Tod eines Despoten....

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Tod eines Despoten....

Beitragvon pentium » 4. März 2023, 16:34

Tod eines Despoten

Diktator, paranoides Staatsoberhaupt und Revolutionär: Vor 70 Jahren endete die Schreckensherrschaft von Josef Stalin mit dessen Tod. Einer der größten Verbrecher des 20. Jahrhunderts baute in der Sowjetunion ein beispielloses Unterdrückungsregime auf und war für den Tod von Millionen Menschen verantwortlich. Russlands Präsident Wladimir Putin sieht in ihm bis heute ein Vorbild.

Von Michael Ossenkopp und Torsten Kohlschein

Es ist der 5. März 1953 auf einer Datscha in Kunzewo – einer kleinen Ortschaft wenige Kilometer westlich von Moskau. Hier wird der 74-jährige Sowjetdiktator Josef Stalin für tot erklärt. Seinem Ableben ist ein mehrtägiger Todeskampf vorausgegangen.

Nach einem Abendessen und anschließenden ausgiebigen Trinkgelage mit engen Wegbegleitern am Abend des 28. Februar in seinem Landhaus zieht sich der körperlich vorgeschädigte Diktator gegen vier Uhr morgens in seine Gemächer zurück. Unter den Zechkumpanen befanden sich Nikita Chruschtschow, damaliger Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), Geheimdienstchef Lawrentij Berija und Topfunktionär Georgij Malenkow. Stalin leidet schon länger unter Arthritis, Arteriosklerose, Bluthochdruck und Schwindelanfällen. Als er gegen 12 Uhr mittags seine Räumlichkeiten immer noch nicht verlassen hat, machten sich seine Leibwächter langsam Sorgen.

Doch der gealterte Herrscher witterte überall Verrat. Er war selbst gegenüber seinem engsten Umfeld äußerst misstrauisch, seine Untergebenen lebten in ständiger Angst vor den Launen ihres Chefs. In diesem Klima des Schreckens konnte ein falscher Schritt der Angestellten den Tod bedeuten, so die Befürchtung. „Sie sind der Vorgesetzte, also gehen Sie.“ – „Ich habe Angst.“ – „Was meinen Sie, was ich bin? Ein Held?“ Die Wachleute Oberstleutnant Losgatschow und sein Befehlshaber Oberst Starostin diskutierten vor Stalins Zimmer, wer nach dem Chef sehen sollte. Erst gegen 23 Uhr musste schließlich der rangniedere Losgatschow dem Schreckensherrscher wichtige Briefe überbringen. Dabei fand er Stalin in Pyjamahose und Unterhemd auf dem Boden liegend in einer Urinlache. Er lebte noch, die Anwesenden konnten jedoch nicht erahnen, dass er einen Schlaganfall erlitten hatte.

Sofort verständigte der Wachdienst den Führungsstab, der noch einen Tag zuvor mit Stalin gebechert hatte. Doch niemand fühlte sich verantwortlich. Anstatt sich um den sterbenden „Woschd“ (Führer) zu kümmern, begann bereits der Machtkampf um seine Nachfolge. Am frühen Morgen des 2. März wollten die Beteiligten dann doch endlich einen Arzt hinzuziehen. Das gestaltete sich als schwierig, denn in einer von Stalin angeordneten Säuberungsaktion waren ab Ende 1952 Tausende Mediziner interniert worden. Einige von ihnen wurden schwer gefoltert, besonders in den Kreisen von jüdischen Ärzten witterte der wahnsinnige Herrscher Komplotte. Schon zuvor traute Stalin in Gesundheitsfragen fast niemandem. Losgatschow erinnerte sich später: „Ein Offizier musste Medikamente in einer Dorfapotheke kaufen, wo niemand ahnen konnte, für wen sie bestimmt waren.“ Erst mehr als einen Tag nach Stalins Zusammenbruch traf ein Behandlungsteam ein, das eine „arterielle Gehirnblutung im halblinken Areal“ feststellte. Aber alle Bemühungen, ihn nun noch zu retten, erwiesen sich als vergeblich, Stalin starb drei Tage später, am 5. März 1953 um 21.50 Uhr Moskauer Zeit.
*Dos Rauschen in Wald hot mir'sch ageta, deß ich mei Haamit net loßen ka!* *Zieht aah dorch onnern Arzgebirg der Grenzgrobn wie ene Kett, der Grenzgrobn taalt de Länder ei, ober onnere Herzen net!* *Waar sei Volk verläßt, daar is net wert, deß'r rümlaaft of daaner Erd!*
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Re: Tod eines Despoten....

Beitragvon pentium » 4. März 2023, 16:34

Der spätere Sowjetdiktator war am 18. Dezember 1878 als Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili im georgischen Gori auf die Welt gekommen. Dass Stalin erst am 21. Dezember 1879 geboren sein soll, wie lange Zeit gängige Behauptung war, ist ein historischer Irrtum. Das Datum taucht erst seit den 20er-Jahren in Parteidokumenten auf, zuvor galt, wie eine Parteizeitschrift der KPdSU im November 1990 feststellte, das 1878er-Datum verbürgt. Was die Datumsverfälschung bezwecken sollte, ist bis heute unbekannt.

Der Sohn eines selbstständigen Schuhmachers und einer Putzfrau wuchs wenig behütet auf, als Kind wurde er von seinem trunksüchtigen Vater häufig geschlagen. Trotz guter Leistungen musste er die Schule abbrechen. Nach einem Aufenthalt in einem streng orthodoxen Priesterseminar in Tiflis mit antizaristischen Tendenzen wollte er „Revolutionär“ werden.

Inspiriert von den Lehren von Marx und Engels schloss er sich der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands an. Als sich die Partei 1903 aufspaltete, schlug sich der gewaltbereite Kämpfer auf die Seite der Bolschewiken unter Wladimir Iljitsch Lenin. In dieser Fraktion von Hardlinern nahm er 1912 den Kampfnamen Stalin an.

Nach der russischen Oktoberrevolution stieg der rücksichtslose Funktionär bis in die höchsten Kreise der Macht auf und wurde 1922 Generalsekretär der KPdSU. Doch sogar sein einstiger Mentor Lenin ahnte Böses. In seinem Testament sprach er von der Entmachtung Stalins: „Deshalb schlage ich den Genossen vor, sich zu überlegen, wie man Stalin ablösen könnte, und jemand anderen an diese Stelle zu setzen, der sich in jeder Hinsicht von dem Genossen Stalin nur durch einen Vorzug unterscheidet. Nämlich dadurch, dass er toleranter, loyaler, höflicher und den Genossen gegenüber aufmerksamer, weniger launenhaft ist.“

Doch mit welcher Gewalt der eiserne Herrscher die Sowjetunion später einmal führen würde, konnte Lenin damals wohl kaum abschätzen. An der Spitze der UdSSR festigte Stalin erbarmungslos seine Machtbasis. Viele ehemalige Mitglieder der Oktoberrevolution fielen seinen Säuberungen zum Opfer. Historiker gehen davon aus, dass Stalin für den Tod von mehr Kommunisten verantwortlich war als jeder andere Diktator des 20. Jahrhunderts.

In der Wirtschaft setzte er auf die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft. Unionsweit führte sie zu großen Hungersnöten, in der Ukraine verschärfte sich die Situation nochmals durch eine Missernte Anfang der 30er-Jahre. Darin sah das Terrorregime nun die Chance, Unabhängigkeitsbestrebungen der Republik einzudämmen. In der angespannten Lage erhöhte der gnadenlose „Woschd“ die Abgabequoten. In der Schreckenszeit, die als Holodomor in die Geschichte einging, verhungerten schätzungsweise mehr als drei Millionen Ukrainer.

Eine Woche vor Beginn des Zweiten Weltkrieges schloss der machthungrige Diktator einen „Nichtangriffspakt“ mit Adolf Hitler. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion 1941 schlug sich Stalin auf die Seite der Alliierten und rief zum „Großen Vaterländischen Krieg“ auf. Nach der Kapitulation der Nazis am 8. Mai 1945 verhandelte er im selben Jahr auf den Konferenzen von Jalta und Potsdam mit den Engländern und Amerikanern über die Nachkriegsordnung Europas. Nach Stalins Tod rief der Führungsstab für den als gottgleich verehrten Herrscher Staatstrauer aus. Sein Leichnam wurde im Mausoleum auf dem Roten Platz neben Lenin aufgebahrt.

Erst 1956 begann sein Nachfolger Chruschtschow sich von seinem politischen Ziehvater zu distanzieren. 1961 entfernte die Kreml-Führung Stalins Leiche aus dem Grabmal, zahlreiche weitere Denkmäler des Diktators ließ die neue Führung tilgen. Auch in der Ostberliner Stalin-allee wurde zu dieser Zeit eine Statue des Despoten demontiert und eingeschmolzen. Zeitgleich wurde die Stalinallee in Karl-Marx-Allee umbenannt.

Dennoch ist der Schreckensherrscher aufgrund seiner vermeintlichen Verdienste im Zweiten Weltkrieg bei einigen Zeitgenossen positiv im Gedächtnis geblieben. Eine kontroverse Diskussion über dieses Thema endete im Radio Komsomolskaja Prawda 2018 auch schon mal damit, dass zwischen den uneinigen Kontrahenten die Fäuste flogen. Laut einer Umfrage des russischen Meinungsforschungsinstituts „Lewada-Zentrum“ aus dem Jahr 2019 bewerteten 70 Prozent der Russen die Rolle Stalins für das Land als positiv. Wladimir Putin rechtfertigt seinen Angriffskrieg in der Ukraine mit dem Narrativ, man wolle, müsse, das Land „entnazifizieren“. Schon Stalins Propaganda nutzte diese Art von Rhetorik gegen widerständige Kreise der damaligen Sowjetrepublik, indem er ab 1927 die Ukrainer kollektiv als Nationalisten, Faschisten, Verräter und Spione titulierte.

„Russland hat die stalinistische Vergangenheit nie tiefgreifend aufgearbeitet“, sagt Stefan Meister, Programmleiter Internationale Ordnung und Demokratie bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. „Stalin ist für Putin eher der Held, der den Zweiten Weltkrieg gewann. Er sieht sich in seiner Tradition, aber auch in der zaristischen Tradition.“

Bildtext: Der Tod als Erlösung – für die Hinterbliebenen: Nicht jeder empfand beim Anblick des im Moskauer Gewerkschaftshaus aufgebahrten Stalin im März 1953 echte Trauer. Dem Ableben des Diktators folgte in der Sowjetunion zwar eine formale Entstalinisierung, die jedoch weder tiefgreifend noch nachhaltig war. Bis heute sind Stalins Ideen und politischen Denkweisen in weiten Kreisen der russischen Gesellschaft virulent, und vielfach genießt er hohes Ansehen.

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