Östlich von Oder und Neiße

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Östlich von Oder und Neiße

Beitragvon pentium » 3. September 2024, 15:16

Rübezahl mit schwerer Kolik

Ergreift der Wokeismus nun auch den Tourismus in Ostdeutschland?
Till Scholtz-Knobloch
02.09.2024

Allgemeinhin lehnt sich der Tourismus in Schlesien, Masuren und Hinterpommern mit historischen, kulturhistorischen oder gesellschaftlichen Fragen infolge des nahezu völligen gewaltsamen Bevölkerungsaustausches nach 1945 auch in nachwachsenden Generationen noch an den „Heimwehtourismus“ an. Auch wenn die Erlebnisgeneration mittlerweile weitgehend verschwunden ist, sind nun oft Enkel oder Urenkel auf Familienpfaden unterwegs. Ihr Wissen ist damit natürlich auch deutlich fragmentarischer und leichter umzuinterpretieren.

Das in linken Kreisen typisch verkrampfte Desinteresse an Schlesien hat insofern eine echte Marktlücke für Missionare überheblichen deutschen Welterkenntniswesens im Milieu der Träger von Halb- bis völligen Unwissen hinterlassen. Und eben Träger solchen Halbwissens und der geschichtslosen Neuinterpretation rühren sich nach und nach. „Rübezahl hat Bauchweh“, betitelt etwa der „riesa efau – Kultur Forum Dresden e.V.“ ein „Reiseseminar nach Görlitz, ins Riesen- und Isergebirge und Wrocław“ vom 16. bis 20. Oktober zur deutsch-polnischen Geschichte und Gegenwart und legt in seiner Reisebeschreibung selbst eine stringente Spur zu einer Beweiskette solcher Annahmen. Wieso? Das Riesengebirge war „immer (...) teils böhmisch, mal deutsch nun polnisch“. Der erste fette Fauxpas, denn böhmisch und deutsch waren bis 1918 untrennbar. Erst das explizit Tschechische war es nicht mehr. Scheinbar will die Reiseleitung auch das kleine, einst zum Sudetenland gehörende tschechische Schlesien in ihrem Prisma mit berücksichtigen, tappt nun aber vollends in die Falle des Wokeismus.

Wörtlich heißt es in der Reisebeschreibung: „Tschechoslowakische Staatsbürger*innen mit deutscher Sprache verließen den südlichen Teil.“ Das riecht fast nach Lüge. „Die Sagengestalt Rübezahl, der wie selbstverständlich in Tschechien, Polen und Deutschland und den jeweiligen Geschichten zu Hause ist, blieb.“ Zunächst wurde Rübezahl zumindest von Polen wie seine Landsleute in Schlesien vertrieben. Es bedurfte mehrere Generationen kluger polnischer Wissenschaftler und Neusiedler, die den verborgenen Rübezahl aus seinem Exil ein Stück zurückholten, übersetzten, forschten, mit ihm der Region wieder mehr Authentizität zurückgaben. Er blieb nicht, er kam allenfalls partiell zurück.

Das alles war eines ganz gewiss nicht: „wie selbstverständlich“. Dem kompletten Bruch nach 1945 mit behaupteter Kontinuität aus einem heute gedachten Elysium grenzenloser Liebe aller Menschen zueinander zu Leibe zu rücken, hat seine Parallelität im Alltag letztlich darin, kultureller Überfremdung durch Massenzuwanderung mittels Demonstrationen gegen „rechts“ entgegenzuwirken. Denn das Böse ist ja nur auf der anderen Seite.

Geradezu folgerichtig heißt es in der Reisebeschreibung somit: „Doch wer erzählt heute welche Geschichte in einem Europa, in dem viele das Nationale wieder stärker betonen möchten? Sind progressive Menschen überhaupt noch in der Lage, Vielfalt zu leben und können bleiben? Wie müssen wir als Westeuropäer*innen auf (Mittel)osteuropäische Geschichte blicken?“ Dieses vernachlässigte Feld muss nun scheinbar mit der Giftkeule beackert werden von denen, „die sich künstlerisch oder gesellschaftspolitisch demokratischen Werten verschrieben haben“.

Natürlich gehört so auch ein „Vortrag über völkische Siedler*innen“ in das Reiseprogramm. Die von 1945 und den Folgejahren sind damit kaum gemeint, weil das Völkische natürlich niemals slawische Vordenker einer Vertreibung im 19. Jahrhundert oder der Zwischenkriegszeit erfasst hat. Die 240 Euro teure Reise „nach Wrocław“ ganz im Geiste der deutschen Außenministerin mit schlesischen Wurzeln wird mit dem Bus in Begleitung einer Sozialpädagogin, einer Kulturwissenschaftlerin, einer Schriftstellerin und einer Sozialarbeiterin, die in diesem Interpretationsraum ihr Unwesen auch als Hochschuldozentin leisten darf, angetreten. Rübezahl ist dann im Oktober aber nicht dabei. Auf Anfrage des Autors dieser Zeilen teilte dieser mit, nach dem Lesen der Reisebeschreibung von einer schweren Kolik befallen zu sein, die angesichts der Schwere bis Oktober kaum abklingen dürfte.
Dieser Artikel ist ein Beitrag aus der aktuellen PAZ.

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Re: Östlich von Oder und Neiße

Beitragvon pentium » 3. Oktober 2024, 17:03

Eine Diaspora-Gruppe der Minderheit im Hilfemodus

Der Vertriebenennachkomme Horst Ulbrich lebt wieder in Glatz und organisiert vor Ort effektiv Hochwasserhilfe

Das große Aufräumen hat begonnen. Zu den am schlimmsten vom Hochwasser betroffenen Regionen Mitteleuropas gehört die Grafschaft Glatz [Hrabstwo Kłodzkie] in Niederschlesien. Zwei Staudämme brachen dort am 14./15 September, mehrere Brücken wurden durch die Gewalt des Wassers mitgerissen. Weite Teile des Glatzer Kessels, der erst durch die Schlesischen Kriege von einem böhmischen zu einem schlesischen Land wurde, wurden überflutet. Zahlreiche Menschen verloren ihr Hab und Gut und sind nun auf schnelle Hilfe angewiesen. Betroffen sind vor allem die Stadt Glatz [Kłodzko] sowie die Orte Seitenberg [Stronie Śląskie], Ullersdorf [Oldrzychowice Kłodzkie], Eisersdorf [Żelazno], Rengersdorf [Krosnowice], Wartha [Bardo] und Bad Landeck [Lądek Zdrój].

„Als Schlesisches Museum zu Görlitz stehen wir in enger Verbundenheit mit der betroffenen Region und rufen zu dringend benötigten Sachspenden auf“, erklärte Museumsdirektorin Dr. Agnieszka Gąsior und rief zu einer Spendenaktion auf. Die erste Hilfslieferung aus Görlitz wurde am 20. September nach Glatz gebracht. Weitere folgen. Dort wird das Integrationszentrum der Gemeinde in der ulica Wyspianskiego 2R die Verteilung in Zusammenarbeit mit der örtlichen Feuerwehr übernehmen. Am dringendsten werde Wasser ohne Kohlensäure in Flaschen, haltbare Lebensmittel, die keiner Zubereitung bedürfen, Hygiene- und Reinigungsmittel, Gummihandschuhe, Schaufeln, Eimer, Müllsäcke, Batterien, Taschenlampen und Powerbanks benötigt.

Auch die katholische Gemeinde St. Wenzel zu Görlitz sammelt Sachspenden und hat sich dafür mit der Schwesterstadt Ost-Görlitz [Zgorzelec] zusammengetan. In und um die polnische Seite der Stadt wurden mehrere Sammelpunkte eingerichtet, dorthin werden die Görlitzer Spenden von beiden Seiten der Stadt gebracht und dann verteilt. Denn auch polnische Pfadfinder (ZHP) in der Neißestadt sammeln Sachspenden in ihrem Sitz im Bahnhof Moys [Ujazd], der jedoch nur den Namen Stacja Zgorzelec trägt.

Vor Ort, im nicht überfluteten Sitz des Deutschen Freundschaftskreises (DFK) in Glatz, wird ebenfalls ein Hilfsraum eingerichtet, in dem weitere Hilfsmaßnahmen organisiert werden. Der Chef der Organisation der Glatzer deutschen Minderheit, Horst Ulbrich, ist im Organisieren von Sozialhilfe geübt. Erst im vergangenen Monat wurde der 77-Jährige vom polnischen Kultusminister mit dem Orden der Republik Polen für sein Engagement für bedürftige Glatzer ausgezeichnet. Es war 2010, als Ulbrich betonte, dass den Deutschen in Glatz und Umland zuerst soziale Hilfe zukommen müsse, bevor man sich der Kulturarbeit widme. Horst Ulbrich ist in der Bundesrepublik geboren und aufgewachsen. In die Heimat seiner Eltern kehrte er nach der politischen Wende zurück. Zusammen mit zwei anderen Rückkehrern, Heinz-Peter Keuten und Joachim Straube, reaktivierte er den sich aus Altersgründen auflösenden Deutschen Freundschaftskreis in Glatz. Dieser bestand damals faktisch nur noch aus sieben älteren Damen.

Weil Ulbrich in Deutschland Sozialarbeiter gewesen ist, konnte er bald deutsche Partner für seine Hilfsaktionen gewinnen. „Wir bieten Hilfe für den Medikamentenkauf, finanzieren Kohlekäufe, haben ein Lager von Gehhilfen bis zu Pflegebetten und allem, was Ältere und Kranke bedürfen, egal, ob Polen oder Deutsche. Wir kümmern uns um die, die unsere Hilfe brauchen“, macht Ulbrich deutlich.

Jetzt gilt sein ganzes Engagement der Flutopfer und dem Wiederaufbau. „Ja, es ist eine Katastrophe, und wir konzentrieren uns zunächst auf alte Menschen und auf Familien mit kleinen Kindern, die nichts mehr haben. Erst am Sonntag meldete sich in der Geschäftsstelle eine betroffene Familie mit einem behinderten Kind. Ich habe sofort Karre, Schaufel, Besen und ähnliches besorgt. Auch Taschenlampen und Campingkocher, da sie weder Strom noch Gas haben, und das bestimmt für länger nicht“, so Ulbrich. Mit 300 Grillwürsten haben die Glatzer Deutschen am Franziskanerkloster die ehrenamtlichen Helfer, darunter auch das Militär, versorgt. „Ich bitte inständig um Spenden auf unser Konto: Schlesienhilfe DE02 4945 0120 1112 5511 79“, appelliert Horst Ulbrich.
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Re: Östlich von Oder und Neiße

Beitragvon pentium » 9. Februar 2025, 13:41

Warum Elon Musk in Oberschlesien herbeigesehnt wird

Oberglogau hofft auf eine weitere kuriose Facette in seiner Stadtgeschichte
Chris W. Wagner
03.02.2025

Der reichste Mann der Welt, Elon Musk, schielt bekanntlich zunehmend auf Europa. Dass der Gründer von Tesla und SpaceX sowie Eigentümer der Plattform X in Europa nach Immobilien sucht, weiß man auch in Oberschlesien. Der Bürgermeister von Oberglogau [Głogówek] in der Woiwodschaft Oppeln [Opole], Piotr Bujak, bot nun Musk die Oberglogauer Oppersdorff-Residenz zum Kauf an, schreibt die Oppelner Zeitung „O!Polska“.

Und weil er auch um Musks Hang gen Italien weiß, vergleicht der 37-jährige seine Heimat mit Bella Italia. Um Musk zu überzeugen, zitiert Bujak den aus Weingasse stammenden Schriftsteller Rafael Urban und dessen malerische Beschreibung des Oberglogauer Landes: „Lavendelfelder wie in der Toskana, schöne Schlösser und Anklänge an den italienischen Barock der Sakralbauten“. Auch die von François Sebastini geschaffenen Wandfresken in der Oberglogauer Schlosskapelle aus dem 18. Jahrhundert sorgen für Italo-Flair. Doch ebenso pragmatische Vorteile Oberglogaus zählt Bujak auf, zum Beispiel die Nähe zu Flughäfen in Kattowitz und Breslau.

Die Oberglogauer Renaissance-Residenz von Oppersdorff ist heute Eigentum der Stadt und sei eine echte architektonische Perle, die einen geeigneten Rahmen für Musks Unternehmen bilden könnte, so Bujak in den sozialen Medien.

1562 ließ Hans Oppersdorff innerhalb von zehn Jahren in Oberglogau ein im Renaissancestil erbautes Schloss errichten. Mit ihm begann auch die fast 400-jährige Verbundenheit der Familie Oppersdorff mit Oberglogau. Der Besitz ging an seinen Bruder Georg I. über. Johann Georg II. erweiterte das Gebäude unter anderem um vier Türme, die dem Schloss seinen wehrhaften Charakter gab. Johann Georg III. baute das Schloss im Barockstil um.

Der wohlhabende Graf Georg III. von Oppersdorff holte namhafte Künstler nach Oberglogau. Um 1620 beauftragte er Jacob Hendrik, den Sohn des Amsterdamer Bildhauers Gerhard Hendrik, der seit 1589 in Breslau tätig war, die Ausstattung der Schlossinnenräume zu gestalten. Auch ein Grabstein der Familie Oppersdorff in der Oberglogauer Pfarrkirche sollte Hendrik erschaffen. „Leider hatte der junge Bildhauer nicht den besten Ruf. Denn aufgrund von Trunkenheit, Schlägereien und Diebstahl von Birnbaumholz wurde er mehrfach angeklagt und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. So konnte er den Auftrag für Georg III. nicht ausführen“, schreibt Jakub Jagiełło im Portal „Culture.pl“. Graf Georg III. beauftragte daraufhin Gregor Hahn mit der Schaffung des Oppersdorff-Grabsteins. Hahn war Schlesier, der in der Breslauer Werkstatt des Niederländers Hendriks ausgebildet wurde. Doch auch er beendete die Auftragsarbeit nicht. Ein Dritter musste her. Diesmal war es Sebastian Sala, ein Künstleraus Lugano, den Georg III. in Krakau kennenlernte. Oppersdorff hatte wahrhaft kein gutes Händchen für seine Künstler, denn auch Sala wurde mehrmals wegen Verzögerungen abgemahnt, wovon schriftliche Belege künden. Letztendlich hat er die Arbeit doch noch beendet und es entstand ein einstöckiges Werk mit einer liegenden Figur Georgs III. im Zentrum und zwei knienden Figuren an den Seiten, die noch einmal Georg III. und seine Gemahlin Benigna Polyxena, geborene von Promnitz, darstellen.

Polnische Kinder lernen in der Schule, dass vom 17. Oktober bis zum 18. Dezember 1655 der polnische König Jan Kasimir Wasa mit seiner Gemahlin und dem Hofstaat im Schloss des Grafen von Oppersdorff Zuflucht vor den Heeren des schwedischen Königs Karl X. fand. Aber auch aus einer anderen kuriosen historischen Begebenheit schließen Polen Oberglogau bestens in ihr Herz: Georg Graf von Oppersdorff (1866–1948) sprach sich für eine Abtretung des Oberglogauer Landes nach dem Ersten Weltkrieg an Polen aus, da Oberschlesien „im katholischen Polen besser geborgen sei als im protestantischen, glaubenslosen Norddeutschland“.

Sollte sich Elon Musk in Oberglogau einkaufen, „wäre das ein neues Kapitel in der Geschichte des Schlosses und für die Stadtverwaltung wäre es ein interessanter Marketing-Gag“, so Bujak. Vielleicht sollte Bujak die Hilfe von Musks neuer „Talkfreundin“ Alice Weidel suchen. Denn deren Vater stammte aus dem nahen Leobschütz [Głubczyce].
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