Desaster bei öffentlichen Großprojekten
Wie die Politik die Bürger täuscht
Berlin leidet unter dem Endlos-Skandal um den neuen Flughafen. Kritiker sehen schon den Ruf der Hauptstadt in Gefahr. Der Wahnsinn hat im ganzen Land Methode: Wenn die Politik Großprojekte angeht, ist mit Pfusch am Bau, Verzögerungen und Kostenexplosionen zu rechnen - acht Beispiele belegen das.
Am Anfang sieht alles wunderschön aus: opulente Modelle, liebevoll dekoriert mit Plastikmännchen - der Bahnhof oder der Flughafen sehen perfekt aus. Die Kosten scheinen erträglich, Politiker präsentieren ihr Projekt euphorisch. Welch schöne Perspektive für die Region! Allzu lange dauern soll das Ganze natürlich nicht, ein paar Jahre nur.
Und dann läuft es doch wie immer. Einsprüche, neue Wünsche, andere Anforderungen. Der Bahnhof, die Bahnstrecke, der Flughafen oder das Konzerthaus werden nicht fertig. Und die Kosten steigen. Aufs Doppelte, aufs Vierfache. Dann sind die Menschen sauer, der Ruf einer ganzen Stadt leidet, so wie jetzt beim Debakel um den Großflughafen Berlin-Brandenburg. Die Politiker, die das Projekt stets angepriesen haben, wollen von einer eigenen Verantwortung nichts mehr wissen.
Die falschen Berechnungen haben offensichtlich System. Experten wie der Karlsruher Wirtschaftswissenschaftler Werner Rothengatter haben öffentliche Großprojekte in aller Welt untersucht. Rothengatter verweist auf die Mechanismen, die gerade in Demokratien zu beobachten sind. Demnach werden die Bürger oft regelrecht an der Nase herumgeführt. Selten kommen die Kostensteigerungen überraschend - das zeigen Beispiele wie die Elbphilharmonie in Hamburg, Stuttgart 21 oder der Berliner Großflughafen. Ergebnis seiner Untersuchungen: In den allermeisten Fällen rechnen Politiker den Preis möglichst klein, um Zustimmung zu dem Projekt zu bekommen, Risiken blenden sie offenbar bewusst aus.
"Wer die Kosten für ein Projekt von Anfang an ehrlich schätzt, hat wenig Chancen, es auch zu verwirklichen", urteilt Rothengatter. Viele Verantwortliche spekulierten darauf, dass sie im Zweifel dann nicht mehr Verantwortung tragen, wenn die Kosten explodieren - und selbst wenn, trügen in der Regel nicht sie persönlich die Haftung. Ihr Name bliebe jedoch mit dem Bauwerk verbunden, wenn der Ärger verflogen ist.
Der dänische Forscher Bent Flyvbjerg von der Universität Oxford ist ebenfalls überzeugt, dass oft nicht das beste Projekt realisiert wird, sondern das, das mit den falschesten Zahlen präsentiert wurde. "Survival of the unfittest" nennt er das.
Aufsichtsräte ohne Expertise
In den Aufsichtsräten sitzen zudem oft Politiker ohne einschlägige Expertise zu Großprojekten - Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) etwa. Verwaltungsbeamte sind für Riesenprojekte zuständig und heillos überfordert.
Doch warum betreuen Amateure solche Riesenprojekte?
Ein Grund ist wohl: Politiker scheuen sich, Generalunternehmer zu beauftragen. Die Profis garantieren zwar einen Festpreis, doch dieser liegt oft höher als das Budget, das Politiker für durchsetzbar halten. So wurde der Bau des Terminals am Berliner Flughafen im Oktober 2007 neu ausgeschrieben, weil die Angebote 70 Prozent höher lagen als die 620 Millionen Euro, die Berlin, Brandenburg und der Bund zu zahlen bereit waren. Schließlich übernahmen sie das Management selbst - inzwischen liegen die Kosten allein für den Terminal bei mindestens 1,2 Milliarden Euro.
Das verheerende Fazit von Forscher Flyvbjerg: Seit siebzig Jahren wird in fast allen Ländern offensiv gelogen, wenn es darum geht, die Kosten vor Beginn klein zu rechnen. Besonders stark explodieren die Kosten demnach bei Bahnprojekten - hier fallen sie durchschnittlich um 45 Prozent höher aus als zu Beginn veranschlagt.
Beispiele für aus dem Ruder gelaufene Großprojekte muss man nicht lange suchen. Allein in Deutschland gibt es etliche Belege für den Wahnsinn mit Methode - SPIEGEL ONLINE zeigt die wichtigsten.
http://www.spiegel.de/politik/deutschla ... 76311.html