Noch bevor die Pandemie eingedämmt ist, ehrt der Staat die Corona-Verstorbenen – der Termin wirft erinnerungspolitische Fragen auf.
Zwischen Kandidatenkür der Union und möglichem »Brücken-Lockdown« wird Deutschland am Wochenende an seine Coronatoten erinnern. Am Sonntag richtet Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach einem Gottesdienst die zentrale Gedenkfeier im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt aus.
Aufgrund der hohen Inzidenzen ist die Trauergemeinde sehr klein: Fünf Hinterbliebene von Verstorbenen werden dabei sein, dazu neben Steinmeier die Spitzen von Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht sowie ein Vertreter des Diplomatischen Korps.
Gerade wegen des hochrangigen, aber begrenzten Aufgebots ist der Termin heikel. Denn er fällt mitten in die dritte Welle der Pandemie. Bestreiten werden ihn jene Repräsentantinnen und Repräsentanten des Staates, von denen die Bürgerinnen und Bürger derzeit weniger Trost erwarten als vielmehr, dass sie das Virus wirkungsvoll bekämpfen. Das verordnete »Zeichen« am »Tag des Innehaltens«, wie das Bundespräsidialamt den Termin ankündigte, kann so leicht hilflos wirken.
Durch den offiziellen Charakter steht der Corona-Gedenktag in einer Fülle von Querbezügen, ohne wichtige Fragen zu beantworten: Sind die an und mit dem Virus Verstorbenen eine besondere Opfergruppe? Gebührt ihnen bald ein eigenes Denkmal, wie einzelne Stimmen schon fordern? Was unterscheidet sie dann von den Hunderttausenden Menschen, die jedes Jahr an Krebs oder Herz-Kreislauf-Versagen sterben? Der Staat: Übernimmt er Mitverantwortung für das Sterben oder sogar eine Mitschuld? Wenn ja: Wo lagen die Versäumnisse, was lässt sich aus der Corona-Historie lernen?
Es wäre wohl angemessener, die Trauer zumindest bis zum Ende der Pandemie dort zu belassen, wo sie derzeit am besten aufgehoben ist: im Privaten. Doch solche Zusammenkünfte erschweren die geltenden Infektionsschutzverordnungen. Begräbnisse nur mit Abstand, Singen ist untersagt. Wer einen geliebten Menschen beerdigen muss, dem bleibt derzeit zumeist nur ein schaler Abschied. Da trösten kein staatstragender Gedenkakt und keine Twitter-Wall.
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