von augenzeuge » 22. Juli 2021, 18:22
ANALYSE
Bundespressekonferenz mit MerkelPragmatismus und Wehmut
Es war wohl Merkels letzter großer Auftritt vor den Hauptstadtjournalisten. Routiniert und pragmatisch stellte sie sich den Fragen. Zu ihrer Nachfolge sagte sie nichts, wohl aber zu Versäumnissen beim Klimaschutz.
Von Sarah Frühauf, ARD-Hauptstadtstudio
Das sei Murphys Gesetz, gibt sich Corinna Buschow resigniert, die die letzte Sommer-Pressekonferenz mit der Kanzlerin leitet. Heißt: Was schief gehen kann, geht schief. Die Saalmikrofone, über die die Journalistinnen und Journalisten sich zu Wort melden können, sind ausgefallen. Merkel schlägt vor, Buschow solle die Fragen der Medienvertreter einfach noch einmal wiederholen. Denn Buschows Mikro funktioniert ja noch. Da zeigt er sich wieder: der für Merkel typische Pragmatismus. In der Pressekonferenz blitzt er immer wieder auf.
Ein Leben ohne Krisen sei einfacher, aber wenn sie da sind, müssten sie bewältigt werden, antwortet Merkel auf die Frage, ob sie sich durch den Titel Krisenkanzlerin geschmeichelt fühle. Doch wie nun eigentlich die Klimakrise zu bewältigen sei, darauf hat die Kanzlerin trotz mehrfacher Nachfragen keine eindeutige Antwort. Ihr sei klar, dass man in diesem Tempo nicht weitermachen könne. Schließlich sei sie mit ausreichend naturwissenschaftlichem Verstand ausgerüstet.
Merkel vor Bundespressekonferenz"Umso freier werden wir wieder sein"
In ihrer letzten Bundespressekonferenz hat die Kanzlerin weitere Anstrengungen beim Impfen angemahnt.
Bilanzen über Bilanzen
Dass das für viele Bürgerinnen und Bürger drastische Veränderungen bedeutet, weiß auch die Kanzlerin. Merkel mahnt, den Tatsachen ins Auge zu blicken. Totale Kompensation werde es nicht geben. Man könne nicht Energie stärker bepreisen, aber jeden Cent gleich wieder zurückgeben.
Klimakrise, Außenpolitik, Corona, Flutkatastrophe: In der Sommer-Pressekonferenz der Kanzlerin stellen die Journalisten traditionell Fragen zu allen Themen, die ihnen auf dem Herzen liegen. Am Herzen lag einigen dieses Mal offenbar Bilanz zu ziehen. Schließlich war es der wahrscheinlich letzte Termin dieser Art mit der Kanzlerin.
So wollten die Journalistinnen und Journalisten zum Beispiel wissen, ob der Atomausstieg richtig war. Merkel: "Die Würfel sind gefallen." Was aus der Corona-Krise folgt? "Bei der Digitalisierung muss Deutschland besser werden." Und was Merkel als Kanzlerin fehlen wird? "Was man vermisst, merkt man erst, wenn man es nicht mehr hat."
Es liegt nicht an Merkel, dass ein Hauch von Abschied durch den Bundestag weht. Eine klare Botschaft haben andere.
Typisch für Merkel: Nur selten gibt sie Persönliches preis. Populär sei sie vor allem durch ihr Krisenmanagement der letzten Jahre geworden, analysiert Autor Ralph Bollmann, der über Merkel eine Biografie geschrieben hat. In der Corona-Pandemie allerdings habe sie nicht die richtige Ansprechhaltung gefunden. Die Naturwissenschaftlerin hätte den Menschen auch eine Perspektive geben müssen. Stattdessen habe sie die Kassandra, also die ständige Pessimistin, am Spielfeldrand gegeben. Das sei ein Stachel, der nun am Ende ihrer Amtszeit bleibt.
Auch die Rolle der Ostdeutschen fiel Merkel offenbar schwer. Als Pfarrerstochter habe sie keine typische DDR-Biografie, erklärt Bollmann und spricht davon, dass sich bei Teilen der ostdeutschen Bevölkerung das Gefühl eingestellt habe, von Merkel nicht gesehen zu werden. Das habe zu einer Entfremdung geführt. Merkel, nach ihrem Leben in der DDR gefragt, meint: Ohne Herkunft keine Zukunft. Allerdings habe sie nie einen Wahlkampf mit der Maßgabe Osten geführt. Die Zeit sei reif für einen westdeutschen Kanzler. Tatsächlich sind mit Baerbock, Laschet und Scholz auch keine Kandidaten mit Ost-Herkunft im Rennen.
Merkel setzt bei ihrer letzten Regierungsbefragung auf ihr bekanntes Konzept.
Keine Frage zur Nachfolge
Die Frage nach ihrem Nachfolger kommt bei dieser Pressekonferenz gar nicht erst auf. Wohlwissend, dass Merkel sich bisher recht zurückhaltend geäußert hat. Auf die Frage, wo sie denn den Wahlabend verbringen werde, antwortete die Kanzlerin: Bei der Partei, der sie "nah" - kurze Pause - "äh Mitglied" sei. Das sorgt für reichlich Lacher, denn die CDU erwähnt Merkel dabei nicht.
Und dann gab es da noch das Plädoyer Merkels für mehr Frauenförderung, wenn auch nicht im direkten Zusammenhang mit der Kanzlerkandidaten-Frage. Ausgangspunkt war die Frage, ob Frauen anders Politik machen würden als Männer. Nicht unbedingt, glaubt die Kanzlerin. Aber generell gebe es bei Frauen eine Sehnsucht nach mehr Effizienz. Sie mag es halt pragmatisch, die Kanzlerin.
"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
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