Schwindel-Arzt
Am 27. März lädt der Sinsheimer HNO-Arzt Bodo Schiffmann sein erstes bekanntes Video „Corona 11“ hoch. In dem Video, welches mittlerweile über 200.000 Aufrufen hat, redet er über „geringe Sterberaten“ von COVID19, angeblicher „aktiver Sterbehilfe“ bei über 80-Jährigen und einer „Massenpanik, die […] Menschen wie Prof. Drosten“ verursachen würde. Seiner Darstellung nach führe erst die Berichterstattung über das Coronavirus zu einer Massenpanik und damit zur Überlastung unserer Krankenhäuser. Nur dadurch und nicht durch das Virus selbst käme es demnach zu mehr Toten (vgl. Video Minute 2:30 – 8:00).
Videos wie dieses kursieren schon seit Beginn der Corona-Krise in Europa im Netz. Sie werden von unzähligen Menschen geschaut, geteilt und verbreitet. Die Tatsache jedoch, dass ein Arzt wie Schiffmann bereits über 100.000 Abonnenten auf Youtube und insgesamt bereits knapp 10 Millionen Aufrufe aufweist, ist mit Beunruhigung zu betrachten. Denn: Auch Prominente wie Til Schweiger fallen auf diese Akteure herein. Eben dieser postete mit den Worten „Sehr interessant! Bodo Schiffmann HNO Arzt, kann man auf Youtube anschauen! Sehr informativ!“ auf Instagram einen Beitrag von Schiffmann und bescherte ihm so ein riesiges Publikum (Quelle).
Die Ausführungen des Experten für Schwindel-Anfälle sind nicht alle grundsätzlich falsch, jedoch beinhalten sie Übertreibungen, gefährliche alternative Denkansätze und irreführende Vergleiche. Einige Aspekte der Ausführungen basieren sogar auf Verschwörungsmythen. Es ist eine gefährliche Mischung aus Tatsachen mit Auslassungen und Falschbehauptungen. Ein Vergleich mit der Grippe ist in vielerlei Hinsicht falsch und vielfach widerlegt (Quelle, Quelle, Quelle).
Einer Recherche der Nürnberger Nachrichten und des bayrischem Rundfunks zufolge würden extreme Rechte die Gunst der Stunde nutzen, um gezielt Stimmung gegen Regierung und Behörden zu machen. Es formiert sich derzeit eine Allianz von Verschwörungstheoretiker*innen, Impfgegner*innen und Reichsbürger*innen, die über „Notstands-Regime“ oder „Gleichschaltung der einst freien Presse“ fabulieren. Die Vorlage dafür bieten einzelne Wissenschaftler*innen, wie der Mikrobiologe Prof. Dr. Sucharit Bhakdi oder besagter Hals-Nasen-Ohren Arzt Bodo Schiffmann, die mit ihren verharmlosenden Ausführungen und falschen Interpretationen zur COVID19-Pandemie großen Anklang in dieser Szene finden (Quelle).
Die neue Partei – Mitgliederzahl zweifelhaft
Bodo Schiffmann möchte nun auch in die Politik gehen. Gemeinsam mit zwei weiteren Personen gründete er kürzlich die sog. Partei „Widerstand2020“. (Quelle). Der Name stehe eigenen Angaben nach für: „Widerstand gegen den politischen Umgang, den wir gerade erleben, gegen das Außerkraftsetzen unserer Grundgesetze und gegen die Machtausnutzung unserer Regierung“. Wer allerdings mit „wir“ gemeint ist, konkretisieren sie nicht weiter (Quelle). Ihre konkreten Forderungen sind noch sehr unpräzise. Es ist die Rede von „Freier Meinungsäußerung“, „keiner Beeinflussung“ und einer „Mitmach-Partei“. Wie diese Ziele umgesetzt werden sollen, bleibt potentiellen Mitgliedern weitestgehend unbekannt (Quelle). Sitz der Partei ist in Lehrte in Niedersachsen, die Anschrift des Bundesvorstands ist in Hannover (Quelle).
Stand 3. Mai behauptet die selbsternannte Partei, bereits über 90.000 Mitglieder zu haben. Angesichts des einfachen Mitgliedsantragsmag die zunächst einmal plausibel erscheinen. Allerdings bedarf es hier einer Überprüfung, ob es sich um real existierende Menschen handelt, die den Antrag ausfüllen oder nicht doch in größerer Zahl um Fakes oder sogenannte Bots. Die Ausgestaltung der Mitgliedsanträge ist zu diesem Zeitpunkt eher zweifelhaft und unsicher. Mehrere Beobachter*innen vermuten bereits eine Manipulation durch Zählung aller Aufrufe auf der Webseite als Mitglieder.
Aufstieg des gefährlichen Populismus
Die Umstände der Entstehung dieser Partei sind besorgniserregend.
So erklärt Rechtsanwalt und Mitgründer von Widerstand2020 Ralf Ludwig: „Unser Grundgesetz ist fehlerhaft!“ und zieht daraus die Konsequenz, dass lieber „mündige Bürger/Innen [sic]“ in dieser „Notstandssituation“ anstelle der Abgeordneten im Parlament sitzen sollten. Diese Bestrebung der kurzzeitigen Aushebelung des demokratisch gewählten Parlaments findet sich auf der Webseite dieser angeblichen Partei (Quelle). Sie reden davon, dass das „Grundgesetz eine dringende Reform braucht“, denn es könne ihrer Ansicht nach nicht sein, dass „der Bevölkerung selbst das wichtigste aller Grundrechte“ aberkannt werde und es angeblich keinerlei Kontrollgremien für die Beschränkungen gäbe.
Bedroht Widerstand2020 die Verfassung?
Wir gelangen also spätestens hier an einem Punkt, an dem bestehende demokratische Prinzipien wie die föderale Struktur unseres Landes oder fundamentale Teile des Grundgesetzes in Frage gestellt werden. Bereits jetzt deuten sich also die radikalen, populistischen Ansichten dieser sogenannten Partei an (Quelle).
Da bereits drei Personen ausreichen, um eine Partei zu gründen, ist es im vorliegenden Fall ratsam, einfach abzuwarten, ob es Widerstand2020 gelingen wird, staatliche Mittel gewährt zu bekommen. Voraussetzung für den Erhalt dieser Mittel sind nämlich Wahlerfolge, in der Regel 0,5% der Wähler*innenstimmen. Erst dann lässt sich sagen, ob dies eine wirkliche Partei ist oder nur eine Ansammlung von Namen auf einem E-Mail Verteiler (Quelle, Quelle).
https://www.volksverpetzer.de/analyse/widerstand2020/