Ein Beitrag, der nachdenklich macht.....
Am Mittwoch, irgendwann nach Sonnenaufgang, werden die Sicherheitstüren des Militärgefängnisses US Disciplinary Barracks in Fort Leavenworth, Kansas, geöffnet werden und eine schlanke, knapp 1 Meter 70 große Frau wird ins Freie und in die Freiheit hinaustreten.
Für Chelsea Manning wird die Entlassung aus der Militärhaft einen kolossalen Wendepunkt bedeuten. Vor sieben Jahren wurde sie als unbekannter, einfacher und äußerlich männlicher Soldat verhaftet. Nun wird für sie in ein vollkommen neues Leben als Zivilistin, Berühmtheit und offen als Transgender lebende Frau beginnen. Bedeutsam wird dieser Tag auch über die persönliche Tragweite für Chelsea Manning hinaus sein. Ihre Entlassung – ein Abschiedsgeschenk des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, das eine seiner letzten Amtshandlungen darstellte – wird eines der schmachvolleren Kapitel der US-Militärgeschichte zu einem Abschluss bringen.
Alles begann damit, dass ein relativ rangniedriger Gefreiter der US-Armee immense Mengen von Staatsgeheimnissen von vermeintlich sicheren Geheimdienstdatenbanken auf eine Lady Gaga-CD herunterlud. Weiter ging es mit der harten Behandlung des Täters im Militärknast in Quantico, Virginia, die von der UNO als eine Form der Folter verurteilt wurde. Das Ganze gipfelte schließlich in der längsten Haftstrafe, die in den USA jemals für einen Leak offizieller Daten verhängt wurde: 35 Jahre im Militärgefängnis.
Nun bietet sich Manning mit der Haftzeitverkürzung die Gelegenheit, all dies hinter sich zu lassen. „Ich freue mich darauf, wieder warme Frühlingsluft einzuatmen“, sagte sie angesichts ihrer bevorstehenden Entlassung aus ihrer Zelle heraus. “Ich möchte wieder dieses unglaubliche Gefühl der Verbundenheit mit den Menschen und der Natur spüren – ohne Stacheldraht oder Besucherzelle. Ich möchte meine Familie und meine Freunde wieder umarmen können. Und schwimmen. Ich will schwimmen gehen.“
Mannings Entlassung wird auch von Prominenten, die sich über die Jahre unterstützend für sie ausgesprochen haben – neben vielen anderen etwa Daniel Ellsberg, der die geheimen Pentagon-Papiere veröffentlichte, der Sänger von REM, Michael Stipe, und die Designerin Vivienne Westwood – mit Jubel begrüßt werden. Doch wohl keiner dieser Sympathisanten hat soviel Gewicht wie Edward Snowden, der NSA-Mitarbeiter, der Manning in den Abgrund folgte und einen ähnlich hohen Preis zahlt – allerdings nicht in Form einer Haft, sondern in Form des Lebens im Exil.
"Whsitleblower sind wichtiger als je zuvor."
Snowden erklärte dem Guardian aus seinem russischen Exil, angesichts der ominösen Äußerungen, die in der Woche der Kündigung des FBI-Direktors James Comey aus dem Weißen Haus kämen, sei der Zeitpunkt von Mannings Entlassung äußerst passend. "Bei einem Präsidenten, der für die Demokratie nichts als Verachtung übrig hat und einem Kongress, der es vorzieht, eine Partei zu repräsentieren statt die Öffentlichkeit, sind Whistleblower wichtiger als je zuvor“, sagte er. Snowden beklagt die „drakonischen Strafen“, die Manning und andere wie sie träfen. Diese „schwächen die freie Presse und damit die letzte Schutzbastion der Demokratie, indem sie deren verlässlichste Quellen entscheidender Wahrheiten ausschalten.“ Snowden pries Manning als „Bürgerin, die in Bewusstsein des Preises die Sicherheit des Schweigens hinter sich ließ, um eine Wahrheit auszusprechen, die Leben gerettet hat.“ Trotz der Härten, die Manning erlitten habe, schöpfe sie Trost aus der weltweiten Kampagne für ihre Freiheit, so Snowden weiter. Weiter sagte er: „Ich bin dankbar dafür, dass Chelsea endlich die Freiheiten genießen können wird, für deren Verteidigung sie so viel gegeben hat. Ich wünsche ihr Mut – und ihrer Stimme Kraft.“ Dieser Kommentar dürfte wohl angesichts der Schwebe, in der er selbst sich befindet, mehr als ein Körnchen Schwermut enthalten.
Manning hat angedeutet, dass sie beabsichtigt, sich in Maryland niederzulassen. Damit würde sich für sie ein Kreis schließen. Hier, in einer Vorort-Filiale der Buchhandelskette Barnes & Noble – gerade mal dreißig Kilometer vom Pentagon entfernt – hatte sie Anfang 2010 über das offene WiFi des Buchladens diejenigen Dokumente auf WikiLeaks hochgeladen, die sie während ihres Prozesses als einige der „bedeutendsten unserer Zeit“ bezeichnete.
Manning befand sich damals auf Urlaub von ihrem Dienst im Irak und wohnte bei ihrer Tante in Potomac. Aus der vorgeschobenen US-Operationsbasis Hammer vor den Toren Baghdads hatte sie den Memorystick einer Kamera mitgebracht. Dieser enthielt hunderttausende Geheimdokumente, die sie von Geheimdienstdatenbanken zunächst auf jene berüchtigte Lady Gaga-CD heruntergeladen hatte. Während ihrer Arbeit als Nachrichtenanalystin der Armee hatte es sie in zunehmendem Maße verstört, was sie in diesen geheimen Datenbanken zu lesen bekam. Dieses Material durchdrang in ihren Augen den Nebel des Kriegs und offenbarte die „wahre Natur der asymmetrischen Kriegsführung des 21. Jahrhunderts.“ Andere Dokumente, die sie an WikiLeaks übergab, beinhalteten Angaben über zivile Opfer von US-Angriffen und Beweise für Korruption, Zensur und andere Missetaten durch irakische Regierungstruppen und die Streitkräfte anderer Verbündeter der USA.
Manning wollte eine Debatte entfachen
David Coombs, der Anwalt, der Manning während ihres Prozesses vertrat, hat sich drei Jahre lang intensiv auf ihre Verteidigung vorbereitet und sie sehr gut kennengelernt. Er sagt, er habe die Motive zu schätzen gelernt, aus denen heraus sie sich entschied, die Geheiminformationen zu leaken. „Ich kann verstehen, wie es dazu kam, dass Chelsea Manning dies tat“, sagte er. „Sie ist mitfühlend, intelligent und sie erkennt, dass wir nicht immer das Richtige tun und dass wir besser sein könnten – und dass die Menschen vielleicht bessere Entscheidungen treffen würden, wenn sie informiert wären.“ Weiter sagte er, Chelsea Manning sei niemand, der „versucht, Amerika oder den Kriegsanstrengungen zu schaden, sondern eine Person, die hoffte, eine Debatte zu entfachen.“
Als Manning den Datentransfer zu WikiLeaks abgeschlossen hatte, hatte sie einen enormen Berg vormals geheimer digitaler Informationen in den Bereich der Öffentlichkeit gebracht. Diese enthielten „Kriegsprotokolle“ aus Afghanistan und dem Irak, über 250.000 Depeschen von US-Botschaften auf der ganzen Welt und die offiziellen Akten zu 765 Guantánamo-Insassen. Das Dokument, das für sich genommen wohl die größte Wirkung entfaltete, war Filmmaterial zu einem von einem US-amerikanischen Apache-Helikopter ausgeführten Luftangriff in Bagdad, bei dem zwei Reuters-Mitarbeiter und weitere Zivilisten getötet wurden. WikiLeaks veröffentlichte das Video im April 2010 unter dem Titel Collateral Murder. Es rief internationale Empörung hervor.
Als ein Zusammenschluss internationaler Nachrichtenorganisationen unter Führung des Guardian begann, Berichte auf Grundlage der Leaks zu veröffentlichen, folgten die globalen Reaktionen unmittelbar. Sie fielen höchst unterschiedlich aus. Einerseits gab es Menschen wie K.T. McFarland, den gegenwärtigen Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, der die Hinrichtung des Verursachers der Leaks forderte. Und dann waren da diejenigen wie Hillary Clinton, deren Reaktion doppelzüngig ausfiel. Die damalige US-Außenministerin war durch die Veröffentlichung hunderttausender vertraulicher diplomatischer Depeschen in Verlegenheit gebracht worden und beharrte öffentlich: Die Leaks „bringen Menschenleben in Gefahr, bedrohen unsere nationale Sicherheit und untergraben unsere Bemühungen, mit anderen Ländern zusammenzuarbeiten.“ Im Privaten allerdings verbrachte sie Stunden damit, ausländischen Diplomaten am Telefon zu erklären, dass für niemanden ein Risiko bestehe.
Auch sieben Jahre später noch bewerten kundige Beobachter Mannings Leaks extrem unterschiedlich. Micah Zenko, Experte für Nationale Sicherheitspolitik der USA am amerikanischen Think Tank Council on Foreign Relations, betrachtet ihre langfristige Bedeutung skeptisch. Sie hätten faszinierende Details und Farbe gebracht, sagt er. „Ich glaube aber nicht, dass sie einen bleibenden, strategischen Einfluss hatten. Außer bei Offiziellen und Diplomaten, die nun davon ausgehen, dass alles an die Öffentlichkeit gelangen kann.“
David Hearst, Chefredakteur der in London ansässigen Nachrichten- und Meinungsseite Middle East Eye, ist überzeugt, dass die Leaks weitaus mehr bewirkt haben. Er verweist auf die Botschaftsdepeschen, die zu den Auslösern des Arabischen Frühlings zählten, indem sie etwa den Nepotismus des tunesischen Staatschefs Zine al-Abidine Ben Ali und die Unterdrückung von Volksbewegungen in Bahrain offenbarten. „WikiLeaks hat wichtige US-Verbündete im Nahen Osten untergraben, indem ein Blick darauf möglich wurde, wie die USA ihre engsten Verbündeten im Nahen Osten wirklich sehen und über diese berichten und wie due US-Verbündeten sich gegenseitig sehen, was sie wiederum in den Augen ihrer Bevölkerungen weiter untergraben hat“, so Hearst. „Die Enthüllungen bestätigten aus arabischer Sicht die Existenz von US-Kriegsverbrechen – etwa im Fall des Apache-Helikopter-Videos. Und sie boten der arabischen Jugend eine einende Botschaft, die die Entstehung der Aufstände des arabischen Frühlings beschleunigte.“
Eine dritte Sichtweise herrscht vor allem unter Konservativen und Teilen des Militärs vor. Sie lautet, der Leak habe – ungeachtet seines Inhalts – einen Akt des Verrats dargestellt und Obama habe falsch daran getan, diesen mit der Haftzeitverkürzung für Manning zu belohnen. “Es war ein Bruch des grundlegenden Vertrauens gegenüber den kämpfenden Männern und Frauen, auf die das Militär angewiesen ist“, sagt David French, ein ehemaliger Major der US-Armee, der heute für die Zeitschrift National Review schreibt. „Obama versteht das nicht – eine vorzeitige Haftentlassung zerstört das Vertrauen.“........