Stefan Aust: "Die NSU-Affäre ist keinesfalls aufgeklärt"
Kein Verschwörungstheoretiker, und doch voller Zweifel: Der Publizist über die offenen Fragen rund um den jüngsten Terror von rechts
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Zwickau. In der Stadt, in der sich die Rechtsterroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe über Jahre versteckt hielten, stellen die Publizisten Stefan Aust und Dirk Laabs am Donnerstag ihr im Mai erschienenes Buch "Heimatschutz - Der Staat und die Mordserie des NSU" vor. Mit Stefan Aust,1994 bis 2008 Chefredakteur des "Spiegel" und seit Jahresbeginn Herausgeber von "Welt" und "Welt am Sonntag", hat sich Torsten Kohlschein unterhalten.
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Stefan Aust: Die NSU-Affäre ist keinesfalls aufgeklärt. Im Gegenteil: Je tiefer man in die Materie einsteigt, desto eher kommt man zu der Überzeugung, dass viele Fragen offen sind. Der Kern des Problems ist meiner Ansicht nicht, dass die Behörden, etwa der Verfassungsschutz, auf einem Auge blind gewesen sind, sondern dass sie viel zu nah dran waren und es hinterher vertuscht haben.
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An welcher Stelle im Fallkomplex NSU haben Sie die größten Zweifel an der offiziellen Lesart?
Ach, wissen Sie, immer wenn man Zweifel anmeldet, kommt automatisch die Frage: "Wie ist es denn dann gewesen?" Dabei will ich keine Verschwörungstheorien verbreiten. Aber die Zweifel an der offiziellen Version beginnen ja schon am Tag des Banküberfalls in Eisenach, nach dem die beiden tot im Camper gefunden wurden. Da passt einiges nicht richtig zusammen. Ein kleines Beispiel: Wieso fahren sie mit ihrem Camper zu ihrem 14. Banküberfall und nehmen die Beweise für zehn Morde dabei mit? Find ich merkwürdig. Da waren die Bekenner-DVDs im Rucksack, die beiden Waffen der Polizisten, von denen die eine ermordet wurde. Es hätte ja sein können, sie haben einen Unfall, sie werden festgenommen, und die Polizei findet diese Beweise. Ich bin zwar kein Bankräuber und kein Serienmörder, aber ich würde das nicht tun. Es wurde festgestellt, dass sie das Autoradio manipuliert hatten. Es war auf Polizeifunk eingestellt. Man kann also mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass sie den Polizeifunk abgehört haben. Sie wissen, ein Rentner, der den weißen Camper gesehen hat, hat sie gemeldet und sich sogar einen Teil des Kennzeichens gemerkt. Die Beschreibung des Fahrzeugs ist zwei Stunden lang über Polizeifunk verbreitet worden. Wenn die das hören - warum bleiben die im Auto sitzen? Würden Sie das tun? Ich nicht. Zweitens: Der Mord in Kassel, im Internetcafé. Ich glaube niemals, dass es Zufall war, dass der Verfassungsschutzbeamte am Tatort war. Ich glaube ebensowenig, dass die Ermordung der Polizistin Michèle Kiesewetter Zufall war. Dass die beiden einfach einen Polizisten ermorden wollten und dann zufällig auf eine Frau gestoßen sind, die so enge Beziehungen zu ihrem ganzen Umfeld hat, glaube ich nicht.
Glauben Sie, dass das Netz der Helfer über die Angeklagten im aktuellen Strafprozess hinaus von den Strafverfolgungsbehörden weiter ausgeleuchtet beziehungsweise zur Verantwortung gezogen wird?
Nein. Ich glaube, die Verfolgungsbehörden haben im Moment ein einziges Interesse. Das besteht darin, Frau Zschäpe zu verurteilen. Vielleicht in der Hoffnung, dass dann die Akte NSU geschlossen wird. Aber die wird damit nicht geschlossen. Sicher hatten beide mit den Morden zu tun. Ich bin nicht sicher, dass sie alles allein getan haben. Es gibt ein weit größeres Umfeld von Helfern und Unterstützern als wir uns vorstellen können...]
http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/T ... 962357.phpStefan Aust und Dirk Laabs stellen "Heimatschutz - Der Staat und die Mordserie des NSU" (Pantheon, 865 Seiten, ISBN 978-3-570-55202-5, 22,99 Euro) am Donnerstag ab 20 Uhr im "Alten Gasometer" in Zwickau (Kleine Biergasse 3) vor.
mfg
pentium