Am Wochenende fand der Parteitag der Linken in Augsburg statt.
Dazu stand heute in der Berliner Zeitung ein Kommentar:
Aufbruch ins Abseits: Die Linke zwischen Mittelmeer und Genderstern
Ob die Wahl der Flüchtlingsaktivistin Rackete wohl die sozial Schwachen für die Linke begeistert? Oder den Osten? Der Parteitag blieb in Widersprüchen stecken. Ein Kommentar.
von Maritta Adam-Tkalek
Die Linke hat auf ihrem Parteitag in Augsburg ihren Weg an den gesellschaftlichen Rand konsequent fortgesetzt. Die Wahl der Flüchtlingsschiff-Kapitänin Carola Rackete zur Spitzenkandidatin für die Europawahl ist nur einer der Beweise dafür. Die Partei hat sich entschlossen, die Sorgen einer großen Mehrheit der Bevölkerung angesichts ungelöster Probleme bei der Integration der vielen Flüchtlinge zu ignorieren.
Damit entfällt schon mal ein linkes Politikangebot an all jene Millionen Menschen, die eine regulierende, ausgleichende, möglichst für alle Seiten hilfreiche Migrationspolitik wünschen. Das sind nämlich nicht alles rechtsextreme Fremdenhasser, sondern auch Menschen, die um die Stabilität des politischen Systems in Deutschland und Europa fürchten, die mehrheitlich noch liberalen Demokratien sind. Die Linke will das Extrem – offene Tore. Um die Konsequenzen sollen sich andere kümmern.
Damit verschreckt sie ausgerechnet jene, die sie mit ihren Versprechen von mehr sozialer Gerechtigkeit ja eigentlich gewinnen möchte. Gerade in den Schichten der sozial Schwachen, der permanent in prekären Verhältnissen Lebenden sind die Sorgen und Ängste, Deutschland könne mit der Politik der offenen Türen aus der Balance geraten, besonders groß.
Ja, die Linke warnt vor Kürzungen in den Bereichen „Soziales, Gesundheit, Bildung und Erziehung, Wohnen und ÖPNV“ und verlangt: „Hier muss mehr Geld bereitgestellt werden! Der Alltag mit Pflegenotstand, Bildungsmisere und Wohnungsnot zermürbt viele Menschen.“ Das könnte viele Menschen interessieren, zumal im Osten Deutschlands, wo noch vor ein paar Jahren die starken Wurzeln der Linken lagen und die Kraft für den sicheren Einzug in die Parlamente kam. Von diesen Wurzeln hat sich die Linke jetzt entschlossen getrennt. Kein Mensch wird glauben, dass die auf dem Mittelmeer aktive Carola Rackete die Interessen des Ostens ins Europaparlament tragen wird, dass sie mit ihrem Fokus auf offene Zuwanderungspolitik die Nöte der Kommunen in Ost und West im Blick haben wird.
Seit vielen Jahren bröckelt, was die Partei einst stark machte: Ihre Zuwendung zu den sozial Schwachen in der Fläche. Überall gab es die Kümmerer von der PDS, dann der Linken: in den Kommunalparlamenten, den Umweltvereinen, den Kulturorganisationen. Sie waren die Leute von nebenan, die dieselben Sorgen und Nöte umtrieben. Vorbei. Dieses Vakuum haben vielerorts die basisnahen Frauen und Männer der AfD mit ihren fremdenfeindlichen, illiberalen Positionen gefüllt.
Co-Parteivorsitzende Janine Wissler beklagte in ihrer Rede tatsächlich die „schwächelnden Strukturen in der Fläche“. Die Linke müsse sich selbstkritisch fragen, warum „viele die Ziele der Partei teilten, sich dennoch abgewandt hätten“.
Ja warum wohl? Nehmen wir das Gendern. Ausgerechnet die von der Partei angesprochenen sozial Schwachen mögen die Sprechmonster gar nicht, halten das für ein arrogantes Elitenprojekt zur Umerziehung politisch unreifer Volksmassen. In Augsburg war natürlich wieder von Hartz-IV-Empfänger*innen die Rede. Wobei nicht alle Linken gleich sind. In Thüringen heißt es: Gendern? Nein, danke! In Hamburg hingegen hat die Linke Kapazitäten für die Debatte, ob Unterstrich, Doppelpunkt oder Genderstern günstiger für Sehbehinderte seien.
Selbst die linksorientierte Zeitung Der Freitag hat die Genoss*innen gewarnt: „Der Hass auf das Gendern ist der Kitt, der völlig unterschiedliche Leute zusammenbringt und es der Rechten leicht macht, gegen alles Linke zu mobilisieren.“ So ist es, doch die Linke redet die Brisanz dieses Kulturkampfes klein.
Mit wem also will sie „Neustart“ und „Aufbruch“ wagen, wie es Janine Wissler in ihrer Parteitagsrede verkündete? Laut Kapitänin Rackete soll die Linke eine Art verbesserte Grüne sein. Andere sehen sich als die besseren Sozialdemokraten. Aktuelle Umfragen sehen eher Zweifel: Weniger als fünf Prozent der Wählerschaft erkennen in der Linken Potenzial zur Vertretung wichtiger Interessen.
Ein gewisses Potenzial findet sich in politisch aufgeladenen Kreisen, die migrantisch, antikolonial, feministisch, queer, internationalistisch und radikalsozial unterwegs sind. Diese meist jungen Leute machen sich über die sozialen Medien lautstark bemerkbar – aber die Vorstellung, es handele sich um ein zahlenmäßig starkes Wählerpotenzial für die Linke, ist Illusion. Und gerade jetzt ist erkennbar, wie nahe Gruppen, die mit starker antikolonialer Rhetorik agieren, dem Antisemitismus sind. Berlins ehemaliger Kultursenator Klaus Lederer hat solche Aktivisten in seiner Amtszeit mit Millionen gefördert – nun blickt er mit einiger Verzweiflung auf deren Treiben und demonstriert Distanz.
Spannungen, Konflikte, Widersprüche, Randständigkeit ziehen die Linke seit Jahren herunter. Sahra Wagenknecht war nur eines der Ärgernisse. Die linke Erzählung von Augsburg lautet: Aufgewacht aus einem Albtraum, brechen wir befreit und frisch auf ins Helle. Woraus speist sich dieser Optimismus? Keine Ahnung.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Linke wird zukünftig noch nicht einmal als Randgruppencombo wargenommen werden. So meine Meinung.