Vor diesem Hintergrund gewinnt eine Passage aus der "Feuerzangenbowle" besondere Bedeutung. Der junge Oberlehrer Dr. Brett (Lutz Götz), der sich als einziger nicht von Pfeiffer & Co auf der Nase herumtanzen lässt, der als einziger Lehrer von Pfeiffer explizit als "feiner Kerl" hervorgehoben wird, unterhält sich mit dem altgedienten Lehrer Bömmel (Paul Henckels) über seine erfolgreichen pädagogischen Prinzipien. "Es wäre ja auch traurig, wenn eine neue Zeit nicht auch neue Methoden brächte", beginnt Brett die Erläuterung der "neuen Methode": "Junge Bäume, die wachsen wollen, muss man anbinden, dass sie schön gerade wachsen, nicht nach allen Seiten ausschlagen, und genauso ist es mit den jungen Menschen. Disziplin muss das Band sein, das sie bindet – zu schönem geraden Wachstum!" Anerkennend legt sein älterer Kollege dem Vertreter der "neuen Zeit" die Hand auf die Schulter: "Brett, das mit den Bäumen haben sie schön gesagt!"Dieses Ideal vom "schönen geraden Wachstum" lässt sich nicht nur mit dem NS-Rassismus assoziieren, in dem die "arische Rasse" als überlegen propagiert und mit "reiner" Natürlichkeit assoziiert wird. Hier findet auch Canettis Beschreibung des "Waldgefühls" neue Bestätigung, kommuniziert "Die Feuerzangenbowle" quasi in einem doppelten Sinne Ideologeme – zwischen Brett und Bömmel sowie zwischen Filmerzählung und einem Publikum, das 1944 nicht zum ersten Mal Wald und Nation identifiziert sah. Umso interessanter für den Zeitbezug wird dieser Aspekt, weil dieser Dialog weder in der literarischen Vorlage von Heinrich Spoerl noch in der ersten Verfilmung "So ein Flegel" (1933/34) – ebenfalls mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle – zu finden ist.
https://www.filmportal.de/thema/unterha ... angenbowleBedeutend ist dabei vor allem der Terminus der "neuen Zeit", als deren Vertreter Lehrer Brett ausdrücklich vorgestellt wird. Die Propaganda hatte den NS-Staat explizit als "die neue Zeit" ausgegeben. Auch in der Kaiserhof-Rede vom März 1933 hatte Propagandaminister Joseph Goebbles vom Nationalsozialismus als der "neuen Zeit" gesprochen, nicht zufällig heißt es in Baldur von Schirachs berüchtigtem Marschlied der Hitlerjugend "Unsere Fahne ist die neue Zeit", und ebensowenig zufällig wurde diese Zeile des Liedes am Ende des Propagandafilms "Hitlerjunge Quex" dramatisch eingesetzt.In diesem Kontext der NS-Ideologie erscheint es in einem neuen Licht, wenn in der "Feuerzangenbowle" der einzige erfolgreiche Lehrer (im Unterschied zu seinen älteren Kollegen, den Vertretern der Weimar-Generation sozusagen) die Schüler vor die Wahl "Krieg oder Frieden" stellen und so für jene "neue Zeit" sprechen darf. Der neue Prototyp Brett und seine von der "Feuerzangenbowle" begrüßte Politik sind hochgradig aufgeladene Spezifika dieser Komödie aus dem nationalsozialistischen Deutschland.
Glücklicherweise ist er ja auch kein Propaganda-Film und bietet mal abgesehen von der einen Bemerkung des Lehrers wenig Anlass ideologische Einflüsse zu vermuten. Und die eine Pickelhaube die man mal sieht verwundert wohl auch nicht mehr … ist halt ein „alter“ Film und spielt entsprechend in einer anderen Zeit.
Man sollte bei einem Film auch vorrangig Spaß haben, mitfühlen, sich fürchten, was auch immer und nicht zu sehr zaudern wegen der Zeit in der er gedreht wurde. Und man sollte den Film schätzen für das was er ist. Zumindest solange er sich von entsprechendem Gedankengut fern hält. Aber das würde dann eh keinen Spaß machen…
*Dos Rauschen in Wald hot mir'sch ageta, deß ich mei Haamit net loßen ka!* *Zieht aah dorch onnern Arzgebirg der Grenzgrobn wie ene Kett, der Grenzgrobn taalt de Länder ei, ober onnere Herzen net!* *Waar sei Volk verläßt, daar is net wert, deß'r rümlaaft of daaner Erd!*
Anton Günther
Freundeskreis Schloss Hubertusburg e. V.
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