vor Monika stammt, fülle ich Verdienstbescheinigungen aus, denn Monika ist ja keineswegs außerstande, sich selbst auszuhalten, und infolgedessen unterhaltspflichtig für die beiden letzten Kinder, die noch nicht adoptiert sind.
Außerdem bestätige ich, dass Monika auch mir gegenüber Tommy als den Kindesvater des dritten Kindes bezeichnet hat. Aber Tommy bestreitet die Vaterschaft und ist nicht bereit, seinen Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen. Das soll ihm erst einmal einer beweisen, das er der Vater ist. Mit anderen Worten: Solange dieser strittige Punkt nicht geklärt ist – und nach Monikas Erfahrung wird er nie geklärt -, kann Monika von ihrer Unterhaltspflicht gegenüber Karl- Georg nicht entbunden werden. Zur Beurteilung ihrer Unterhaltsfähigkeit ist es unerläßlich, Auskunft über ihre wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse auf beigefügten Vordruck zu erhalten.
Monika reißt alle beigefügten Vordrucke kurz und klein. So ist sie immer noch am besten gefahren. Ich beantrage neue Vordrucke und fülle sie aus, den Monikas Auskunftspflicht ergibt sich nach Paragraph116 des BGHG.
Monika unterschreibt nicht. Monika schließt sich in der Wäschekammer ein. Ihre Flucht in den Schlaf. Wir kennen das. Wir haben eine Engelsgeduld. Was lassen wir uns nicht alles bieten. Ich gebe ihr schon jetzt Gehaltserhöhung. Ich stelle ihr einen Fernseher in die Wäschekammer.
Ich gebe mir große Mühe mit ihr.
Ich sage: Nun seien Sie doch vernünftig.
Ich rede ihr gut zu.
Ich lege meinen Arm um ihre Schultern.
Ich schüttele sie ein bisschen.
Ich tätschele sie.
Ich klopfe ihr auf die Schulter
Unterschreiben Sie doch schon.
Nun stellen Sie sich doch nicht so an.
Monika stellt sich an. Monika steht stocksteif. Schließlich hat sie noch nie jemand in den Arm genommen.
Ich nehme sie in den Arm.
Ich bin barmherzig.
Ich bin verlegen.
Monika ist jemand, den man sich warm halten muß.
Monika ist jemand, den man warm halten muß.
Rainer- Maria der meint , der Zeitraum der Entstehung der wunderschönen Erzählung liegt nun schon gute 47 Jahre( 1.Auflage der Bände Erkundungen erfolgte 1964) zurück, aber sie ist in ihrer gnadenlosen Gesellschaftskritik aktueller denn je.