von pentium » 18. April 2024, 16:38
Modernisierung und ihre Verbündeten
1963 war das Jahr der „Weissen Revolution“ im Iran. Diese umfasste einige Reformen, die das Land in wichtigen Bereichen modernisieren sollte: eine Landreform, Bildung, der Status der Frau und Wirtschaft. Es war ein ehrgeiziges Unterfangen, das allerdings nicht vollumfänglich umgesetzt wurde. Das Programm sah folgende Reformen vor: eine Landreform, die das alte Feudalsystem abschaffen sollte; die Nationalisierung der Wälder; Privatisierung und Verkauf von staatseigenen Betrieben an den Privatsektor; Implementierung eines Gewinnbeteiligungsplanes für Industriearbeiter und die Gründung von Abteilungen für Alphabetisierung, Gesundheit und Wiederaufbau und Entwicklung zur Verbesserung des Dorf- und Landlebens.
Mit der Weissen Revolution erhielten Frauen das Wahlrecht, das Heiratsalter wurde auf 18 angehoben und der rechtliche Status von Frauen bei Scheidung und im Sorgerecht wurde verbessert. Zum Vergleich: In der Schweiz wurde das Frauenstimmrecht erst 1971 eingeführt (und im Kanton Appenzell sogar erst 1990!). Natürlich waren diese Ideen nicht frei von Fehlern und Problemen. Doch weshalb schloss sich die iranische Linke im Iran der Opposition an, um die Modernisierung zu stoppen?
Einige Kleriker im Iran opponierten gegen diese Reformen, weil diese unislamisch seien. Ayatollah Khomeini führte die Opposition an und initiierte am 5. Juni 1963 einen Aufstand. Im Verlauf der Zusammenstösse gelangen es den Behörden den Widerstand unter den religiösen Studenten im Seminar in Qom niederzuschlagen, wobei einige Studenten getötet wurden. Khomeinis Aktivitäten führten ihn 1964 schliesslich ins Exil im Irak. Es mag zwar einfach sein, seine Beweggründe zu verstehen, schliesslich war Khomeini ein Islamist, der entschieden gegen jegliche Versuche war, von islamischen Doktrinen abzukehren, sowie gegen eine pro-westliche Agenda. Aber dies erklärt nicht, wie die drei anscheinend widersetzlichen Lager – die religiöse Rechte, die liberale Linke und die radikale Linke – unter einer Ägide zusammenfanden.
Es geht um Land, Dummkopf!
Betrachtet man die Reformen zwischen 1963 und 1978 scheint es schwierig, die Motivation ihrer Gegnerschaft unter den Linken zu begründen. Dazu sollte die Wahrnehmung und Interpretation der Weissen Revolution seitens der Linken und Liberalen im Iran und später auch im Ausland analysiert werden.
Ironischerweise war der Auslöser für diese „merkwürdige“ Allianz das Programm zur Landreform, das den Feudalismus beseitigen sollte. Die Regierung kaufte von den feudalen Grundherren Land zu einem was als fair betrachteten Marktprei. Später verkaufte die Regierung dieses Land wiederum an Bauern, die dieses Land seit Generationen bestellt hatten zu 30% unter dem Marktpreis und mit staatlichen Krediten zu niedrigen Zinsen und 25-jähriger Laufzeit. Mithilfe dieses Plans konnten Millionen von Bauernfamilien ihr eigenes Land besitzen, das sie seit Generationen kultiviert hatten. Das Programm zur Landreform brachte Freiheit und relativen Wohlstand für Millionen von Bauern und dem Schah eine Welle der Beliebtheit.
Radikale Muslime hatten aus mehreren Gründen etwas gegen die Landreform. Die Mullahs waren im Kollektiv einer der grössten Landbesitzer im Iran und konnten der Vorstellung, dass ihr unrechtmässig erworbenes Land an Bauern verteilt werden sollte, selbstverständlich nichts abgewinnen. Auch erfüllte sie die Vorstellung einer säkularen Regierung und Monarchen, die unter ihren Kernwählern – arme, doch konservativ und gottesfürchtige Bauern – an Beliebtheit gewannen mit grossem Unbehagen. Schliesslich wollten sie nicht, dass die Landreform zudem einen ihrer engsten Verbündeten und finanziellen Unterstützer schwächt: Feudalfamilien, die seit Jahrhunderten ein wichtiger Verbündeter, sowie eine Quelle für Einkommen und Unterstützung des religiösen Establishment gewesen waren.
Diese Überlegungen brachten die Mullahs in eine heikle Lage. Einerseits konnten sie nicht direkt gegen die Landreform opponieren ohne ihr Gesicht zu verlieren und von den Massen beschuldigt zu werden, ihre eigenen finanziellen Interessen oder die ihrer sagenhaft reichen feudalen Unterstützer in den Vordergrund zu stellen. Andererseits konnte sie es aber auch nicht riskieren, ihre finanzielle und politische Grundlage zu verlieren. Das religiöse Establishment suchte logischerweise nach Argumenten gegen die Reform, angefangen beim Scharia Gesetz bis hin zu möglichen Schäden für den landwirtschaftlichen Ertrag des Landes.
Die Nationale Front, eine Gruppe Linksliberaler oder Sozialdemokraten, war in ähnlicher Weise gegen diesen Schritte. Sie wurde vom ehemaligen iranischen Premierminister Dr. Mossadegh ins Leben gerufen und war gegen die bestehende Vorherrschaft und Kontrolle des Westens über die natürlichen Ressourcen Irans. 1953 erliess Dr. Mossadegh das Nationalisierungsgesetz des Öls, was umgehend zum Verlust beinahe jeglicher britischer und amerikanischer Öleinnnahmen und im Gegenzug zu einem militärischen Putschversuch führte, der von CIA und dem MI6 ermöglicht wurde.
Doch die Mitglieder der Nationalen Front waren wegen den Ereignissen von 1953 verbittert, da die Regierung ihren Helden der Macht enthob und sie auch dem verstorbenen Schah niemals dafür vergaben. Wie die Mullahs standen auch sie in engem Kontakt mit dem feudalen Establishment. Mossadegh selbst entstammte einer aristokratischen Familie und sein Onkel, Prinz Farmanfarma, war wohl der einflussreichste Grossgrundbesitzer seiner Zeit. Die Nationale Front stand vor dem gleichen Dilemma wie die Mullahs: Wie widersetzt man sich der Weissen Revolution ohne sein Gesicht zu verlieren und wie ein Heuchler auszusehen? In einer ähnlichen Zwickmühle befand sich die radikale Linke. Zu diesen Lagern gehörten verschiedene kommunistische Gruppierungen; die grösste und zugleich älteste war die „Tudeh“ Partei, die eine unerschütterliche pro-sowjetische Haltung vertrat. Als Kommunisten konnten sie das Feudalsystem nicht verteidigen, doch lehnten sie dessen Abschaffungsvorschlag vom Schah ab, der dadurch unter ihrer grössten potenziellen Basis, den Bauern, an Beliebtheit gewonnen hätte.
Fortsetzung folgt