Was tut ein Ganove, wenn er in seinem Kiez unter Druck gerät, seine Macht schwindet, die Probleme wachsen?
Ganz einfach: Er zettelt im Kiez seines Rivalen um die Ecke eine Schlägerei an, beschimpft den Gegenspieler als gefährlichen Feind und versammelt seine eigenen Leute hinter sich, um dem Typen da drüben mal zu zeigen, was ‘ne Harke ist. Und plötzlich spricht keiner seiner Leute mehr über die Probleme im eigenen Kiez. Denn die viel größeren Probleme sind ja dort drüben, wo der gefährliche Feind droht.
Die Zustimmungswerte von Präsident Putin in der russischen Bevölkerung sind in den vergangenen Monaten eingebrochen. Die kriselnde Wirtschaft schränkt den Lebensstandard von immer mehr Menschen ein, zugleich fragen viele immer lauter, wo eigentlich all die Rubel aus den Öl- und Gasexporten bleiben, warum die Renten gekürzt und die Lebensarbeitszeit erhöht wird, während die Leute im Kreml sich schicke Datschen leisten und rauschende Feste feiern.
Da kommt die Eskalation zwischen russischen und ukrainischen Truppen vor der Krim den Leuten im Kreml gerade recht. So recht, dass wir naiv sein müssten, um zu glauben, da sei nicht ein bisschen nachgeholfen worden. Der Verdacht liegt nahe, dass Herr Putin wieder einmal ein Ablenkungsmanöver inszeniert hat, wie er es schon im Konflikt um die Krim im Jahr 2014 und später im Syrien-Krieg tat: Er sucht sich einen Gegner im Ausland, baut ihn zum Feind auf, zettelt einen Streit mit ihm an und hofft darauf, dass sich seine Landsleute hinter ihm als Anführer versammeln. Wer will schon den Häuptling kritisieren, wenn die eigenen Landsleute drüben im anderen Kiez unter Feuer stehen?
AZ