Theo Waigel erinnert er sich an den Moment der Wiedervereinigung
https://www.spiegel.de/politik/deutschl ... 89760.html
Waigel: Es war unglaublich bewegend. Wir sahen begeisterte Menschen vor diesem Podest, die auf uns zuströmten. Ich stand ja, von meinem Platz aus, ganz links, obwohl ich politisch ja kein Linker bin. Von mir aus gesehen ganz rechts standen die SPD-Politiker Willy Brandt und Oskar Lafontaine. Irgendwann im Verlauf der Nacht haben alle anderen - Helmut Kohl, Richard von Weizsäcker - dieses Podest verlassen. Schließlich standen nur noch Brandt und ich da oben. Er kam auf mich zu, gab mir wortlos die Hand. Tränen rannen über das Gesicht von Willy Brandt. Das vergesse ich nicht, das bewegt mich noch heute, wie dieser damals schon alte Mann sich über die Einheit gefreut hat.
SPIEGEL: Was geschah dann?
Waigel: Ich ging in den Reichstag, dort kam mir der damalige sowjetische Botschafter in Bonn, Wladislaw Terechow, entgegen. Er sagte mir, das sogenannte Überleitungsabkommen sei unterschriftsreif. Das regelte den Abzug der sowjetischen Truppen und Zivilisten vom Gebiet der DDR bis zum Sommer 1994, samt schweren Waffen. Am 9. Oktober 1990 haben wir dieses Abkommen dann in Bonn unterzeichnet. Es war der erste Vertrag des neuen souveränen vereinigten Deutschland. Übrigens waren die Herrschaften im Auswärtigen Amt damals ein bisschen verärgert, weil ausgerechnet der Finanzminister diesen wichtigen Vertrag unterzeichnet hat.
SPIEGEL: Heute - 30 Jahre nach dem Mauerfall - streiten wir wieder darüber, ob die Arbeit der Treuhandanstalt im Osten richtig war, ob die Einführung der D-Mark im Sommer 1990 richtig war. Frustriert Sie das?
Waigel: Nein, damit kann ich umgehen. Wenn ich eines gelernt habe, dann das: Als Politiker darf man keine Dankbarkeit erwarten.
Wir hätten den Menschen im Osten noch deutlicher sagen sollen, dass selbst die SED die Lage als katastrophal einschätzte.
AZ