Die DDR und ihre angeblich nicht vorhandenen NeonazisDie Neonazis in der DDR waren kein versprengter Haufen, sondern eine gut organisierte Szene, die mehr als 15.000 Anhänger zählte und die Obrigkeit schier kapitulieren ließ.Es ist eine gewaltige Menge, fast zu gewaltig für die Zionskirche in Ost-Berlin. Über 2.000 Fans strömen am 17. Oktober 1987 zum Konzert der Westberliner Punkband Element of Crime und ihren DDR-Kollegen Die Firma. Es wird ein denkwürdiges Ereignis: Kurz nach 22 Uhr stürmen 30 Skinheads das Konzert, brüllen "Sieg Heil!", "Juden raus aus deutschen Kirchen!" und "Kommunistenschweine!" und verletzen viele der geschockten Fans. Anschließend setzen sie ihr Treiben draußen fort –
unter den Augen einer Streife der Volkspolizei. Bis dahin galt im "besseren Deutschland" Rechtsextremismus ausschließlich als Westimport. Schon 1950, ein Jahr nach Staatsgründung, hatte die SED dekretiert, in der DDR seien "die Wurzeln des Faschismus ausgerottet". Tatsächlich aber blieb völkisch-nationales Gedankengut nach 1945 auch östlich der Elbe lebendig und sichtbar: in Hakenkreuzschmierereien, Friedhofsschändungen, geheimem Hitler-Kult, in der Gewalt gegen Juden, "Homos" und kommunistische Funktionäre. Besonders handgreiflich wurden die Ostnazis bei Fußballspielen. Die Staatsmacht war umfänglich informiert.
Zwischen 1965 und 1980 zählte sie Hunderte Vorfälle. Die Täter waren mitnichten allesamt "asoziale Außenseiter": Die Stasi erfasste in der Nationalen Volksarmee und selbst in den eigenen Reihen 700 "neofaschistische" Vergehen. Sogar in der MfS-Elitetruppe, dem Wachregiment Feliks Dzierzynski.
Es gibt Sprengstoffattentate und Mordanschläge auf AusländerDieser Hass entlud sich zunehmend auch in Attacken auf die ohnehin diskriminierten "Vertragsarbeiter" aus Asien und Afrika. Und man rückte enger zusammen. In Berlin gründeten sich Organisationen wie die "Lichtenberger Front" und die "NS-Kradstaffel Friedrichshain", zudem die "Gubener Heimatfront", in Halberstadt die "Wotansbrüder", die "Weimarer Front" und eine "SS-Division Walter Krüger Wolgast", in deren Reihen auch Lehrer und städtische Beamte waren.
Seit 1983 verfünffachte sich die Zahl rechtsextremer Gewalttaten.Das Ausmaß des Rechtsextremismus OstImmerhin gründete das Innenministerium eine "Arbeitsgruppe Skinhead" und siedelte sie bei der Kriminalpolizei an. Der Leiter, Oberstleutnant Bernd Wagner, sollte eine "Einstiegsanalyse" verfassen und Repressionsstrategien empfehlen. Doch Wagner und seine Kollegen wussten, dass sie es längst nicht mehr mit einem flüchtigen Jugendphänomen zu tun hatten. Was da unter ihren Augen ablief, war ein Prozess, der die gesamte Gesellschaft bedrohte. Wagner entwarf ein Forschungskonzept, das die Mitarbeit von Soziologen vorsah.
Und die Zeit drängte: Auf Magdeburger Betriebe wurden Sprengstoffanschläge verübt. In Karl-Marx-Stadt überfielen Rechte ein "ausländisch" wirkendes Mädchen und ritzten ihm einen Davidstern in den Arm. In Dresden schlugen Skinheads einen Mosambikaner zusammen. In Halle verprügelten fünf junge Männer einen weiteren Afrikaner. Einen dritten warfen Rechte nahe Riesa aus dem fahrenden Zug.
Ein Achtel der DDR-Jugend findet, "der Faschismus hatte auch gute Seiten"Die wahren Dimensionen gingen zur selben Zeit aus Studien des Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung unter Walter Friedrich hervor: 2 Prozent der DDR-Jugend bekannten sich zur Skinszene, 4 Prozent sympathisierten, 30 Prozent hießen rechte Aktivitäten gut. Etwa ein Achtel fand, "der Faschismus hatte auch gute Seiten". Ebenso viele glaubten: "Hitler wollte das Beste für das deutsche Volk." Bernd Wagners AG Skinhead erfasste unterdessen über 1.000 gewalttätige Nazis, zudem 6.000 organisierte.
Insgesamt bezifferte sie das Milieu auf mehr als 15.000 Personen. Anfang 1989 trug Weiß daraus auf dem Evangelischen Kirchentag in Berlin vor. Was die Besucher hörten, war in seiner Deutlichkeit ungeheuerlich: Niemals sei in der DDR der Nationalsozialismus selbstkritisch aufgearbeitet worden.
"Die Drahtzieher und führenden Köpfe des neuen Faschismus in der DDR sind nicht im Westen zu suchen […]. Sie sind das Produkt unserer Gesellschaft." Kurz darauf erschien der Text in der Untergrundzeitschrift Kontext.
Wann immer es zwischen Ostsee und Erzgebirge zu rechten Umtrieben kommt, halten dies viele Menschen, nicht nur in Ostdeutschland, für rein westgemacht. Dabei wuchs auch da 1989 nur zusammen, was zusammengehört.
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