Vier Thesen zum AfD-Erfolg in OstdeutschlandWenn Protest auf Frust trifft: Im Osten gab jeder Vierte seine Stimme der AfD. Welche Gründe stecken dahinter? Ein Deutungsversuch.Es ist eines der Ergebnisse dieser Bundestagswahl: Jeder vierte Ostdeutsche hat seine Stimme der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) gegeben. In Sachsen, das seit der Wiedervereinigung von der CDU regiert wird, erhielt die AfD sogar 27 Prozent – und damit mehr Stimmen als die CDU. Und selbst in Thüringen, wo die Linkspartei mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt und der AfD-Politiker Björn Höcke auf Marktplätzen offen rassistische Reden hielt, entschieden sich fast 23 Prozent der Wähler für die AfD.In wenigen Tagen, am 3. Oktober, begehen die Deutschen den Tag der Einheit, zum 27. Mal. Obwohl die alljährlichen Berichte der Bundesregierung über den wirtschaftlichen Stand der Einheit noch immer einen beachtlichen Abstand zur Entwicklung des Westens belegen, gibt es viele Zeichen dafür, dass die Wirtschaft der östlichen Bundesländer wächst und sich die Lücke bei den Lebensverhältnissen in Ost und West stetig – wenn auch langsam und regional unterschiedlich – schließt. Warum schenken dennoch so viele Menschen zwischen Rostock und Bautzen der AfD ihr Vertrauen? Ein Deutungsversuch in vier Thesen.
1. Protest gegen „Die da oben“Fragt man AfD-Wähler nach den Gründen ihrer Stimmabgabe, offenbart sich weit überwiegendes Desinteresse an programmatischen Inhalten der Partei. Stattdessen wird berichtet von Widersprüchen zwischen dem, was aus dem Mund von Vertretern der bundesweit agierenden „Altparteien“ zu hören ist, und den eigenen Lebenserfahrungen. Begriffe, wie „wirtschaftliche Stärke Deutschlands“ oder „Vollbeschäftigung“ prallen (mal abgesehen von eng begrenzten ostdeutschen Boomregionen) auf das Erleben einer unternehmens- und wachstumsarmen Heimatregion. In dieser sind Minijobs an der Tagesordnung und werden Handwerker zu Nomaden, die ihr Geld im Westen verdienen oder mit polnischen und tschechischen Niedrigpreis-Wettbewerbern zu kämpfen haben.
Deshalb wählten im Osten nicht nur sozial Schwache, sondern vergleichsweise viele kleine Mittelständler AfD. Die so genannten „Altparteien“ reden von Globalisierung und Digitalisierung und hinterlassen den Eindruck großer thematischer Ferne. Dagegen regt sich Widerstand in der Wahlkabine.
Das Erschrecken der Demokraten davor, dass so viele Ostdeutsche eine Partei wählen, deren Vertreter zum Teil offen rassistisch auftreten, bestätigt die Protestwähler sogar: Jetzt wachen sie auf.2. Die Linke verliert BindungskraftNur ein Beispiel: Im Osten Brandenburgs, in Frankfurt/Oder, kam die Linkspartei 2013 mit 24,7 Prozent der Zweitstimmen auf Platz Zwei. In diesem Jahr wurde sie von der AfD (22,1 Prozent) nach unten durchgereicht. So sieht es in vielen Regionen des Ostens aus. Die Linke war zwei Jahrzehnte lang der „Protest-Anker“ der Ostdeutschen. Eine Partei, die in den Regionen breit aufgestellt war und
ein „Wir-sind-doch-alle-Ossis-Gefühl“ vermittelte. Doch mittlerweile gehört die Linke zum Establishment. Und weil Protest im Osten auch immer latent Protest gegen den etablierten Westen ist, übernimmt die AfD diese Funktion.Mehr hier:
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